Ein Gespräch mit Martin Klein, Executive Chef, Hangar‑7 Salzburg
Der Begriff des Kurators stammt vom Lateinischen »curare«: sorgen, Sorge tragen, sich kümmern, verwalten, behandeln, pflegen. Im Kunstbereich ist kuratorische Arbeit gang und gäbe, in der Kulinarik nicht unbedingt. Martin Klein, Executive Chef im Hangar‑7 in Salzburg, erfüllt für das Gastkochkonzept im Restaurant Ikarus ziemlich genau das Aufgabenprofil eines Kurators. Klein und sein Team laden jeden Monat einen internationalen Spitzenkoch ein, um dessen Menü im Restaurant Ikarus unter dem Thema »Culinary Arts« zum Besten zu geben. Der Name ist Programm: Das Menü, entsprungen aus dem künstlerischen Anspruch des Gastkochs, wird auf der Bühne des Ikarus in allen geschmacklichen, visuellen und performativen Details des Urhebers umgesetzt, präsentiert und dem Genusspublikum gekonnt vermittelt. Dafür reist Klein im Vorfeld zum Gastkoch, egal wo auf der Welt dieser sich befindet, taucht in dessen »Atelier« ein, lernt dessen Küche kennen, recherchiert und rezeptiert dessen Menü, produziert Making-of Fotostrecken und kehrt mit dem angesammelten Know-how nach Salzburg zurück. Dort widmet er sich akribisch und respektvoll den Vorbereitungen mit dem Ikarus-Team. Bei all dem Aufwand, dem monatlichen »Ausstellungsrhythmus« gerecht zu werden, steht Klein als »Kurator der Haute Cuisine« vor Herausforderungen, die das gastronomische Konzept im Ikarus weltweit unkopierbar machen. Ein Erlebnis zu kreieren, das im besten Fall auch den Künstler selbst positiv überrascht, dafür brennen Martin Klein und das Team im Hangar‑7.
Klein empfängt uns in seiner Küche, wir dürfen am eingedeckten Chef’s Table Platz nehmen und er trägt sowohl während des Gesprächs als auch beim Servieren des Menüs stets Sorge dafür, uns auch möglichst tief in das kulinarisch kunstvolle Erlebnis eintauchen zu lassen. Von der Langoustine – Haddock Espuma – Yuzu Vinaigrette, über Hechtnocke »Andrè Terrail«, Bio-Ei »Mystére« und Birne Charpini lassen sowohl Service, Weinbegleitung und Küche die neoklassischen Kreationen von Yannick Franques aufleben und wir schmecken und fühlen intensiv die Eleganz, Ehrlichkeit und Exzellenz der Küchenlinie des Franzosen. Yannick Franques ist nicht da, muss er auch nicht, denn seine künstlerische Idee, seinen Ausdruck auf dem Teller, sein Bemühen um ein kulinarisches Erbe, erleben wir hautnah, handwerklich in allen Facetten stimmig dargeboten und können uns umfangreich damit auseinandersetzen.
Herr Klein, wer oder was hat in Ihnen die Leidenschaft für diesen außergewöhnlichen Beruf geweckt?
MARTIN KLEIN: Die Leidenschaft kommt von innen heraus. Das kann niemand beeinflussen. Man muss diesen Beruf aus eigener Überzeugung machen. Von klein auf habe ich mir nichts anderes vorstellen können, als einmal in der Küche zu stehen, ein Team zu führen und kulinarische Erlebnisse handwerklich umzusetzen.
Heute – einige Jahre später und um einiges an Erfahrung reicher – ist das immer noch Ihre Berufung? Und wenn ja, woran können Sie das festmachen?
Ja absolut – es erfüllt mich mit Freude. Festmachen kann ich das daran, dass ein langer Arbeitstag mir nicht schwerfällt. Ich freue mich, wenn am Freitag der Fischlieferant kommt. Vor zwei Tagen war ich noch in Mailand bei meinem Kollegen Enrico Bartolini, der im März hier zu Gast sein wird. Ich darf mit den besten Produkten arbeiten, mit hochqualifizierten Leuten in meinem Team. Ich darf Reisen und neue Menschen kennenlernen, das macht meinen Job perfekt. Im Grunde erfülle ich mir alle meine Wünsche.
Ihr Hobby ist das Fliegenfischen. Wir haben schon einige Top-Führungspersönlichkeiten kennengelernt, die dieses Interesse teilen. Was ist daran so besonders?
Es ist die Königsdisziplin des Fischens. Man betätigt sich dabei sportlich, weil man sich gegen den Fluss bewegt. Im Wasser ist man ganz bei sich. Beim Fliegenfischen muss ich die Natur beobachten, ich muss sehr aufmerksam sein, sodass ich alles andere vergessen und abschalten kann. Zudem ist es die schönste Art, einen Fisch zu fangen. Ich verwende einen Haken ohne Widerhaken, somit hole ich den Fisch schonend aus dem Wasser. Würde ich mehr Freizeit haben, würde ich öfter fischen gehen. Es gehen sich nur vier bis fünf Ausflüge im Jahr aus.
Im Ikarus trifft sich die Crème de la Crème der kulinarischen Welt, die Biennale in Venedig ist ein ähnliches Ereignis, nur eben in der Kunstwelt. Das ist nach wie vor einzigartig (in Venedig) und hier in Salzburg, weil nicht so leicht kopierbar. Wie kann man sich als Team jeden Monat auf einen neuen Gastkoch einstellen?
Sie sagen es – nach 18 Jahren ist unser Konzept immer
noch weltweit einzigartig, weil es sehr schwierig umzusetzen ist. Wir benötigen sehr viel Disziplin und eine exakte Vorbereitung. Zudem braucht dieses Konzept ein sehr starkes Team. Wir bauen über Nacht ein Menü auf höchstem Niveau um: Am ersten des Monats wechseln wir zum neuen Menü und am letzten des Monats kochen wir noch das des Vorgängers. Wir haben jetzt Mitte Februar, ich war diese Woche in Mailand beim nächsten Gastkoch. Ich besuche ihn persönlich, wir vereinbaren ein Menü, verbringen die Zeit in seiner Küche und rezeptieren die Gerichte. Ich mache Fotostrecken vom Making-of, bereite die Rezeptmappe vor und danach folgen mehrere Meetings mit dem Team hier im Ikarus. Mit den Küchenchefs, mit den Postenchefs, um früh genug die Vorbereitungen zu treffen: beispielsweise trocknen, fermentieren oder reifen. Jeder bekommt seinen Ablauf und nach und nach verteilen wir die Aufgaben. Am Tag vor dem Start reist der Gastkoch mit seinem Assistenten an. Dann bereiten wir die Mise en Place vor. Am ersten des Monats ist dann der ausgebuchte Galaabend. Es gibt keinen Probelauf, das Menü muss am ersten des Monats sitzen, und zwar muss es da am besten sitzen. Anschließend ist der Gastkoch noch einen Tag bei uns und fliegt dann wieder zurück. Dieses Konzept ist sehr komplex und deshalb unschlagbar. Die Spitzenköche zeigen uns hier alle ihre Trümpfe, unser Restaurant ist für sie eine Bühne. Jeder Gastkoch will sich hier von seiner besten Seite präsentieren.
Wir durften uns bereits mit einigen Sterneköchen austauschen, die bei Ihnen zu Gast waren, und alle haben in den höchsten Tönen geschwärmt. Wie werden Sie und Ihr Team diesen Ansprüchen gerecht? Wir stellen uns das nicht ganz einfach vor…
Nur gerecht zu werden oder zufrieden zu stellen, ist für uns zu wenig. Der Gastkoch muss überrascht werden von der Kompetenz des Teams, von der Qualität der Produkte. Durch Red Bull haben wir Möglichkeiten, die andere nicht haben. Wir lassen die Ware, wenn es sein muss, per Flugzeug von allen Kontinenten einfliegen. Wir setzen die Küche des Gastkochs absolut authentisch um. Das ist ein großer Unterschied und überrascht natürlich.
Das Konzept klingt danach, dass man viel von der eigenen Entfaltung der eigenen Vision zurückstellen muss. Durch welche positiven Erfahrungen gleichen Sie das aus?
Eigentlich empfinde ich das überhaupt nicht so. Wir stellen den Gastkoch auf ein Podest, aber wir haben auch parallel ein Ikarus-Menü. Wir versuchen niemals das Menü zu toppen, sondern gleichen es aus. Die Gäste bekommen eine kreative Alternative geboten. Es ist ein begleitendes Menü und so können wir uns auch verwirklichen. Zudem ist der August unser Monat. Wir sind nicht im zwölften Monat des Jahres an der Reihe, sondern im August, ein Monat, in dem aufgrund der Festspiele besonders viel los ist, dürfen wir unser individuelles Menü zum Besten geben.
Kulinarische Kunstwerke von Martin Klein, Fotos: Helge Kirchberger Photography / Red Bull Hangar‑7
Kann man diese Symbiose auch in etwa mit einer Künstler-Kurator-Beziehung vergleichen? Also der Gastkoch und seine Idee stehen als künstlerische Position im Mittelpunkt und Sie arbeiten sich in das Hintergrundwissen und Know-how ein, schaffen die beste Bühne und vermitteln dem Publikum das emotionale Erlebnis?
Genauso ist es. Das ist es, wofür wir da sind, das ist der Kern dieser einzigartigen Idee. Und so wie sich ein Kurator in einem Museum oder bei einer Ausstellung verwirklichen kann, so können auch wir uns verwirklichen, denn kochen und servieren tun wir, also sind wir für die authentische Inszenierung verantwortlich. Es ist unser Gespür, unser Zugang und unser Handwerk, das hier zählt. Das hat nichts mit einer Kopie zu tun, sondern es ist eine Ergänzung an Kompetenzen, die stimmig sein muss, um dem Publikum dieses einzigartige Erlebnis zu vermitteln. Das Gesamtpaket mit unserer Liebe zum Detail in allen Aspekten und unserem Produkt- und Prozessverständnis, das ist nicht kopierbar.
Prinzipiell sind wir der Meinung, dass Kulinarik eine großartige Kunstform ist. Sie ist ausdrucksstark, nachhaltig und spricht intensiv die Sinne an. Wie ist Ihr Verhältnis zur Kunst bzw. sehen Sie da auch Parallelen?
Ich denke, ich kann mit »Haute Cuisine« die Menschen so erreichen, wie es Künstler mit ihrem Werk tun. Die Menschen, die uns besuchen, erwarten etwas Besonderes, ein authentisches Erlebnis, keine Show, sondern die Bemühungen und die Recherche, die dahintersteckt. Was ein Künstler erschafft, ist viel mehr als nur ein Bild oder ein Objekt. Das Werk bringt eine Reflexion mit sich, es löst Emotionen aus, es trifft die Menschen auf einer anderen Ebene als jene der reinen Materialität und Ästhetik. Das ist bei unseren Gerichten genauso. Es geht nicht nur um Nahrungsaufnahme oder Essen, es geht um eine erfüllende Erfahrung. Hier würde ich die Parallele zur Kunst sehen.
Ist das Gastkoch-Konzept seit 2003 dasselbe oder gibt es auch nach bald 20 Jahren Veränderungen und Entwicklungsschritte?
Das Konzept ist perfekt, aber es gibt tägliche Entwicklungen. Die Möglichkeiten sind da, der Rahmen ist gegeben, aber wir müssen dennoch tagtäglich daran arbeiten. Wir benötigen einen Spannungsbogen in der Gastkoch-Liste, erarbeiten uns positives Feedback. Es muss alles in die richtige Richtung gelenkt werden. Wir haben sehr viele Stammgäste, hunderte, die uns Monat für Monat besuchen, die ihre ganze Freizeit danach planen, keinen Gastkoch bei uns zu verpassen. Das Konzept ist perfekt, aber wir müssen dennoch stetig an den Begeisterungsfaktoren arbeiten.
Eines ist sicher: Es gibt wohl aktuell niemanden, der in so viele Sterneküchen tief blicken durfte, wie Sie. Am Ende des Tages, gibt es etwas, das alle miteinander verbindet?
Ein Thermomix … (lacht) Nein im Ernst – das ist natürlich eine sehr menschliche Frage. Es gibt wunderbare Begegnungen, Freundschaften, die entstehen, es gibt natürlich, wenn auch selten, zwischenmenschliche Herausforderungen. Die Welt der Gastronomie war und ist bei uns im Ikarus zu Gast und was uns in der Spitzengastronomie verbindet, ist sicherlich die Liebe zum Beruf. Sie ist uns allen gemein. Es ist der schönste Beruf der Welt, wenn man ihn leidenschaftlich ausübt. Das funktioniert nur mit Herzblut und aus voller Überzeugung.
Gibt es Gastköche, die noch auf Ihrer »Bucket List« stehen?
Sie werden sich wundern, wer dieses und nächstes Jahr alles kommt, obwohl es sehr schwierig ist, in diesen unsicheren Zeiten weit voraus zu planen. Die Reisefreiheit ist nicht mehr so, wie sie einmal war und zudem werden derzeit natürlich alle in den eigenen Restaurants dringend gebraucht.
Heute liegt in vielen Küchen die absolute Regionalität sehr hoch im Kurs, eben auch verbunden mit Neo-Ökologie, Klimakrise etc. Hier im Ikarus müssen, wie Sie vorher kurz angesprochen haben, die Zutaten der Gastköche teilweise eingeflogen werden. Wie gehen Sie und die Gäste damit um?
Ich bin kein Trendsetter. So halte ich es auch beim Thema Footprint. Wenn ich eine Auster essen oder dem Gast eine anbieten möchte, finde ich keine in Salzburg. Wenn ich einen Kohlkopf einkaufe, kommt er natürlich aus Salzburg. Wir haben heute Hechtklößchen auf dem Menü, der Hecht kommt aus dem Salzburger Land, der Saibling ebenfalls. Wenn wir ein Rind oder Kalb aus dem Salzburg Land bekommen, nehmen wir es, wir haben einheimisches Kürbiskernöl, Milchprodukte und vieles mehr. Aber ich mache keinen Kompromiss, wegen eines Trends. Der Steinbutt kommt nun Mal aus dem Atlantik.
Auch wenn Sie kein Trendsetter sein wollen, so sind Sie doch an der Quelle der Trends, haben einen großartigen Überblick über alle Kontinente. Was ist ihr Gefühl – wohin entwickelt sich die Haute Cuisine?
Die Haute Cuisine wird sich nur über den Geschmack und die Emotionen halten können. Es ist ein authentisches Genusserlebnis. Wenn ich nur eine Geschichte erzähle und einen Trend serviere, dann wird das nicht funktionieren. Kochen ist eine reine Genusssache und bestehen wird auf lange Sicht nur ein hochwertig zelebriertes Handwerk. Etwas, das man nicht erklären muss, das man von Anfang bis zum Ende genießen kann, das vielleicht reflexive Fragen aufwirft und einen zugleich ergreift, das wird auch in Zukunft funktionieren. Wir merken, dass die Gastronomie nach der Pandemie wieder mehr Wertschätzung erfährt, auch der Umgang mit der Ware im Einkauf ist ein aufmerksamerer geworden. Hier können wir nun wieder motiviert anknüpfen.
In die Zukunft blickend – welche Ziele stecken Sie sich persönlich?
Wir sind auf dem Papier, was sämtliche Auszeichnungen betrifft, sehr erfolgreich. Ich möchte keinen Schritt zurück machen. Ich freue mich, wenn wir die Menschen an das Unternehmen binden können, wenn die Gastronomie wieder interessant wird als berufliche Umgebung. Man ist nur so stark wie das kleinste Rädchen im Team und ich wünsche mir ein sehr starkes kleines Rädchen. Privat freue ich mich, wenn ich ausreichend Zeit für meine Familie habe. Es ist eine Zeit mit den noch kleinen Kindern, die man nicht mehr zurückbekommt. Während der Pandemie war ich sehr viel zuhause, wie noch nie zuvor, und das verändert natürlich auch bestimmte Gewohnheiten.
Vom Chef’s Table aus dürfen wir nach dem Gespräch mit Martin Klein die Zubereitung unseres Menüs live mitverfolgen. Das Team ist eingespielt, der Chef unterstützt und überwacht die Prozesse. Klein hat alles im Griff, kuratiert das Menü und dessen Präsentation in allen Details. Wir sind rundum ergriffen von diesem Genusserlebnis: Absolut »Culinary Arts«.
DIE WELTKÖCHE ZU GAST IM IKARUS
Außergewöhnliche Rezepte und wegweisende Chefs im Portrait Band 8
Haute Cuisine hautnah: Kochen wie die Sterneköche
Fusionsküche, Molekularküche, regionale Traditionsküche – die besten Köche der Welt wechseln sich Monat für Monat ab, um für die Gäste des Restaurant Ikarus im Hangar‑7 unvergessliche Menüs zu servieren. Das hierzu aufwendig und bildreich gestaltete Buch gibt Einblicke in die internationale Gourmetküche des mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants und liefert ausführliche Porträts und Rezepte der Spitzenköche der vergangenen zwölf Monate.
„Die Weltköche zu Gast im Ikarus – Band 8“ präsentiert die internationale Haute Cuisine:
❖ Persönliche Porträts der Chefs
❖ Erlebnisse des Ikarus Teams mit den Gastköchen
❖ Zahlreiche Rezepte
❖ Spitzengastronomie für zu Hause
Autor: Martin Klein
Fotos: Helge Kirchberger
Preis: 69,95 Euro
Seitenzahl: 344 Seiten
Maße: 24,9 x 33,5 cm
Erhältlich im Hangar‑7 Merchandising Shop, im Red Bull Online Shop sowie im Buchhandel.