„WORKS OF ART – IF THERE CAN BE WORKS OF ART TODAY – MUST BE TERRIBLE COLD, CRUEL AND FUNNY, MUST BE OF ENORMOUS LUCIDITY AND SPIT ON EMOTION.“ [1955]1
KUNST OPTISCHER PROVOKATION
Im Flugblatt seiner Ausstellung 1955 im Oslo Kunstvorening formulierte Marc Adrian sein künstlerisches Credo. Die Assemblage Maquette zu A 2 (S/O 1955 17) stammt aus dieser Zeit und wurde nach Adrians eigener Angabe dort gezeigt. Sie ist der Prototyp der Werkgruppe der Hinterglasmontagen und als Vorarbeit für das großformatige Objekt A2 (S/O 1955 22) zu betrachten. Ein Rezensent der ersten Ausstellung beschrieb die Assemblagen als Kunst optischer Provokation: einfarbige hintergründe, schwarz oder weiß, mit starken roten und blauen flächen, die sich wie flügel dem vorbeigehenden öffnen, reissende perspektiven, die sprunghaft den fluchtpunkt wechseln, glittermuster mit rasant aufzuckenden farbigen bändern, welche wie klapperschlangen über die glasscheibe hinzucken und verschwunden sind, ehe das auge sie klar erfasst.(2)
MULTIMEDIALE INTERNATIONALE AVANTGARDE
Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage nach den zeitspezifischen Bedingungen, welche diese Eruptionen einer vollkommen neuen und zukunftsweisenden Visualität hervorgebracht haben. In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Anblick bombenzerstörter Städte weite Teile Europas prägte, hatten das Trauma der Kriegsgräuel sowie die bislang unvorstellbaren Ereignisse des Holocaust eine tiefgehende Erschütterung der Gesellschaft und der neuen Generation von Künstlern bewirkt. Gleichzeitig sorgte die latente Kontinuität faschistischer Kulturträger und Politiker für Unbehagen, vor allem bei den Jun-gen. Neben Friedensreich Hundertwasser und Ernst Fuchs, mit denen er zu Beginn der 50er Jahre in Paris lebte, hat der Wotruba Schüler Adrian frühzeitig durch teilweise abenteuerliche Reisen und Auslandsaufenthalte die Kunstszene in Frankreich und in Italien als kreatives Umfeld für einen Neuanfang genutzt und bestritt bereits 1953 in einer Pariser Galerie seine erste Einzelausstellung mit Kleinplastiken, Sprungperspektiven, Collagen und Grafiken. In den auf die Pop-Art vorausweisenden, mit in kräftigen Autolack-Farben auf Holz gemalten Sprungperspektiven zeigte sich die Neigung, das Vokabular der geometrischen Abstraktion durch optische Phänomene zu erweitern. Sie verkörperten als optische Vexierbilder eigentlich architektonische Dystopien. Sie waren Fallenbilder für den zum Scheitern verurteilten Versuch einer konventionellen Bildbetrachtung. Adrian konstruierte virtuelle Räume, in denen sich alles jederzeit ins Gegenteil verkehren konnte. Die Agilität seiner Lebensführung förderte durch die Präsenz in wichtigen Zentren der Gegenwarts-kunst auch die Rezeption der in der Pariser Galerie Denise René diskutierten Revision der geometrischen Abstraktion. Diese zeigte 1951 die Schau Dewasne Formes et Jacobsen Couleurs et Vasarely Murales. In der skandinavischen Moderne bewirkte die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem russischen Konstruktivismus eine neue Auffassung von Zeit, Bewegung und Raum, die bald auch Adrians Arbeit prägte, der 1955 als Stipendiat in Oslo lebte. Als Störfaktor der Interpretation von Kunst als ästhetischem Mehrwert der Bourgeoisie wirbelte in Frankreich der Lettrisme International Sprache als Material und herkömmliche Medi-en durcheinander. In diesem Kontext kam es am 13. Oktober 1952 im Ciné-Club d´Avant-Gardes im Musée de l‚Homme in Paris zur Uraufführung des Films von Guy Debord Hurlements en faveur de Sade. Durch den Schock der abwechselnd monochrom schwarzen und monochrom weißen Leinwand mit immer wieder unterbrochener Geräuschkulisse und letztlich 20 Minuten vollkommener Stille proklamierte Guy Debord das Ende des narrativen Films als Impuls für den Übergang zur Situation. Dem war der Film L´Anticoncept von Gil J. Wolman ohne Bilder mit Sequenzen einer monochrom schwarzen Filmleinwand, einem weißen Kreis und lettristischer Tonspur vorangegangen, der am 11. Februar 1952 uraufgeführt worden war. Von Beginn an multimedial unterwegs, hat Adrian als Filmschaffender auf diese Negation darstellender Filmbilder mit seinem Formalfilm Black Movie, 1957 (F/V 1957 1) reagiert, der eine kalkulierte Abfolge monochromer Farben in der black box des Kinos (im Gegensatz zum white cube des Galerieraums) zeigte.
KUNST, DIE SICH NICHT MIT BEWEGUNG UND DEM BEWEGEN BEFASST, IST EINFACH ÜBERFLÜSSIG
Das Switchen innerhalb der Medien charakterisierte von Beginn an Adrians experimentelle Arbeitsweise, wobei er zu dem Schluss kam: KUNST, DIE SICH NICHT MIT BEWEGUNG UND DEM BEWEGEN BEFASST, IST EINFACH ÜBERFLÜSSIG (Z 1957 7). In dieser Atmosphäre des radikalen Neubeginns einer nicht repräsentierenden Kunstproduktion verfasste Hundertwasser sein Manifest Arte come Transautomatico (1954) und malte 1955 das Bild Der große Weg. Adrian verwirklichte in der Monotypie Ereignis (Z 1955 31) unter Ausschaltung der subjektiven Handschrift in vergleichbarer Weise die Entgrenzung der Bildfläche als Kartografie durch aus Farbe und Form visuell generierte Bewegung. Das spontane Potential im Spannungsfeld von Zufall und Methode inspirierte auf dem Gebiet der Sprache in gemeinsamer Diskussion mit Gerhard Rühm und Freunden der späteren Wiener Gruppe Adrians theorie des methodischen inventionismus als Methode der Dichtung. (3) Selbst diese »systematisierung der alogischen begriffsfolgen des radikalen Surrealismus« sei letztlich unberechenbar, wie Robert Fleck meinte. (4) Die Rolle des Zufalls wird in der Sprachambivalenz der von Adrian wie Sprungperspektiven gestalteten visuellen Texte in der grafischen Folge der Telefongebete (G 1955 1) nachvollziehbar. Der französische Philosoph Maurice Merleau Ponty schrieb 1945 über die Phänomenologie der Wahrnehmung und erklärte das Primat der sinnlichen, körperlichen Erfahrung vor der verstandesmäßigen Interpretation, eine Vorstellung, welche auf dem Gebiet der Kunst die Entwicklung der Op-Art vorantrieb und in Adrians Rauminstallationen und Assemblagen relevant wurde. Adrian agierte bald als Protagonist der internationalen Avantgarde: 1961 war er Gründungsmitglied der Neuen Tendenzen in Zagreb und scheint mit Hinterglasmontagen im Katalog von ZERO 3 im Zusammenhang mit der Düsseldorfer Ausstellung ZERO – Edition, Exposition, Demonstration auf. 1965 war Adrian als einziger Österreicher an der großen Op-Art Ausstellung The Responsive Eye im MoMA in New York beteiligt. Die Forderung nach einer Aktivierung des Betrachters war bei Op-Art Künstlern ebenso wie bei Situationisten verbreitet. Diese läuteten durch die Erschaffung von Situationen das Ende der bildenden Kunst ein.
Stehen also hinter den Übermalungen Vorstellungen von Bildern, die in einem langwährenden Prozess verfinstert, ausgelöscht und von emotionalem Malgestus überlagert wurden, so sehen wir in einem anderen, umfangreichen Teil des Oeuvres von Rainer die Beschäftigung mit dem Abbild. Den entscheidenden Ausgangspunkt dafür bilden die Selbstbildnisse. Dabei stand das eigene, mit kräftigen schwarzen Linien bemalte eigene Gesicht (Abb. 4 bemaltes Gesicht), mit dem er sich 1967 in der Öffentlichkeit präsentierte, am Beginn der Entdeckung seines Selbstbildnisses. Eine Frage nach dem Medium, dem Bild-Träger wird hier in einer Aktion vorgetragen. Zunächst als Erweiterung von Papier und Leinwand wird die Befassung mit den Automatenfotos in den Jahren 1968/69 zu einem weiteren, großen Thema seines Schaffens. „Face Farces“ betitelt er diese Selbstbefassungen, die in Fotoautomaten (Abb. 7 Automatenfotos) am Wiener Westbahnhof aufgenommen wurden. Das Bedürfnis, einen bestimmten Ausdruck, eine besondere Spannung des inneren Zustandes nach außen zu bringen, führt Rainer in den performativen Selbstentäußerungen zu Bildern, die die Stärke besaßen, sowohl für sich zu stehen, als auch Ausgangspunkt einer weiteren, malerischen Bildbefassung anzunehmen. Die Resultate seiner „Selbstgespräche vor der Kamera“ sind Abbildungen, aus denen neue Bilder folgen konnten. Hier gelingt es Rainer, sich und seine Malerei im Selbstbildnis wieder zu erfinden. (Abb. 9 Face farces) Sein Reagieren auf das Bild wird an diesen auf Fotovorlagen basierenden Darstellungen nun anders wahrnehmbar, bleibt doch ein mehr oder minder deutbares „Vorbild“ bei aller Überstrichelung, Zerkratzung, Fingermalerei und Zuschüttung erhalten. Die Malerei misst sich nun am fotografischen Abbild und am Ausdruck der Bildvorlage.
VORREITER DER VIRTUAL REALITY
Adrian schrieb 1955: allgemeingültige probleme können nur in abstrakten mustern abgewandelt werden und diese probleme sind heute physisch dynamisch und psychisch grausam […] natürlich bleibt die reine repräsentation von artefakten wirkungslos, wenn sie nicht zum denkanstoß und bestandteil des betrachters wird […] und spuren und engramme hinterläßt. (5) Daraus folgerte er die Möglichkeit zur Bewusstseinserweiterung beim Prozess der Wahrnehmung durch physiologische Reize. Die Assemblage Maquette zu A2, eine Hinterglasmontage als »Sehmaschine«, sollte durch den bewegten Betrachter wie ein Film in Phasen wahr-genommen werden, deren Sequenzen er exakt berechnete. Während im oberen Bereich die Spirale einen Sog in die Bildtiefe bezweckte, zeigte die untere Zone das Modell eines virtuellen Raumes, den er bald darauf in A2 verwirklichte. Der schwarzen Filmleinwand im verdunkelten Kinosaal vergleichbar, traten aus dem monochrom schwarzen Grund der Assemblage die imaginären geometrischen Raummodelle hervor, um durch das trügerische Spiel die Sehroutine des Betrachters zugleich zu verwirren und seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Während Adrian dem Trend zur Passivität des Bilderkonsumenten in der aktuellen allumfassenden Digitalisierung durch die Aktivierung des Betrachters entgegenzuwirken versuchte, wies das Industrieglas voraus auf die verpixelte Visualität des digitalen Universums. Damit wurde Adrian zu einem Vorreiter der Virtual Reality, des programmierten Sehens, welches unsere Gegenwart prägt.
Erschienen in der Printausgabe collector’s choice edition Sammlung Hainz
1 Marc Adrian, Flugblatt zum Ausstellungskatalog, Oslo 1955, Research Center Belvedere [AKB_VN-17]; Durch die Schenkung des schriftlichen Nachlasses von Marc Adrian an das Belvedere durch Dieter und Gertraud Bogner, konnte die Autorin das Werkverzeichnis Marc Adrian in der Reihe Belvedere Werkverzeichnisse erstellen. Bogner, Dieter/ Cabuk, Cornelia: Marc Adrian. Film / Kunst / Medien, hrsg. v. Agnes Husslein-Arco, Cornelia Cabuk u. Harald Krejci, Klagenfurt, Wien 2016 (Belvedere Werkverzeichnisse, 5) Die Zahlen in den Klammern bei den Adrian Werken im aktuellen Beitrag sind Werkverzeichnisnummern.
2 Hardley, John: »Marc Adrian, Explosion of Vision. Betrachtungen zum kinetischen Werk des Künstlers«, in: Eine Welt der vereinten Nationen, Wien 1976, S. 37
3 Bogner/Cabuk, Adrian, 2016, S.79
4 Robert Fleck, Avantgarde in Wien. Die Geschichte der Galerie nächst St. Stephan Wien 1954–1982, Wien 1982, S.225
5 Wie Anm. 1