Madame Hirsch und ihre hyperreale Glanz-Ästhetik

Auf den Couture-Spuren einer modeaffinen Stilikone der Neunziger

Rena­te Hirsch Gia­co­muz­zi war nicht nur in den 1990er Jah­ren, son­dern ist bis heu­te, nach bei­na­he 10-jäh­ri­gem »Todes­ju­bi­lä­um«, eine außer­ge­wöhn­lich inspi­rie­ren­de Figur der euro­päi­schen Hau­te Cou­ture Sze­ne. Madame Hirsch war eine rare und zugleich authen­ti­sche Mode­iko­ne. Ihre Mode-Affi­ni­tät mach­te die Sti­li­ko­ne, mit jener hin­rei­ßen­den Mari­lyn Mon­roe Aus­strah­lung, zu ihrem Lebens­in­halt, wel­che schließ­lich zu ihrer Lei­den­schaft und einer unfass­bar fas­zi­nie­ren­den Mode­samm­lung führ­te. Bereits bei Ein­tritt in das Mode­ar­chiv, oder viel­mehr in das Mode­pa­ra­dies von Ren­a­te­Hirsch, spürt man die tur­bu­len­te Ener­gie der Neun­zi­ger Jah­re, wel­che sie zwi­schen  Super­mo­dels wie Nao­mi Camp­bell, Clau­dia Schif­fer und Kate Moss verbrachte.

Bri­git­te Nie­der­mair, Madame Hirsch in der Impe­ri­al Suite, Wien (Opern­ball), 2006–2007, Buch: „Madame Hirsch by Bri­git­te Nie­der­mair“, erschie­nen im Keh­rer Verlag

Die soge­nann­te Ära der Super­mo­dels war für die Mode- und Run­way Indus­trie revo­lu­tio­nie­rend und sorg­te für einen welt­wei­ten Image-Boost von zahl­rei­chen euro­päi­schen Design­häu­sern. Ein­fluss­rei­che Frau­en und Super­mo­dels wie Clau­dia Schif­fer, Ste­pha­nie Sey­mour oder Lin­da Evan­ge­lis­ta wur­den wie Super­stars gefei­ert, beka­men als Beloh­nung ihrer Lauf­ste­ger­fol­ge Film­rol­len und wur­den zu Musik­vi­deo-Prot­ago­nis­tin­nen sowie Mar­ken­bot­schaf­te­rin­nen. Zurück zu einer raren Stil­per­sön­lich­keit – Rena­te Hirsch: Ihre Mode­af­fi­ni­tät und ihren aus­drucks­star­ken Klei­dungs­stil als Spie­gel ihrer ver­spiel­ten See­le, ent­deck­te Madame Hirsch bereits in ihrer Kind­heit. Auf­ge­wach­sen in einer Fami­lie von Tex­til­her­stel­lern in der Nähe von Mün­chen, pfleg­te sie schon in sehr jun­gen Jah­ren ein beson­ders enges und vor allem ein unge­mein ver­trau­tes Ver­hält­nis zum Kos­mos der Stof­fe sowie der Klei­der­pro­duk­ti­on. Hirschs Sohn Lean­der erin­nert sich: »Ihr Herz brann­te für edle Stof­fe, aus­ge­fal­le­ne Ver­zie­run­gen, Swa­rov­ski-Glit­zer­stei­ne, far­ben­fro­he Hüte, und dazu pas­sen­de Schu­he mit Absatz. Ein Look war nur dann per­fekt, solan­ge Mus­ter über­ein­stimm­ten und Farb­schat­tie­run­gen prä­zi­se harmonierten.

Als ehe­ma­li­ges Model für den ita­lie­ni­schen Desi­gner Gian­fran­co Fer­ré, war Rena­te Hirsch mit Mode­grö­ßen wie Gian­ni Ver­sace oder Valen­ti­no Gara­va­ni per­sön­lich befreun­det; zu ihren Lieb­lings­de­si­gnern zähl­ten unter ande­rem die bei­den fran­zö­si­schen Mode­schöp­fer Yves Saint Lau­rent und Jean Lou­is Scher­rer, wel­che sie regel­mä­ßig in den Pari­ser Ate­liers besuch­te. Neben den Hau­te Cou­ture Prä­sen­ta­tio­nen in der fran­zö­si­schen Metro­po­le zähl­te Madame Hirsch auf dem Wie­ner Opern­ball, den Salz­bur­ger Fest­spie­len und dem Film­fes­ti­val in Vene­dig zu den gern gese­he­nen und gela­de­nen Star­gäs­ten. Am roten Tep­pich war sie stets von Foto­gra­fen umringt, und für jede mon­dä­ne Ver­an­stal­tung wur­de ein neu­es und glanz­vol­les Kleid maßgefertigt.

Wer jedoch das Glück hat­te, Frau Hirsch per­sön­lich ken­nen­zu­ler­nen, der erleb­te haut­nah, wie sehr jene thea­tra­li­schen Selbst­in­sze­nie­run­gen Teil ihres All­tags waren; Frau Hirsch und ihr hol­ly­wood-ähn­li­ches Leben in jenen prunk­vol­len Atmo­sphä­ren, auf roten Tep­pi­chen und zwi­schen welt­weit famo­sen Film­stars, spie­gel­te, eine har­mo­ni­sche Sym­pho­nie sowie eine nost­al­gi­sche Sehn­sucht nach der Schön­heit und Ele­ganz einer ver­träum­ten Gala­xie, wider. Ihr glanz­vol­les Leben ähnel­te von außen einem Film­skript; in Wahr­heit ver­kör­per­te ihr rei­nes Wesen jedoch, wie in einem Orches­ter, einen sanf­ten Rhyth­mus, im Rah­men einer bemer­kens­wer­ten und zugleich ele­gan­ten Dra­ma­tur­gie. Sie war qua­si die Erfin­de­rin der Haupt­rol­le ihres selbst kre­ierten Films, wel­cher ori­gi­nel­le Prä­senz und hoff­nungs­ge­ben­de Bunt­heit vermittelte.

Rena­te Hirsch war es näm­lich durch das genui­ne Tra­gen und Sam­meln der maß­ge­schnei­der­ten und exklu­sivs­ten Hau­te Cou­ture Roben gelun­gen, eine beweg­te Leb­haf­tig­keit und eine indi­vi­dua­li­sier­te See­le, anhand der Klei­der, zu ver­kör­pern. Täg­lich befass­te sie sich mit der Mate­rie und den Designs, wel­che sie in den Show­rooms von Paris und Mai­land betrach­te­te und nicht sel­ten auch erwarb. Dadurch trenn­ten sich die Klei­der von der Abs­trak­ti­on und Kunst­haf­tig­keit einer rei­nen »Zur-Schau-Stel­lung« und flos­sen in eine Sphä­re der Leben­dig­keit und Greif­bar­keit über. Vom mor­gend­li­chen Früh­stücks­tisch, bis hin zu sport­li­chen Schwimm­ak­ti­vi­tä­ten am Nach­mit­tag und abend­li­chen Gala-Din­ners leb­te Madame Hirsch ihr ein­zig­ar­ti­ges Mode­be­wusst­sein in einem stil­si­che­ren und film­rei­fen tableaux-vivant aus.

Neben der Mode war sie außer­dem von der Kunst der Foto­gra­fie ange­tan; das Medi­um der Foto­gra­fie lern­te Rena­te Hirsch vor allem mit und durch Bri­git­te Nie­der­mair, ihrer per­sön­li­chen Foto­gra­fin, ken­nen und schät­zen. Nie­der­mair beschränk­te ihre Arbeit nicht auf die blo­ße Reprä­sen­ta­ti­on oder fik­ti­ve Doku­men­ta­ti­on der stil­vol­len Etap­pen, sowie mon­dä­nen Auf­trit­te, zwi­schen St. Moritz, Paris und Wien; viel­mehr beglei­te­te sie Madame Hirsch durch ihren edlen All­tag und nahm an fami­liä­ren Fest­lich­kei­ten teil. In den hyper­rea­lis­ti­schen und zugleich sur­rea­len Por­traits und Moment­auf­nah­men, wel­che wie »film stills« wir­ken, steht Frau Hirsch im erforsch­ten Blick­win­kel. Der Zuse­her scheint jedoch, genau wie die Foto­gra­fin, am Bild und am All­tag von Lady Hirsch teilzunehmen.

Die Bil­der mögen ein Spiel zwi­schen Fik­ti­on und Wirk­lich­keit andeu­ten; doch erin­nert sich Hirschs Sohn Lean­der G. sehr gut an den authen­ti­schen und greif­ba­ren Lebens­stil sei­ner Mut­ter. Regel­mä­ßig beglei­te­te er sie auf Rei­sen; auf der Suche nach der nächs­ten und aktu­ells­ten, maß­ge­schnei­der­ten Mode. Dabei war Rena­te Hirsch voll und ganz in ihrem Ele­ment, und blieb ihrem krea­ti­ven und expe­ri­men­tier­freu­di­gem Stil stets treu. So sehr Rena­te Hirsch gro­ße und nam­haf­te Mode­schöp­fer kann­te und schätz­te, wünsch­te sie, ihre erwor­be­nen Klei­dungs­stü­cke sehr bald zu per­so­na­li­sie­ren; die­se Nei­gung zur eige­nen künst­le­risch-krea­ti­ven Ent­fal­tung führ­te Mit­te der 1990er Jah­re zur Rea­li­sie­rung ihrer eige­nen Krea­tio­nen durch die Anfer­ti­gung einer Rei­he von Klei­dern, Hüten sowie Taschen nach den fan­ta­sie­vol­len Vor­stel­lun­gen von Frau Hirsch. Bei den Ent­wür­fen und deren Aus­füh­run­gen, in Zusam­men­ar­beit mit einer Kos­tüm­bild­ne­rin der Mün­che­ner Oper, leg­te Madame Hirsch beson­ders auf gra­zi­le Details und glanz­vol­le Ver­zie­run­gen wert. Auf der Suche nach hoch­wer­ti­gen und ein­zig­ar­ti­gen Stof­fen, begab sich die Sti­li­ko­ne unter ande­rem auf eine Rei­se nach Indi­en und lern­te dort Stoff­lie­fe­ran­ten per­sön­lich ken­nen. Dass Rena­te Hirsch ger­ne mit der Mode ihrer Zeit spiel­te, und die­se auch nicht all­zu ernst nahm, dürf­te kein Geheim­nis sein. So ver­wan­del­te sie bei­spiels­wei­se zwei Hand­tü­cher der Künst­le­rin Niki de Saint Phal­le in eine sen­sa­tio­nel­le Hand­ta­sche. Ihrer Krea­ti­vi­tät setz­te sie kei­ne Gren­zen, und ihre frei­en Gestal­tun­gen schmück­te sie mit einer gro­ßen Por­ti­on Neu­gier und Lebens­lust, ange­trie­ben von den inspi­rie­ren­den Erfah­run­gen und Rei­sen. Ihr Sohn ver­steht heu­te, dass sie den Sinn für Ästhe­tik in den Far­ben und Nuan­cen des All­tags­le­bens such­te und dort auch fün­dig wur­de. So erzählt er in einem Gespräch: »Ich erin­ne­re mich sehr gut, wie sich mei­ne Mut­ter pri­mär an Farb­pa­let­ten ori­en­tier­te; auf einem Spa­zier­gang in den Schwei­zer Ber­gen knips­te sie bei­spiels­wei­se ein Foto eines Son­nen­un­ter­gan­ges und ver­wen­de­te jenen oran­ge-roten Farb­ton als Basis für das nächs­te selbst ent­wor­fe­ne Kleid. Sie war von der Welt und der Natur fas­zi­niert, und dar­um fand sie in jedem kleins­ten Detail eine Form der Schön­heit. Nie­mals ging sie unbe­wusst durch die Stra­ßen von Paris und nie­mals bereis­te sie fer­ne Län­der, ohne sich dabei inspi­rie­ren zu las­sen. Ihre Augen waren stets auf der Suche nach einem mär­chen­haf­ten Wunder.

In der Tat erzählt jedes ein­zel­ne Samm­ler­stück der Mode­iko­ne eine Fabel. 

Cura­ted Cou­ture by Judith Bradl

Der Arti­kel ist in der Print-Aus­ga­be 4.22 AFFINITY erschienen.

Jetzt bestel­len
34,00
Beitrag teilen
geschrieben von

Das Kunstmagazin, das mehr Zeit zum Lesen und mehr Raum zum Schauen beansprucht: ein Gegentrend zu vielen Megatrends. Geeignet für Kunstliebhaber, die tiefer gehen möchten und bereit sind, inspiriert zu werden. Intellektuell anspruchsvolle Inhalte, innovatives Layout und elegantes Design auf höchstem Qualitätsstandard.

0
    0
    Warenkorb
    Consent Management Platform von Real Cookie Banner

    Sie befinden sich im Archiv.
    Hier geht's zum aktuellen stayinart Online Magazin.

    This is default text for notification bar