Versinkt die Kunst im Netz – oder vergrößert der gegenwärtige Perspektivwechsel nur den Abstand zwischen den Generationen?
Jetzt ist sie da. Die lang angekündigte „Technologie der Zukunft” ist Gegenwart. Nachdem ein Virus für Kontakt- und Ausgangssperren gesorgt hat, durchlebten breite Bevölkerungsmassen einen Crash-Kurs – im doppelten Sinne des Wortes – in Digitalisierung. Junge und ältere Generationen haben sich binnen kürzester Zeit einer gewissen gemeinsamen Mitte angenähert. Eine anspruchsvolle Zeit, in allen Belangen. Und ob Museum oder Opernhaus, große oder kleine Galerie, Messe, Musiker, Maler, alle versuchen, ihre Publikumskreise zu vergrößern.
Betrachten wir das Kunstmarktgeschehen in den vergangenen drei Monaten, ist wahrnehmbar, wie unterschiedlich die Generationen auf den Lockdown reagieren. Die einen erkennen Präsentationen im Internet allenfalls als Übergangslösung an und die anderen posten ohne Unterlass, während insgesamt ein großer Teil der Internet-Nutzer am Überangebot der 360°- Rundgänge, Videos und Liveübertragungen scheitert.
Generell ist es tatsächlich schwierig, Kunst digital zu erleben, weil eben dieses auratisch-haptische Erlebnis wegfällt und unsere eigene Raumerfahrung damit. Wenn man die Arbeit eines Künstlers bereits kennt oder seit vielen Jahren ein vertrauensvolles Verhältnis zu einer Galerie pflegt, dann kann man ein neues Werk gut online ordern. Ansonsten ist es schon immer so gewesen, dass Kunstwerke ‚live‘ etwas ganz anderes sind als Fotografien davon.
NUN IST DIE DIGITALE WELT DEM KUNSTHANDEL JA NICHT NEU:
Reine Online-Auktionshäuser (Auktionata, Paddle8, beide insolvent), Marktplätze (Artspace, Artsy) oder Hybride mit verschiedenen Ausrichtungen (Artland, aber auch Artprice) kennen wir schon länger, ebenso wie die Kanäle von Instagram & Co. Daneben sind datensammelnde Unternehmen wie Artnet, Artprice oder ArtFacts in erster Linie wichtig für all diejenigen, die im Kunsthandel oder in der Forschung arbeiten. Aufsehen erregte dazu die App Magnus, mit der Magnus Resch für mehr geldwerte Transparenz auf dem Markt sorgen wollte. Abgesehen davon, dass die über 670.000 Künstler grundsätzlich nicht gefragt wurden, ob sie einverstanden sind mit den publizierten Fakten über sie, wurden Kunstinteressierte so überhaupt erst einmal auf die Idee gebracht, nach dem internationalen Ranking eines Künstlers zu recherchieren. Zweifelsfrei ist die Erfassung von Werkdaten und Biografien, auch anhand von Auktionsergebnissen, für Provenienzforscher etc. relevant, aber es interessierten sich plötzlich neben Spekulanten eben auch Banken dafür. Sie nehmen diese Zahlen als Grundlage, um Kunst darlehensfähig zu machen, also mittels einer millionenfach datengespeisten KI Kunstwerke insofern zu bewerten, dass man sie beleihen kann.
Eine solche Form der Bewertung ist höchstkritisch zu sehen, ebenso wie der Glaube, wer auf Instagram tausendfache Likes hat, muss automatisch „gut” sein. Neben der Tatsache, dass sich einerseits Auktionsergebnisse „bewerkstelligen” und andererseits Likes kaufen lassen, ist immer wieder herauszustellen, dass Kunstwerke nicht mit sonst gängigen Produktbewertungsmaßstäben bemessen werden können.
Einen Schritt weiter sind wir bei der Blockchain: Zweifelsohne eine spannende Technologie, speziell zur Datensicherung durch die Unveränderbarkeit der registrierten Informationen. Ein weites Feld mit nicht nur kryptischen, sondern vielen künstlerischen Experimenten. Interessant ist vor allem die Frage, wie sich das Konsumverhalten unserer Nachfolgegeneration ändert? Das Konzept Car-Sharing ist immerhin etabliert, aber mit Bezug auf die Kunst: Ist es eine relevante Option, einen von acht verfügbaren Token zu besitzen, anstatt das ganze physische Werk zu kaufen? Also, wird es uns ausreichen, nur einen Teil oder mehrere Anteile eines Kunstwerkes zu erwerben und sich mit den anderen Anteilseignern auf bestimmte Leihkonditionen zu einigen, zumal die Bank und der Künstler je einen Anteil immer behalten? Oder werden wir Sessions kaufen, also mit jedem Token ein „Screening” des Kunstwerkes erwerben? Das bedeutet, wenn bspw. ein Künstler beschließt, dass eine Arbeit insgesamt nur einhundert Mal angesehen werden darf, erhöht sich möglicherweise die Nachfrage. Die Neugierde und mithin der Preis eines Screening-Token steigen. Hier liegt unbestreitbar ein Potenzial für die mögliche Umkehrung der Kontrolle über Kunstwerke auf dem Markt – zurück in die Hände ihrer Schöpfer. Im Moment sprechen wir hierbei von virtueller Kunst, aber wie lange noch?
Mein Hauptpunkt in der Generationenfrage bezüglich des Kunstkonsums ist, wie die Nachfolgegeneration on- und offline agiert. Für Museen, Galerien, Kunst- und Kulturschaffende ist es wichtig, zu beobachten, wie die nächste Generation „tickt”. Eine jüngst veröffentlichte Studie besagt, die „Generation Global” gehe weg von höher-schneller-weiter, strebe nicht materialistische Werte an, denke global, handle lokal und bewusst nachhaltig, sei gebildet und digital vernetzt. Die neuen Konzepte dieser Wir-Kultur werden unter „Neue Kosmopoliten” und „Neo-Tribes” verschlagwortet. Eine hoch-technologisch ausgestattete und international vernetzte postmoderne Gesellschaft nutze alles Digitale als Basis für ihre Communities und Projekte. Ihr fehle das Verständnis für Landesgrenzen, wie sie aktuell noch von politischer Bedeutung sind. Gleichwohl seien sie durch Selbstversorgungsinitiativen ganz regional verortet.
Solche Studien wie diese vom Zukunftsinstitut lassen in Bezug auf den notwendigen Wertewandel und Perspektivwechsel hoffen. Real existieren jedoch deutliche Schwellenängste und Verneinungsstrategien der Digitalisierung gegenüber. Um nicht an einer zu elitären Vision, zumal basierend auf nicht-repräsentativem Datensatz, zu haften, ist es gut, sich mit vielen Menschen auszutauschen. Ich spreche mit Bewohnern anderer Städte oder vom Land, in diversen Familienstrukturen, in anderen Branchen Tätige… Und mit Künstlern.
KUNST IST HOCHGRADIG INDIVIDUALISTISCH UND WELTGEWANDT.
Unter anderem habe ich mich mit Benjamin Burkard ausgetauscht, einem Maler, den ich schon länger begleite, Jahrgang 1986. Mit seiner jungen Familie lebt er in der Pfalz:
Vor einem Jahr sprach die deutsche welle mit BVDGChef Jarmuschek über ein verändertes Sozialverhalten potentieller Kunstkäufer, die immer schwieriger in Galerien zu locken seien, und von einem Kulturwandel, zu dem auch die Digitalisierung beigetragen habe.
Ja, es braucht Mut, Veränderung zu wollen und zuzulassen. Traditionell eingefahrene Wege zu verlassen, trifft oft leider immer noch auf starke Gegenwehr. Alle haben heutzutage die Chance, zu kommunizieren, welche Werte ihnen wichtig sind, jedoch nutzen viele sie nicht. Fakt ist, dass wir unseren Kindern andere Werte mitgeben wollen, als es noch vor zwei Generationen der Fall war: Viel wichtiger als Prestigeobjekte oder Statussymbole ist das Weichenstellen („Finde heraus, was dich glücklich macht!”). Die Frage, was ich meinem Kind einmal hinterlassen will, stellt sich so gar nicht mehr.
Vor einem Jahr sprach die deutsche welle mit BVDGChef Jarmuschek über ein verändertes Sozialverhalten potentieller Kunstkäufer, die immer schwieriger in Galerien zu locken seien, und von einem Kulturwandel, zu dem auch die Digitalisierung beigetragen habe.
Ja, wir haben nicht mehr nur das eine analoge System, den Spaziergang im Galerienviertel, sondern komplexe Zugangsmöglichkeiten und viele Systeme der Vernetzung.
Aber macht es das wirklich komplizierter? Was bedeuten die digitalen Plattformen für Galerien, Künstler, Kunstinteressierte?
Die Frage der Generationen spielt eine wichtige Rolle: Speziell junge Künstler gehen mit der Inszenierung in den Sozialen Medien anders um, als es Galerien tun – und wohl können. Galerien und Künstler haben zwar online dasselbe Ziel, dennoch sind es unterschiedliche Standpunkte, die auch verschieden gelöst werden. Galerien setzen auf Professionalität, während ein Künstler durchaus das „Künstlerleben” in Szene setzen kann. Beide können sich gut gegenseitig befruchten, wenn die Kommunikation zwischen ihnen auf einer vertraulichen, persönlichen Ebene funktioniert – tatsächlich ganz klassisch. Dann profitieren beide davon, wenn ein Interessierter Kontakt zur Galerie oder zum Künstler aufnimmt.
Nun ist Kunst eine ernsthafte Angelegenheit – und ziemlich intim. Online wird einem leider schnell offenbar, wie hoch der Druck ist. Viele agieren zurzeit, als hätten sie Kurse in Marketing gemacht, aber das hat ja nichts mit Kunst zu tun. Mir fehlt vor allem der künstlerische Diskurs und generell eine kritischdemokratische Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Prozessen. Effektiv sind die Ausstellungen geschlossen, die Kunst ist in eben diesen Ausstellungsräumen nicht sichtbar. Alle könnten pausieren, mit ihren Familien die Natur und Zeit genießen, bevor die Welt sich weiterdreht.
Die Entschleunigung eröffnet Möglichkeiten, wenn man bereit ist, zuzuhören. Ich wende mich nun lang ersehnten Bildprojekten zu, die ich im Tempo der bevorstehenden Ausstellungen nie hätte realisieren können. Das reale, kulturelle Leben ist entschleunigter, jedoch wird das Digitale enorm beschleunigt. Ein gnadenloser Kampf um Sichtbarkeit vermittelt den Eindruck, dass alle Künstler und Institutionen gegen das „Vergessen-Werden”ankämpfen. Doch online gelten andere Spielregeln, man muss den Algorithmus verstehen. Eine hohe Klickzahl ist ausschlaggebend dafür, wer als „gut”bewertet wird – weniger die Tiefe der Gedanken des einzelnen Werkes. So schlägt ein „schneller, simpler Effekt” eine künstlerisch ebenfalls hochwertige Arbeit allein durch seine mediale Präsenz. Es bleibt zu beobachten, ob und wie stark sich das Angebot von Kunst dahingehend verändern wird. Nichtsdestotrotz ist es ein heikles Spiel, denn selbst gute Künstler werden vom Netz verschluckt, nur weil sie sich bisher wenig damit befasst haben. Wenn die Ausstellungen wieder stattfinden können, zeigt sich, welche Künstler versunken sind, und welche aus den kollektiven, sozialen Netzwerken wieder hervorkommen.
Lisa Spellman, seit 36 Jahren Galeristin in New York, sagte Anfang Mai, dass der Kunstmarkt nach der Pandemie anders sein wird, und beschreibt, dass sie sich ein bisschen die Neunziger zurückwünscht, als die Szene noch etwa 80 Prozent ruhiger verlief als zuletzt vor Corona. Marc Spiegler, Direktor der Art Basel, stellt fest, dass jetzt die Zeit ist, um wieder neue Träume zu entwickeln – und auch die jeweils lokalen Kunstszenen wiederzuentdecken. Digitales „flippt”, aber das Galerie-Business besteht ja darin, Originale an Persönlichkeiten zu verkaufen. Wird es durch und nach Corona eine neue Besinnung auf regionale Künstler und Galerien geben? Jetten Sammler weniger zu den großen Messen, schon aus ökologischen Gründen, oder werden die Online-Plattformen boomen?
Ich war bis vor Kurzem sehr positiv dem Gedanken zugewandt, dass sich durch die Krise das Denken und Verhalten der Gesellschaft ändern kann. Dann wendete ich mich Bazon Brock zu, der dies als schlicht naiv bezeichnete, da im Laufe der Geschichte noch keine Gesellschaft nachhaltig aus ihren Fehlern gelernt habe. Jetzt bin ich verunsichert. Ich beobachte ein sehr differenziertes Bild. Einerseits stehen Kunstliebhaber nun verstärkt zu ihren vertrauten Galeristen und Künstlern und unterstützen sie. Andererseits bemerke ich eine generelle finanzielle Unsicherheit, die hemmt, viel Geld für Kunst auszugeben. Ich glaube aber auch, dass die Kunstmessen danach wieder stärker aufleben werden, weil gerade ein kalter Kunst-Entzug stattfand. Und bei jedem, der nicht ohne die Kunst kann, werden das Zugpotenzial und die Suche nach Befriedigung vielleicht sogar stärker sein als zuvor.
Die Galerien öffnen wieder und vergeben Time-Slots für ein bis vier Personen, was nach einem konzentrierteren Austausch klingt – allerdings gehört auch Mut dazu. Siehst du solcherart Zugangsbarrieren als eher heikel an, wenn die Eröffnungspartys wegfallen? Und wann planst du die nächste Eröffnung?
Natürlich wird es heikel für ein Event, welches keinen ‚eventhaften Charakter‘ aufweisen darf, denn bei der Eröffnung sind statistisch gesehen immer die meisten Menschen zu Besuch. Aber ich versuche, das gelassen zu sehen. Neue Situationen bergen auch die Möglichkeit, Neues zu lernen, frei nach Stephen Hawking: „Intelligenz ist die Fähigkeit, mit Veränderung umzugehen”. Als nächstes ist im September eine von Phillip Schumann, Galerist Junge Kunst Berlin, kuratierte Gruppenschau im Museum Modern Art Hünfeld bei Fulda geplant. Und im Spätjahr eine Einzelausstellung in der Kölner Galerie 30works.
Die Pandemie betrifft alle Menschen und alle Bereiche.
Das „System wieder hochfahren” ist deshalb eine schwierige Formulierung, weil es „das System” so nicht mehr geben kann: Es gehören unzählige Gedanken, Handgriffe und Handelsketten zum System und einige davon werden nach Covid-19 woanders sein als zuvor. Vieles kam auf den Prüfstand, manches kann man loslassen, anderes haben wir wieder besser zu schätzen gelernt. Kunst regt zur Reibung an und zu Selbst-Bewusst-Sein. Das wissen jedenfalls Künstler und Sammler. Ich hoffe, wir verknüpfen die Erfahrungsspektren der Generationen verstärkt in Netzwerken mit lebendigem Austausch, nicht nur, weil wir dann am Wissen der anderen partizipieren können, sondern weil wir befähigter im Urteilen werden, freier in den Entscheidungen und uns so vom Adorno‘schen Verblendungszusammenhang emanzipieren. Es ist wohl ein Glück, in dieser Transformationszeit zwischen Tradition und Digitalisierung zu leben.