Licht und Geschwindigkeit

Jos Pirkner

Wer das Glas liebt, liebt auch das Licht. Der 1927 in Sil­li­an gebo­re­ne Jos Pir­k­ner ist einer der weni­gen Künstler*innen in Öster­reich, die mit Glas arbei­ten. Sei­ne Fas­zi­na­ti­on für das Mate­ri­al hat er aus den Nie­der­lan­den – wo er 27 Jah­re lang gelebt, gelernt und gear­bei­tet hat – mit­ge­nom­men. Dort, so erzählt er, steht die Glas­kunst in alter Tra­di­ti­on, nicht zuletzt in der Archi­tek­tur. Neben sei­nen Glas­skulp­tu­ren zeigt er sei­ne Vor­lie­be für Glas auch als Innen­ar­chi­tekt der Büro­räu­me des Red Bull Head­quar­ters. Von hohen Geschwin­dig­kei­ten, sei es in der Gesell­schaft, der Kunst­sze­ne oder beim Ver­ar­bei­ten des flüs­si­gen Gla­ses unter Zeit­druck, lässt er sich nicht beein­dru­cken. Sei­ne Kunst macht er für die Ewigkeit.

OFFENE FENSTER IN HOLLAND

Jos Pir­k­ner ist ein Künst­ler, der den Blick für das Wesent­li­che behält. Um das Wesent­li­che zu sehen, darf man sich nicht ablen­ken las­sen, was in die­ser schnell­le­bi­gen Welt nicht immer ein­fach ist. Es hilft, ein paar Schrit­te zurück zu gehen: Als die Welt noch lang­sam und die Fens­ter sehr klein waren, war Glas eine Kost­bar­keit. Heut­zu­ta­ge, in einer glo­ba­li­sier­ten, indus­tri­el­len und digi­ta­len Hoch­ge­schwin­dig­keits­welt, ent­ste­hen über­all um den Glo­bus ver­glas­te Häu­ser – wo frü­her Wän­de waren, sieht man heu­te Glas­fron­ten, vom Erd­ge­schoss bis zum Pent­house. Das Glas bie­tet der moder­nen Archi­tek­tur ganz neue Mög­lich­kei­ten und sie­he da – die Men­schen lie­ben das Glas. Stein- oder Holz­wän­de, sie sind dafür da, unser Zuhau­se zu schüt­zen – vor Käl­te, vor Dun­kel­heit oder vor dem bösen Wolf, der unser Haus umpus­ten will. Man zieht eine Gren­ze zwi­schen sich und der Außen­welt. Glas­wän­de rei­ßen die­se Gren­ze ein. Glas schützt uns zwar auch, doch es kann – und das ist das Wun­der­ba­re – auch etwas von drau­ßen hereinlassen.

Das Licht. Des­we­gen lie­ben so vie­le Men­schen das Glas: Sie wol­len nicht nur ein biss­chen Licht, sie wol­len ihre Räu­me licht­durch­flu­tet. Und zwar mit natür­li­chem Licht, das Licht der Him­mels­kör­per und unse­rer Atmo­sphä­re. Es ist bestimmt kein Zufall, dass Gott in der Bibel gleich nach Him­mel und Erde das Licht schuf. Doch nicht nur in der Bibel ist das Licht wesent­li­cher Teil der Geburts­stun­de von Allem, auch die Wis­sen­schaft nimmt ihren Lauf mit dem Licht: So waren es Men­schen, die fas­zi­niert das Licht der Ster­ne beob­ach­te­ten und anfin­gen, sich Gedan­ken um die Welt zu machen. Auch See­fah­rer und Aben­teu­rer benutz­ten das Licht der Ster­ne, um zu navi­gie­ren, wenn sie sich, von Neu­gier­de, For­schungs­drang und Aben­teu­er­lust getrie­ben, in den Oze­an hin­aus­wag­ten. Unter ihnen das pech­schwar­ze, tie­fe und uner­forsch­te Meer mit all sei­nen Bewoh­ner, über ihnen ein hell erleuch­te­tes Him­mels­zelt, das ihnen den Weg wies, und sie – wenn schon nicht zum Hei­land, so wie einst die Köni­ge – dann doch immer­hin in neue Wel­ten führ­te. Mit Hil­fe des Lichts konn­te man sich in das Unbe­kann­te vor­wa­gen, konn­te man die Welt erfor­schen – von innen und außen – und noch ist die Licht­ge­schwin­dig­keit in den Natur­wis­sen­schaf­ten eine unver­zicht­ba­re Kon­stan­te.  „Glas ist die Inkar­na­ti­on von Licht“, sagt der Künst­ler Jos Pir­k­ner auf die Fra­ge, war­um er sich ent­schloss, mit Glas zu arbei­ten. „Wie bei einer gesprun­ge­nen Fens­ter­schei­be, wenn die Ris­se hell auf­leuch­ten. Die Inkar­na­ti­on von Licht, von drau­ßen herein.“

Jos Pir­k­ner bei der Arbeit im Beren­go Stu­dio in Mura­no, Venedig

Ich den­ke nicht an die Ver­gäng­lich­keit. Mei­ne Kunst ist zeit­los. Es soll immer wie­der eine Aus­sa­ge sein, eine zeit­ge­rech­te Aussage. 

Der Ost­ti­ro­ler Künst­ler ver­brach­te 27 Jah­re in den Nie­der­lan­den, ein tra­di­ti­ons­rei­ches Land, wenn es um die Glas­kunst geht. „In Hol­land, wo die Fens­ter offen sind, wo man das Licht her­ein­bringt“, erzählt er von sei­ner Zeit dort, in der er und ande­re Künstler*innen mit der Appli­ka­ti­ons­tech­nik Glas­fens­ter rea­li­siert haben. Kunst und Archi­tek­tur gehen für den 1927-gebo­re­nen Künst­ler Hand in Hand, die Archi­tek­tur ist Teil der Küns­te. Ein Kunst­werk muss in sei­ne Umge­bung pas­sen und betrach­tet man die frei zugäng­li­chen, öffent­li­chen Kunst­wer­ke von Jos Pir­k­ner, so sieht man es deut­lich: Das Kunst­werk schmiegt sich an sein Umfeld an und macht den Ort ins­ge­samt ästhe­ti­scher. Aber vor allem: Es dient. Es erfüllt eine Funk­ti­on, so wie Fens­ter – die zwar an sich schön sein kön­nen, doch liegt ihre Funk­ti­on im Ermög­li­chen des Licht­ein­falls, der wie­der­um den Raum auf­wer­tet. Es geht um die Mög­lich­kei­ten, die sich dar­aus erge­ben: Die Licht­stim­mung wirkt sich direkt auf die Stim­mung der Men­schen aus; das Licht ermög­licht zu sehen, sei­nem Gegen­über in die Augen zu schauen.

Pir­k­ner, der in Fuschl am See das Red Bull Head­quar­ter design­te, will nicht von einem „Büro­ge­bäu­de“ spre­chen, son­dern von einer Skulp­tur, die man begeht. Drin­nen begeg­net einem viel Glas, der Blick geht weit, die Räu­me sind hell. Funk­tio­na­le Kunst. Doch nicht nur die Archi­tek­tur, auch sei­ne Glas­kunst trägt ein­deu­tig Jos Pir­k­ners Hand­schrift: Kräf­ti­ge Tie­re, wie Pfer­de oder Bul­len, oder zar­te ana­to­mi­sche For­men. Erstarr­te Bewe­gun­gen, die alles ande­re als starr wir­ken. Im Glas kom­men vor allem die Far­ben zur Gel­tung, oft sind auch unter­schied­lich far­bi­ge Glas­ele­men­te inein­an­der geschich­tet. Glat­te Ober­flä­chen, ein tie­fes Mit­ter­nachts­blau, Zart­ro­sa, die Durch­sich­tig­keit des Gla­ses und die Über­gän­ge zwi­schen den Far­ben. Es wirkt magisch. Auch ande­re Mate­ria­li­en sind mit dem Glas ver­ar­bei­tet, zum Bei­spiel Gold, was die Schön­heit und die Bedeu­tung des Lich­tes umschmei­chelt, wenn es im Son­nen­licht glit­zert. Hol­land hat Pir­k­ners Blick für das Glas geöff­net, denn in Öster­reich ver­bin­det man die­ses immer noch oft mit Zer­brech­lich­keit. „Es ist ein wun­der­ba­res Mate­ri­al, das Glas, etwas sehr Beson­de­res und man kann gewal­ti­ge Din­ge damit machen!“, ver­si­chert der Künst­ler und in der Tat sind es gewal­ti­ge Wer­ke, die er kre­iert. Der Ost­ti­ro­ler hegt von jeher eine tie­fe Fas­zi­na­ti­on für das Glas. „Ich mag das Glas. Mei­ne Frau und ich haben immer schon gern Sachen aus Glas gekauft, Karaf­fen oder moder­ne Glasskulpturen.“

MONUMENTALES HANDWERK

Jos Pir­k­ner ist ein Künst­ler des Monu­men­ta­len, das zei­gen nicht nur sei­ne Bul­len. Sei­ne Arbei­ten mit Metall, wie z. B. Bron­ze, strah­len eine erha­be­ne Macht aus. Durch sei­ne Wer­ke spürt man das Selbst­be­wusst­sein und den Wil­len des Künst­lers, der sich auch bei Auf­trags­ar­bei­ten nicht ver­bie­gen lässt. Fast sinn­bild­lich könn­te man sei­nen „Ika­rus“ inter­pre­tie­ren, die Skulp­tur, die auf die mytho­lo­gi­sche Geschich­te, in der der genia­le Künst­ler Daeda­lus sei­nem Sohn Ika­rus Wachs­flü­gel schenkt, ver­weist. Die Leh­re die­ser Geschich­te wird oft ver­kürzt wie­der­ge­ge­ben: Flie­ge nicht zu nah an der Son­ne, sonst stürzt du ins Meer. Aber Daeda­lus emp­fiehlt sei­nem Sohn Ika­rus, dass er weder zu hoch, noch – und das wird meist aus­ge­las­sen – zu tief flie­gen soll (da die Feuch­tig­keit des Mee­res sonst sei­ne Flü­gel beschä­digt). Sei­ne Flü­gel zu beherr­schen bedeu­tet nicht nur, nicht zu nah an die Son­ne zu kom­men (Hoch­mut), son­dern eben­so, nicht zu tief zu flie­gen. Anders als Ika­rus, beherrscht Jos Pir­k­ner sei­ne „Flü­gel“. Er muss sich nicht davor fürch­ten, zu hoch zu flie­gen, noch muss er sein Licht unter den Schef­fel stel­len, denn Jos Pir­k­ner ver­steht sein Hand­werk. Kein Genie, das wie Ika­rus vom Him­mel fällt, son­dern einer, der viel stu­diert und viel gear­bei­tet hat – es immer noch tut – und das merkt man: Sein Ika­rus ist nicht nur wegen der mytho­lo­gi­schen Geschich­te span­nend, es ist die Per­spek­ti­ve, es sind ana­to­mi­sche Fein­hei­ten, die das Werk Pir­k­ners inter­es­sant und kraft­voll machen und über die Zeit­lich­keit erheben.

An „Ika­rus“ lässt sich deut­lich erken­nen, wie gra­zil Pir­k­ner eine Bewe­gung, hier einen frei­en Fall, in der Zeit ein­friert. „Das ist auch aus den Erkennt­nis­sen der Ana­to­mie“, ver­weist er auf das Hand­werk. „Das ist der Grund­stock, die alte Schu­le. Weil ich das beherr­sche, ver­lie­re ich mich immer wie­der in der Ana­to­mie, was natür­lich sehr schön ist. Ich suche eigent­lich, wenn man das so sagen darf, die vier­te Dimen­si­on. Bewe­gung.“ Pir­k­ner hat sich Zeit genom­men, sei­ne Tätig­keit zu ler­nen. Viel­leicht ist es in Zei­ten, die oft­mals vom Stress geprägt sind, auch etwas, das man wie­der ler­nen muss: sich Zeit neh­men, um etwas zu beherr­schen. „Die Kunst, das ist das Hand­werk“, so Pir­k­ner. „Heut­zu­ta­ge ist Kunst oft nur noch das Mar­ke­ting, der Wir­bel, das Gere­de – mit dem habe ich nichts zu tun. Ich arbei­te“. Der Wir­bel – viel­leicht ist es das, was unse­re Zeit heu­te so schnell erschei­nen lässt. Es erfor­dert Wil­len und Mut, sich die Zeit zu neh­men, sich gründ­lich einem Werk zu wid­men, sei es als Schaffende*r oder Beobachter*in.

Doch auch Pir­k­ner ist Zeit­druck aus­ge­setzt, und zwar dann, wenn er mit Glas arbei­tet. Das Glas­kunst­hand­werk geht unter enor­mem Zeit­druck unter höchs­ten Tem­pe­ra­tu­ren von­stat­ten, man arbei­tet mit dem Mate­ri­al, indem man sei­nen Aggre­gat­zu­stand ändert, von fest zu flüs­sig. An kei­nem gerin­ge­ren Ort als auf Mura­no bei Vene­dig, wo seit über 1.000 Jah­ren mit Glas gear­bei­tet wird und die bes­ten Glaskünstler*innen aus aller Welt vor­zu­fin­den sind. „Ich bewun­de­re die Leu­te, die das machen“, erzählt Pir­k­ner und ver­weist auf die Hand­werks­künst­ler* innen, die sei­ne Ideen in Glas ban­nen, wäh­rend er sie anlei­tet. Pir­k­ner ist einer, der ger­ne anpackt, für die Bul­len in Fuschl am See hat er 43 Ton­nen Lehm ver­ar­bei­tet und modu­liert. Auf Mura­no muss er das Hand­werk zumin­dest ein Stück weit ande­ren anver­trau­en. Idee und Hand­werk sind hier jedoch weit weni­ger getrennt, als man viel­leicht ver­mu­ten wür­de: Jos Pir­k­ner arbei­tet sei­ne Ideen vor­her in Gips aus, damit von vorn­her­ein klar ist, was sich der Künst­ler vor­stellt. Er arbei­tet mate­ri­al­ge­recht, bei Glas bedeu­tet das glat­te For­men und Abs­trak­ti­on. „Wie bei dem Pfer­de­kopf in Glas. Aber ich gehe in die Abs­trak­ti­on nur soweit, dass man es noch erken­nen kann.“

EWIGKEIT

Pir­k­ners Kunst wirkt, als sei sie für die Ewig­keit gemacht. Wie steht der Künst­ler aber zur Ver­gäng­lich­keit? „Ich den­ke nicht an die Ver­gäng­lich­keit. Mei­ne Kunst ist zeit­los. Es soll immer wie­der eine Aus­sa­ge sein, eine zeit­ge­rech­te Aus­sa­ge. So wie die Höh­len­ma­ler uns vor­ge­zeigt haben, wie sie gelebt haben.“ Pir­k­ner trifft damit einen Punkt: Die Kunst ist wie das Licht der Ster­ne, ein Fens­ter in die Ver­gan­gen­heit. Es ist ein Gegen­ent­wurf zur heu­ti­gen Zeit, in der zwar vie­les sehr schnell geht, aber sel­ten etwas für die Ewig­keit gedacht ist, son­dern zum Gebrau­chen und Weg­wer­fen, zum Sehen und Ver­ges­sen. Pir­k­ner geht es nicht um ästhe­ti­sches Wohl­be­fin­den, ihm geht es mit sei­ner Kunst um die Aus­sa­ge. Wer für die Ewig­keit schafft, dem*der kann offen­bar auch die Schnell­le­big­keit unse­rer Gesell­schaft nichts anhaben.

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