KUNST ALS KATALYSATOR FÜR DIE KREATIVITÄT EINER GANZEN STADT
Das Kunstmuseum Ravensburg wurde im März 2013 eröffnet. Der im selben Jahr mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnete Bau wurde vom Stuttgarter Architekturbüro Lederer + Ragnarsdóttir + Oei entworfen. Nach dem Motto: „Erst kommt die Stadt, dann das Haus“, haben die Stuttgarter Architekten auch das Kunstmuseum auf das historische Stadtensemble Ravensburg bezogen. Das neue Kunstmuseum bereichert die Stadt nicht nur als architektonisches Highlight. Es ist darüber hinaus auch das weltweit erste zertifizierte Museum in Passivhaus-Bauweise.
SAMMLUNG PETER UND GUDRUN SELINKA
Fundament des neuen Kunstmuseums Ravensburg ist die Sammlung Peter und Gudrun Selinka. Die Kollektion, die der ehemalige Werbeberater Peter Selinka (1924–2006) zusammen mit seiner Frau innerhalb von vier Jahrzehnten zusammengetragen hat, ist eine der hochklassigen Privatsammlungen in Süddeutschland. Vom Profi l her folgt die Sammlung dem roten Faden einer expressiv gestischen Tradition durch das 20. Jahrhundert. Die Sammlung umfasst über 200 Arbeiten aus dem Bereich des deutschen Expressionismus sowie die Gruppen Cobra und Spur. Peter Selinka war ein Sammler, der die Verbindungslinie zwischen diesen expressiven Maltraditionen nicht nur früh gesehen, sondern auch gesammelt hat. Das Sammlungskonvolut mit Haupt- und Nebenlinien der Expressionisten gibt so einen ausgezeichneten Überblick über die verschiedenen Ausprägungen der expressiven Malerei im 20. Jahrhundert.
Ein Museum für alle.
AUSSTELLUNGSKONZEPT
Die Werke der Sammlung Selinka bilden darüber hinaus ein wertvolles Archiv für die Ausstellungstätigkeit im Kunstmuseum Ravensburg. Auf den mehr als 800 qm Ausstellungsfl äche wurden seit der Eröffnung unter dem Motto „Selinka Classics“ immer auch Teile der Sammlung Selinka gezeigt. Es werden jährlich zwei bis drei Wechselausstellungen zur klassischen Moderne (Egon Schiele, Otto Mueller) und zur zeitgenössischen Kunst (Gert und Uwe Tobias, Stephan Balkenhol) präsentiert. Im Foyer werden in loser Folge „Favorites“ vorgestellt, zeitgenössische Lieblingswerke kooperierender Institutionen (ZKM Karlsruhe). Unter dem Motto „Fremde Blicke“ wird ein- bis zweimal im Jahr eine Künstlerin bzw. ein Künstler eingeladen, die Stadt Ravensburg zu besuchen. Die Ergebnisse der ortsspezifi schen künstlerischen Reflexionen werden im Foyer des Kunstmuseums präsentiert. So hat der aus Frankreich stammende Künstler Jérome Chazeix beispielsweise unter der Mitwirkung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund 2012 ein Tanzvideo erstellt. Derzeit wird im Foyer des Museums eine Videoinstallation der Künstlerinnen Eva Paulitsch und Uta Weyrich ausgestellt. Mit Unterstützung des Jugendkunstclubs des Museums haben die beiden Künstlerinnen Handyfilme von Ravensburger Jugendlichen zu einer multimedialen Rauminstallation verarbeitet. Diese ermöglicht Innenansichten einer juvenilen Lebenswelt zwischen realem und digitalem Raum.
PARTIZIPATORISCHE PROZESSE
Von Beginn an war es mir ein großes Anliegen, das Museum als Teil der Stadt mit den verschiedensten Zielgruppen zu vernetzen. In der Anfangsphase des Museums halfen vom Museum berufene „Scouts“ (deut.: Pfadfi nder), die Vision eines Kunstmuseums als Ort der Kreativität zu verbreiten. Die Aufgabe der Scouts aller Altersstufen war es, ihren Freundeskreis über den Fortgang der Bauarbeiten und das Ausstellungsprogramm zu informieren. Ein Schneeballsystem für die Kunst, das das Kunstmuseum vor allem in der Anfangszeit durch Mund-zu-Mund Propaganda in der breiten Bevölkerung bekannt gemacht hat. Auch Gemeinderäte der Stadt ließen sich auf diese Weise in einen Dialog mit dem Museum verwickeln und haben in öffentlichen Führungen dem Publikum ihr Lieblingswerk aus der Sammlung Selinka vorgestellt. Im letzten Jahr hat sich das Museum im Rahmen eines inklusiven Malwettbewerbes, bei dem über sechzig Teilnehmer aller Altersstufen mit und ohne Behinderung zusammen künstlerisch tätig waren, vor allem mit sozialen Einrichtungen vernetzt. In diesem Jahr werden neue Vermittlungsprogramme für Firmen aufgelegt, um neue Besucherinnen und Besucher für das Museum zu gewinnen. Diese positive Entwicklung in Ravensburg zeigt, dass Kunst als Katalysator für Kreativität wirken kann und dass das Kunstmuseum als Institution vor allem dann eine Zukunft haben wird, wenn wir die Kunstwerke nicht nur bewahren, sondern die Potentiale der Kunst durch interaktive generationsübergreifende Vermittlungsarbeit im Sinne eines „Museums für alle“ auch für die Gegenwart produktiv machen.