Robin Zöffzig

Komponist seiner Malerei und jener Künstlertypus, der sein Werk durchlebt

Stel­len Sie sich vor, Sie sit­zen im Gewand­haus zu Leip­zig oder in der Oper und gege­ben wird Wag­ner. Das Orches­ter als Gan­zes wirkt auf sie ein und wer nicht vom Fach ist oder selbst ein sehr erfah­re­ner Orches­ter­mu­si­ker, wird kaum die je ein­zel­nen Töne und Klän­ge rein aus­ein­an­der divi­die­ren kön­nen. Zumin­dest nicht, wenn alle Instru­men­te zugleich ein­stim­men. Es bedarf eines Diri­gen­ten, der die ande­ren koor­di­niert und imstan­de ist, die rich­ti­ge und gute Stim­mung zu erzeugen.

Hin­ter allem aber steckt der Schöp­fer des Wer­kes, der Kom­po­nist: Richard Wag­ner. Er hat­te die ver­schie­de­nen Stim­men und Ein­sät­ze der ein­zel­nen Instru­men­te schon wäh­rend des Akts der Zeu­gung des Werks, des Auf­baus, sei­ner Ord­nung mit jeder ein­zel­nen Note im Kopf oder bes­ser: im Ohr. Sein Gehör wuss­te viel­leicht mehr als sein Kopf, als er die Stim­men ein­zeln und jede in ihrer Beson­der­heit und Stär­ke, teils nach­ein­an­der, teils par­al­lel erklin­gen lässt und je an die ein­zig rich­ti­ge, näm­lich sei­ne, Stel­le setz­te. Er tat es, weil er es konn­te und muss­te. Weil es ihn trieb und schlaf­lo­se Näch­te und wir­re Träu­me bescher­te, ehe er es nicht auf die Welt, aufs Noten­blatt gebracht hat­te. Das Werk bedräng­te ihn so lang, bis er es auf­schrieb. Der Kom­po­nist ist der Schöp­fer, der Vater des Wer­kes und damit der, der in ein­sa­mer Höhe in der Ver­ant­wor­tung steht – allei­nig für alles im Gan­zen: das Gesamtkunstwerk.

Kom­po­nie­ren – das kann man nicht allein in der Musik. Das kann man exem­pla­risch an dem Künst­ler Robin Zöff­zig sehen. Er ist Maler und er beschreibt sei­ne Arbeit als ein Kom­po­nie­ren. Er schreibt zwar kei­ne Opern und Musi­cals, son­dern er greift Gegen­stän­de und Cha­rak­te­re sei­ner Mit­welt auf und zeich­net. Ein­zeln betrach­tet erschei­nen die Gegen­stän­de auf dem Papier (oder der Lein­wand) viel­leicht dem einen oder ande­ren etwas will­kür­lich zusam­men­ge­stellt. Zusam­men aber erge­ben sie Sinn. Als Kom­po­si­ti­on durch­bre­chen alle ein­zeln für sich ihre fixe Form hin zu einem sinn­vol­len Gan­zen. In ihnen steckt Leben­dig­keit und Bewe­gung und zwar grund­le­gend in Bezug auf­ein­an­der, wie die Instru­men­te eines Orches­ters. Sind sie rich­tig und klug ein­ge­setzt, am rech­ten Ort, für den jeder allein Ver­ant­wor­tung hat, kön­nen sie gemein­sam das Gan­ze des Orches­ters in all sei­ner Schön­heit und Fül­le erzeu­gen. Die Situa­ti­on des Mit­ein­an­der-Spie­lens erzeugt den Sinn. Robin Zöff­zig ent­wirft den situa­ti­ven Men­schen, des­sen prin­zi­pi­el­le neu­gie­rig-exis­ten­zi­el­le Art gleich­zei­tig die andau­ern­de Bereit­schaft zur Grenz­über­schrei­tung und zur ‑neu­set­zung eige­ner Regeln scheint.

Man sieht auf den Bil­dern Män­ner und Frau­en, die – ob in syn­the­ti­scher Klei­dung oder halb nackt – auf jeden­fall immer sexy – sich gegen­über­ste­hen. Meist ist es nur ein klei­ner unschein­ba­rer oder halb ver­steck­ter Hin­weis auf das Gefühls­le­ben oder die psy­chi­sche Ver­wick­lung, in der eine der Per­so­nen steht. Dazu bspw. eine Schild­krö­te als Zei­chen der Ent­schleu­ni­gung inmit­ten einer Tech­nosti­li­sier­ten Welt, die immer mehr und mehr beschleu­nigt, in jeg­li­cher Hin­sicht. Die Schild­krö­te steht bei Robin auch für Altersweisheit.

Por­trät Robin Zöffzig

Er setzt gekonnt Nuan­cen, die ein unver­ständ­li­ches zufäl­lig wir­ken­des Zusam­men­tref­fen der Figu­ren zu einer ech­ten zwi­schen­mensch­li­chen Situa­ti­on transformiert. 

Wie­viel Zeit ver­bringt man als Künst­ler oder bes­ser: ver­bringt er, Robin, de fac­to täg­lich im Ate­lier, will ich wis­sen und sind es regel­mä­ßi­ge Zei­ten? Er fol­ge, so ver­sucht der Maler-Kom­po­nist sei­nen All­tag zu erklä­ren, einem ziem­lich straf­fen Pro­gramm, das Grund­la­ge des­sel­ben ist. Am liebs­ten wür­de er aber immer malen – und das tut er auch jede freie Minu­te, wie nach­drück­lich beteu­ert. Er arbei­tet sehr fein­glied­rig und tech­nisch genau und genau des­halb braucht er auch, will er etwas schaf­fen am Tage, eini­ge Zeit ehe er tat­säch­lich „abtau­chen“ kann in die Welt sei­ner Bil­der und v.a. sei­ner Bewe­gung, die eine Zeit der Ein­ge­wöh­nung benö­ti­gen in eine tech­nik-über­stei­gen­de Pha­se des Malens zu kommen.

Es ist also einer­seits die Dis­zi­plin, die Aske­se, also Ein­übung in bestimm­te Tech­ni­ken des Malens, die Wie­der­ho­lun­gen, das Trai­ning, um sich aber ande­rer­seits auch dem Tun, dem Machen, dem Malen, der Pra­xis wirk­lich mit Hin­ga­be zu stel­len. Die Hin­ga­be ist wie ein demü­ti­ges Ent­ge­gen­neh­men von etwas, das außer­halb der ratio­na­len Plan­bar­keit auf­tritt, und führt und lenkt. Es gehört also immer auch ein Sich-Füh­ren-Las­sen, ein Sich-Hin­ge­ben, das v.a. eines ver­langt: näm­lich Ver­trau­en in sich und sein Tun, um sei­ne Lust und Lei­den­schaft, sei­ne mäch­tigs­ten Kräf­te in die rich­ti­ge Rich­tung zu füh­ren und füh­ren zu las­sen. Die­ner der Kunst sein, wür­de es Mee­se viel­leicht nen­nen. Kant beschreibt die­se Hin­ga­be als inter­es­se­lo­ses Han­deln, um der Sache selbst wil­len, um sei­ner selbst wil­len. Auto­nom sein, authentisch.

Robin Zöff­zig arbei­tet in und mit Grö­ße. Sein Ate­lier auf dem Spinn­erei­ge­län­de in Leip­zig ist groß, und ist wie jeder gro­ße Raum, der ver­nünf­tig bewohnt wird, abhän­gig von einer funk­tio­nie­ren­den Ord­nung. Die­se erst ver­leiht einem Raum die Grö­ße, die Offen­heit und Zugäng­lich­keit, die über die Anzahl der Qua­drat­me­ter­zahl hin­aus­geht. So ist es auch mit Zöff­zigs Bildern.Sie unter­lie­gen einer höhe­ren Ord­nung, der er auch selbst und genau bestän­dig auf der Spur ist. Das drückt sich in den For­men und dem klas­si­schen Stil, der immer wie­der bei Zöff­zig zu sehen ist aus. Es betrifft die Fra­ge nach einer ratio­nal nicht voll­ends erfass­ba­ren Ord­nung der Din­ge, die eben aus sich her­aus und nicht plan­haft von jeman­dem ist, der sie auch jeder­zeit wie­der zer­stö­ren oder um umstel­len kann. Sie ord­nen sich durch das je eige­ne Werk.

Woher nimmt der Maler, der Künst­ler sei­ne Moti­ve? Woher genau, so will ich abschlie­ßend erwäh­nen, nimmt der Maler das Werk? Kon­kret: Wo fin­det oder bes­ser sucht Zöff­zig die sei­ni­gen? Sei­ne Ant­wort ist klar und deut­lich: Gezielt besucht er Orte, an denen sich die Meis­ten tum­meln: in sozia­len Netz­wer­ken wie Insta­gram, um her­aus­zu­fin­den, was sie mögen und nicht mögen, wie sich Men­schen zuneh­mend bei­spiels­wei­se mit ganz bestimm­ten Sty­ling­mo­del­len ihren Geschmack dik­tie­ren las­sen. Ihn inter­es­siert, gewis­ser­ma­ßen als Vor­be­rei­tung auf die Male­rei, was am meis­ten „Likes“ auf insta­gram oder face­book bekommt.

Mit­ten­drin im Kör­per- Fetisch- Zei­ge­zir­kus sich ver­schie­den klei­den­der Indi­vi­du­en, die wohl ver­rückt oder anders oder fern der herr­schen­den Norm sein wol­len, bil­det sich eine Obber­flä­che von Kör­pern und leicht durch­schau­ba­ren Kör­per­kul­ten, Sche­men, Ver­hal­tens­mus­tern, die nicht unbe­dingt noch „jeman­den“ dahin­ter ver­mu­ten las­sen. So gibt er sei­ne Ein­drü­cke auch auf der Lein­wand wie­der. Zunächst eine rea­le, knall­bun­te, jedes Tief­sinns oder Fra­ge­stel­lens ent­ho­be­ne Welt, die als Ober­flä­che auch so ste­hen gelas­sen wird in den typi­schen, beob­ach­te­ten Posen, Kla­mot­ten und Gri­mas­sen. Anschein-Kunst müss­te man Zöff­zigs Male­rei dann laut Ernst Bloch nen­nen. Aber das ist es nicht, son­dern es ist, allem Anschein nach, mehr als es scheint, denn es scheint etwas aus dem Anschein her­aus, durch es durch: Vor­schein-Kunst. Vor­schein-Kunst steht für ein Über-sich-hin­aus-Schaf­fen des Künst­lers, der mit der Form sei­nes Aus­drucks Kom­men­des, das bereits in der Gegen­wart ent­hal­ten ist, aber nicht sicht­bar für alle, Zukünf­ti­ges anti­zi­piert. In der Exis­tenz des Ein­zel­nen, den Zöff­zig malt wie aus sei­ner eige­nen Exis­tenz her­aus und könn­te man mei­nen an ver­schie­de­ner Stel­le, dass Zöff­zig, obwohl es kein Selsbt­por­trät zu sein scheint, immer ein Stück von sich selbst zeigt. Sei­ne Exis­tenz scheint somit vor in dem je ande­ren oder den ande­ren, die er malt. Exis­ten­zi­el­le Kunst ist Zöff­zigs Male­rei, inso­fern sie ihn als Gan­zes aus­ma­chen, als Gan­zes anspre­chen und durch ihn auch wie­der im künst­le­ri­schen Aus­druck aus­spre­chen. Er spielt so viel als mög­lich von dem was bis­her nicht pas­sier­te durch, und was ande­re längst als Ver­pass­tes abge­hakt hät­ten. So kann Kunst Mög­lich­keits­fel­der für den Ein­zel­nen erschlie­ßen, die sonst ver­lo­ren wären. Mög­lich­keits­fel­der sind Macht­fel­der, Fel­der und Orte der Selbst­macht des Einzelnen.

Metho­disch und plan­haft, das sagt Robin Zöff­zig auch ganz klar, geht er zwar auf die Suche nach Moti­ven, aber das schließt nicht aus, dass es min­des­tens eben­so vie­le Zufalls­be­geg­nun­gen, Inten­si­tä­ten, star­ke Wahr­neh­mun­gen in Bezug auf die Umwelt, die er betrach­tet, in der er lebt, arbei­tet, in der er malt. Robin Zöff­zig steht für den Künst­ler­ty­pus, der sein Werk auch lebt, es durch­lebt und an sich mit ihm zum Aus­druck zu brin­gen ver­sucht. Die­ser Aus­druck, ist er eigen- und somit ein­zig­ar­tig, ist der genia­le Fun­ke in einer all­zu­oft bereits erlo­sche­nen Welt.

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Künstlerphilosophin. Sie promovierte zum Thema: „Sehnsüchtige Körper – Eine Metatropie“. Lehre seit 2006 an verschiedenen Hochschulen und Universitäten. Darunter: Philosophisches Institut der Universität Leipzig, Hochschule für Grafik und Buchkunst zu Leipzig, Kulturwissenschaftliches Institut der Uni Leipzig, Germanistische Institute der Universitäten Lodz, Piliscisiaba/Budapest und Sydney/Australien. Außerdem hielt sie Vorlesungen und Seminare vom WS 2012/13 – WS 2013/14 als Juniorprofessorin (i.V.) an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig. Kolumnistin der Leipziger Zeitung seit 2015. Mitglied des kulturwissenschaftlichen Beirates Klinikum Bremen Ost. Von 2002 bis 2010 war sie Vorstandsmitgleid der Nietzsche Gesellschaft e.V.. Wichtigste Publikationen: Volker Caysa/ Konstanze Schwarzwald: Nietzsche – Macht – Größe (De Gruyter), Volker Caysa/ Konstanze Schwarzwald: Experimente des Leibes (Peter-Lang-Verlag 2008), Sehnsüchtige Körper – Eine Metatropie (2011), Askese als Verhaltensrevolte (2015), Denken des Empraktischen (2016). www.empraxis.net. Foto © Hagen Wiel

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