Malerei und Musik

Ist es sinnvoll, die Frage zu stellen, welches die ältere Kunst sei, Malerei oder Musik?

Kari­ka­tur-Zeich­nun­gen des wohl popu­lärs­ten Opern­sän­gers des letz­ten Jahr­hun­derts, Enri­co Caru­so, brach­ten mich auf die Idee, über „Male­rei in der Musik“ zu schrei­ben. Dann dach­te ich über die Umkeh­rung des Titels in „Musik in der Male­rei“ nach und schon ver­wo­ben sich die Ideen, ergänz­ten sich Dar­stel­lun­gen und dar­aus wur­de „Male­rei und Musik“. Was mir zu die­sen Ver­flech­tun­gen ein­fiel, ist nur ein klei­ner Abriss, ein Denk­an­stoß an den Leser, selbst Wei­te­res zu entdecken.

Stel­len wir ein­mal die Fra­ge, wel­che Kunst­form die Älte­re ist. Bli­cken wir 20.000 Jah­re zurück und besu­chen eine stein­zeit­li­che Höh­le. Da gibt es wun­der­ba­re Fels­ma­le­rei­en, natu­ra­lis­ti­sche Dar­stel­lun­gen von Tie­ren aller Art. Jagd­sze­nen mit Speer, Lan­ze und Pfeil. Berühmt dafür sind – neben vie­len ande­ren – die erst 1940 durch spie­len­de Kin­der ent­deck­ten Höh­len von Las­caux in Frank­reich, von enthu­si­as­ti­schen For­schern auch als Six­ti­ni­sche Kapel­le der Vor­ge­schich­te bezeich­net. Her­vor­ra­gen­de „Künst­ler“, den Begriff gab es aber noch lan­ge nicht, schu­fen Male­rei­en, die uns heu­te fas­zi­nie­ren und stau­nen las­sen. Man könn­te sogar anneh­men, dass es dar­un­ter Maler gab, die ihre Wer­ke signier­ten, obwohl die Schrift noch gar nicht erfun­den war: Hand­ab­drü­cke der Höh­len­ma­ler könn­ten eine bewuss­te Signa­tur sein, aber auch ein­fach nur ein Zei­chen der Freu­de am Gestal­ten, am Ent­de­cken. Im Aus­le­gen soll man ja offen sein. So wur­den Jahr­hun­der­te spä­ter dank moder­ner Tech­nik in Gemäl­den des 15./16. Jahr­hun­derts Fin­ger- und Hand­bal­len­ab­drü­cke in der Grun­die­rung ent­deckt, die wohl kaum eine Signa­tur sind – fas­zi­nie­rend im Gedan­ken an einen Fin­ger­ab­druck Dürers oder eines ande­ren Gro­ßen. Tier­dar­stel­lun­gen sind allen Höh­len gemein­sam. Dar­stel­lun­gen, die auf Musik hin­wei­sen, also Instru­men­te, wie Flö­ten und Trom­meln, fin­den sich zunächst nicht. Aber es gab schon Musik­in­stru­men­te, und die sind älter als die ältes­te Höh­len­ma­le­rei. Mehr als 35.000 Jah­re alt ist eine Flö­te aus der Eis­zeit, aus dem Kno­chen eines Gän­se­gei­ers gefer­tigt, gefun­den 2008 in einer Höh­le auf der Schwä­bi­schen Alb. Die Musik gehör­te somit schon zum Leben der Men­schen jener Zeit.

Ver­ess über­trägt die wirk­lich­keits­na­he Dar­stel­lung Brue­gels, die unge­stü­me Bewe­gung des Paa­res im Vor­der­grund, den Dudel­sack­pfei­fer, die gan­ze Palet­te des Gemäl­des in sei­ne musi­ka­li­sche Sprache. 

Ver­las­sen wir die Eis- und Stein­zeit­höh­len und bli­cken in die Grab­mä­ler Ägyp­tens. Dort sehen wir in über 3.000 Jah­re alten Grä­bern eine Male­rei, die uns wie­der­um zum Stau­nen bringt, die uns Ein­blick in alle Berei­che von Leben und Reli­gi­on gibt, uns die Kul­tur die­ses Vol­kes auf­zeigt. Und so erfah­ren, oder bes­ser, sehen wir, dass auch die Musik einen gro­ßen Raum in der ägyp­ti­schen Kul­tur ein­nahm. Es waren geehr­te und geschätz­te Berufs­mu­si­ker, wel­che die reli­giö­se Musik spiel­ten und san­gen und es waren oft­mals blin­de Sän­ger, die sich selbst auf der Har­fe beglei­te­ten und die vor­neh­me Gesell­schaft mit ihren Lie­dern erfreu­te. Auch die Kunst des Tan­zes ist in der Male­rei reich über­lie­fert. Kul­ti­sche wie welt­li­che Dar­bie­tun­gen zier­li­cher Tän­ze­rin­nen wer­den von eben­so gra­zi­len Musi­ke­rin­nen mit Flö­te, Har­fe und Tam­bu­rin beglei­tet. Auch aus ande­ren alten Kul­tu­ren, wie Indi­en und Chi­na, sind frü­he Male­rei und Musik über­lie­fert. Grie­chi­sche Gefä­ße zei­gen Musi­ker mit Flö­te, Lyra und Kit­ha­ra. Die Musik gehör­te zur Erziehung.

Machen wir einen Sprung in die Neue­re Zeit, die etwa im 15. Jahr­hun­dert beginnt. Male­rei und Musik, mit dem Chris­ten­tum ver­bun­den, beschen­ken uns mit einer Viel­zahl von Gemäl­den mit musi­ka­li­schen Dar­stel­lun­gen. Musi­zie­ren­de Engel beglei­ten uns durch die Kunst­ge­schich­te und am Bei­spiel des Isen­hei­mer Altars von Mathi­as Grü­ne­wald auch in die Musik­ge­schich­te des 20. Jahr­hun­derts. Um 1512/13 schuf Mathi­as Grü­ne­wald das gewal­ti­ge, heu­te im Musee d‘ Unter­lin­den in Col­mar befind­li­che Meis­ter­werk. Gott­va­ter ist von Engels­chö­ren umge­ben und Maria von musi­zie­ren­den Engeln. Paul Hin­de­mith kom­po­nier­te 1935 die Oper Mathis der Maler, eine Geschich­te um das Leben von Mathi­as Grü­ne­wald. Im 6. Bil­de schil­dert Mathis, mit Regi­na auf der Flucht, musi­zie­ren­de Engel und sie fällt in den Schlaf. Vor Mathis stei­gen Gesich­te auf, wie einst beim hei­li­gen Anto­ni­us. Fan­ta­sie und Wirk­lich­keit ver­mi­schen sich, auf dem Höhe­punkt der Erschei­nun­gen ver­wan­deln sich die Bil­der in die auf dem Isen­hei­mer Altar gemal­te Landschaft.

Ein ande­rer Kom­po­nist des 20. Jahr­hun­derts, der 1992 in Bern ver­stor­be­ne Sán­dor Ver­ess, setz­te ver­schie­de­ne sei­ner Kom­po­si­tio­nen in Bezug zur Male­rei. 1951 ent­stand eine Hom­mage à Paul Klee, eine Fan­ta­sie für zwei Kla­vie­re und Streich­or­ches­ter über sie­ben Bil­der von Klee. In sei­nem 1963 kom­po­nier­ten „Tre qua­dri per pia­no­for­te, vio­li­no e vio­lon­cel­lo“ über Gemäl­de Alter Meis­ter hat Ver­ess Gemäl­de von Clau­de Lor­rain, Nico­las Pous­sin und im drit­ten Satz von Pie­ter Brue­gel dem Älte­ren vor Augen gehabt. Das Gemäl­de Bau­ern­tanz, 1568/69 ent­stan­den und heu­te im Kunst­his­to­ri­schen Muse­um in Wien befind­lich, stand hier Pate. Ver­ess über­trägt die wirk­lich­keits­na­he Dar­stel­lung Brue­gels, die unge­stü­me Bewe­gung des Paa­res im Vor­der­grund, den Dudel­sack­pfei­fer, die gan­ze Palet­te des Gemäl­des in sei­ne musi­ka­li­sche Spra­che. Nur noch in Stich­wor­ten die­se Bei­spie­le von Male­rei in der Musik: Gia­co­mo Puc­ci­ni lässt in sei­ner Oper „Tos­ca“ den Maler Cava­ra­do­s­si, Tenor, in einer Kir­che ein Mag­da­le­nen­bild malen. In sei­ner Arie „Dam­mi i colo­ri…“ singt er vom Geheim­nis der Kunst, die ver­schie­de­nen Far­ben der Schön­heit zu ver­schmel­zen. In der Oper „La Bohè­me“ lässt Puc­ci­ni den Maler Mar­cel­lo, Bari­ton, ein Bild vom Roten Meer miss­lin­gen. End­los die Zahl der Maler, die Musik­in­stru­men­te in ihren Bil­dern ver­ewi­gen: Picas­sos Pan­flö­ten­spie­ler, Legers blaue Gitar­re, Braque, Chagall und als Bei­spiel abs­trak­ter Male­rei sei­en Kan­din­skys Gegen­klän­ge von 1924 genannt, der­zeit im Zen­trum Paul Klee in Bern anläss­lich der Aus­stel­lung „Klee & Kan­din­sky“ zu sehen.

Leo­nar­do da Vin­ci sei erwähnt, von dem die Zeich­nung eines Fan­ta­sie-Musik­in­stru­ments erhal­ten ist. Nicht ver­ges­sen sei Felix Men­dels­sohn, der auf sei­nen Rei­sen Zeich­nun­gen und Aqua­rel­le fer­tig­te und die­se Ein­drü­cke aus der Natur in sei­ne Musik trans­po­nier­te. Farb­klän­ge – Klang­far­ben: Es gab Ver­su­che, die Musik von Johann Sebas­ti­an Bach in Far­ben zu pro­ji­zie­ren und anläss­lich der Gau­gu­in– Aus­stel­lung 2015 in der Fon­da­ti­on Beye­ler in Riehen/Basel wur­de ein Pro­jekt lan­ciert, dass der Betrach­ter die Bil­der mit selbst gewähl­ten Musik­stü­cken asso­zi­ie­re. Kari­ka­tu­ren von Caru­so gaben die Anre­gung, Gedan­ken um Male­rei und Musik nach­zu­ge­hen, ein so rei­ches The­ma, das ich nur strei­fen konn­te. Von Caru­so sehen Sie ein Selbst­por­trait vor dem Auf­nah­me­trich­ter für eine Schall­plat­te. An der Wand hängt ein Bild des Fir­men­schilds von „His Mas­ters Voice“ mit dem Jack Rus­sel Ter­ri­er, der auf­merk­sam der Stim­me des Gram­mo­phons lauscht. Ist es sinn­voll, die Fra­ge zu stel­len, wel­ches die älte­re Kunst sei, Male­rei oder Musik? Erlau­ben Sie dem Sän­ger die­se Ant­wort: In der Musik ist der Gesang das Höchste.

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Jahrgang 1939, Erstausbildung kaufmännische Lehre, anschließend private Gesangsausbildung und kunstgeschichtliche Studien in Leipzig. 1961 erstes Engagement (Bass-Bariton) als Solist am Theater in Eisenach. Nach 12 Jahren an verschiedenen Theatern, 1973 Eröffnung einer Kunstgalerie in Basel. Seitdem im Kunsthandel, als Experte für Versicherungen und Berater privater Sammler tätig. Gleichzeitig und bis heute als Sänger in Oratorium, Kirchenmusik und besonders im Liedgesang aktiv.

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