Aufgetaucht

Der vergessene Secessinist Josef Maria Auchentaller

Vor 150 Jah­ren wur­de die Ring­stra­ße in Wien eröff­net und Josef Maria Auch­ental­ler, als zwei­ter Sohn einer Süd­ti­ro­ler Tuch­händ­ler­fa­mi­lie in Wien gebo­ren. Heu­te gewinnt die Pracht­stra­ße ihre Pracht wie­der zurück und ein wich­ti­ger Maler taucht wie­der auf. Der Künst­ler am Höhe­punkt sei­ner Kar­rie­re: links sitzt Gus­tav Klimt auf einer Lei­ter und arbei­tet an sei­nem Fries. Im rech­ten Sei­ten­teil des Seces­si­ons­ge­bäu­des steht Josef Maria Auch­ental­ler auf einer Lei­ter und arbei­tet an sei­nem Fries „Freu­de schö­ner Göt­ter­fun­ken“, 14 m lang, 2 m hoch, 4 m über dem Boden. Es ist Som­mer 1901, die Beet­ho­ven­aus­stel­lung ver­zö­gert sich andau­ernd. Die Arbei­ten gestal­ten sich schwie­rig und umständ­lich. Bereits Mona­te ste­hen die bei­den Künst­ler auf ihren Lei­tern, immer wie­der wer­den sie von ande­ren Aus­stel­lun­gen unter­bro­chen, wobei die Frie­se immer mit schwar­zen Tüchern ver­hängt wer­den. (Die XIV. Aus­stel­lung in der Wie­ner Seces­si­on von 15. 4. bis 15. 6. 1902 wid­me­te sich in einer idea­lis­ti­schen Gesamt­schau dem Kom­po­nis­ten Lud­wig van Beethoven).

Das Gan­ze ist streng geheim, nur aus­ge­wähl­te Mit­glie­der der Seces­si­on neh­men teil. Es war eine beson­de­re Aus­zeich­nung für Auch­ental­ler genau gegen­über von Klimt, im rech­ten Sei­ten­trakt der Seces­si­on, sei­nen im Jahr davor von einem Exper­ten­ko­mi­tee aus­ge­wähl­ten und aus­ge­zeich­ne­ten Ent­wurf ver­wirk­li­chen zu kön­nen. Alle Details die­ser Aus­stel­lung wer­den auf­ein­an­der abge­stimmt; man arbei­tet nicht von unge­fähr neben Klimt! Max Klin­gers über­le­bens­gro­ßes Monu­men­tal­werk, der sit­zen­de Beet­ho­ven mit ent­blöß­tem Ober­kör­per, teil­wei­se aus Mar­mor und wert­vol­lem Stein, war der zen­tra­le Mit­tel­punkt um den sich her­um eine unglaub­li­che Far­ben­pracht ent­wi­ckel­te. (Die Beet­ho­ven Grup­pe von Max Klin­ger steht heu­te im „Muse­um der bil­den­den Küns­te“, Leip­zig, www.mdbk.de).

End­lich, im April 1902 wird eröff­net. Für 60 Tage steht Beet­ho­ven und die Wie­ner Seces­si­on im Mit­tel­punkt der Kunst­sze­ne. Es soll­te die wich­tigs­te, bedeu­tends­te und finan­zi­ell erfolg­reichs­te Aus­stel­lung der Künst­ler­grup­pe wer­den. Ein­tritt 1 Kro­ne (rund 5 Euro), knapp 60.000 Besucher.

Der ver­ges­se­ne Seces­sio­nist Josef Maria Auch­ental­ler (1865 – 1949), ein Süd­ti­ro­ler Super­star neben Gus­tav Klimt in Wien um 1900. 

J.M. Auch­ental­ler in der Seces­si­on vor Klimt’s „Medi­zin“, 1901

Die Mit­glie­der der Seces­si­on arbei­te­ten für die Aus­stel­lun­gen auf eige­ne Kos­ten, jeder finan­ziert sei­ne Arbei­ten aus der eige­nen Tasche und gera­de die bei­den Wand­frie­se erfor­dern einen enor­men zeit­li­chen wie auch finan­zi­el­len Auf­wand. Nach der Aus­stel­lung wird das Klimt Fries von Carl Rei­ning­haus, einem wohl­ha­ben­den Kunst­samm­ler ange­kauft, ein Jahr spä­ter abge­tra­gen und ein­ge­la­gert. Auch­ental­lers Fries wird sofort abge­nom­men und ent­sorgt. Danach geht der Künst­ler „baden“ – finan­zi­ell, wie auch nach Gra­do, ins öster­rei­chi­sche Küs­ten­land. Dort hat­te sei­ne Frau Emma als Ret­tung aus den finan­zi­el­len Nöten und mit dem Geld ihres wohl­ha­ben­den Vaters und ande­rer Inves­to­ren die „Pen­si­on Fort­i­no“ errich­ten las­sen – in per­fek­tem Jugend­stil, an pro­mi­nen­ter Stel­le und mit unge­stör­tem Blick aufs Meer. Ende einer viel­ver­spre­chen­den Kar­rie­re, Beginn einer ganz ande­ren Geschichte.

Als Kind hat­te ich in mei­nem Eltern­haus die­se dunk­len, rie­sen­gro­ßen Bil­der gese­hen – ja, gese­hen aber nie „betrach­tet“. Sie sind mir nicht beson­ders auf­ge­fal­len. Hin und wie­der wur­de dar­über gespro­chen: „das sind Auch­ental­lers, von Pepi, unse­rem Onkel in Gra­do“. Im Som­mer fuh­ren wir immer für eini­ge Wochen nach Ligna­no an der obe­ren Adria. Ich lieb­te den Strand und ich hass­te Gra­do, die­se fade Stadt, wo mich mei­ne Mut­ter mit­schleif­te, wenn sie ihre Erin­ne­run­gen an den Onkel Pepi, sein Fort­i­no und die Insel Mor­go auf­fri­schen woll­te. Also, kein guter Start für eine Auch­ental­ler For­schung. Es dau­er­te lan­ge, bis nach dem Tod mei­ner Mut­ter. Sie nahm ihre Erin­ne­run­gen mit sich, weni­ges war erzählt wor­den, ich hat­te nicht viel gefragt. Da stand ich nun – es war 2007 – in den Räu­men mit den dunk­len Bil­dern und begann zu suchen. In Käs­ten, in Laden, am Dach­bo­den, ein­fach über­all. Und plötz­lich eröff­ne­te sich mir eine unge­ahn­te Dimension.

Die­ser Pepi, die­ser Josef Maria, die­ser mir unbe­kann­te Groß­on­kel war doch eigent­lich ein Star in Wien um 1900. Da waren die Tho­nets, also Vik­tor und Mar­tha Tho­net, sie hat­ten Auch­ental­ler gesam­melt und waren mit ihm und sei­ner Fami­lie sehr befreun­det. Vik­tor lei­te­te eine der fünf gro­ßen Fabri­ken des Möbel­im­pe­ri­ums in Bystritz, Mäh­ren. Und die Auch­ental­lers waren dort oft zu Gast, so steht es im Gäs­te­buch. Und da hing auch ein Por­trät von Mar­tha Tho­net an der Wand, natür­lich von Auch­ental­ler gemalt, 1912. Eines sei­ner bes­ten Wer­ke. Gus­tav Klimt hat­te auch andau­ernd Indus­tri­el­len­gat­tin­nen gemalt und dabei gut verdient.

Dass die Auch­ental­lers mit den May­re­de­rs befreun­det waren, fand ich toll. May­re­der? Ja, die Rosa May­re­der war die ers­te Frau­en­recht­le­rin in der Mon­ar­chie. Ihr Mann Karl hat­te, als Lei­ter des Stadt­bau­am­tes, den Bau der Seces­si­on beim Nasch­markt ermög­licht und sein Bru­der Juli­us, als Archi­tekt, das Fort­i­no in Gra­do geplant. Und außer­dem ging auch Rudolf Stei­ner (1861 – 1925, Begrün­der der Anthro­po­so­phie) bei den May­re­de­rs ein und aus. So viel geis­ti­ge Diver­genz bei so einem klei­nen Kreis?! Die Jahr­hun­dert­wen­de um 1900 war schon ziem­lich intensiv.

Josef Maria Auch­ental­lers Arbei­ten für sei­nen Schwie­ger­va­ter, Georg Adam Scheid, dem Schmuck­fa­bri­kan­ten, stel­len aller­dings alles in den Schat­ten. Herr­li­chen Jugend­stil­schmuck aus Sil­ber hat­te er ent­wor­fen und mit Email in den unglaub­lichs­ten Farb­schat­tie­run­gen ver­ziert. Dann gestal­te­te er, 1899, das berühm­te Musik­zim­mer in der Vil­la Scheid, heu­te die Süd­ko­rea­ni­sche Bot­schaft in der Gre­gor Men­del­stra­ße im Cot­ta­ge von Wien. Ein gan­zer Raum nur der „Pas­to­ra­le“, der 6. Sym­pho­nie Beet­ho­vens, gewid­met. Die Sät­ze der Musik­kom­po­si­ti­on trans­for­mie­ren sich in eine sub­ti­le Farb­kom­po­si­ti­on, tan­zen­de Elfen des Wal­des und länd­li­ches Volk fei­ernd unterm Baum, dann Don­ner und Sturm und erlö­sen­des Ves­p­er­läu­ten. Kla­vier, Glas­fens­ter, Beleuch­tung, alles war auf­ein­an­der abge­stimmt, das Cre­do des Gesamt­kunst­wer­kes auf sei­nem Höhe­punkt. Und vor die­sen Bil­dern stand ich, ahnungs­los – aller­dings nicht lange!

Die Früchte der Recherche rund um Auchentaller…

Bald aber brach­ten mei­ne Recher­chen Früch­te und ich konn­te mit Pri­mär­ma­te­ri­al auf­war­ten. Das Muse­um von Gori­zia, die Fami­lie Auch­ental­ler aus Süd­ti­rol und das Leo­pold Muse­um in Wien plan­ten mit mir zusam­men ab 2008 die größ­te Josef Maria Auch­ental­ler Wan­der­aus­stel­lung und Retro­spek­ti­ve all sei­ner Wer­ke: in Gori­zia, in Bozen und in Wien. Damit war der so früh nach Gra­do aus­ge­wan­der­te Künst­ler wie­der auf­ge­taucht. Sei­ne kunst­his­to­ri­sche Wie­der­ent­de­ckung war gelun­gen, sein Schmuck wur­de 2010 im Leo­pold Muse­um aus­ge­stellt und jetzt, bis Novem­ber die­ses Jah­res in Gra­do. 150 Jah­re nach der Geburt die­ses gro­ßen Künst­lers wird sein Werk als wert­vol­ler Bei­trag zur Kunst und Kul­tur Wiens um 1900 lang­sam anerkannt..

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Andreas Maleta, geb. 1951, studierte in Wien und Indien, später war er Journalist, Auslandskorrespondent im Nahen Osten und Dokumentarfilmer. Sein Interesse an Auchentallers Werk beginnt rein zufällig, aus journalistischer Neugier. Daraus entwickelt sich ein großes persönliches Engagement und detaillierte Kenntnis über das Gesamtkunstwerk Auchentallers und sein vielfältiges Umfeld in Wien um 1900. In den letzten Jahren trat er bei allen Ausstellungen als Leihgeber und/oder Verfasser von Katalogbeiträgen auf. Er hält Multimediapräsentationen über den Künstler, arbeitet an einem poetischen Film über das Leben des Malers und gründete 2014 die „Galerie punkt12“ in Wien.

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