Francien Krieg
Es ist ein weit verbreiteter Widerspruch, dass mit dem Alter alles besser wird. Wir glauben, dass ältere Menschen aufgrund ihrer längeren Erfahrung weiser sind. Gleichzeitig fürchten wir uns aber vor dem Altern, da es uns dem Tod näher bringt. Aus demselben Grund fürchten wir auch das Altern derer, die wir lieben. Bei allen Lebewesen endet das Leben mit dem Tod. Wahrscheinlich fühlen wir uns beim Anblick alter Menschen unwohl, weil wir uns vor dem Ende des Lebens fürchten. Wie Dylan Thomas bereits sagte, wird das Leben bis zum Ende mit aller Macht gegen den Tod ankämpfen. Der menschliche Körper ist eine kontinuierlich alternde biologische Maschine mit einem nicht näher bekannten Verfallsdatum, dessen Herannahen wir mit zunehmendem Alter stärker spüren.
Unser Körper wird langsam schwächer. Während der Anblick unseres Spiegelbildes einst vielleicht normal war, kommt mit dem Älterwerden öfter die Frage auf, wen wir da eigentlich im Spiegel anstarren. Es scheint ein Trick der Natur zu sein, dass unser Geist – anders als unser Körper – jung bleiben kann. Der Kampf gegen den Tod kommt vielleicht daher, dass der jugendliche Geist einen Alterungsprozess zu kontrollieren versucht, der sich nicht steuern lässt. Die holländische Malerin Francien Krieg malt ältere Frauen, die den ständigen Druck der Schönheit hinter sich gelassen und einen Ort erreicht haben, an dem der Geist zum Auslöser physischer Anziehung wird. Sie müssen sich mit Körpern abfinden, die ihre Lebensqualität stark einschränken. Krieg stellt das Dilemma übertrieben dar, indem sie für ihre Kompositionen die unvorteilhaftesten Blickpunkte wählt. Sie treibt den weiblichen Körper in Extremzustände des Alterns und fordert das Interesse des Betrachters heraus. Die Künstlerin ist besessen von den Effekten alternder Haut und den Geschichten, die Runzeln und Falten zu erzählen haben. Es verwundert keineswegs, dass Kriegs Werk auch durchaus negative Reaktionen auslöst, mag es doch oberflächlich so scheinen, als würde die ältere Frauen respektlos darstellen.
Dem ist aber keineswegs so: Francien Kriegs Bilder sind ein Kommentar zum Thema Schönheit, wie Sam Peckinpahs Werk ein Kommentar zum Thema Gewalt war. Sie führt uns das Altern und seine Wirkung wie einen gewaltschwangeren Western brutal vor Augen, und wir müssen reagieren. Genau das will Krieg, denn Ihre Botschaft kommt erst durch extreme Reaktionen zur Geltung. Ihr Werk ist gebündelte Aufmerksamkeit, und dadurch noch interessanter. Die Körper alternder Frauen werden mit Mitgefühl, aber auch mit einem kritischen Auge abgebildet. Dabei führt uns die Künstlerin häufig weiter in die Beobachtung des Verfalls, als wir eigentlich möchten, und vermittelt uns die Angst. Ihre Blickwinkel lassen den Körper oft übertrieben als Beschwernis für den darin wohnenden Geist erscheinen – was möglicherweise nicht ihre Absicht, aber mit Sicherheit der Kern ihres Erfolgs ist.
Das männliche und weibliche Idealbild der jugendlichen Schönheit wird vom Hammer des Alterns zertrümmert, aber dahinter findet etwas viel bedeutungsvolleres statt: Die Einsicht, dass einst idealisierte Schönheit verflossen ist, gibt der inneren, geistigen Schönheit erst die Möglichkeit, eine viel tiefer gehende äußere Anmut zu vermitteln. Krieg scheint diesen Weg vorzuziehen, zeigt uns allerdings ab und zu auch die groteske Seite, die als Statement gegen die Schönheit interpretiert werden könnte. In diesem Fall zeigt sie Frauen den ultimativen Alptraum vor. Krieg war als Kind der Todesbesessenheit ihres Vaters ausgesetzt, der Stimmen aus dem Jenseits aufzeichnete und Erkenntnisse über das Leben nach dem Tod suchte. An der Kunstschule interessierte sich die Künstlerin für das Mysterium des menschlichen Körpers, schuf Skulpturen und Installationen aus Fleisch mit Haut als Kleidung und sammelte unter anderem ausgestopfte Tiere und Vogelskelette. Nach ihrem Abschluss sah sie ihren eigenen Körper als etwas Altbekanntes, zu dem sie keinerlei Verbindung fühlte, da sie keine Vorstellung von den inneren Vorgängen hatte. Durch ihre Darstellungen einer älteren Frau entdeckte sie schließlich das Altern, den Verfall des Körpers und die geistige Anmut in der Akzeptanz der Umstände als ihr Kernthema. Krieg verlor ihre Ängste und Vorurteile gegenüber dem Altern und fand eine lebensbejahendere Einstellung, je mehr sie ältere Frauen mit geschwächten Körpern kennenlernte.
Francien Krieg malt auch Miniaturporträts alternder Frauen, die wie Gucklöcher Einblicke in ein im Auflösen begriffenes Leben anmuten. Da die Bilder klein sind, müssen die Betrachter näher an sie herantreten und jede Falte und jede Linie so genau ansehen, als blickten sie in einen Spiegel. Krieg gibt diesen Bilder große, verzierte Rahmen und akzentuiert ihre geringe Größe dadurch noch stärker. Sie bildet außerdem Mütter und Väter mit Kindern und Kinder mit einem ehrlichen, gefühlvollen Auge ab. Die Liebe zum eigenen Nachwuchs und die Mutterrolle im Allgemeinen sind eine Quelle der Inspiration für ihre Arbeit. Die Künstlerin hat kürzlich ihr zweites Kind zur Welt gebracht. Es scheint, als wäre sie hin- und hergerissen zwischen ihrer Besessenheit von Altern und Verfall und deren Gegenteil – dem Beginn des Lebens, der Reinheit und Unschuld. Sie ist fasziniert davon, dass die äußerliche körperliche Geburt mit der Zeit zum geistigen Erwachen führt – zwei grundlegende Verwandlungen des menschlichen Lebens.
Kriegs Sichtweise ist konsequent und seriös. Die Künstlerin findet in ihrer Kunst Ausdrucksformen, die ihr einen einzigartigen Ausblick auf das menschliche Befinden geben.
Es ist Paradox, dass sich jeder Mensch ein langes Leben wünscht, aber niemand wirklich alt werden möchte.
Andy Rooney
Kunst ist nicht das, was man sieht, sondern das, was man Anderen zu sehen hilft.
Edgar Degas