Albin Egger-Lienz

Als Albin Egger im Jahr 1891 sei­nem Namen „Lienz“ hin­zu­fügt, ist dies ein bewuss­tes State­ment: Hier kom­me ich her und aus die­sem Umfeld her­aus schöp­fe ich. Jede wah­re Kunst sei „Hei­mat­kunst“, stellt der Maler spä­ter fest, ob von Rem­brandt oder Hals, Mil­let oder Meu­nier. Denn nur aus der Ver­tie­fung in die eige­ne Lebens­welt ent­ste­he zeit­los Gül­ti­ges. Mit dem Muse­um der Stadt Lienz Schloss Bruck, das die umfang­reichs­te Samm­lung sei­ner Wer­ke beher­bergt, hat Albin Egger-Lienz eine kon­ge­nia­le Wir­kungs­stät­te gefun­den: als Hom­mage an den bedeu­tends­ten Tiro­ler Maler des 20. Jahr­hun­derts und zugleich einen der ganz Gro­ßen der Moder­ne in Österreich.

Foto: Archiv Museum Schloss Bruck
Albin Egger-Lienz, um 1925

In der von Dr. Carl Kraus, Kunst­his­to­ri­ker in Inns­bruck, kura­tier­ten neu­en Dau­er­aus­stel­lung wer­den Per­sön­lich­keit und Schaf­fen des Künst­lers, aber auch Fra­gen­kom­ple­xe wie Rezep­ti­on und Resti­tu­ti­on beleuch­tet. Sei­ne ent­schei­den­den Wer­ke machen dabei deut­lich, dass Eggers (Heimat)-Kunst mit dem Kli­schee „Blut und Boden“ nichts gemein hat. Eggers frü­he Münch­ner Jah­re ste­hen noch ganz im Zei­chen Franz von Defr­eg­gers und des­sen zeit­ty­pi­scher His­to­ri­en- und Gen­re­ma­le­rei. Erst lang­sam und mit vie­len Rück­grif­fen kann er sich von die­ser stark vom Erzäh­le­ri­schen gepräg­ten Kunst lösen. Rich­tungs­wei­sen­de Impul­se erhält er dabei von sei­nem Aka­de­mie­leh­rer Wil­helm von Lindenschmidt.

Egger-Lienz ist bereits ein arri­vier­ter Künst­ler, als er 1899 von Mün­chen nach Wien über­sie­delt. Die lie­be­vol­le Bezie­hung Egger-Lienz’ zu sei­nem Vater und sei­nen Kin­dern ist in berüh­ren­den Por­träts doku­men­tiert, bei denen alt­meis­ter­li­che Mal­kul­tur und Schön­li­nig­keit der Seces­si­ons­kunst eine über­aus reiz­vol­le Ver­bin­dung eingehen.

Foto: Martin Lugger
Schloss Bruck Lienz

Ich male kei­ne Bau­ern, son­dern Formen. 

Von der all­ge­mei­nen Kunst­ent­wick­lung beein­flusst, ent­fernt sich Egger-Lienz von der tra­di­tio­nel­len His­to­ri­en­ma­le­rei. Er redu­ziert nicht nur die Form, son­dern auch die Hand­lung sei­ner Bil­der, bis er bei Wer­ken wie Toten­tanz Anno Neun oder Has­pin­g­er Anno Neun eine kom­pak­te Wir­kung erreicht, die sei­nem Bestre­ben nach All­ge­mein­gül­tig­keit und „Monu­men­ta­li­tät“ ent­spricht. Die Seg­nung des Ackers, das Säen und Mähen, die Hir­ten bei der Rast, die Bau­ern beim kar­gen Mit­tags­mahl… In die­sen „erd­ver­bun­de­nen“ Tätig­kei­ten fin­det Albin Egger-Lienz zen­tra­le Moti­ve für sein Werk, wie zuvor bereits Künst­ler wie Mil­let, Meu­nier, van Gogh, Segan­ti­ni und Hod­ler. Nicht die Groß­stadt, son­dern das Land, aus dem er stammt, bil­det für ihn die Grund­la­ge sei­nes Schaf­fens – weit aus­ge­präg­ter noch als etwa beim Schwei­zer Fer­di­nand Hod­ler, zu des­sen „Stil­kunst“ er in sei­ner mitt­le­ren Peri­ode for­ma­le Über­schnei­dun­gen zeigt.

Das Schöp­fen „aus eige­ner Quel­le“ – ver­bun­den mit zuneh­mend moder­nen Gestal­tungs­an­sät­zen – sieht der Maler als Vor­aus­set­zung, sich in die essen­ti­el­len Grund­be­din­gun­gen des Lebens zu ver­tie­fen: „Er hät­te auch mit­tels irgend­ei­nes ande­ren Milieus und zu jeder belie­bi­gen Zeit oder in jeder Art Klei­dung das all­ge­mein Mensch­li­che, die Grö­ße und Dra­ma­tik des­sen, was er im Men­schen­da­sein erblick­te, aus­sa­gen kön­nen“, fasst es die Toch­ter Ila spä­ter zusam­men. 1908 prä­sen­tiert Albin Egger-Lienz den Toten­tanz von Anno Neun, ein Auf­trags­werk anläss­lich des Thron­ju­bi­lä­ums Kai­ser Franz Josefs I., das sofort als Pro­vo­ka­ti­on emp­fun­den wird. Spä­ter wird gera­de die­ser Toten­tanz, von dem Egger sechs Fas­sun­gen malt, zu einem Sym­bol­bild für den Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs und stellt den Höhe­punkt der mitt­le­ren Schaf­fens­pe­ri­ode von Egger-Lienz dar, die durch eine monu­men­tal­de­ko­ra­ti­ve Sti­li­sie­rung geprägt ist. Mit dem The­ma „Krieg“ setzt sich Egger-Lienz inten­siv auseinander.

Vor dem Hin­ter­grund des unmit­tel­ba­ren Erleb­nis­ses des Ers­ten Welt­kriegs wie auch der gewon­ne­nen künst­le­ri­schen Rei­fe fin­det er mit sei­nen Gemäl­den Den Namen­lo­sen 1914, Mis­sa eroi­ca und Fina­le zu einer neu­en inhalt­li­chen Dimen­si­on und zuvor unge­kann­ten Expres­si­vi­tät. Es sind Wer­ke, die als unbarm­her­zi­ge Zeug­nis­se für die Urka­ta­stro­phe des 20. Jahr­hun­derts in das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis eingehen.

Kein zwei­ter Maler des 20. Jahr­hun­derts prägt die Vor­stel­lun­gen einer „Tiro­ler Kunst“ so wie Egger-Lienz. Die Rezep­ti­on sei­nes Werks hängt edoch stark von den Blick­win­keln ab, ist facet­ten­reich, zuwei­len auch umstrit­ten. Här­tung der Form und Unter­ord­nung aller Bild­tei­le unter eine streng geo­me­tri­sche Kom­po­si­ti­on – dies sind zwei der wesent­li­chen Prin­zi­pi­en der „Raum­kom­po­si­tio­nen“ aus Eggers letz­ter Schaf­fens­pe­ri­ode. Die Line­ar­per­spek­ti­ve ist dabei durch eine rein gestal­te­ri­schen Gesichts­punk­ten gehor­chen­de Raum­kon­struk­ti­on ersetzt. Auch die Schat­ten der Kör­per und Gegen­stän­de sind frei gestal­tet. Eggers Werk zeigt dadurch deut­li­che Bezü­ge zur zeit­ge­nös­si­schen Avant­gar­de, etwa zu Max Beckmann

Foto: Vaverka
Die Fami­lie oder Der Bau­er, 1925/26
Foto: Vaverka
Por­trät Lor­li, 1907
Foto: Vaverka
Der Tote Chris­tus, 1926

Im Keim wen­det der Maler die­se Gestal­tungs­prin­zi­pi­en bereits in den Alten (1914) an. Am wei­tes­ten vor­an treibt er die dem Aus­druck die­nen­de Defor­ma­ti­on in den Kriegs­frau­en (1918–22). Nach den Kriegs­frau­en schwächt der Maler die weit vor­an­ge­trie­be­ne expres­si­ve Defor­ma­ti­on wie­der ab und fin­det zum gro­ßen kon­tem­pla­ti­ven Stil der Gedan­ken­bil­der: von Müt­ter und Auf­er­ste­hung über Die Fami­lie bis zum groß­ar­ti­gen Schluss­punkt Toter Chris­tus und Pie­tà. Gleich­sam als Sum­me sei­ner bis­he­ri­gen Lebens­ar­beit ver­schmel­zen nun Expres­si­on und Wirk­lich­keits­nä­he, Sta­tik und Bewe­gung, räum­lich-plas­ti­sche Form­ge­bung und male­ri­sche Hell-Dun­kel-Male­rei zu einer neu­en Einheit.

Eggers künst­le­ri­sche Über­zeu­gung von der Unter­ord­nung der gestal­te­ri­schen Mit­tel unter einen „gro­ßen Stoff“ ist für sein Außen­sei­ter­tum inner­halb der zeit­ge­nös­si­schen Kunst genau­so ver­ant­wort­lich wie sei­ne Bau­ern­the­ma­tik. Die­se Hal­tung erfährt in sei­nen letz­ten „Bil­dern zuständ­li­cher Ver­sun­ken­heit“ ihre Voll­endung. Ein­ge­bun­den in ihr schick­sals­ge­präg­tes Dasein, erschei­nen die Gestal­ten wie ent­rückt, wie nicht mehr von die­ser Welt. Aus­druck nicht nur der Inner­lich­keit, zu wel­cher der Maler gelangt ist, son­dern auch einer all­ge­mei­nen bäu­er­li­chen Wesens­be­schaf­fen­heit: „Reli­gio­si­tät im strengs­ten Sin­ne wen­det das Emp­fin­den für welt­läu­fi­ge und in die­sem Sin­ne bestehen­de Ord­nun­gen zu einer gewis­sen außer­welt­li­chen Insich­ge­kehrt­heit. Daher oft das scheue Wesen der Berg­be­woh­ner dem Welt­man­ne gegen­über, was so durch­wegs wie Miss­trau­en, Ver­schlos­sen­heit oder gar Beschränkt­heit genom­men wird!“ (Egger-Lienz, unda­tier­te Bleistiftnotiz).

Mit den gro­ßen Egger-Lienz Schau­en wie „Begeg­nun­gen in Wien“ (2002), „Bedro­hung und Idyl­le“ (2009), „Egger-Lien­z/­Wal­de/­Berg“ (2012, Koope­ra­ti­on mit den Muse­en Kitz­bü­hel und Blei­burg) und „Toten­tanz – Egger-Lienz und der Krieg“ (2014, Koope­ra­ti­on mit dem Bel­ve­de­re, Wien) wur­de sei­tens des Muse­ums Schloss Bruck ein wich­ti­ger Bei­trag geleis­tet den Maler aus sei­ner Iso­la­ti­on her­aus­zu­ho­len, sein Schaf­fen zu durch­leuch­ten und sei­ne Bedeu­tung für die inter­na­tio­na­le Moder­ne zu unterstreichen.

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Silvia Ebner wurde in Lienz geboren und ist seit 1996 für die gesamte verwaltungstechnische Organisation von Schloss Bruck tätig, seit 2004 allein verantwortliche Leiterin des Museums der Stadt Lienz Schloss Bruck. Sie ist Mitglied des Kulturbeirats des Landes Tirol seit 2004 und Mitglied des Kuratoriums der Landesgedächtnisstiftung Tirol seit 2008.

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