Dorothy Iannone

Sex, Sound, Word & Video

Sie ist eine Meis­te­rin der ero­ti­schen Kunst. Die Zeich­nun­gen, Gemäl­de, Objek­te, Bild- Schrift- Klang- und Film­in­stal­la­tio­nen von Doro­thy Ian­no­ne sind eine Hom­mage an Die­ter Roth; ein Lob­ge­sang auf die Ero­tik als Aus­druck gött­li­cher Ver­ei­ni­gung von Kör­per und Geist. Trotz aller Ver­eh­rung des Gelieb­ten sie die han­deln­de Per­son und die Haupt­prot­ago­nis­tin ihrer Kunst.

Eine schick­sal­haf­te Begeg­nung: Als sich Die­ter und Doro­thy 1967 ken­nen ler­nen, genießt der 1930 in Han­no­ver gebo­re­ne und in Reykja­vik leben­de Sohn deutsch-Schwei­zer Eltern als Pro­du­zent von „Lite­ra­tur­würs­ten“ eine gewis­se Popu­la­ri­tät, wäh­rend die drei Jah­re jün­ge­re US-ame­ri­ka­ni­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin künst­le­risch noch ein unbe­schrie­be­nes Blatt ist. Er hat eine geschei­ter­te Ehe hin­ter sich, sie lebt mit ihrem Mann, dem Maler und Mathe­ma­ti­ker James Upham, in New York City, wo sie eine Gale­rie betrei­ben. Der Kon­zept­künst­ler Emmett Wil­liams will ein Buch über Die­ter Roth schrei­ben und lädt Doro­thy und James zu einer Fracht­schif­frei­se nach Reykja­vik ein. Als sie dort anka­men, „war Die­ter auf dem Pier und erwar­te­te uns. Er trug einen in Zei­tungs­pa­pier ver­pack­ten Fisch unter dem Arm und war ein über­aus gut aus­se­hen­der Mann, der auch nicht abge­neigt zu sein schien, mei­nem Zau­ber zu erlie­gen“, erin­nert sich Doro­thy Ian­no­ne. „James und ich sind fünf Tage in Reykja­vik geblie­ben, und in die­ser Zeit geschah etwas Enor­mes zwi­schen mir und Die­ter. Jeden Tag gestan­den wir uns mehr von unse­ren Gefüh­len für­ein­an­der ein, Die­ter woll­te mir immer näher kom­men, und mir wur­de all­mäh­lich bewusst, dass ich, viel­leicht zum ers­ten Mal in mei­nem Leben, der Lie­be begeg­net war.“

Sex ist jene süße Antriebs­kraft, die sie „außer­halb der Zeit“ zum Malen, Schrei­ben, Wer­keln, Sin­gen und Fil­men anregt. 

Doro­thy ver­lässt ihren Mann und stürzt sich in eine Amour fou, die sie zwar mit­tel­los, doch recht glück­lich macht, denn in Die­ter fin­det sie ihre Muse. Die sie­ben Jah­re wäh­ren­de Lie­bes­be­zie­hung, deren Lie­bes­tem­pel Miet­woh­nun­gen und Hotel­zim­mer in Reykja­vik, Basel, Düs­sel­dorf, Stutt­gart und Lon­don sind, prägt Doro­thy und ihre Kunst für immer: Auch nach der Tren­nung bleibt sie Die­ter bis zu sei­nem Lebens­en­de 1998 als Freun­din erhal­ten. „Sein Ban­ner war Wahr­heit. Gequält, ver­zückt, trun­ken und nüch­tern magne­ti­sier­te, inspi­rier­te und stärk­te er jeden, der sein Kraft­feld betrat. Der König ist tot, lang lebe sein Werk“, schreibt Doro­thy 2000 auf ihrem Bild „Miss My Muse“. Ihre nai­ve, far­ben­fro­he, orna­men­ta­le, indi­schen Tem­pel­fi­gu­ren nach­emp­fun­de­ne Kunst ist eine Art Kama­su­tra für den häus­li­chen Gebrauch, wo die Lie­be kei­ne Sün­de sein kann, denn die Lie­ben­den sind unschul­dig und rein. Von schö­nen Gegen­stän­den umge­ben, kul­ti­vie­ren sie ihre thea­tra­li­sche Har­mo­nie einer idea­li­sier­ten Beziehung.

Doro­thy Ian­no­ne, am 9. August 1933 in eine ita­lie­nisch­stäm­mi­gen Fami­lie in Bos­ton hin­ein­ge­bo­ren, setzt sich bereits Anfang der 1960er Jah­re erfolg­reich für die Auf­he­bung des Ver­bots der als Por­no­gra­fie ein­ge­stuf­ten Bücher von Hen­ri Mil­ler in den USA ein. Fast ein Jahr­zehnt vor der sexu­el­len Revo­lu­ti­on beginnt sie, ero­ti­sche Bil­der zu malen. Doch wäh­rend in ihrem Bekann­ten­kreis in New York City ihre Arbei­ten, dar­un­ter die Serie der mit Geni­ta­li­en reich geschmück­ten Holz­fi­gu­ren „Peo­p­le“ nie­man­den scho­ckie­ren, wer­den sie in Deutsch­land und der Schweiz als Por­no­gra­fie bewer­tet und bis in die 1990er Jah­re mit Aus­stel­lungs­ver­bot belegt, über­klebt oder aus Aus­stel­lun­gen in Gale­rien und Muse­en ent­fernt. Trotz der sexu­el­len Revo­lu­ti­on gilt ero­ti­sche Kunst als Män­ner­sa­che. Ein unver­hüll­ter weib­li­cher Blick auf die Ero­tik ruft Wäch­ter der öffent­li­chen Moral auf den Plan.

Als eigen­stän­di­ge künst­le­ri­sche Per­sön­lich­keit wird Doro­thy Ian­no­ne lan­ge Zeit nicht zur Kennt­nis genom­men. Obwohl sie seit Ende der 1970er Jah­re in Ber­lin lebt, muss sie 80 wer­den, um in den Genuss ihrer ers­ten Retro­spek­ti­ve zu kom­men. Unter dem Titel „This Sweet­ness Out­side Of Time“ zeigt die Ber­li­ni­sche Gale­rie 2014 die beein­dru­cken­de Schau der Künst­le­rin, deren OEu­vre von Anfang an durch Viel­sei­tig­keit und Mul­ti­me­dia­li­tät besticht. Sex ist jene süße Antriebs­kraft, die sie „außer­halb der Zeit“ zum Malen, Schrei­ben, Wer­keln, Sin­gen und Fil­men anregt.

Sie ver­bin­det Bil­der mit Wor­ten, ist Autorin von Kunst­bü­chern, Möbel­skulp­tu­ren und „Sin­ging Boxes“, aus denen ihre Gesän­ge und Rezi­ta­tio­nen strö­men, sie schafft Objek­te, in die sie selbst­ge­dreh­te Vide­os inte­griert. In „I Was Thin­king Of You“ (1975) ist das Gesicht einer Frau in allen Sta­di­en der sexu­el­len Erre­gung bis zum Orgas­mus zu sehen. Es ist das Ant­litz der Künst­le­rin, die sich dabei gefilmt hat, wie sie den Höhe­punkt erreicht. Doro­thy Ian­no­ne ist von Kopf bis Fuß auf Lie­be eige­stellt. Das ist ihre Welt. Und sonst gar nichts.

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geschrieben von

1954 in Warschau geboren, studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Bukarest und Warschau. Sie lebt seit 1986 in Deutschland, zuletzt in Berlin. Journalistin, Übersetzerin und Kuratorin, arbeitet als freie Kunstpublizistin mit polnischen und deutschsprachigen Medien zusammen.

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