Die USA verhängt ein Einreiseverbot wegen des Corona-Virus. Dänemark gibt eine Reisewarnung, insbesondere nach Tirol aus und setzt das Risiko, nach Tirol zu fahren mit der Gefährlichkeitsstufe von Wuhan gleich (Info: Morgenjournal Ö1, 12. März). Alles spricht dafür, dass es ab nächster Woche in Wien, Linz und Salzburg (also in unseren Großstädten) Ausgangssperren gibt, und nur mehr der Lebensmittelhandel und Apotheken offen halten dürfen (so wie in Italien) …. Man muss sich auf ein Ausreiseverbot aus seinem Biotop, aus den Sperrzonen dann auf eine bis zu drei Wochen bestehende Quarantäne einstellen. Die kommende Woche wird in dieser Hinsicht die schwierigste werden, hört man in den Medien, wegen des zu erwartenden Infektionsanstieges, wegen des Verdoppelungsintervalls, statistisch gesehen. Siehe den interessanten YouTube Beitrag https://youtu.be/BbRUc7cru4Y
Wir stehen vor der klassischen Situation einer absurden Herausforderung. Der Mensch, der eine Situation, die er nicht zu bewältigen vermag, die ihn aber selber „schafft“, steht vor einer nicht ungewöhnlich erscheinenden, aber absurden Wahl: zu handeln oder dem Ganzen NICHTS entgegenzusetzen. Im Moment, wo er beginnt, zu handeln, trifft er eine Entscheidung. In dieser Entscheidung legt er sich fest, und macht sich schuldig (ein klassisches existenzialistisches Paradigma nach Jean-Paul Sartre).
Als Schuldige, die wir uns genötigt sehen „etwas dagegen zu tun“ übernehmen wir Verantwortung. Verantwortlich zu sein, ist i.a. immer negativ konnotiert, nie positiv – denn wir entscheiden uns primär immer „gegen“ etwas, und nie dafür. Das ist eine der größten Paradoxien der Willensfreiheit. Und das ist auch ein dialektischer Prozess nach Hegel. Im Aufstand des Knechtes gegen den Herrn – sozusagen der Negation des Herrn durch den Knecht – begründet sich positiv gesehen für den Knecht überhaupt erst dessen Freiheit, resultierend aus der Negation der Freiheit des Herrn durch den Knecht, da sich (der Herr) zuvor dadurch legitimierte, das er diesen unterdrückte. Das heißt: diese Abhängigkeit ist eine wechselseitige und auch eine dynamische - wenn man so will: ein Kampf auf Leben und Tod, wo es am Ende nur einen Verlierer und einen Sieger geben kann.
Indem sich der Knecht gegen die Unterdrückung des Herrn auflehnt, legitimiert er zugleich seine Existenz als Individuum im Sinne einer für sich und gegen den Herrn sich entschieden habenden FREIHEIT.
Es ist also im Für-sich-sein immer schon ein Sein-gegen-andere(s) inkludiert. Zugleich ist es ein Akt der WAHL, der eigenen ENTSCHEIDUNG und seiner eigenen FREIHEIT. Die Freiheit in ihrer Grundintention setzt also die REVOLTE voraus. Das behauptet auch Camus. Und es ist immer eine Revolte gegen das ABSURDE.
Jetzt stehen wir im Falle der Epidemie in einer Situation vor bzw. in der absurden Wahl, in genau einer Situation, wo Handeln oder Nichthandeln im Grunde auf dasselbe hinausläuft. Wir wissen es im Vorhinein nicht, zu welchem Resultat es führen wird, weil wir die Konsequenzen noch nicht kennen, die es nach sich zieht und ziehen wird, in unserer Entscheidung.
Sich auf Entscheidungskriterien der klassischen Logik zu verlassen, nützt in dem Fall nichts. Denn man erfindet mit der sich täglich sich ändernden Situation zugleich stets die sich dynamisch ändernde Situation neu mit. Nach Schrödinger bestimmt bei dem Gedankenexperiment mit der Katze die Versuchsanordnung eines absurden Experiments den Ausgang, das Resultat selbst mit. Im klassischen Fall Schrödingers ist die Erkenntnis darüber ob die Katze in der Black Box nun tot oder lebendig ist, in genau diesem Moment, wo man darüber experimentell entscheiden hätte können oder können sollte, nicht zu lösen. Die beiden Zustände der Katze „lebendig“ oder „tot“ sind unentscheidbar, wenn ein Zufallsgenerator in der Blackbox, der die Katze zu jeder beliebigen Zeit töten KÖNNTE, diese nun auch irgendwann MÖGLICHERWEISE tut.
Um es auf Corona umzulegen: wir wissen, dass der Virus unter manchen Voraussetzungen tödlich verlaufen KANN, aber wir wissen es nicht mit 100%iger Gewissheit. Im Speziellen wissen wir nicht, WEN es treffen wird und WARUM. Sicher, man kann dagegen ankämpfen mit Vorsichtsmaßnahmen der Hygiene. Aber wir hoffen nur, dass es hilft und wirkt – wir wissen es nicht.
Nach Hanna Arendt ist der Mensch dazu prädestiniert, ein aktives, von Aktivität bestimmtes Leben zu führen, um sich vor sich selber zu legitimieren. Sie nennt diese Lebenshaltung, wie auch titelgebende für ihr vielbeachtetes Hauptwerk „Vita Activa“. Bereits hier wird aber eine exakte Unterscheidung zwischen einem Raum des Öffentlichen und einem Bereich des Privaten gezogen. Und sie führt einen eigenen Begriff für den Standpunkt des jeweiligen Individuums ein, den der Gebürtlichkeit, was zunächst eigenartig klingt, aber ein Übersetzungsversuch des Begriffs der von ihr eingeführten Natalität ist. Es scheint, als bringe die aktuelle Politik diese Begriffe völlig durcheinander, spiele sie gegeneinander aus, mische sich in alles hinein, was noch einen Funken von Eigenverantwortlichkeit beinhalten könnte. War es nach Arendt noch die Arbeit, die das Am-Leben-Bleiben des Individuums und dessen Fortbestand in der Gattung sicherte, als Gegenpart der Gefahr der Mortalität, so ist es nach heutiger Bevormundungsstrategie der Politik gerade das Nicht-mehr-arbeiten-Dürfen, was sich in Beurlaubung und Arbeitsfreistellung manifestiert (als Folge der medizinischen Empfehlung der Vermeidung von Sozialkontakten) welches nun unseren Fortbestand sichern soll.
Nun ist dies nur eine der Möglichkeiten auf ein Problem, das einen existenziell angeht, zu reagieren. Eine andere Möglichkeit wäre z.B. die der Kontemplation. Das versucht die Kirche seit nicht ganz zweitausend Jahren. Das Ergebnis davon kennen wir. Eine andere wäre die, wie es Dennise Diderot vorschlägt, in seinem Roman „Jaques, der Fatalist“ oder Camus im
„Mythos des Sisyphos“ das Absurde, das einem zufällt, trifft, als SEINE BESTIMMUNG hinzunehmen. Einer der bemerkenswertesten Sätze am Ende dieses philosophischen Werkes lautet: „Wir müssen uns Sisyphos als einen GLÜCKLICHEN MENSCHEN vorstellen“. Man kann sich fragen, warum?
Die Antwort ist: weil er begriffen hat, sich in sein Schicksal zu fügen.
Das, was im Moment in der Politik passiert, ist absurd. Eine absurde Maßnahme gegen ein absurdes Ereignis. Das geht schon rein mathematisch nicht zusammen. Denn addiert ergibt zweimal Minus kein Plus (vereinfacht ausgedrückt). In Wahrheit ist der Entscheidungsprozess, der hier abläuft, wesentlich komplexer. Wir können uns gewöhnlich leichter für etwas entscheiden, wenn die Wahlkriterien der Entscheidung im UNGLEICHGEWICHT sind. Das heißt, wir wägen etwas für gewöhnlich nach der Erfolgschance ab, eine für uns sinnvolle oder erstrebenswerte Lösung herbeizuführen. Sind die Erfolgschancen aber zu gleich verteilt, kommen wir wiederum leicht in die klassische Situation der Aporie Buridans und seines Beispiels des Esels, der zwischen zwei gleich großen Heuhaufen stehend verhungert, weil er sich nicht dafür entscheiden kann, von welchem er zuerst fressen soll.
Die Maßnahmen, die von der Regierung gesetzt werden, sind einerseits von ihrem Ansatz her schon zwangsläufig Fehlentscheidungen, denn man experimentiert damit ohne Experimentalvorgabe. Man weiß nicht, ob es durch diese drastischen Maßnahmen auch tatsächlich vorzeigbare Resultate geben wird. Aber man handelt aus vorausschauendem Gehorsam, um spätere Regressansprüche abzuwehren und um sich den Vorwurf zu ersparen, nicht oder zu spät gehandelt zu haben. Trump hat eben diesen Vorwurf gegenüber Europa in den Mund genommen.
Aber man bedenkt dabei nicht die Konsequenzen für die Wirtschaft, die unsere Lebensgrundlage ist. Die Börsenkurse stürzen ab ins Uferlose in Europa, während sich China, wo die Epidemie ihren Ausgang nahm, bereits wieder erholt. Wir hingegen verschärfen die Krise nur, indem wir Maßnahmen setzen, die vielleicht für Italien sinnvoll sind, mit einer weitaus größeren Bevölkerungspopulation als in Österreich und auch Dichte innerhalb der soziokulturellen Lebenswelt (übrigens ein schöner und viel zu wenig beachteter Begriff von Husserl) – und was in Italien etwas bringt muss noch lange nicht hier in Österreich etwas bringen, wie der Virologe Christoph Steininger in einem Presse-Interview vom 11. März darlegt. (Siehe auch https://tvthek.orf.at)
Was also tun? Es scheint, wir täten wie immer DAS FALSCHE. Warum? Weil wir in der Krise keine Chance sehen, die immer besteht, wenn es dabei auch ganz existentiell wird, wenn es um Auslöschung geht. Das ist aber ein altes darwinistisches Prinzip. Es ist das ganz natürliche Prinzip der Selektion. Nur die Stärksten, Gesündesten, die mit dem besten Immunsystem kommen durch! Der Rest bleibt auf der Stecke. Und es liegt an uns, rein philosophisch betrachtet, abzuwägen, was dabei das geringere Übel ist. Wir können nicht ALLE retten, die zugrunde gehen an der Pandemie. Aber wir können UNS RETTEN, indem wir die Krise als eine Chance sehen, unsere Lebenseinstellung unser Savoir-vivre überdenken. Wir müssen vielleicht nicht überall hinreisen, wohin uns Fluggesellschaften und Reiseveranstalter die Chance geben, Destinationen zu erreichen, die für unseren Erkenntnisgewinn unerheblich sind. Wir leben nicht mehr im Entdeckungszeitalter Humboldts! Es kann uns egal sein, ob wir dort gewesen sind oder nicht. Aber es darf uns nicht egal sein, und darin liegt auch unsere ethische Verantwortung gegenüber Mitmenschen, ob wir von irgendwoher Krankheiten reimportieren, die es bei uns zuvor nie gegeben hat!
Weiß man je, wohin man geht?
lautet einer der Eingangssätze aus Diderots.
„Jaques, der Fatalist und sein Herr“. Man könnte andererseits fragen: brauchen wir das überhaupt? Die Corona-Krise hat uns gelehrt, etwas mehr darüber nachzudenken, wohin unser Weg führt…
Dr. phil. Stefan Hammerl, Wien