Vom Comic in die Realität und zurück

Ein Besuch bei Rötger und Petra Feldmann

Ja, wenn hier einer Kult macht, ist es unse­rer Mei­nung nach sein krea­ti­ver Schöp­fer »Brö­sel«, des­sen bür­ger­li­cher Name Röt­ger Feld­mann lau­tet. Der Kose­na­me ist auf sei­ne Pas­si­on für Motor­rä­der zurück­zu­füh­ren. In jun­gen Jah­ren fuhr Röt­ger eine Horex, die bei Voll­gas der­ma­ßen vibrier­te, dass wäh­rend der Fahrt Tei­le abge­brö­selt sind – also nann­ten ihn alle »Brö­sel«. Wir tref­fen den Erfin­der­geist, der nicht müde wird, in Comic-Bän­den sei­nen Wer­ner fort­wäh­rend neu in Sze­ne zu set­zen, auf sei­nem Guts­hof in Nord­deutsch­land. Gemein­sam mit sei­ner Frau Petra arbei­tet Röt­ger hier für deren eige­nen Ver­lag Brö­se­li­ne (übri­gens tat­säch­lich die weib­li­che Form von Brö­sel) an Zeich­nun­gen, Comics, Kalen­der- und Buch­kon­zep­ten. Ende der 80er haben sich die bei­den im »Club 68« ken­nen­lernt, 1999 haben sie schließ­lich gehei­ra­tet und »Brö­se­li­ne« küm­mert sich bis­heu­te um die gesam­te Orga­ni­sa­ti­on rund um die Kunst ihres Gatten.

Gezeich­net wird nicht mehr so wie frü­her mit Stift und auf Papier, denn mitt­ler­wei­le nutzt Röt­ger die neu­es­ten Tech­no­lo­gien und skiz­ziert sei­ne Wer­ke in Fein­ar­beit mit­hil­fe einer klu­gen Soft­ware am Bild­schirm. »Ich kann mei­ne Ideen detail­lier­ter und sau­be­rer umset­zen als frü­her – die Tech­nik macht das mög­lich!«, erklärt Röt­ger wäh­rend er mit uns durch sei­ne digi­ta­len Ord­ner blät­tert und uns in sei­ne aktu­el­le Arbeit für den zwölf­ten Wer­ner-Band bli­cken lässt. »Mei­ne Comics waren in ihren Anfän­gen gar nicht druck­reif, die Lini­en waren näm­lich viel zu fein. Auch die ers­ten Farb­bü­cher waren über­sät­tigt, auf­grund der dunk­len Far­ben, die ich ver­wen­de­te. Das digi­ta­le Arbei­ten ist auf­wän­di­ger, dafür kann ich die Figu­ren viel grö­ßer zeich­nen und die Bil­der bes­ser kom­po­nie­ren.« In sei­ner zeich­ne­ri­schen Arbeit geht es schon lan­ge nicht mehr nur um die Figur »Wer­ner« oder den »Red Por­sche Kil­ler «. Röt­gers natür­li­ches Ver­ständ­nis für kunst­voll poe­ti­sches Schaf­fen umfasst viel mehr. Jedes Jahr erschei­nen zwei ver­schie­de­ne Kalen­der (Werk­statt­pla­ner und Pos­ter­ka­len­der). Auf deren ein­sei­ti­gen Bil­dern einen tref­fen­den Gag zu kre­ieren, der häu­fig im Kern sozi­al­kri­tisch oder phi­lo­so­phisch ist, ist mit viel Über­le­gung und Refle­xi­on ver­bun­den. »Das for­dert mich schon manch­mal mehr als ein Comic, denn da kann ich kei­ne Erzäh­lung auf­bau­en«, meint Rötger.

Sei­ne Kind­heit ver­brach­te er im Hotel der Groß­el­tern in Tra­ve­mün­de. Solan­ge er sich zurück­er­in­nern kann, haben ihn vor­bei­zie­hen­de Schif­fe am Meer und damp­fen­de Locks am Bahn­hof in den Bann gezo­gen. Er war fas­zi­niert von den Geräu­schen, die die­se Maschi­nen von sich gaben. Sein Vater sam­mel­te Modell­ei­sen­bah­nen und war bei der Was­ser­schutz­po­li­zei, wahr­schein­lich hat­te auch das den Sohn beein­flusst. Der Legen­de nach ist Röt­ger auf dem Poli­zei­boot »Fal­ke« gezeugt wor­den, erzählt er uns und lacht ver­schmitzt. »Mein Vater konn­te auch gut zeich­nen: Als wir nach Flens­burg in die Woh­nung zogen, hat er die Holz­ver­klei­dung des Heiz­kör­pers im Kin­der­zim­mer mit unter­schied­li­chen Figu­ren bemalt. Und auf sei­ne Minia­tur-Modell­ei­sen­bahn hat er mit Pin­sel und Far­be ‚Rau­cher‘ und ‚Nicht­rau­cher‘ hin­auf­ge­malt. Ganz win­zig klein. Das ist unglaub­lich, wie er das geschafft hat.« Sein gan­zes Leben für uns im Gespräch Revue pas­sie­ren zu las­sen, ist Röt­ger nicht unan­ge­nehm. Er erzählt von den Jah­ren, in denen er ein­fach nur sei­ne Frei­heit genoss und kei­nen Bock hat­te, zu arbei­ten. Von der Zeit, in der er mit sei­nem Bru­der lei­den­schaft­lich an den Motor­rä­dern und Maschi­nen schraub­te und im Grun­de vie­les von dem erfun­den wur­de, was spä­ter auch in den Wer­ner-Comics auf­taucht. »Wir kauf­ten alte Motor­rä­der, haben dran rum­ge­bas­telt und konn­ten damit durch Euro­pa hei­zen. Unter­wegs haben wir gezel­tet, in Bun­kern gehaust, Fische gefan­gen. Wir haben in den Dünen Feu­er gemacht, Schlag­zeu­ge aus Ton­nen und Kes­seln gebaut, einen Wagen aus Fäs­sern; das Mate­ri­al war alles zu fin­den. Das war toll. Das war eine pri­ma Zeit. Im Dünen­gras hast du gele­gen, im Radio lief der Pira­ten­sen­der – das war Frei­heit!«, erin­nert sich Röt­ger ger­ne zurück.

Röt­ger zeich­ne­te schon als Kind ger­ne, damals vor allem die Fisch­kut­ter und Schwe­den­fäh­ren, die er von der Hotel­ter­ras­se aus beob­ach­te­te und auch das Comic-For­mat begeis­ter­te ihn früh. Immer, wenn er Geld von Oma bekam, wur­de es in »Fix und Foxy« oder »Micky Maus« inves­tiert. Als Röt­gers Talent dann spä­ter ent­deckt wur­de, ver­öf­fent­lich­te er sei­ne Comics regel­mä­ßig im Sati­re-Maga­zin PARDON und im Stadt­ma­ga­zin STATION. Schließ­lich ent­stand dann Wer­ner, der einen gut­mü­ti­gen Anar­cho­ro­cker ver­kör­per­te, der sich nicht um gesell­schaft­li­che Regeln schert. Man wird das Gefühl nicht los, dass in Wer­ner auch viel Auto­bio­gra­fi­sches steckt oder zumin­dest die Sehn­sucht Röt­gers, so unab­hän­gig und frei han­deln zu kön­nen, wie sein Comic-Held es tut. »Teil­wei­se wur­de ich schon von die­sen eige­nen Erleb­nis­sen inspi­riert, habe ver­schie­de­nes mit­ein­an­der ver­knüpft und eine gute Geschich­te dar­aus gemacht.« Aber es lief auch anders­rum. Der Red Por­sche Kil­ler ist bei­spiels­wei­se zuerst im Comic ent­stan­den und wur­de dann erst in der Rea­li­tät gebaut. »Vom Comic in die Rea­li­tät und zurück. Wir woll­ten glaub­haft sein«, erklärt Röt­ger und Petra ergänzt: »Wir sind Idea­lis­ten und wir kön­nen nichts ande­res sein als authen­tisch. Das, was wir machen, geht nur, wenn man mit dem Her­zen dabei ist!«

Genau­so Kult wie Wer­ner und sein Bock, wur­den in den 80er Jah­ren auch die ver­rück­ten Fahr­zeu­ge und Tüf­te­lei­en, die in einer Co-Pro­duk­ti­on der Feld­mann­brü­der ent­stan­den. Im Schup­pen auf dem Hof gibt es noch eini­ge die­ser Rari­tä­ten in Muse­ums­qua­li­tät zu ent­de­cken. Als Wer­ner schließ­lich in den 90er Jah­ren als Film in die Kinos kam, war das höchs­te Maß an Popu­la­ri­tät erreicht. Pro­du­zent Bernd Eichin­ger hat­te dafür Zeich­ner aus aller Welt enga­giert und Röt­ger Feld­mann konn­te sei­nen Wer­ner end­lich drei­di­men­sio­nal und in Bewe­gung insze­nie­ren. Auch wenn er von den Real­film­tei­len im ers­ten Film bis heu­te nicht über­zeugt ist, so schwärmt er von die­ser groß­ar­ti­gen Zeit der Pro­duk­ti­on und ist dank­bar dafür. Und auch die Ren­nen sind Kult. Die letz­ten zwei Wer­ner-Ren­nen dreh­ten sich um »David gegen Goli­ath. Auto gegen Motor­rad. Ein Por­sche gegen eine selbst­ge­bau­te Maschi­ne, den Red Por­sche Kil­ler.« »Hol­gi« gegen »Brö­sel«. Hol­ger Hen­ze beschreibt die­se Erfah­rung im Buch »Wer­ner Das Ren­nen«, das eben­falls im Brö­se­li­ne Ver­lag erschie­nen ist, als eine end­lo­se Geschich­te: »Das Ren­nen ist für mich eine Art Dada-Ereig­nis – also ein Event, das wie die Kunst­rich­tung von einer Stim­mung lebt. Ein absur­des Erleb­nis, das aus einer kind­li­chen Spiel­sucht entsteht.«

Wir sehen zwar nicht dop­pelt, aber stau­nen beein­druckt, als die bei­den uns auf dem Gelän­de des Bau­ern­hofs her­um­füh­ren. Über­all kommt man auf natür­li­che Art und Wei­se mit der Kult­fi­gur Wer­ner und sei­nen Geschich­ten in Berüh­rung. Die gebas­tel­ten Maschi­nen sind alle pro­fes­sio­nell gela­gert und in einem Top-Zustand. Man spürt, wie sehr die­ser Ort mit dem Erfin­der­geist »Brö­sel« und sei­nem Wer­ner ver­bun­den ist. Als wir vor einem Schup­pen ste­hen, der einer unfer­ti­gen Bau­stel­le gleicht, wer­den die bei­den etwas weh­mü­tig: »Wir woll­ten aus dem Schup­pen eine Gale­rie bau­en und hat­ten schon alle För­de­run­gen bean­tragt. Doch durch Coro­na muss­te das Pro­jekt dann vor­erst auf Eis gelegt wer­den«, erklärt Petra. Mit der Gale­rie, für die im Ver­lag auch hoch­wer­ti­ge Kunst­edi­tio­nen der vor­han­de­nen Zeich­nun­gen ent­ste­hen soll­ten, hat­ten die bei­den beab­sich­tigt, den ers­ten Schritt in Rich­tung Wer­ner-Muse­um zu gehen. Das gan­ze Haus mit den umlie­gen­den Wirt­schafts­ge­bäu­den ist in der Tat sehens­wert und wäre prä­de­sti­niert dafür. »Das war immer unser Traum hier. Das kann ja nur ein Wer­ner Muse­um wer­den!«, sagen bei­de aus Über­zeu­gung. Wir wün­schen ihnen, dass sie ihre Visi­on in die Tat umset­zen kön­nen, denn die­ses Pro­jekt wür­de das »Kul­tur­gut Wer­ner« erneut vom Comic in die Rea­li­tät kata­pul­tie­ren und dadurch nächs­ten Gene­ra­tio­nen erhal­ten bleiben.

Der Arti­kel ist in der Print-Aus­ga­be 4.22 AFFINITY erschienen.

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