Ein Gespräch mit Billi Thanner
Billi Thanner arbeitet seit den frühen 1990er Jahren als bildende Künstlerin. Ihr Werk umfasst eine Reihe von Genres wie Malerei, Skulptur, skulpturale Intervention, Rauminstallation, Aktion und Performance. Kein Medium macht ihr Angst – im Gegenteil, sie probiert sich in ihrem Ausdruck gerne aus, tüftelt an der Umsetzung ihrer schier unmöglichen Visionen, so lange, bis es ihr gelingt. Ihren Arbeiten ist nur eines gemeinsam: die Beziehung zwischen Mensch, Natur, Kunst und Gesellschaft. Ihre Aktionen und Performances sind interdisziplinär angelegt. Thanner lädt dafür regelmäßig Persönlichkeiten aus Theater, Musik, Tanz, Mode und Design zur Teilnahme ein. Erst kürzlich inszenierte sie »Tischprotokolle« im DISTRICT4art am Wiedner Gürtel in Wien. Ein Zusammenkommen, wo jede:r seinen Platz findet und im Vertrauen darauf, dass alles gut geht, Interaktion entstehen lässt. Billi Thanner vertraut jeder und jedem, der mit ihr performt, das trägt wohl auch zu ihrem Erfolg bei.
Mit einer selbstbewussten, kraftvollen und impulsiven Bildsprache thematisiert sie das Ungleichgewicht zwischen sozialem, wirtschaftlichem und ökologischem Handeln: Oberflächlichkeit, übermäßiger Konsum und Wegwerfmentalität, Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und der Natur, Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung. Im Zentrum steht dabei immer der Mensch. Die Künstlerin ist den Menschen zugewandt, das spürt man schon beim ersten Kennenlernen.
Wir sitzen auf einer Dachterrasse in Wien bei wunderschönem Wetter und führen ein entspanntes Gespräch, in das wir unkonventionell, aber unheimlich vertraut, mit der Frage nach dem Wunsch für die Zukunft einsteigen und Billi Thanner antwortet schlagfertig: »Ich wünsche mir für uns Alle mehr Platz und Verständnis für Kunst. Weniger Vorurteile. Wenn Sie Künstler:innen fragen, warum sie Kunst machen, kommen vielleicht viele Aspekte auf den Tisch. Ich mache es aus Überzeugung, mit der Vision, dass unsere Welt damit etwas schöner wird.« Persönlich ist Thanner ein großer Fan des Wiener Aktionismus der 1962–1970er Jahre. »Hier spürt man, dass es einen Umbruch gab. Die Zeit verlangte nach Mut und einem Kollektiv«, stellt sie fest. Als die Künstlerin 1972 geboren wurde, war das alles schon vorbei. Zu diesem Zeitpunkt wurde gerade die Happening- und Fluxus-Kunst aufgriffen und auf provokante Weise umgesetzt. »Irgendwie wollte ich in die Zeit zurückreisen und dazugehören«, erklärt Billi Thanner und fährt fort: »Dass ich dann zeitgemäße Aktionistin wurde, erkannte 2005 ein Kunstkritiker in Salzburg und bezeichnete mich als ‚Zeitgemäße Aktionistin Neo Aktionstin‘. Ich würde fast alle meine Performances dem zeitgemäßen Aktionismus zuordnen, auch wenn ich mich der Schönheit verschrieben habe, dann meine ich damit, dass meine Performances schön verpackt sind.« Schön verpackt ist auf den Punkt gebracht, denn meistens ist Thanner in ihren Performances durchaus kritisch und direkt. Sie hält den Betrachter:innen den Spiegel vor und das kann nicht nur schön, sondern auch schmerzhaft sein. Für die Künstlerin spielt weniger das Medium als vielmehr der Inhalt die entscheidende Rolle. »Es ist immer der Inhalt, welcher meine Forschung und mein Schaffen zu Kunst, zur Performance, eben zum Kunstwerk macht«, unterstreicht Thanner. Wichtig für sie sei es, den Inhalt so nahe wie möglich an die Betrachter:innen heranzutragen und das bedinge Vielseitigkeit. Die umfangreichste Arbeit ist jeweils die Recherche – vor allem die Suche danach, ob es etwas schon einmal gab. »Ich mag keine Wiederholungen. Wenn ich keine Ruhe finde und es noch keiner aufgegriffen hat, vertiefe ich mich.«
Thanners Arbeit »no air no art« ist ein konkretes Beispiel dafür. 2014 sah sie eine Publikation über die Smog-Problematik auf arte – das Umweltthema war damals unter Kunstschaffenden noch nicht so präsent, wie es heute ist. »Das muss ich jetzt, machen dachte ich mir«, erzählt sie. »Luxusgut frische Alpen Luft – aber ich sagte, Luft kennt keine Grenzen. Ich baute Schutzmasken (die heute jeder kennt) für Bäume und zeigte diese im Museum of Contemporary Art in Peking.« Wie sie den Weg dorthin fand, würde den Rahmen unseres Gesprächs sprengen, aber kurz gesagt: »eine Idee bildet immer den Auslöser und den Rest entscheiden das Gewicht und die Wichtigkeit«, so Thanner.
Seit ihren Anfängen als Künstlerin hat sich Billi Thanners künstlerische Vision nicht verändert, aber die Technologie, die die Voraussetzungen für viele neue Möglichkeiten schafft. Und sie beschreibt sich heute als weniger schüchtern als damals. »Aber was die Emotionen betrifft, so bemerken wir, wie wenig oder kaum wir uns entwickeln und verändern: Wir lachen und weinen, seitdem es uns Menschen gibt. Vielleicht haben wir dank der Psychologie gelernt, die Emotion besser zu unterdrücken. Eine emotionale Entwicklung sehe ich aber nicht.« Auf Herausforderungen und Zweifel angesprochen, meint Billi Thanner offenherzig: »Natürlich! Beides! Herausforderungen gibt es immer. Ich denke da beispielweise an die Montage der Himmelsleiter am Südturm des Stephansdom. Auch Zweifel, wobei ich in den letzten Jahren aufgehört habe, Dinge zu tun, bei denen ich kein gutes Gefühl habe. Damit habe ich unnötige Zweifel verjagt.«
Thanners Himmelsleiter am Stephansdom in Wien zählt zweifelsfrei zu jenen Projekten, bei denen sie von Anfang an ein gutes Gefühl hatte und der Erfolg gibt ihr Recht. Derzeit läuft sogar eine Petition der Wiener:innen, um die Installation permanent am Dach zu erhalten. In einem Interview meinte die Künstlerin, dass die Himmelsleiter für sie zu einer Art Sinnesleiter wurde. Aber was genau ist eigentlich damit gemeint? »Auch ich darf frei interpretieren. Eine Sinnesleiter, in gewisser Weise ein Leben, das wir auf und ab erleben. Ich würde es bei einem Auf und Ab belassen«, führt Billi Thanner aus. Jede Sprosse steht für eine Tugend, insgesamt sind es 33 Sprossen. Eine einzelne Tugend alleine macht uns noch nicht zu einem besseren Menschen, aber mehrere gebündelt schon. »Respekt ist beispielsweise eine Tugend; Mut, Offenherzigkeit, Weltoffenheit, Herzlichkeit und vor allem Dankbarkeit. Wenn wir ganz oben auf der letzten Sprosse stehen, erkennen wir, dass wir uns erstens keine Sorgen hätten machen müssen und zweitens, dass wir gleich sind wie auf der untersten Sprosse.« Es kommt folglich nicht darauf an, wie wir leben, sondern auf welchem Niveau der Tugend wir uns befinden. Es ist eine Sinndichte der Lebendigkeit, über die wir nachdenken. Ganz oben zu stehen, versinnbildlicht nichts anderes als Situationen, die durch Präsenz des Sinns ausgezeichnet sind.
Diese Präsenz spürt man auch in den Performances der Künstlerin. »Meine letzte Performance war im Frühjahr dieses Jahres ‚Tischprotokolle‘ unter dem Thema ‚mein Raum‘ – wir spielten frei – improvisierten – meine einzige Vorgabe lautete: Freiheit im Geiste. Es kamen so viele Leute, damit rechnete keiner – ich entschied, noch ein zweites Mal zu performen…Spontan holte ich einen Zuschauer aus dem Publikum… er übernahm die Rolle eines Arztes… die perfekte Interaktion.« Vielfach geht es der Künstlerin auch um den Raum an sich, denn »ohne Raum keine Kunst«. Die Künstler, die mit Billie Thanner performen, beanspruchen diese Räume für sich und somit verselbstständigt sich eine Dynamik voller Emotionen und das geht auf das Publikum über. Anders kommt der Raum in Thanners Installationen zur Geltung. Ihre Arbeit mit dem Titel »Räume berühren« zeigt eine Neoninstallation in Blau, die andere Seite mittels Beamer eine Projektion der Farbe. Das Werk animiert auf einfache Art und Weise die Harmonie in der Welt und in der Natur, beschrieben in einem alchemistischen Buch von 1664. »Ich will und kann das Rad nicht neu erfinden, mir geht es auf der Suche nach positiver Empfindung um Ursprungs- und Entstehungszeit. Goethe fasste alles in einen Satz: Licht, Schatten und Farben! Da will ich hin.«
Farbenfroh ist unbestritten ihre »glücklichste« mit Leichtigkeit aufgeladene Serie: »Mein Garten«. Ein Werk daraus wurde heuer von Sammlerin und Unternehmerin Marion Faber-Oelschlägel für eine Edition in Zusammenarbeit mit der Parfümerie Nägele & Strubell ausgewählt. »Zu sehen, was die Liebe für Kunst alles bewegt, erfüllt mich sehr. Das schafft das Unternehmen Nägele & Strubell vorbildlich«, freut sich die Künstlerin.
Derzeit installiert Billi Thanner die Himmelsleiter in Münster an der Lamberti Kirche. Die Eröffnung ist am 03.09.2022. Eines ihrer noch offenen Projekte trägt den Titel »Farben sind Musik«. Die Idee entstand, als sie ein Interview von Nikola Tesla mit der New York Times hörte, wo er meinte: »Farben sind Musik«. Darüber dachte Thanner wochenlang nach und jetzt nimmt das Werk schon konkrete Formen an. Es geht um die Frequenzen der Farben, aber auch um die ursprüngliche Farbgewinnung aus der Natur. Auch wenn uns Billi Thanner an dieser Stelle noch nicht mehr verraten kann, so sind wir gewiss, dass es kraftvoll, impulsiv und aus Überzeugung entsteht.