Skulpturen von Anke Eilergerhard

Vom Verschmelzen der Gegensätze – Minimalismus im Kopfstand

ANKE EILERGERHARD ZAUBERT ÜBERFLUSS, SIE SCHWELGT, SIE EXALTIERT INS WUNDERBARE. IHRE SKUPTUREN BETRETEN DIE BÜHNE UND WIE AUF EINER BÜHNE SIND UNS DIE FIGUREN EIN GEGENÜBER, NAH UND FERN.

Sie machen das Sehen zu einem frei­en Spiel zen­tri­fu­ga­ler Kräf­te, das Vexie­rung und den andau­ern­den Aspekt­wech­sel zugleich betreibt und reflek­tiert, das sich der Bezau­be­rung öff­net, das alt­be­kann­te Din­ge neu auf­tre­ten lässt in luzi­der Trans­for­ma­ti­on, in unge­ahn­ter Kon­stel­la­ti­on. Die Sili­kon­schich­ten der Skulp­tu­ren tür­men sich zu einer wag­hal­si­gen Tor­te, zu einem toll­küh­nen, luxu­riö­sen Ensem­ble, zu einer geheim­nis­vol­len Sym­me­trie, die man nicht sofort erkennt. Die ris­kan­ten Balan­ce­ak­te schei­nen die Geset­ze der Sta­tik außer Kraft zu set­zen, sie brin­gen den Raum zum Tan­zen. Mit einem Gren­zen igno­rie­ren­den Enthu­si­as­mus, mit Inge­ni­um, Witz und Kon­zep­tua­lis­mus erkun­den die­se Figu­ren Flä­che und Raum, Regel und Zufall – und das Wider­spiel von Opu­lenz und Strenge.

Immer gibt es in Anke Eiler­ger­hards plas­ti­schem Werk Momen­te des Absur­den, Begeg­nun­gen des Uner­war­te­ten, des Tri­via­len mit dem Kost­ba­ren. Immer gibt es Wider­sin­nig­kei­ten in den Ver­rü­ckun­gen, in den Trans­plan­ta­tio­nen der Mate­ria­li­en. Lis­tig und sub­ver­siv sie­deln die Din­ge zwi­schen Cha­os und Ord­nung, zwi­schen Geo­me­trie und Orga­ni­schem, zwi­schen schil­lern­dem Glanz, far­bi­gem Mus­ter oder opa­ker Mono­chro­mie. Zugleich erspie­len die Skulp­tu­ren in ihrer Seria­li­tät, im repe­ti­ti­ven Ver­fah­ren der anein­an­der und über­ein­an­der gesetz­ten Sili­kon­häub­chen und/oder dem Ein­satz des Por­zel­lans immer wie­der neu die Fra­ge nach Dif­fe­renz und Wie­der­ho­lung, nach ihrer Ver­schie­bung, Ver­rü­ckung, Ver­klei­dung, die dann die Ord­nung der Reprä­sen­ta­ti­on und des gesun­den Men­schen­ver­stands unterlaufen.

Die her­kömm­li­chen Gegen­sät­ze von Skulp­tur und Far­be bil­den in Anke Eiler­ger­hards Werk vita­le Meta­mor­pho­sen von einem zum andern, fusio­nie­ren zu dyna­mi­schen Farb­wol­ken. Schon der Farb­klang der drei ANNAS (ANNASTASIA, ANNALOTTA, ANNABETH) die sich zur Grup­pe TIPPING POINT zusam­ment­an­zen, ein creme, ein rosé, ein tür­kis, erin­nert an abend­li­chen Wol­ken­flug, und wie die wun­der­ba­ren Wol­ken set­zen Anke Eiler­ger­hards Skulp­tu­ren wie im Para­dox Flüch­tig­keit, Ent­ste­hung und Auf­lö­sung in Sze­ne. Und wie beim Blick zum Him­mel wer­den wir mit einer mys­te­riö­sen Insta­bi­li­tät, mit der Auf­lö­sung von Ein­deu­tig­kei­ten kon­fron­tiert. In der nie zu Ende kom­men­den Betrach­tung der Figu­ren erfah­ren wir auch, dass der Blick nichts fixie­ren kann, sich dem tohu-bohu der Wirk­lich­keit über­las­sen muss, die sich in ihrer Viel­fäl­tig­keit, in ihrer Dis­pa­ri­tät weder zäh­men noch zu ein­sin­ni­ger Ord­nung bän­di­gen lässt.

Sou­ve­rän spielt die Künst­le­rin mit den Nuan­cen der iri­sie­ren­den Far­big­keit ihres Mate­ri­als, dem Por­zel­lan und der opa­ke­ren, aus Sili­kon auf­ge­spritz­ten Formen. 

Auch der Begriff Nuan­ce hängt ety­mo­lo­gisch mit nuage – Wol­ke zusam­men, die ja auch zu einer Meta­pher für die künst­le­ri­sche Ima­gi­na­ti­on wer­den konn­te. In den Skulp­tu­ren eben­so wie im Bild der Wol­ke, koin­zi­diert Gegen­sätz­li­ches, Mate­ri­el­les und Imma­te­ri­el­les, Struk­tur und Tran­si­to­ri­um – und auch die Far­be wird ein flui­des, vola­ti­les Medi­um. Die Skulp­tu­ren dra­ma­ti­sie­ren das Über­gän­gi­ge. Ganz frei ergibt sich in den bewe­gen­den und beweg­ten Figu­ren ein Ereig­nis der Wahr­neh­mung, das – immer wie­der neu – als Ähn­lich­keit im Unähn­li­chen ein­tritt, dass „des eig­nen Bil­dens Kraft“ in sicht­ba­ren For­men sich mani­fes­tie­ren lässt. Im Sicht­ba­ren zei­gen sich inten­si­ve Dif­fe­ren­zen, die Span­nun­gen, Tur­bu­len­zen, Schwin­gun­gen in Mate­ri­al und Far­be über­set­zen. Far­be und Form gehen dabei unauf­lös­lich inein­an­der über, ent­gren­zen ein­an­der. Und in die­sem unauf­lös­ba­ren Wech­sel­ver­hält­nis wird dann Bau­de­lai­res Vor­stel­lung von Far­be als einem „Uni­ver­sum aus gegen­sei­ti­ger Spie­ge­lung und Durch­drin­gung, in dem nichts iso­liert oder unbe­rührt bleibt“ noch ein­mal und ganz neu ins Werk gesetzt: „Die Far­ben sen­den ein­an­der Refle­xe zu, und indem sie ihr Aus­se­hen durch eine Lasur trans­pa­ren­ter und ent­lehn­ter Eigen­schaf­ten ver­än­dern, ver­viel­fäl­ti­gen sie ihre melo­diö­sen Ver­bin­dun­gen ins Unend­li­che und erleich­tern sie.“

In jeder Figur und in ihren traum­tän­ze­ri­schen Kon­stel­la­tio­nen erge­ben sich Schwin­gun­gen, Oszil­la­tio­nen zwi­schen Prä­zi­si­on und Unab­wäg­bar­keit. Wage­mu­tig und iro­nisch gehen die Skulp­tu­ren mit der Tra­di­ti­on – und damit mit Zeit und Ewig­keit – um: Die ver­schwen­de­ri­sche Fül­le des Barock, sei­ne eksta­ti­schen Insze­nie­run­gen, die baro­cke Fal­te wer­den Form und For­ma­ti­vi­tät, Reli­ef und Orna­ment. Anke Eiler­ger­hards Sili­kon-Fal­tun­gen, mit ihren Rüschen und Spit­zen set­zen ein Spiel mit Öff­nung und Fül­lung, mit Spie­ge­lung und Thea­tra­li­sie­rung, mit dem span­nen­den Wer­den und die Ver­span­nung die­ses Wer­dens mit dem Raum in Gang: Erfin­dun­gen des Barock , die Anke Eiler­ger­hard neu und unbe­fan­gen ein­setzt. Auch die gewun­de­ne, spi­ra­li­ge Figur, die figu­ra ser­pen­ti­na­ta, ein Topos des Manie­ris­mus, wird in den Skulp­tu­ren mit neu­er Ver­ve gegen­warts­taug­lich und eben­so die geschmei­di­ge, fle­xi­ble Figur der Rocail­le, die in einer Skulp­tur wie der wei­ßen, mit wage­mu­ti­gen Farb­kon­tras­ten akzen­tu­ier­ten LUCINDA neu inter­pre­tiert wird.

Immer sind in der Betrach­tung alle Sin­ne ein­ge­la­den zu einem Fest, gemein­sam for­men sie neue Bil­der, fügen den Gegen­stän­den etwas hin­zu, las­sen das sinn­lich-figu­ra­ti­ve Den­ken im Asso­zia­ti­ons­reich­tum der mate­ria­len Col­la­gen zur Schöp­fung wer­den. Die Objek­te las­sen unkon­ven­tio­nell und mit gelin­dem Schock eigent­lich unver­ein­ba­re Voka­bu­la­re sich begeg­nen, sich stei­gern, wech­sel­sei­tig kom­men­tie­ren und han­deln so – auch – vom Ver­schmel­zen der Gegen­sät­ze: Ein Mini­ma­lis­mus im Kopf­stand, als Pur­zel­baum: Die Plas­ti­ken sind Kipp­fi­gu­ren, Insze­nie­run­gen des Spiels und Wider­spiels zwi­schen Seria­li­tät und Dif­fe­renz. Kon­zep­tio­nel­le Stren­ge und Kitsch als Par­odie der for­dern­den Kathar­sis tan­zen in den gro­ßen Figu­ren leicht­fü­ßig inein­an­der, nichts ist rigi­de oder impe­ra­tiv. Und gera­de dadurch bie­ten die­se erstaun­li­chen Plas­ti­ken in ihrem Zusam­men­fall von Evi­denz und Ener­gie tau­send und einen Anlass an ihnen ent­lang zu sehen, neu zu sehen und ihre Wun­der fort­zu­spin­nen, sich ein­zu­las­sen auf ihre Einfälle.

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Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Philosophie in Tübingen und Marburg. 1977 Forschungsaufenthalt am Warburg-Institut in London, 1980 Promotion. 1980–83 Wissenschaftliche Assistentin an der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, 1983 Direktorin der Gesellschaft für Aktuelle Kunst in Bremen, 1983–90 Stellvertretende Direktorin am Ulmer Museum. 1990–2007 Gastprofessorin für Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte an Universitäten in Asunción, Paraguay, Montevideo, Uruguay, Tallinn, Estland, Skopje, Mazedonien, Belgrad, Serbien. Seit 2007 in Berlin, Lehrtätigkeit an der Universität zu Köln, an der Hochschule der Künste Dresden und an der Hochschule für Kunst und Design Halle. Seit 2010 Produktions-Dramaturgin am Vorarlberger Landestheater in Bregenz. Zahlreiche Publikationen zur zeitgenössischen Kunst.

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