Künstliche Intelligenz, Roboter, Zeitobjekt

Science Art von Olaf Schirm aka Symboter

Eine Künst­li­che Intel­li­genz, die eine Maschi­ne beim Wür­feln von Far­ben und glei­ten­den Mus­tern beob­ach­tet, eine Erwar­tungs­hal­tung auf­baut und wenn die­se ent­täuscht wird, zu Über­sprung­hand­lun­gen neigt („DeepT­hought“). Ein Robo­ter, der vor Angst zit­tert („Fear­Bot“). Ein Zeit-Objekt, bei dem die drei Zei­ger ein­zeln zer­legt sind und uns auf­for­dern, sie gedank­lich wie­der über­ein­an­der zu legen, wenn wir die Uhr­zeit able­sen wol­len („Time divi­ded by three“). Bemer­kens­wer­te Din­ge wie die­se begeg­nen uns hier…

Olaf Schirm ist Wis­sen­schafts­künst­ler: Er fin­det wis­sen­schaft­li­che Phä­no­me­ne und trans­for­miert sie in Fre­quenz-Objek­te und ‑Instal­la­tio­nen, um uns wie­der­um das Mensch­sein näher zu brin­gen. Wie vie­le unschar­fe Momen­te beglei­ten unse­ren Tag, unser Leben? Was bedeu­tet sub­jek­ti­ve Zeit – und sind Raum und Zeit wirk­lich unteil­bar? Wie funk­tio­nie­ren Licht und Schall, Erin­ne­rung und das Füh­len? Kön­nen wir ‚Bewusst­sein‘ über­haupt erklä­ren? Und wie ste­hen wir der Künst­li­chen Intel­li­genz gegenüber?

Ich füh­re eine Lis­te von mensch­li­chen Eigen­schaf­ten oder wie selbst­ver­ständ­lich anmu­ten­de Gewohn­hei­ten, die uns von der Maschi­ne unter­schei­den – eine davon ist die Pau­se. Wäh­rend wir Pau­sen nut­zen, um Situa­tio­nen zu reflek­tie­ren und uns zu erho­len, ken­nen Maschi­nen das nicht.“, sagt der Mann, der meh­re­re ver­schie­de­ne Pro­gram­mier­spra­chen beherrscht und es doch immer wie­der schafft, unglaub­lich kom­ple­xe Pro­zes­se in Kunst­wer­ken so zu gestal­ten, dass wir sie ver­ste­hen, ohne zuvor zwan­zig Bücher lesen zu müs­sen. Ver­trau­te mensch­li­che Funk­ti­ons­wei­sen macht er fühl­bar und ver­mit­telt zugleich die fas­zi­nie­ren­den Uni­ver­sen von Phy­sik, Che­mie und Bio­lo­gie. Schirms „Quan­tom“ quan­telt Laser­licht: Es zer­legt eine Anord­nung von fünf Laser­li­ni­en über ein kine­ti­sches Spie­gel­ob­jekt und lässt auf einer Lein­wand eine Form­skulp­tur sicht­bar wer­den, die sich ste­tig ver­än­dert. Die schein­bar nach unten und oben trop­fen­de Pro­jek­ti­on ver­deut­licht uns das Ent­ste­hen und Zer­fal­len von For­men. Das Resul­tat scheint sich der New­ton­schen Phy­sik zu ent­zie­hen. Das kom­men­de Bild kön­nen wir schwer­lich vor­her­sa­gen, wir müs­sen mit der Unge­wiss­heit und Poten­zia­li­tät leben.

Auch beim kine­ti­schen Sprüh­ob­jekt „fadeR“ ver­schwimmt im Wahr­neh­mungs­pro­zess die Gren­ze zwi­schen Gese­he­nem und Erin­ner­tem. Hier wird vom Betrach­ter über einen Sen­sor ein Sprüh­stoß aus­ge­löst, der auf einer Spe­zi­al­lein­wand ein schwar­zes Sprüh- und Tropf­bild erzeugt. Die­ses Bild wird inner­halb weni­ger Minu­ten unschär­fer, hel­ler, bis es ganz ver­schwin­det. Unmit­tel­bar fra­ge ich mich: „Sehe ich das Schwin­den­de wirk­lich noch oder pro­ji­ziert bereits mei­ne Erin­ne­rung?“ Das erzeug­te Bild ist so jeden­falls ein­ma­lig und immer wie­der ein Ver­lust. Das „Pho­tom“ hin­ge­gen spielt mit der Tat­sa­che, dass wei­ßes Licht strahlt. Das Objekt ist ein unste­tig rotie­ren­der Mosa­ik­spie­gel, des­sen Ober­flä­che mit einer wei­ßen Licht­quel­le (Pho­to­nen) ange­strahlt wird und mit Farb­fil­ter­fo­li­en ver­se­hen wird, um unre­gel­mä­ßig wan­dern­de Refle­xio­nen an der Raum­de­cke zu erzeu­gen. Unter Bezug­nah­me auf die quan­ten­me­cha­ni­sche Nicht­lo­ka­li­tät wird das „Pho­tom“ zur zeit­ge­nös­si­schen Hom­mage an ZERO-Künst­ler Otto Heinz Mack.

Mei­nes Erach­tens ver­mit­teln sowohl Mack als auch Schirm durch ihre tech­ni­schen Kon­struk­te einer­seits, was über­haupt mög­lich ist (Fer­tig­keit des Kön­nens). Und ande­rer­seits übt uns ihre künst­le­ri­sche Arbeit mit den kine­ti­schen oder nun KI-pro­gram­mier­ten Resul­ta­ten ein­ge­hen­der im Umgang mit dem The­ma „Mensch und Maschi­ne“ − und der dar­aus ent­ste­hen­den Selbst­re­flek­ti­on über das „Mensch­li­che“.

Male­rei bil­det im Gegen­satz dazu etwas ab und wirkt alle­go­risch im Kopf des Betrach­ters, bewerk­stel­ligt aber allein nicht solch kom­ple­xe Pro­zes­se: Eine tech­ni­sche Kon­struk­ti­on muss in zwei­di­men­sio­na­len Kunst­wer­ken nicht zwangs­läu­fig funktionieren.

Erin­nern wir uns, dass Aris­to­te­les das grie­chi­sche „téch­ne“, das dann ins Latei­ni­sche mit „Ars“ über­setzt wur­de, beschrieb als: „etwas, das nicht von der Natur her­vor­ge­bracht wur­de“. Ohne hier in die Tie­fe zu gehen, hal­te ich ger­ne dage­gen, dass doch all dies dem Men­schen ent­springt. Noch!… Zum The­ma Künst­li­che Intel­li­genz (KI) ver­weist Olaf Schirm auf ihre Poten­tia­le wie auch Gefah­ren. Die KI trifft Ent­schei­dun­gen auf­grund erlern­ten Wis­sens. Wenn eine Annah­me falsch abge­spei­chert wur­de, führt das zu fata­len Fehlern.

Ähn­lich wie bei „DeepT­hought“ hat der Künst­ler im Licht­ki­ne­tik-Objekt „Xpect“ zwei Com­pu­ter ein­ge­baut. Das Leben des einen Rech­ners wird uns hier durch die lumi­no­ki­ne­ti­sche Skulp­tur visua­li­siert: Dahin­ter steckt eine eigens pro­gram­mier­te, unend­li­che Viel­zahl an Kom­po­si­tio­nen (Farb­wahl des Lichts, Mus­ters und der Geschwin­dig­keit). Der inter­ne Wech­sel ist unvor­her­sag­bar. Dass dies über­haupt ‚beob­ach­tet‘ wird, weiß der dafür zustän­di­ge Com­pu­ter nicht. Der zwei­te Com­pu­ter trägt eine Künst­li­che Intel­li­genz. Die­se KI anti­zi­piert das nächs­te Ereig­nis. „Wird die Erwar­tung erfüllt, kommt es bei ihr zum künst­li­chen Glücks­ge­fühl. Im Sockel befin­det sich das Stim­mungs­ba­ro­me­ter der KI, eine LED, durch die wir die­se Gefüh­le mit­er­le­ben. Erfüllt sich die gewünsch­te Vor­her­sa­ge mehr­mals nicht, baut sich die Frus­tra­ti­on in der KI auf, bis sie letzt­lich aus­ras­tet, dem ers­ten Com­pu­ter ins Spiel funkt und sein Mus­ter zerstört.“

Über­tra­gen wir die­se Ent­la­dung (Inter­rup­ti­on) in unse­re mensch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on fal­len uns Situa­tio­nen ein, in denen das, was der eine erwar­tet – Eng­lisch: „(e)xpect“, der ande­re nicht erfüllt. Aus rei­ner Unwis­sen­heit. Wis­sen­schafts­künst­ler sehen sich als Mitt­ler zwi­schen den sonst rela­tiv getrenn­ten Wel­ten, sie wol­len der Wis­sen­schaft etwas zurück­ge­ben und durch ihre Fra­gen neue For­schungs­fel­der eröff­nen. „Die Welt ist nicht nur Schwarz oder Weiß, alles hat direk­te Aus­wir­kun­gen auf alles – neh­men wir unser Kauf­ver­hal­ten und das Öko­sys­tem. Da alles mit­ein­an­der ver­wo­ben ist, müs­sen wir das Gro­ße sehen, die Dia­lek­tik von Innen und Außen – und ja: Lösun­gen sind nicht mehr ein­fach. Erst indem wir unse­re Ent­schei­dun­gen ver­ant­wor­tungs­be­wusst steu­ern, kom­men wir hof­fent­lich in ein pro-akti­ves Han­deln, statt immer nur in der Über­for­de­rung zu reagie­ren.“ Kunst kann sol­che Sze­na­ri­en erleb­bar machen. Mit sei­ner Arbeit möch­te Olaf Schirm zur Aus­ein­an­der­set­zung ein­la­den. Das ist die poli­ti­sche Dimen­si­on von Kunst: Die unsicht­ba­ren Pro­zes­se hin­ter unse­rem Dasein sicht­bar zu machen und Mög­lich­kei­ten für Indi­vi­dual­erleb­nis­se zu schaf­fen, wird zu Ver­än­de­run­gen der Wahr­neh­mung und geleb­ten Rea­li­tät führen.

Doch wann ist nun ein Werk „nur“ eine moder­ne Klang­skulp­tur und wann Wis­sen­schafts­kunst? Zum fas­zi­nie­ren­den wis­sen­schaft­li­chen Effekt und der tech­ni­schen Expe­ri­men­tal­pha­se kommt die Ästhe­tik hin­zu: Um es als Kunst­werk zu rea­li­sie­ren, benö­tigt es auch eine künst­le­ri­sche Span­nung und Aus­sa­ge. „Beim Expe­ri­men­tie­ren mit Licht und Mate­ria­li­en fällt mir bei­spiels­wei­se auf, dass sich das Licht unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen ästhe­tisch inter­es­sant ver­hält. Ein ande­res Expe­ri­ment von mir macht Quan­ten hör­bar – bei­des ist als sol­ches fan­tas­tisch, aber noch kein Kunstwerk.“

Hier wird also eine Appa­ra­tur zur Lein­wand. Durch die Ver­wen­dung von moder­ne­ren, kom­ple­xe­ren Mit­teln ist es heu­te schwie­ri­ger, die ästhe­ti­sche oder künst­le­ri­sche Aus­sa­ge zu beur­tei­len. Die Objek­te sind auto­ma­tisch skulp­tu­ral. Dies ist werk­im­ma­nent und soll­te nicht ver­blen­den. Wir haben noch kei­ne prä­zi­sen Beschrei­bun­gen für die moder­nen Kunst­for­men wie media­le Kunst, zeit­ba­sier­te, eph­eme­re oder immersi­ve Kunst, digi­tal Art, Instal­la­tio­nen usw., deren Ein­ord­nung zuwei­len unscharf und miss­ver­ständ­lich ist.

Das gilt auch für Sci­ence Art. Hier sind kei­ne hübsch auf­be­rei­te­ten Labor­uten­si­li­en gemeint, son­dern der Künst­ler bedient sich meist tech­ni­scher Hilfs­mit­tel, um sei­ne künst­le­ri­sche Idee aus­zu­drü­cken. Wis­sen­schaft­li­che Inhal­te, die mit tra­di­tio­nel­len Mit­teln dar­ge­stellt wer­den, sind jedoch den bereits bekann­ten Kunst­for­men zuzu­ord­nen. Es geht also um das Mate­ri­al: Was für den Maler Far­be und Pin­sel sind, ist für den Wis­sen­schafts­künst­ler die tech­ni­sche Appa­ra­tur, die er baut oder der Wis­sen­schaft ent­nimmt. Was der Maler mit sei­nen Mit­teln auf die Lein­wand bringt, erzeugt der Wis­sen­schafts­künst­ler mit sei­ner Instal­la­ti­on. „Das kön­nen Licht, Klang, Nebel, Bak­te­ri­en­spu­ren und vie­les mehr sein. Ein Bei­spiel sind Orgel­pfei­fen, die mit einer Beatmungs­ma­schi­ne bespielt wer­den. Die maschi­nell gleich­mä­ßig atmen­den, sono­ren Pfeif­tö­ne bei „AD. LIB.“ von Miche­le Spang­he­ro erzeu­gen eine beklem­men­de, immersi­ve Klang­skulp­tur. Wäre die Bespie­lung nur durch einen Druck­luft­kom­pres­sor erfolgt und die Aus­sa­ge auch nicht wis­sen­schafts­ori­en­tiert, son­dern z.B. nar­ra­tiv-per­sön­lich, dann wäre es eine moder­ne Klang­skulp­tur, aber kei­ne Wissenschaftskunst.“

Olaf Schirms eige­ne, mehr als 40-jäh­ri­ge Beschäf­ti­gung mit elek­tro­ni­scher und Avant­gar­de­mu­sik mün­det im Aus­lo­ten des Unschär­fe­be­rei­ches Wel­len­berg und Wel­len­tal, zwi­schen Klang und Nicht­klang. Sound­skulp­tu­ren und raum­er­zeu­gen­de Klang­er­leb­nis­se fas­zi­nie­ren ihn. Der evo­ka­to­ri­sche Fun­ken kann für den Zuhö­rer aus dem Gewoll­ten, dem Unge­woll­ten und aus der Kom­bi­na­ti­on bei­der Ele­men­te ent­ste­hen. In die­sem Jahr wur­den sei­ne musi­ka­li­schen Wer­ke unter sei­nem Musi­kerpseud­onym „Sym­bo­ter“ von einem fran­zö­si­schen Label welt­weit ver­öf­fent­licht. Um die Ver­gan­gen­heit, die − von Schirm ent­haup­te­te − Gegen­wart und die Zukunft par­ti­zi­pa­tiv zu leben, ist die Arbeit „The Now Remains“ ent­stan­den, eine Hand­lungs­an­wei­sung, die Sie unbe­dingt auf www.symboter.com/sonstige/remains/ nach­le­sen sollten!

Ich bedan­ke mich beim Künst­ler für unse­re Gesprä­che (alle Zita­te v. Olaf Schirm). Die­se neue Kunst­form kann uns den Anstoß geben, aus einem fri­schen Blick­win­kel auf das Wech­sel­spiel von Kunst, Tech­nik und Mensch, von Medi­um und Inhalt, von Blen­dung und Deu­tung zu schau­en und neue Per­spek­ti­ven zu gewinnen.

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lebt in Berlin und ist als Sammlungsexpertin, Kritikerin, Autorin und Moderatorin tätig. Ihr Fokus liegt auf dem von ihr gegründeten Collectors Club Berlin – und damit der Pflege von Sammlungen und deren Sichtbarwerdung. In den Ausstellungen der Kunstgesellschaft und den kreativen Projekten des Netzwerks soll Kunst unabhängig vom ‚Kapitalmarkt‘ gezeigt werden. Junge Kunstströmungen verbinden sich hier mit Positionen aus künstlerischen Nachlässen und – unveräußerbaren – Werken in Sammlungen.

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