Jonas Burgert
Ein Kuriositätenkabinett, eine Bibliothek, ein Kickertisch, ein Kamin, ein Pool und ein eigener Koch – das alles findet man in Jonas Burgerts Atelierkomplex. Der erfolgreiche Berliner Künstler (Jahrgang 1969) hat sich sein eigenes Reich in Weißensee geschaffen, das er auch mit anderen Künstler*innen teilt. So ist aus dem Gelände einer alten Fabrikhalle eine Art Kommune geworden, in der Künstler* innen arbeiten und sich zum gemeinsamen Essen und Austausch treffen.
Vor seinem großen Erfolg richtete der recht mittellose Künstler sein Atelier oft in maroden Fabriken ein und wurde immer wieder von Investoren vertrieben, die das Gebäude zu einer teuren Immobilie umbauen wollten. Als vor etwa zehn Jahren endlich der erste große Geldsegen mit dem Verkauf seiner Werke kam, nahm Burgert die Sache selbst in die Hand und machte es den Investoren seinerzeit gleich. Er kaufte eine alte Fabrikhalle und wurde Bauherr seines eigenen erträumten großräumigen Ateliers. Viel Arbeit, Geduld und Geld steckt in diesem ambitionierten Projekt, denn fast alles musste renoviert werden. Jahrelang war das Gelände leergestanden und so Vandalismus und dem Verfall zum Opfer gefallen. Neben dem modernen Industrieflair, das die Räume heute ausstrahlen, hat Burgert einen Bereich des Gebäudes nicht verändert: Diese Wände sind voll mit Graffiti und stehen für den typischen (Ost)Berliner Flair. Es ist, als wollte er das Stück Geschichte, das der Raum in sich trägt, nicht zerstören. Dieser unberührte Teil urbaner Subkultur verbindet sich in seinem Atelier perfekt mit der intellektuellen Hochkultur.
Denn wer das Atelier betritt, befindet sich nicht nur in einer Arbeitsstätte, sondern auch in einem Art Wohnzimmer des Künstlers. Eine alte Sofagarnitur und kuriose Sammlergegenstände dominieren den Eingangsraum. Dabei fallen die vollgepackten Bücherregale auf, die sich neben kunsthistorischen Inhalten, vor allem mit indischer und afrikanischer Kultur beschäftigen. Burgert ist fasziniert von fernen, exotischen Ritualen zur Selbstfindung und Selbstdefinition. Ein scheinbar unendlicher Prozess, denn über Jahrtausende suchen Menschen nach Orten und Wegen, die uns die Welt erklären und uns die Wahrheit über uns selbst näherbringen.
Menschen sind fähig, selbst eine Ecke mit Dreck heiligzusprechen und diesem Ort eine besondere Wirkung zuzuschreiben.
Es entstehen aber auch viel Dreck und Abfall während diesem langwierigen Entwicklungsprozess und der nicht enden wollenden Suche nach einem höheren Sinn. Burgert malt genau das Schlachtfeld, auf dem sich dieser Kräfte zehrende, psychologische Kampf abspielt. So abstrakt wie diese Beschreibung klingt, so deutlich und konkret wird sie in den Elementen in seinen Bildern. Es geht aber nicht um das Verstehen jeder einzelnen Darstellung, sondern um die Atmosphäre und die Stimmung, die durch das Gesamte erzeugt werden. Auf den monumentalen Leinwänden breiten sich turbulente Geschehnisse aus, in die Menschen, Tiere, Pflanzen und bizarre Gegenstände verwoben sind. Diese sind teils extrem detailreich und präzise ausgearbeitet, stellenweise bleiben sie aber auch abstrakt. Sie faszinieren und berühren uns und verleihen wie Versatzstücke unzusammenhängender Traumsequenzen den Gemälden etwas Surreales. Doch Burgert möchte nicht das absolut Absurde aufzeigen, vielmehr das, was gerade noch realistisch ist. Zwischen Albtraum und Realität bewegen sich die unruhigen Szenarien, die den Betrachter oft durch eine bestimmte Figur mit direktem Blickkontakt in das Bild hineinziehen.
Die Kulissen für das Geschehen im Bild sind oft ruinöse urbane Landschaften, Interieurs oder architektonische Zusammensetzungen. Der Schaffensprozess seiner großformatigen Bilder geht häufig vom Ort aus, inspiriert von realer Architektur. Ist das Grundgerüst entstanden, platziert er seine Figuren, die sich ineinander verschlingen oder in starrer Pose verharren, dort hinein. Vorskizzen benötigt Burgert in der Regel nicht, denn seine Sujets entfalten sich direkt auf der Leinwand und werden durch Farb- und Formexperimente verbunden. Die Kulissen lösen sich partiell in Farb- und Fleckenmuster auf oder bilden stellenweise eine ornamentale Fläche. Einerseits von höchster altmeisterlicher Malweise gezeichnet, verschwimmen Teile der Bilder auch unmittelbar in der Abstraktion. Eine sehr mutige und oft auch spontane Herangehensweise, die sich durch seine Bilder zieht und immer wieder überrascht. Auch Burgert selbst kann die Entwicklung eines Bildes nicht voraussehen. „Ich habe noch nie ein Bild gemalt, das so ausgesehen hat, wie ich es mir vorgestellt habe“, gesteht er. Alles ist im Wandel, nichts ist vorhersehbar. Es passiert häufig, dass Bildelemente unter einer neuen Idee komplett verschwinden oder Farbe großflächig wieder abgetragen wird. Wenn man auf der Suche nach dem Dazwischen von Klarheit und Unklarheit ist, wenn Surrealismus und Realismus ineinandergreifen, ist es eine feine Linie, die beide Seiten abgrenzt. Genau nach dieser Linie sucht Burgert. Das bedeutet oft eine lange Auseinandersetzung mit dem Bild, das viele Stadien und Experimente durchlaufen muss.
Doch das heißt nicht unbedingt, dass seine Porträts im viel kleineren Format schneller fertiggestellt sind. Mit Präzision und einem ausgeprägten malerischen Gespür strebt Burgert die schmale Gratwanderung zwischen Stärke und Empfindlichkeit hier ganz besonders an, die mit einer häufig noch akribischeren, langwierigen Malweise einhergeht. Ein kleiner Pinselstrich in die falsche Richtung kann bereits eine ganz andere Emotion ausdrücken. Dabei soll es nicht um die Darstellung einer konkreten und sofort einleuchtenden Gefühlslage gehen, sondern um eine subtile Ahnung eines Seelenzustands, die hinterfragt werden kann. Burgert möchte kein reales Individuum abbilden, stattdessen aber eine Person, mit der sich möglichst viele Menschen identifizieren können. Das ist auch etwas, das er gerne als Dozent der Akademie für Malerei Berlin an seine Studierenden weitergibt: „Wenn du deine eigene Großmutter malst, berührt es allein dich persönlich, wenn du aber irgendeine Großmutter malst, kann es jeden berühren.“
Neben der Malerei widmet sich Jonas Burgert auch raumgreifenden Skulpturen, vornehmlich aus Bronze. Er schafft überlebensgroße Frauenskulpturen, die scheinbar im Begriff sind zu zerfallen, und offenbart so die Zerbrechlichkeit ihres Ausgangsmaterials – des Tons. Sie sind schön, anmutig und strahlen eine friedliche Ruhe aus – für ihn der Inbegriff einer poetischen und starken Weiblichkeit. Ganz anders dagegen seine männlichen Figuren: Mit Glatze, überlängten Körperteilen und einer geschwächten Körperhaltung sind sie gezeichnet von Destruktion. Damit scheinen sie geradewegs so den apokalyptischen Szenen seiner überdimensionalen Bilder entsprungen zu sein.
In einem gesonderten Bereich seines Ateliers wimmelt es von Zeitschriftenschnipseln und anderen gesammelten Bildzeugnissen, die vor allem Physiognomien und Körperhaltungen von Menschen abbilden. Eine Inspirationsquelle für die Forschung der Wahrnehmung und Darstellung seiner Figuren. Jonas Burgerts Skulpturen sind in Bronze gegossen und anschließend mit Ölfarbe bemalt. So bleibt er auch als Bildhauer seiner individuellen Handschrift als Maler treu und kreiert einen konsequenten, homogenen Stil durch die verschiedenen Medien hindurch.
Sechs dieser Skulpturen, mehrere Porträts und sieben wandfüllende Arbeiten des Künstlers sind noch bis 13. September im Arp Museum Bahnhof Rolandseck zu sehen. Diese sieben akribisch angefertigten monumentalen Arbeiten hat Jonas Burgert speziell für das Museum geschaffen. Die Werke des Shooting-Malerstars verkaufen sich gut und sind schnell vom Markt. Aus diesem Grund war es für Burgert eine willkommene Motivation, ein komplett neues Repertoire von großformatigen Werken zu kreieren.
Sie passen perfekt in die lichtdurchflutete Architektur des weißen Richard-Meier-Baus, die den Werken den idealen Raum zur Entfaltung ihrer Wirkung gibt. Die Kuratorin Jutta Mattern entdeckte den Ausnahmekünstler bei ihrer Recherche zur einer Ausstellung, die sich mit b ü h n e n h a f t e n Bildinszenierungen beschäftigt. Doch eine neue Verbindung hat sich für das Themenjahr 2020 „Total surreal“ ergeben. Ganz unverkennbar verbinden sich Jonas Burgerts faszinierende Gemälde mit den ein Stockwerk höher präsentierten Meisterwerken von Salvador Dalí. Beide Künstler einigt die malerische Meisterschaft, akribisch ausgearbeitete Details und ein kaum zu übertreffender Perfektionismus.
Die Ausstellung „Jonas Burgert. Sinn frisst“ ist bis 13. September im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen zu sehen.