Die Bildwerke des Südtiroler Künstlers Guido Sotriffer
Das Grödner Tal liegt umschlossen von beieindruckenden Felsformationen mit zuerklüfteten Zinnen und Almen in Südtirol. Es umfasst drei Gemeinden, deren grösster Ort St. Ulrich ist. Dort steht seit kurzem ein wunderbares Refugium bildhauerischer Kunst Besuchern offen: Es ist das ehemalige Atelier von Guido Sotriffer im 500 Jahre alten Haus Alt-Pedetliva mit dem Vermächtnis des Künstlers. In der besonderen Atmosphäre unter dunklen Dachbalken sind in stimmigem Zusammenklang Holzskulpturen, Bronzeplastiken und Bildwerke aus Gips, dazu auch Malereien und Grafiken zu entdecken. Geschaffen wurden sie über den Lebenszeitraum des Südtiroler Bildhauers hinweg. So kann wahrgenommen werden, mit welch gestalterischem Willen Guido Sotriffer nicht nur gültige Kunstwerke in einer kraftvollen Handschrift schuf, sondern auch, wie er stets aufs Neue erprobte Wege verließ, sich weiterentwickelte und spannungsvoll Materialien und Kompositionen ausreizte. Durch die uralte schwere Holztür, die in den Ausstellungsraum führt, betritt der Besucher merklich einen ganz besonderen Kunstort. Hier zeigen sich Spuren alter Traditionen, sprüht Gegenwärtiges, und so manches weist darüber hinaus.
Das Handwerk der Holzschnitzerei blickt im Val Gardena (italienisch für Gröden, ladinisch: Gherdëina) auf eine sehr lange Tradition zurück, die bereits im 16. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Zwei Jahrhunderte später begann sich die Bildschnitzerei zu einem Haupterwerbszweig mit der kunsthandwerklichen Anfertigung von Heiligenfiguren, Kruzifixen, Altären, Kirchenausstattungen und Krippen zu etablieren. „Made in Val Gardena“ ist bis heute ein ausgezeichnetes Gütemerkmal. Künstlersein stellt in diesem Umfeld eine besondere Herausforderung dar. Das bedeutet einerseits, Traditionen hinter sich zu lassen, und andererseits positiven Eigensinn im kreativen Schaffen kraftvoll auszubilden. Den eigenen Willen durchzusetzen, das trifft in besonderer Weise auf den Entwicklungsgang von Guido Sotriffer zu. Geboren wurde er 1936 als sechstes von acht Kindern einer Kaufmannsfamilie in St. Ulrich. Sein Talent erfuhr eine erste Förderung, als er den dreijährigen Lehrgang der Grödner Kunstschule in der Fachklasse für Bildhauerei besuchte. Nach der Ausbildung nahm er eine kaufmännische Tätigkeit im Familiengeschäft auf, ohne dabei seine Arbeit in der Bildhauerei aufzugeben. 1958 richtete er sich ein erstes Atelier ein und unterhielt eine freundschaftliche Beziehung zu dem Bildhauer Guido Daurù (1926–2010).
Guido Sotriffer entwickelte sich zunehmend bildnerisch und zwar durchaus „eigenwillig“, seinen persönlichen Fähigkeiten vertrauend.
Eine wichtige Etappe auf dem Weg zu eigenen bildnerischen Formulierungen bedeutete 1964 ein Studienaufenthalt im Atelier des Bildhauers Augusto Murer (1922–1985) in Falcade, einem bedeutenden italienischen Künstler des 20. Jahrhunderts. Die Mitarbeit an einem großen Bronzedenkmal vor den Giardini in Venedig vermittelte ihm praktische Kenntnisse in großplastischer Arbeit. Daurù und Murer, dazu viele andere Künstler und Architekten (nicht nur aus Italien), waren ihm zeitlebens Freunde, Ratgeber und künstlerische Wegbegleiter. Auf Reisen, oft auch ins Ausland, studierte Guido Sotriffer in Ausstellungen oder bei Atelierbesuchen Werke bedeutender Plastiker. Wichtig und vorbildgebend waren für ihn Künstler des 20. Jahrhunderts, wie Constantin Brâncuși, Alberto Giacometti, Marino Marini, Henry Moore, Constant Permekes, Ossip Zadkine und Giuseppe Zigaina.
Zunächst in Holz, dem Material seiner Ausbildung, später auch in Gips und Bronze formend, entwickelte Guido Sotriffer eine expressive Handschrift. Im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit steht über weite Strecken die menschliche Figur, gleich, ob sie in lebensnaher Anschauung gestaltet, abstrahierend formuliert oder zum Zeichen hin verfremdet wurde. Der Bildhauer wandte sich dem Menschen jedoch nicht aus rein formalen Gründen zu: dessen Alltagsleben und emotionales Dasein waren ihm Grund und Ausrichtung des künstlerischen Schaffens. Einzelfiguren und Figurengruppen sind sensibel beobachtet und kraftvoll dargestellt, in profanen als auch sakralen Themen. Kompositorisch anschaulich sind die Haltungen der Figuren, ihr Zusammenstehen, die dadurch spürbare Nähe untereinander. Die Holzbildwerke der achtziger Jahre zeigen zunehmend einen blockhaften Charakter. Sie sind kubisch, mit harten Kanten aus dem Material herausgeschnitten. Bemerkenswert ist, dass die Gestalten nun nicht aus dem Block herausgelöst sind, sondern vielmehr ein integrierter Bestandteil desselben bleiben, wodurch die Arbeiten einen architektonischen Charakter erhalten. Ein Hauptbeispiel dafür sind die Kreuzwegstationen für die 1990/91 in Rom erbaute Kirche S. Igino Papa. 1992/93 folgte die Ausführung eines Hochreliefs für die römische Kirche S. Vincenzo Pallotti. Die Werke für die Kirchenausstattungen sind wichtige Bestandteile des künstlerischen OEuvres und zugleich jene, die seit fünfundzwanzig Jahren im Licht der Öffentlichkeit stehen.
Ab dem Beginn der neunziger Jahre schuf der Südtiroler schlank aufwachsende Gestalten mit kleinen Köpfen und Sitzgruppen, die sich allmählich aus der Verblockung in eine Vereinzelung herauslösen. Studienzeichnungen belegen, dass Guido Sotriffer bildnerische Probleme zeichnend „durchdachte“. Auch schuf er große Grafiken und Malereien, bei denen es sich um eigenständige Kunstwerke expressiven Charakters handelt. In ihnen steht ebenso der Mensch im Mittelpunkt. Erzählerisches vermeidend, setzt ihn der Künstler in emotionale Spannungsfelder. Eingebunden in ein Geflecht sich durchdringender Form- und Farbfelder werden Zweifel, Ängste wie gleichzeitig auch Hoffnungen und Erwartungen sichtbar. Die Kunstwerke von Guido Sotriffer berühren, denn es fehlt ihnen jede Koketterie, sie zeigen den unverstellten Menschen. Im Jahre 1998 starb der Künstler unerwartet auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft in St. Ulrich.