Die erneute Entdeckung von Agnes Pelton

Pel­tons unver­wech­sel­ba­re Gemäl­de kön­nen als meta­phy­si­sche Land­schaf­ten beschrie­ben wer­den, die ihre Wur­zeln in der kali­for­ni­schen Wüs­te in der Nähe von Cathe­dral City haben, obwohl sie aus einer Sen­si­bi­li­tät her­aus ent­stan­den sind, die bereits vor der Ankunft der Künst­le­rin im Wes­ten vor­han­den war. Gebo­ren als Toch­ter ame­ri­ka­ni­scher Eltern in Stutt­gart, Deutsch­land, leb­te Pel­ton (1881–1961) mit ihrer Fami­lie kurz­zei­tig in Basel, Schweiz, und kehr­te 1888 in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten zurück. Sie schloss 1900 ihr Stu­di­um am Pratt Insti­tu­te in Brook­lyn ab und arbei­te­te im sel­ben Jahr als Assis­tenz­leh­re­rin an der Ips­wich Sum­mer School of Art in Mas­sa­chu­setts. 1910 stu­dier­te sie „life dra­wing“ an der Bri­tish Aca­de­my of Arts in Rom, und 1913 stell­te sie auf Ein­la­dung des Malers und Kunst­för­de­rers Walt Kuhn (1877–1949) in der Armory Show aus.

Pel­ton begeg­ne­te dem Süd­wes­ten erst­mals 1919, als sie das Haus von Mabel Dodge Luhan (1879–1962) in Taos besuch­te. In den 1920er Jah­ren bereis­te sie die Welt und reif­te zu einer Künst­le­rin, deren abs­trak­tes Werk sich durch Inter­pre­ta­tio­nen von Erde und Licht, bio­mor­phen Kom­po­si­tio­nen aus zar­ten Schlei­ern, schim­mern­den Ster­nen und atmo­sphä­ri­schen Hori­zont­li­ni­en aus­zeich­ne­te. Aus prak­ti­schen und finan­zi­el­len Grün­den ent­fern­te sich Pel­ton aus der Kunst­sze­ne der Ost­küs­te und ließ sich 1932 in Cathe­dral City, Kali­for­ni­en, nie­der, wo sie fast 30 Jah­re lang lebt. Trotz vie­ler miss­ver­ständ­li­cher Mei­nun­gen war Pel­ton kei­ne Exzen­tri­ke­rin, die zurück­ge­zo­gen leb­te. Sie ließ sich ruhig in einer Gemein­schaft mit einem klei­nen Kreis von Freun­den und Bekann­ten nie­der, der es ihr ermög­lich­te, sich auf ihre Arbeit zu kon­zen­trie­ren. Ihre Lei­den­schaft waren ihre Abs­trak­tio­nen, aber sie mal­te auch rea­lis­ti­sche Wüs­ten­sze­nen, Rauch­bäu­me, Joshua-Bäu­me und das San-Jac­in­to-Gebir­ge. Die­se Land­schaf­ten hal­fen ihr, die Rech­nun­gen zu bezah­len, und gaben ihr ein krea­ti­ves Betä­ti­gungs­feld, das sich sehr von ihren abs­trak­ten Kom­po­si­tio­nen unterschied.

Sie ver­wen­det Far­be auf so wun­der­ba­re Wei­se, dass eini­ge die­ser Gemäl­de mit einem Licht zu leuch­ten schei­nen, das aus dem Inne­ren des Pig­ments kommt. 

Die vom Phoe­nix Art Muse­um orga­ni­sier­te und der­zeit im Whit­ney Muse­um of Ame­ri­can Art (N.Y.) gezeig­te Aus­stel­lung „Desert Tran­s­cen­den­ta­list“ kon­zen­triert sich auf Pel­tons abs­trak­tes Werk, das in den 1920er Jah­ren aus einer durch ihre „Ima­gi­na­ti­ve Pain­tings“ gepräg­ten Ent­ste­hungs­pha­se her­vor­ging. Die­se arka­di­schen Kom­po­si­tio­nen, buschig und mit einer abge­dun­kel­ten Farb­pa­let­te, stel­len weib­li­che Figu­ren in natür­li­chen Umge­bun­gen wie Wäl­dern, Grot­ten oder wind­ge­peitsch­ten Land­schaf­ten dar.

https://whitney.org/exhibitions/agnes-pelton

Das frü­hes­te Werk in der Aus­stel­lung, Room Deco­ra­ti­on in Pur­ple and Gray (1917), ent­stand in die­ser Zeit und zeigt eine Figur in einer fan­tas­ti­schen Land­schaft aus sich über­la­gern­den Farb­schlei­ern, mit einem Blu­men­ar­ran­ge­ment und einem Blick auf einen Hügel im Hintergrund.

Ein bedeu­ten­der for­ma­ler und kon­zep­tu­el­ler Bruch mit die­sen frü­hen Kom­po­si­tio­nen wird in The Ray Ser­e­ne (1925) erreicht, einem Werk der rei­nen Abs­trak­ti­on. Ohne Figur oder Grund ist sei­ne Kom­po­si­ti­on von orga­ni­schen For­men und Lini­en, säge­zahn­för­mi­gen Pin­sel­stri­chen, die Berei­che von Ober­flä­che und Tie­fe defi­nie­ren und kon­tras­tie­ren, geprägt. Gemäl­de wie Being (1926) und The Foun­ta­ins (1926) lösen sich dann von der Rea­li­tät und bewe­gen sich auf eine sur­rea­le Ver­kör­pe­rung von Licht, Raum und Schwin­gun­gen zu, die an Sci­ence-Fic­tion erin­nert. In den 1930er Jah­ren keh­ren erd­ge­bun­de­ne Ele­men­te in Pel­tons Gemäl­de zurück. Hori­zont­li­ni­en, fun­keln­de Ster­ne und Land­for­men rich­ten ihre Abs­trak­tio­nen neu aus und spie­geln ihre eige­nen Inspi­ra­tio­nen, ihren Aber­glau­ben und ihre Über­zeu­gun­gen wider. Die­se Gefühls­zu­stän­de mani­fes­tie­ren sich in äthe­ri­schen Schlei­ern aus Licht, gezack­ten Fels­for­men und über­trie­be­nen Hori­zon­ten, die an Thea­ter­büh­nen erin­nern und einen Idea­lis­mus sym­bo­li­sie­ren und ver­an­schau­li­chen, der den phi­lo­so­phi­schen Grund­sät­zen des ame­ri­ka­ni­schen Tran­szen­den­ta­lis­mus des 19. Jahr­hun­derts zu Grun­de liegt.

Vie­le Wer­ke in „Desert Tran­s­cen­den­ta­list“ sind von Pel­tons Inter­es­se an Agni Yoga inspi­riert, einer neo­theo­so­phi­schen reli­giö­sen Dok­trin mit dem Feu­er als lei­ten­der Kraft. Inti­ma­ti­on (1933), eines von zwei Por­träts in der Aus­stel­lung, ist eine beun­ru­hi­gen­de Dar­stel­lung von Nicho­las Roe­rich (1874–1947), einem Leh­rer des Agni Yoga und einem Künst­ler, des­sen Gemäl­de hyp­no­ti­schen Aus­druck haben sol­len. Auf­grund die­ser und ande­rer eso­te­ri­scher Inter­es­sen wur­de Pel­ton gebe­ten, einem Künst­ler­kol­lek­tiv bei­zu­tre­ten, das als „Tran­s­cen­den­tal Pain­ting Group“ (TPG) bekannt ist. Die­se kurz­le­bi­ge Grup­pe mit Sitz in San­ta Fe, New Mexi­co, wur­de 1938 von dem Künst­ler Ray­mond Jon­son (1891–1982) gegrün­det, der mit dem Begriff „unge­gen­ständ­lich“ unzu­frie­den war. Zu ihr gehör­ten Emil Bist­tram (1895–1976), Ed Gar­man (1914–2004), Flo­rence Mil­ler Pier­ce (1918–2007), Stuart Wal­ker (1904–1940) und ande­re. Die TPG ver­band Pel­ton kurz­zei­tig wie­der mit dem Süd­wes­ten, obwohl es kei­ne Hin­wei­se dar­auf gibt, dass sie jemals in die Regi­on zurück­ge­kehrt ist.

Das Aus­maß ihres Enga­ge­ments bei der TPG schien, abge­se­hen von ihrer Ernen­nung zur Ehren­prä­si­den­tin, ihre Teil­nah­me an eini­gen Aus­stel­lun­gen zu sein, und nach dem Able­ben der Grup­pe 1941 pro­du­zier­te die damals 60-jäh­ri­ge Pel­ton weni­ger Abs­trak­tio­nen und wand­te ihre Auf­merk­sam­keit auf Wüs­ten­land­schaf­ten, um drin­gend benö­tig­te Ein­nah­men zu erzie­len. In den 1950er Jah­ren ver­sag­te Pel­tons Gesund­heits­zu­stand, und 1961 ver­starb sie an Leberkrebs.

Trotz ihrer klei­nen, aber hin­ge­bungs­vol­len Anhän­ger­schaft von Kura­to­ren, Kunst­his­to­ri­kern und Künst­lern ist Pel­ton im Kanon der ame­ri­ka­ni­schen Moder­ne rela­tiv unbe­kannt und unver­stan­den geblie­ben. Ihr lang­sa­mes Wie­der­auf­tau­chen aus dem Rand der ame­ri­ka­ni­schen Kunst begann durch kri­ti­sche und aka­de­mi­sche Neu­be­wer­tun­gen ihres Plat­zes in der Kunst­ge­schich­te, und in den 1980er Jah­ren began­nen Archi­vie­rungs­be­mü­hun­gen, eine Grund­la­ge von pri­mä­ren For­schungs­ma­te­ria­li­en zu ihrem Werk und Leben zu erstel­len. Die Agnes-Pel­ton-Papie­re der „Smit­h­so­ni­an Insti­tu­ti­on“ wur­den von Cor­ne­lia und Irving Suss­man zusam­men­ge­stellt und 1984 von Gale­rie­lei­ter Jan Rind­fleisch im Namen der Suss­mans an die Archi­ve gespen­det. 1997 wur­den ca. 162 Brie­fe von Pel­ton an Jane Leving­ton Com­fort, die heu­te Teil der Archiv­samm­lung sind, über Joan Cri­sci, die Nach­lass­ver­wal­te­rin von Com­fort, an die Suss­mans ver­macht und dem Archiv gespen­det. Der Groß­teil von Pel­tons Wer­ken wur­de in einer Publi­ka­ti­on für eine 1989 von der Kunst­his­to­ri­ke­rin Mar­ga­ret Stai­ner kura­tier­te Aus­stel­lung kata­lo­gi­siert, die ers­te Ein­zel­aus­stel­lung der Wer­ke der Künst­le­rin seit 1955.

In den letz­ten Jah­ren ist das Inter­es­se an Pel­tons Werk dank der anhal­ten­den Wert­schät­zung und Fas­zi­na­ti­on für die ame­ri­ka­ni­sche Kunst des Wes­tens und Süd­wes­tens, ihrer Gemein­sam­kei­ten mit ande­ren Künst­lern in der Regi­on und einer neu­en Gene­ra­ti­on von Künst­lern und Kunst­his­to­ri­kern, die die Dis­kus­si­on um Abs­trak­ti­on und Spi­ri­tua­li­tät zu erwei­tern suchen, wie­der erwacht. Die letz­te Über­blicks­aus­stel­lung ihres Wer­kes, „Agnes Pel­ton: Poet of Natu­re“ (1995), reis­te durch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten; eine Rezen­si­on in der New York Times von 1995 cha­rak­te­ri­sier­te ihre Gemäl­de jedoch als ungleich­mä­ßig und sprung­haft und impli­zier­te fälsch­li­cher­wei­se, dass sie es war, die von der TPG inspi­riert wur­de, und nicht umge­kehrt. Ande­re Rezen­sio­nen die­ser Zeit waren jedoch mehr im Ein­klang mit ihrer beson­de­ren Form der Abs­trak­ti­on und stell­ten fest, dass ihr Werk nach wie vor weni­ger Beach­tung fand. Zuletzt wur­de Pel­tons Werk in Illu­mi­na­ti­on: The Pain­tings of Geor­gia O’Keeffe, Agnes Pel­ton, Agnes Mar­tin, and Flo­rence Mil­ler Pier­ce auf­ge­nom­men. Die Grup­pen­aus­stel­lung 2009 unter­such­te die Ver­bin­dun­gen und Par­al­le­len zwi­schen den vier ame­ri­ka­ni­schen Künst­le­rin­nen. Zu die­sem Zeit­punkt schei­nen Pel­tons größ­te Für­spre­che­rin­nen eine neue Gene­ra­ti­on von meist zeit­ge­nös­si­schen Male­rin­nen zu sein.

Zu ihnen gehö­ren Mary Cor­se (geb. 1945), Alex Olson (geb. 1978), Lin­da Stark (geb. 1956) und Mary Wea­ther­ford (geb. 1963), um nur eini­ge zu nen­nen. Für eini­ge stellt Pel­tons Werk eine ein­zig­ar­ti­ge Sen­si­bi­li­tät dar, die sich sowohl inner­halb als auch außer­halb eines sau­be­ren chro­no­lo­gi­schen Rah­mens bil­det, der Abs­trak­ti­on und Dar­stel­lung von­ein­an­der trennt, da es bei­de Gat­tun­gen in unter­schied­li­chem Maße umfasst. In ande­ren Fäl­len ist es ein­fach die Ver­wen­dung von Licht als Medi­um, das Pel­tons frü­he For­schun­gen überbrückt.

Abge­se­hen davon, dass sie sich von ihren Gemäl­den inspi­rie­ren lie­ßen, haben vie­le die­ser Künst­le­rin­nen auch auf kura­to­ri­scher Ebe­ne mit­ge­wirkt, um das Bewusst­sein für Pel­tons Leben und Werk zu schär­fen. Mary Wea­ther­ford hielt 2016 im Ball­saal Mar­fa einen Vor­trag mit dem Titel „Agnes Pel­ton und das ame­ri­ka­ni­sche Tran­szen­den­te“, und im sel­ben Jahr wur­de „The Ocu­lar Bowl“, eine gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­de Aus­stel­lung über die phy­si­sche und meta­phy­si­sche Mani­fes­ta­ti­on des Sehens und ihre Aus­wir­kun­gen auf Geist und Gedächt­nis, mit Wer­ken von Alex Olson, Lin­da Stark und Agnes Pel­ton gezeigt. Durch die­se Bemü­hun­gen wer­den neue Gesprä­che über die ame­ri­ka­ni­sche Moder­ne und Abs­trak­ti­on geführt und unser aktu­el­les Wis­sen über die Rol­len, die Frau­en in der Ent­wick­lung und Mani­fes­ta­ti­on der Moder­ne gespielt haben, erwei­tert. „Agnes Pel­ton: Desert Tran­s­cen­den­ta­list“ führt uns in die­se Zusam­men­hän­ge und Inter­pre­ta­tio­nen ein, wäh­rend sie gleich­zei­tig Pel­tons recht­mä­ßi­gen Platz in der ame­ri­ka­ni­schen Kunst­ge­schich­te behaup­tet und mit Nach­druck ver­kün­det, wie vor fast 90 Jah­ren fest­ge­stellt wur­de, dass sie ein Vor­bo­te für die Zukunft ist.

DiePhoe­nix-Pre­mie­re die­ser Aus­stel­lung wur­de durch die Groß­zü­gig­keit der „Andy War­hol Foun­da­ti­on for the Visu­al Arts“ ermög­licht und teil­wei­se durch einen Preis der „Natio­nal Endow­ment for the Arts“ unterstützt.

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ist der stellvertretende Direktor für kuratorische Angelegenheiten und Chefkurator der Familie Selig am Phoenix Art Museum. Er leitet mehrere Abteilungen innerhalb der kuratorischen Abteilung, darunter amerikanische Kunst, asiatische Kunst, Modedesign, lateinamerikanische Kunst, Fotografie, europäische Kunst sowie Ausstellungsdesign. Zudem ist er Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst.

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