Auf Prozess und Entwicklung im Inneren wie im Außen liegen die Prämissen der Künstlerin Kristiane Kegelmann, die sehr unterschiedliche Stoffe miteinander verbindet: Stabiles wie Stahl, MDF, Zement, Granit, Hohlstegplatten, Holz, Linoleum, Kohle oder Ton und Fragiles wie Kefir, Rote Bete, Pastinake, Margarine, Schokolade, Zucker, Buchweizen, Nuss oder Sojasauce lassen Raumobjekte entstehen, die in sich – an ihren Oberflächen, aber auch darunter – fortwirken. Durch den Faktor Zeit werden Veränderungen gewahr. In den Arbeiten von Kegelmann bekommen diese Entwicklungsprozesse eine Bedeutung. Damit schenkt uns die Künstlerin etwas Besonderes: Wer sich die Zeit nimmt, den Lauf der Dinge zuzulassen und zu beobachten, verändert seine Wahrnehmung von Stabilem und Fragilem. Und fragt sich unweigerlich, ob die stabilen Dinge in unserem Leben wirklich die stärkeren, festeren sind, wenn Fragiles doch so eine enorme Wirkung hat.
Kristiane Kegelmann arbeitet mit den Möglichkeitsräumen von Körpern, Volumen, Strukturen und Texturen des Materials in einer Art, dass diese in ihren grundsätzlichen Eigenschaften schon etwas Plastisches oder gar Bildhaftes bekommen, – und lässt organisches Material auf sie einwirken:
Für mich ist es von großem Interesse, wie sich Körper und Stofflichkeiten zu- und miteinander verhalten.
Das beansprucht eine über das klassische Verständnis von Formen, Flächen, Konturen, Farben und Material hinausgehende, freiere Empfindsamkeit. Und Entdeckungsfreude. Denn hier passiert ziemlich viel. Ausgehend von der Fläche, die naturgegeben zwei Seiten hat und einen Rand – manchmal einen Saum –, setzt Kegelmann verschiedene Flächen in Beziehung zueinander, während deren spezifische Beschaffenheit sichtbar bleibt. Sie bildet geometrische Körper und konstruiert ihnen ein perspektivisches Rauminneres, das zumeist einsehbar bleibt. Die durch die Essenzen mit farbigen Spuren behafteten Volumina suchen dann Orientierung im Raum, greifen in ihn hinein und stellen Bezüge zueinander her. Bei raumbezogenen Konzepten spielen nicht nur die Skulpturen und Faktoren wie Licht oder Temperatur eine wichtige Rolle, sondern auch die Bewegung – also Zeit und Geschwindigkeit. Nicht zuletzt verändern die Bewegungen der Betrachter im Raum denselbigen, ihre Streifzüge durch die Ausstellung sollen die ‚traditionelle‘ Distanz zum Werk überwinden, ihre Wahrnehmung sich einlassen auf die Wechselwirkung von Material und Imagination, auf die Sinnlichkeit der Chiffre.
Das jüngst während der Art Biesenthal präsentierte „Volatile Reminiscence“ entspricht den Wolkenformationen von Fotografien und Detailaufnahmen, die ihr Vater in ihrer Kindheit zwischen 1997 und 2001 schoss. Ausformuliert wird die mehrteilige Stahlinstallation durch zarte, mit den Wolkenformationen bedruckte Seidenbahnen, die nur durch einen Luftzug vitalisiert werden. Dann ziehen die Wolken, und unsere Gedanken entweichen durch die farbigen Bögen wie durch Fenster. Die Werke entstehen in der Bewegung im Studio, in der Körperlichkeit, der Arbeitshaltung, durch den Druck, das Fräsen, Flexen und Bohren, Komposition der Elemente inmitten von Geräuschen und Gerüchen – und immer wieder viel Zeit für die Phasenumwandlung der Substanzen und Lufttrocknung. In der Bildhauer-Werkstatt beginnt ein Prozess, der im Ausstellungsraum die Besucher in die installativen, manchmal performativ-vergänglichen Rhythmen einbezieht.
Betrachten wir das wie aufgebogene, unschwer wirkende Wandobjekt „Scheinbar“ aus Stahl, Glas, Kefir, Rhabarber, Sauerkirsche, Titandioxid und Lack, fragen wir uns, was wir über diese Bestandteile wissen. Titandioxid sticht uns zunächst übel ins Auge. Während Maler es als das „weißeste Weiß-Pigment“ kennen, ist der ungiftige Stoff tatsächlich in unser aller Leben ein stets gegenwärtiger Protagonist, in der Zahnpasta, im Papier, in Sonnenschutz- und Lebensmitteln. Hier wirkt es lasierend und verbindet Kefir, Rhabarber und Kirsche perzeptiv zur Herausforderung: Wir finden sie aquarellierend ungewohnt im malerisch-biochemischen Spannungsverhältnis auf der Objektfläche, sich dem kontrollierten Zufall einer Künstlerin ergebend, die auch loslassen kann. Das Objekt „Folding No. 1“ wird an der Raumdecke befestigt und besteht aus Stahl, Styrodur, Acrylfarbe, Lack, Aluminium und einem Ast, der mit der Zeit Nadeln verliert. Eine Vorstellung, die für Sammler generell schwierig ist, wenn sie in konservatorischen Schubladen denken. Vergänglichkeit ist ein nicht unerheblicher Aspekt in den Erfahrungsräumen der Künstlerin. So gibt es das 2018 in Berlin entstandene „Gefäß 1“ nicht mehr: Neben Zement und Acryl bestand es aus Kuvertüre, Nuss, Doppelrahm, Kräutern und reduziertem Apfel. Der Transformationsprozess veränderte das Objekt entscheidend, sodass es in seiner ursprünglichen Fassung nicht mehr existiert. Das konzeptionelle OEuvre von installativen und performativen Werken ist eine konsequente Position, die bei aller Vielfalt der Materialien und Komponenten auch von der Reduktion lebt, denn Kristiane Kegelmann bringt nur so viel in ihre Raumobjekte ein wie nötig.