Über einen Kurzfilm oder warum Kunst keine Grenzen kennt
Auf Youtube sind wir über einen Kurzfilm mit dem Titel „The Art of Climbing“ gestolpert, der uns in seiner Idee fasziniert hat: in kurzen Sequenzen wechseln sich Bilder eines Kletterers in senkrechter Felswand mit jenen eines Malers ab, der die Felswand samt Kletterer malt. Beiden wird mit der Kamera „über die Schulter geschaut“, wobei die Sequenzen so eng aneinander gereiht sind, dass Realität und Bild nahezu verschwimmen. Die Spannung, die dabei über 2.44 Minuten aufgebaut wird, ist sagenhaft, und das Bild, das durch wenige Pinselstriche entsteht, eine Wucht. Grund genug nachzufragen, was hinter dem Projekt steht. Wir haben den Sportkletterer Kilian Fischhuber und den Illustrator Brian Main kontaktiert. Schnell wurde uns klar, dass sich die beiden noch nie persönlich getroffen haben: Ein Beispiel dafür, dass Kunst verbindet und dabei keine Grenzen kennt.
Nachgefragt bei Kilian Fischhuber
Kilian, dir ist aufgefallen, dass die Optik des Berges im Schweizer Rätikon einer Gouache gleicht. War das Zufall, oder siehst du im Berg prinzipiell mehr als nur deine Route?
Schönheit wird doch immer vom Betrachter, der seine Normen und Wertvorstellungen auf das Objekt bezieht, definiert. Da kann ich als Kletterer schnell eine Perle in den Alpen finden, die von nicht kletternden Menschen einfach nur als graue Wand abgetan wird. In dem konkreten Fall, nehme ich aber an, werden viele Betrachter meine Einschätzung teilen.
Worin liegt deiner Ansicht nach die Kunst beim Klettern?
Die eigentliche Kunst besteht darin, solche Wände und kletterbaren Linien zu finden und zu realisieren. Ich war „nur“ der zweite Kletterer, der diese Wand frei (ohne Hilfsmittel, aber mit Seil gesichert) geklettert ist. Die künstlerische Leistung haben die Erstbegeher erbracht, die diese Route entdeckt haben.
Was fühlst du, während du die Wand empor steigst?
Während dem Klettern sieht man nicht die gesamte Wand, und man kann sich auf die jeweiligen Seillängen und deren jeweilige Schlüsselstellen konzentrieren. Erst wenn man am Ende der Wand bzw. am Gipfel steht, begreift man die Wand wieder als Ganzes.
Denkst du, dass es Parallelen zwischen einem bildenden Künstler und einem Sportkletterer gibt?
Ein guter Künstler schafft etwas Neues. Ein Kletterer, der eine Erstbegehung macht, verlässt ebenfalls das Etablierte. In meiner Wiederholung von Headless Children würde ich nicht sagen, eine künstlerische Leistung vollbracht zu haben.
Immerhin habt ihr ein künstlerisches Filmprojekt daraus gemacht, in dem sich eine geniale Spannung aufbaut – gibt es bei deiner Routine im Klettersport überhaupt noch Momente der Anspannung und Entspannung?
Ja, definitiv. Ich kann weder konstant unter Spannung stehen noch mich ständig entspannen. Der Wechsel macht doch alle Prozesse so interessant. Immer wenn ich etwas Neues probiere, eine neue Region bereise oder meine persönlichen Vorstellungen mit der Realität konfrontiere, kommt es zu An- und Entspannungen.
Findest du dich und den Berg gut getroffen?
Ja, vor allem die Haltung, in der ich dargestellt wurde, trifft meine Auseinandersetzung mit der Wand sehr gut.
Nachgefragt bei Brian Main
Bewegungen einfangen – wie macht das ein Künstler?
Für dieses Shooting war meine Herangehensweise etwas spielerischer, ich habe den Pinsel über die Leinwand tanzen lassen. Je größer das Bild, desto mehr Freiheit habe ich in dieser Hinsicht.
Brian, wie schaut bei dir der Prozess von der leeren Leinwand zum fertigen Bild aus?
Ich fertige Skizzen auf Papier an. Sobald ich mit der Zeichnung einigermaßen zufrieden bin, projiziere ich sie zur Vergrößerung mit einem Artographbeamer auf eine Malfläche. Anschließend trage ich sehr locker etwas Gips auf, um die Textur einer Felswand nachzuahmen, und arbeite schließlich mit Gouachefarben – ein sehr flexibles Mittel, bei dem ich mit Wasserfarben verstärken oder entfernen kann. Außerdem saugt sich die Farbe in die Gipstextur ein und sorgt für ansprechende Effekte.
Siehst du persönlich Parallelen zwischen einem Sportkletterer und einem Künstler?
Ich denke, es gibt große Ähnlichkeiten. Beide streben danach, sich zu verbessern und brauchen Konzentration und Disziplin, um ihre Ziele zu erreichen – wobei diese kein unmittelbares Erfolgsgefühl vermitteln und langfristig erarbeitet werden müssen. Beide wollen ihre jeweilige Tätigkeit perfekt beherrschen. Wenn wir uns über lange Zeit konzentrieren, erreichen wir ein Flow-Gefühl. Wir müssen uns beide auf unmittelbare Details konzentrieren und gleichzeitig stets das höhere Ziel im Auge behalten.
Berge sind immer wieder beliebte Motive für Künstler – denkst du, dass das einen bestimmten Grund hat?
Berge sind eindrucksvolle, majestätische Riesen – es ist kein Wunder, dass so viele Künstler sie so gerne abbilden. Außerdem sind sie einfach verdammt groß und damit schwer zu ignorieren, wenn man Landschaften malt.
Ist Gouache generell eine Technik, die du gerne verwendest oder hatte das mit der Charakteristik des Berges zu tun?
Ich vermittle die Technik in meinen Lehrgängen an der Österreichischen Ausbildungsstätte für Illustratoren Illuskills und habe sie selbst über den US-amerikanischen Illustrator David Grove entdeckt. Meines Erachtens ist Gouache gesünder und sauberer als Öl …und das Malen macht mehr Spaß. Ich kann damit den „Nasseffekt“ der Felsen im Video imitieren.
Was denkst du ist die größere Herausforderung: die Wand zu erklettern oder den Kletterer dabei so zu malen, dass es den Betrachter des Bildes fesselt?
Ich bin mir sicher, dass es wesentlich schwieriger ist, eine Felswand zu erklimmen, als sie zu malen.