Wenn der Blick in die Sterne zum Kunstwerk wird

Wor­auf man ein Tele­skop auch rich­tet, man kann sich immer ein künst­le­ri­sches Bild davon machen. Und ich bin glück­lich, ein klei­ner Teil die­ses Kunst­werks zu sein!, for­mu­lier­te 2011 eine fran­zö­si­sche Astro­no­min der ESO ein Kür­zel für Euro­pean Sou­thern Observatory. 

KEVIN FEHLING, so sind wir uns nach dem Gespräch ziem­lich sicher, wür­de die Ansicht der Astro­no­min wohl tei­len. Feh­ling ist Drei-Ster­ne-Koch und erfolg­rei­cher Unter­neh­mer in der High-End-Gas­tro­no­mie. Sei­ne Hand­schrift tra­gen inzwi­schen zwei Restau­rants und eine Bar: The Table, The Glo­be auf der MS Euro­pa und die Puz­zle Bar. Im The Table auf der Shang­hai­al­lee im Ham­bur­ger Sze­ne­vier­tel Hafen­Ci­ty ent­hebt ein ein­zel­ner, geschwun­ge­ner Tre­sen aus dunk­lem Kirsch­baum­holz den Gast der übli­chen Kon­ven­tio­nen und ermög­licht Gesel­lig­keit sowie Tren­nung. Auf die Archi­tek­tur ange­spro­chen, meint Feh­ling: »Ich bin manch­mal selbst über­rascht, dass das alles hier mei­ne Fan­ta­sie war.« Er woll­te etwas Neu­es schaf­fen. »Die Auf­ga­be war, dass es auch in New York ein Erfolg sein könn­te. Das Ambi­en­te soll die Gäs­te beflü­geln anstatt sie zu erdrü­cken. Inspi­ra­ti­on war die Sushi The­ke.« Die Archi­tek­tur bil­det den Rah­men für die Ver­schmel­zung von Gast, Ser­vice und Küche. »Wir ser­vie­ren mit, wir erklä­ren, wir voll­enden am Tisch und annon­cie­ren. Der Gast hat nicht das Gefühl, einer Eti­ket­te fol­gen zu müs­sen, son­dern kann sich wohl­füh­len und Spaß haben.« Wäh­rend wir mit­ein­an­der spre­chen, wird in der Küche gear­bei­tet, ruhig und fokus­siert, und es scheint, als wür­den die Mitarbeiter:innen viel mehr über Bli­cke als mit Wor­ten kom­mu­ni­zie­ren. Die Atmo­sphä­re mutet nicht nur beflü­gelnd, son­dern fast schon sakral an, aber in einem durch­wegs posi­ti­ven Sin­ne. Die Gäs­te kön­nen sich hier ent­span­nen, abschal­ten und die See­le bau­meln lassen.

Kevin Feh­ling © The Table Kevin Fehling
Kevin Feh­ling und Hugo V. Ast­ner im Gespräch, © René Riis

Kevin Feh­ling absol­vier­te in Del­men­horst, im Hotel Thom­sen, eine Aus­bil­dung zum Koch. Bereits drei Jah­re nach Abschluss sei­ner Aus­bil­dung arbei­te­te er erst­ma­lig als Küchen­chef im Restau­rant Vene­zia der MS Euro­pa. Ab 2005 berei­cher­te er das »La Bel­le Epo­que« im Colum­bia Hotel Casi­no Tra­ve­mün­de an der Ost­see­küs­te mit sei­nem Kön­nen und ver­wan­del­te den ver­träum­ten Kur­ort zu einem Mek­ka für Gour­met-Tou­ris­ten aus aller Welt. Schon im Jahr 2008 ver­lie­hen ihm die Test­esser des Gui­de Miche­lin den ers­ten Stern, im Jahr 2011 den zwei­ten und im Jahr 2013 den drit­ten, wel­chen er bis heu­te hal­ten kann. Im August 2015 eröff­ne­te Kevin Feh­ling schließ­lich »The Table« und erkoch­te sich im ers­ten Jahr auf Anhieb sei­ne drei Ster­ne zurück. Auch die Puz­zle Bar und das »The Glo­be« sind Orte, die der talen­tier­te Chef pro­ak­tiv mit­ge­stal­tet hat, weil Ambi­en­te und Archi­tek­tur eine gro­ße Rol­le spie­len. »Ich lie­be es, Kon­zep­te zu ent­wi­ckeln. Am Anfang muss eine Geschich­te ste­hen, die ehr­lich ist, inno­va­tiv und ein­zig­ar­tig.« So ver­eint Feh­ling im »The Glo­be« sei­ne Begeis­te­rung für die Astro­no­mie, die Ster­ne und die­sen Pla­ne­ten. Äußerst pas­send, denn auch die See­fahrt ist über die Navi­ga­ti­on mit den Ster­nen ver­bun­den. Kevin Feh­ling beschäf­tigt sich eben nicht nur mit den Miche­lin Ster­nen, son­dern auch mit jenen am Him­mel. »Ich habe wäh­rend mei­ner Zeit auf der MS Euro­pa ganz oft oben an Deck geschla­fen. Das war groß­ar­tig! Mit­ten auf dem Oze­an ist man dem Ster­nen­him­mel so nah.«

Und genau da ist der Moment, das Gespräch zum aus­ge­präg­ten Inter­es­se für Astro­no­mie zu len­ken. »Ich habe den Star-Obser­ver schon als 10-Jäh­ri­ger abon­niert. In dem Alter kei­ne ein­fa­che Lek­tü­re«, erzählt Feh­ling und fährt fort: »Von da an habe ich mich zuneh­mend mit Astro­no­mie, Ufo­lo­gie, Ägyp­to­lo­gie und Reli­gi­on aus­ein­an­der­ge­setzt. Extra­ter­res­tri­sches Leben ist für mich logisch und auch durch­aus wis­sen­schaft­lich erklär­bar. Das Inter­es­se dafür hat durch die stän­dig neu­en Erkennt­nis­se nie auf­ge­hört. Ich bin neu­gie­rig: War­um gibt es über­all auf dem Pla­ne­ten Pyra­mi­den? Wie hat man vor Jahr­tau­sen­den mit­ein­an­der kom­mu­ni­ziert? Und dann ver­ste­he ich nicht, war­um sich die Men­schen schein­bar nicht dafür inter­es­sie­ren. Wir leben in unse­rer Matrix. In Süd­ame­ri­ka geht man damit viel offe­ner um. Ich wür­de mir was ganz Beson­de­res ein­fal­len las­sen, wenn ich noch­mals erle­ben darf, dass es außer­ir­di­sches Leben gibt.« Auch sei­ne Groß­mutter war in die­ser The­ma­tik bewan­dert und ging damit sehr offen um, was vor allem in jun­gen Jah­ren für Feh­ling sehr hilf­reich war.

Auch den Ehr­geiz, Ster­ne­koch zu wer­den, hat er sehr früh ent­wi­ckelt. »Ich hat­te immer das Ziel, einen Stern zu erko­chen und 100 Jah­re alt zu wer­den. Mein dama­li­ger Hotel­di­rek­tor mein­te dann zu mir: ‚Eines von bei­den wird ver­dammt schwer.‘ Heu­te weiß ich, was er mein­te.« Die­se Ziel, im Olymp der Hau­te Cui­sine anzu­kom­men, for­dert Dis­zi­plin und Auf­op­fe­rung: »Als ich zum ers­ten Mal in einem Drei-Ster­ne-Restau­rant tätig war, arbei­te­ten wir 15 Stun­den am Tag und sind auch am frei­en Tag noch frei­wil­lig rein­ge­kom­men, um das Mise en Place vor­zu­pro­du­zie­ren. Ich wuss­te manch­mal nicht, wo ich in der Früh eine sau­be­re Koch­ja­cke her­be­kom­me, denn auch die muss­te ich selbst waschen. Das hat mir aber nicht gescha­det, son­dern mich här­ter gemacht. Auch in mei­ner Zeit bei den Fall­schirm­jä­gern, wur­de mir Dis­zi­plin gelehrt.« Aber es ist nicht nur die Dis­zi­plin allei­ne, die Kevin Feh­ling auf die­ses außer­ge­wöhn­li­che Niveau geho­ben hat. Der Hob­by-Astro­nom ist neu­gie­rig und schaut ger­ne über den Tel­ler­rand hin­aus, bewegt sich auch in unbe­kann­tes Gefil­de, denn nur dort ist es mög­lich, den Kern kuli­na­ri­scher Kunst zu ergründen.

Aus­ge­hend von Ham­burg, all­ge­mein bekannt als »Tor zur Welt«, streckt Feh­ling sei­ne Füh­ler über die Ozea­ne hin­aus und eröff­net ande­ren Kon­ti­nen­ten, Kul­tu­ren, unbe­kann­ten Aro­men und Gewür­zen die Mög­lich­keit, in sei­ne Krea­tio­nen Ein­zug zu fin­den. Ich mache mir den gan­zen Pla­ne­ten zum krea­ti­ven Fun­dus mei­nes Schaf­fens. Ich muss Respekt haben vor dem, was uns bezo­gen auf den Geschmack und die Kon­sis­tenz nicht geläu­fig ist, aber auf kei­nen Fall Angst. Es ist wohl genau die­ser muti­ge Zugang zur eige­nen Krea­ti­vi­tät, der es Feh­ling auch ermög­licht, her­aus­ra­gend zu sein. So bil­de­tet bei­spiels­wei­se ein mexi­ka­ni­scher Taco die Inspi­ra­ti­on, einen Minia­tur-Taco zu kre­ieren, in dem man Mexi­ko schmeckt: Avo­ca­do, Toma­til­lo Chut­ney, Kori­an­der, Mais und ein Tor­til­la-Chip, der knusp­rig und leicht süß ist. Dar­aus ent­wi­ckel­te sich dann ein Indi­en-Taco und schließ­lich ein Algen­knus­per – der aus­sieht wie ein Taco, aber mit Wasa­bi, Thun­fisch­bauch-Tatar, Kavi­ar und Reis­creme gefüllt ist. Man hat Japan im Mund, aber die Inspi­ra­ti­on ist auf Mexi­ko zurück­zu­füh­ren. »Wir kön­nen natür­lich vie­les machen, müs­sen aber kon­ti­nu­ier­lich auf unse­re Hand­schrift ach­ten und bis man die­se Hand­schrift ver­stan­den hat, dau­ert es Jah­re.« Hier ist es wich­tig, Mitarbeiter:innen zu haben, denen man ver­trau­en kann. »Wir haben das Glück, außer­ge­wöhn­li­che Mit­ar­bei­ter mit Ehr­geiz und Intel­li­genz zu haben. Das sorgt für Sicher­heit. Es ist kein Selbst­ver­ständ­nis, die drei Ster­ne Jahr für Jahr zu halten.«

Der­zeit arbei­tet Feh­ling mit sei­nem Team an einem Gän­se­le­ber Gericht: Erd­nuss, Hasel­nuss, Wal­nuss kom­men in Nuss­form, aber als Gän­se­le­ber auf den Tel­ler. Dane­ben die Creme der jewei­li­gen Nuss. »Das Spiel mit den Nüs­sen«, freut sich der Meis­ter. Die Inspi­ra­ti­on, so erfah­ren wir, kann über­all her­kom­men, dar­auf­hin fol­gen dann die Recher­che und die Defi­ni­ti­on, wel­ches das Kern­pro­dukt sein wird, denn davon hängt die Pro­por­tio­nie­rung ab und anschlie­ßend die Kon­sis­tenz, Tem­pe­ra­tur und die Anrich­te­wei­se. Letz­te­re skiz­ziert Feh­ling immer auf einem Blatt Papier. »Es ent­steht ein Gesamt­bild, das ich dann an die unter­schied­li­chen Pos­ten zum Aus­pro­bie­ren der Rezep­tur wei­ter­ge­ben kann.« So ent­steht eine außer­ge­wöhn­li­che Küchen­sti­lis­tik, die Gäs­te auch dann und wann vor Freu­de in Trä­nen aus­bre­chen lässt. »Die Erfah­rung hat mir früh gezeigt, dass im krea­ti­ven Bereich die Redu­zie­rung auf den wirt­schaft­li­chen Aspekt zu sehr ein­schränkt. Ich muss­te dar­an glau­ben, dar­auf ver­trau­en, dass es funk­tio­niert.« Und da gibt es durch­aus auch schick­sals­haf­te Momen­te, die her­aus­ste­chen. Wenn Feh­ling bei­spiels­wei­se bei einem Urlaub in Keynes in Däne­mark am Strand steht und die Geschmacks­sym­pho­nie aus Muscheln, Algen, Schaum, Wel­len und Sand ent­deckt. Er kre­ierte ein Gericht dar­aus, das genau­so schmeckt und riecht. Als Gäs­te das am Tisch genie­ßen, bemerkt Feh­ling, dass sie stän­dig dar­an rie­chen und dis­ku­tie­ren. Er spricht sie dar­auf an und die bei­den mei­nen, es wür­de genau­so rie­chen wie bei ihnen zuhau­se in Däne­mark. Es stellt sich her­aus, dass sie zehn Kilo­me­ter von Keynes ent­fernt wohn­ten. »Es gehört auch Zufall dazu, aber viel­leicht war es auch Schick­sal«, so der Drei-Sterne-Chef.

Und natür­lich inter­es­siert uns auch, was Kevin Feh­ling mit kuli­na­ri­scher Kunst ver­bin­det: »Die Docu­men­ta 12 im Jahr 2007 hat durch die Ein­la­dung Fer­ran Adri­ans zum ers­ten Mal offi­zi­ell kund­ge­tan, dass Kochen Kunst sein kann. Ich habe da einen demü­ti­gen Zugang, weil Künst­ler zu sein für mich ein ganz gro­ßer Begriff ist. Wenn die Gäs­te das, was sie hier erle­ben, als Kunst beschrei­ben, dann freue ich mich natür­lich sehr dar­über. « Man spürt in sol­chen Aus­sa­gen, dass Kevin Feh­ling sich nicht nur mit sei­nem eige­nen Kos­mos beschäf­tigt, son­dern bei all sei­nen Erfol­gen stets auch das Bewusst­sein dafür hat, dass es noch etwas viel Grö­ße­res gibt. Das macht ihn zu einem außer­ge­wöhn­li­chen Zeit­ge­nos­sen und es erin­nert uns an eine Aus­sa­ge des berühm­ten Phy­si­kers und Astro­phy­si­kers Ste­phen Haw­king, der 2016 meinte:

DENKT DARAN, IN DIE STERNE ZU SCHAUEN, ANSTATT HINUNTER ZU EUREN FÜSSEN …

Der Arti­kel ist in der Print-Aus­ga­be 4.22 AFFINITY erschienen.

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