Die Verschmelzung von Realität und Phantasie

Karen Kilimnik

Als die Samm­lung von Marc Jacobs bei Sotheby’s 2019 ver­stei­gert wur­de, war auch das 1996 ent­stan­de­ne Gemäl­de „Mary Cal­ling Up a Storm“ von Karen Kilim­nik (*1955 Phil­adel­phia) dar­un­ter. Der Desi­gner mein­te dazu in einem Inter­view mit Amy Cap­pel­laz­zo: „Ich habe die­se pri­mi­ti­ve Ver­bin­dung zu ihr. Ich den­ke an Karen, als wäre sie ich, als wäre ich ein klei­nes Mäd­chen in mei­nem eige­nen klei­nen Schlaf­zim­mer. Ich stell­te mir Karen vor, bevor ich sie traf, mit Ein­hör­nern und Gän­se­blüm­chen über den Augen und sol­chen Din­gen in einer Art glit­zern­dem Aurora-Borealis-Schlafzimmer.“

Seit mehr als drei Jahr­zehn­ten wird Kilim­niks Arbeit mit einem Mäd­chen­schlaf­zim­mer asso­zi­iert. Wahr­schein­lich hat das mit Kilim­niks Vor­lie­be für Strass­stei­ne und Sti­cker, Bal­lett und Roko­ko zu tun. Tat­säch­lich geht es aber um viel mehr. In ihren Gemäl­den mischt sich Obsku­res, Okkul­tes, Tier­lie­be und Natur­ge­walt. Kilim­niks Arbei­ten wur­den mehr­fach in his­to­ri­schen Räu­men wie Schlös­sern gezeigt, in denen man eher his­to­ri­sche Gemäl­de erwar­tet. Inner­halb ihrer Bild­wel­ten stellt Kilim­nik die Zeit­lich­keit des­sen, was man sieht, in Fra­ge: Die Refe­renz zu Gior­gio­ne ist bekannt, gehört aber ins 16. Jahr­hun­dert, das Gemäl­de selbst ist zeit­ge­nös­sisch. Geor­ge Stubbs, Jean-Bap­tis­te Oudry und das Bal­lett, die sich sowohl in der Mas­sen- als auch in der Hoch­kul­tur bewe­gen, sind für Kilim­nik eben­so wich­tig wie The Aven­gers, Kate Moss und die Pop­mu­sik. Kilim­niks pracht­vol­le Bil­der spie­len auf die Kräf­te der Illu­si­ons­pro­duk­ti­on an, denen sowohl der Prunk des Hofes als auch die Welt des Gla­mours die­nen. Durch die Umkeh­rung hier­ar­chi­scher Struk­tu­ren, die in vie­len ihrer Quel­len – Wap­pen, aris­to­kra­ti­sche Codes, Bal­lett, mili­tä­ri­scher Prunk – wirk­sam ist, erzeu­gen Kilim­niks Bild­kon­stel­la­tio­nen nicht-hier­ar­chi­sche Denk­netz­wer­ke. Die­se Netz­wer­ke ent­wer­fen eine ehr­gei­zi­ge, nicht chro­no­lo­gi­sche Geschich­te von Herr­schaft und Gewalt, die sich in den idea­li­sier­ten Selbst­bil­dern der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on verbirgt.

Als sie 2010 das Bel­ve­de­re und sei­ne Samm­lung erkun­de­te, inter­es­sier­te sich Kilim­nik für die opu­len­ten Tier­bil­der von Phil­ipp Fer­di­nand de Hamil­ton und inter­pre­tier­te die­se in ihren Gemäl­den neu. Sie erforsch­te die Orga­ni­sa­ti­on von Cha­os und Ord­nung – und ließ Kunst und Inte­ri­eur zu einer Instal­la­ti­on ver­schmel­zen, in der sie ein „Thea­ter der Emp­fin­dun­gen” insze­nier­te. Unver­gess­lich ist auch ihre Instal­la­ti­on des „Foun­tain of Youth“, die 2012 erst­mals in der Brant Foun­da­ti­on zu sehen war. Die Künst­le­rin selbst mein­te dazu in einem State­ment: „Als ich ein Teen­ager war, woll­te ich Sei­fen und Sham­poos ent­wer­fen, weil ich Düf­te, Sei­fen und Sham­poos so sehr lie­be. Die ursprüng­li­che Fas­sung von Foun­tain of Youth aus dem Jahr 1992 war ein Minia­tur­for­mat. Die lebens­gro­ße Ver­si­on wur­de 2012 für die Brant Foun­da­ti­on ange­fer­tigt, mit einem ech­ten funk­tio­nie­ren­den Brun­nen mit par­fü­mier­tem Was­ser, lebens­gro­ßen Hecken und ech­ten Rosen.“

Ganz anders wie­der­um der Film „The World at War“, der 2018 am Eröff­nungs­tag von THE 57TH CARNEGIE INTERNATIONAL mit einem von der Künst­le­rin erdach­ten Bal­lettauf­takt der Pitts­burgh Bal­let Theat­re School auf­ge­führt wur­de. In flo­ra­len und von Amor inspi­rier­ten Kos­tü­men erweck­ten die Tän­ze­rin­nen in einem glanz­vol­len 15-minü­ti­gen Inter­mez­zo Kiliminks Welt von iro­nisch obsku­rer Schön­heit zum Leben. Das Fun­keln fla­cker­te wäh­rend des anschlie­ßen­den Films auf, der das Thea­ter mit zusam­men­ge­schnit­te­nem Film­ma­te­ri­al von Kriegs­dra­men, in denen patrio­ti­sche Lie­der und Tän­ze als mili­tä­ri­sche Stra­te­gien zur Fes­ti­gung von Natio­na­lis­mus und Hass die­nen, in eine dunk­le Stil­le ver­setz­te. Kul­tur als tro­ja­ni­sches Pferd zur Ver­brei­tung von Wer­ten kann als ein Zei­chen für Hoff­nung oder Ver­zweif­lung gese­hen werden.

Die Kunst­welt beschäf­tig­te sich erst­mals in den 1980er Jah­ren mit Kilim­nik, ins­be­son­de­re mit ihren Zeich­nun­gen von Mode­iko­nen wie Kate Moss oder Bri­git­te Bar­dot. Sie arbei­tet mit unter­schied­li­chen Medi­en, skiz­ziert mit Blei­stift auf Papier, malt mit Öl auf Lein­wand, foto­gra­fiert, fer­tigt Col­la­gen an, setzt Instal­la­tio­nen um, ver­ziert Rät­sel mit Juwe­len. Ein Haupt­au­gen­merk für Kilim­nik liegt auf der Ver­schmel­zung von rea­len und ima­gi­nä­ren Por­träts. In ihren iko­ni­schen Gemäl­den wer­den moder­ne pop­kul­tu­rel­le Iko­nen in einen his­to­ri­schen Kon­text ein­ge­fügt, was zu einer wahr­nehm­ba­ren Unwirk­lich­keit führt. Die Per­sön­lich­kei­ten ihrer Schauspieler*innen sind einem stän­di­gen Rol­len­tausch unter­wor­fen. Als Illus­tra­tio­nen der roman­ti­sier­ten Ver­gan­gen­heit wird die Rol­le des mensch­li­chen Sub­jekts geschmä­lert und die Auf­merk­sam­keit auf Zeit und Ort ihrer geheim­nis­vol­len his­to­ri­schen Sze­na­ri­en gelenkt. In einer Welt, in der die Kräf­te der Natur, der Jugend und des Schre­ckens auf beein­dru­cken­de Wei­se Fuß gefasst haben, rema­te­ria­li­siert Kilim­niks Kunst die Suche nach dem roman­ti­schen Erhabenen.

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