Der goldene Löwe für Katharina Fritsch! Ein Interview mit Julian Heynen

Bilder über große, zeitgenössische Themen

Seit 1979 arbei­tet Katha­ri­na Frit­sch (1956) an Skulp­tu­ren, die, wie sie sagt, eher als drei­di­men­sio­na­le Bil­der zu ver­ste­hen sind. Hei­li­ge, Mäu­se, archi­tek­to­ni­sche Model­le, Muscheln, Schlan­gen, Regen­schir­me, mensch­li­che Figu­ren und Gegen­stän­de des täg­li­chen Lebens bevöl­kern Frit­schs Welt: ein Ort, an dem rea­lis­ti­sche Details und ver­wir­ren­de imma­te­ri­el­le Ober­flä­chen die Gren­zen zwi­schen dem Gewöhn­li­chen und dem Unheim­li­chen auf­lö­sen und ein Gefühl der Über­ra­schung und des Stau­nens her­vor­ru­fen. Vie­le der Wer­ke sind als Mul­ti­ples ent­stan­den, eini­ge jedoch als ein­zel­ne groß­for­ma­ti­ge Skulp­tu­ren, wie Ele­fant / Ele­phant (1987) und Rat­ten­kö­nig (1993). Meis­tens sind die Arbei­ten ein- oder zwei­far­big und in einem glat­ten Farb­auf­trag gehal­ten, um den Anschein eines tech­ni­schen Pro­zes­ses zu vermeiden.

In der Regel wird jedes Werk zunächst von Hand geformt, gegos­sen und nach­be­ar­bei­tet, dann erneut in einem aus­ge­wähl­ten Mate­ri­al gegos­sen und schließ­lich mit einer mat­ten Far­be über­zo­gen. Seit 1984 hat sie an vie­len inter­na­tio­na­len Kunst­aus­stel­lun­gen teil­ge­nom­men und hat­te Ein­zel­aus­stel­lun­gen in Muse­en in ganz Euro­pa und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, 2013 schuf sie Hahn / Cock, eine rie­si­ge Skulp­tur eines leuch­tend blau­en Hahns, für den Lon­do­ner Tra­fal­gar Squa­re, und 2016 zeig­te sie eine Gemein­schafts­aus­stel­lung mit Ale­xej Kosch­ka­row im Schau­la­ger in Basel mit dem Titel Zita – Щapa. Im Rah­men der dies­jäh­ri­gen Bien­na­le erhält Katha­ri­na Frit­sch den Gol­de­nen Löwen für ihr Lebens­werk. Kura­to­rin Ceci­lia Ale­ma­ni begrün­det ihre Ent­schei­dung fol­gen­der­ma­ßen: »Frit­schs Bei­trag zur zeit­ge­nös­si­schen Kunst, ins­be­son­de­re zur Bild­haue­rei, ist unver­gleich­lich. Sie schafft figu­ra­ti­ve Wer­ke, die sowohl hyper­rea­lis­tisch als auch phan­ta­sie­voll sind: Kopien von Gegen­stän­den, Tie­ren und Men­schen, detail­ge­treu wie­der­ge­ge­ben, aber in unheim­li­che Erschei­nun­gen ver­wan­delt. Oft ver­än­dert Frit­sch den Maß­stab ihrer Moti­ve, ver­klei­nert sie oder ver­grö­ßert sie stark und über­zieht sie mit ver­wir­ren­den Voll­ton­far­ben: Man hat das Gefühl, Monu­men­te einer frem­den Zivi­li­sa­ti­on oder Arte­fak­te in einem selt­sa­men post­hu­ma­nen Muse­um zu sehen.

Juli­an Heynen, Foto: Chris­ti­an Hartmann
Von 1981 bis 2000 Aus­stel­lungs­lei­ter und stell­ver­tre­ten­der Direk­tor der Kunst­mu­se­en Kre­feld (Muse­um Haus Lan­ge, Muse­um Haus Esters, Kai­ser Wil­helm Muse­um). Danach bis 2009 künst­le­ri­scher Lei­ter von K21 Kunst­samm­lung Nord­rhein-West­fa­len in Düs­sel­dorf und von 2009 bis 2016 Künst­le­ri­scher Lei­ter für beson­de­re Auf­ga­ben der Kunst­samm­lung NRW. Die Funk­ti­on des Kom­mis­sars des Deut­schen Pavil­lons auf der Bien­na­le von Vene­dig hat­te Heynen 2003 und 2005 inne. 2017 kura­tier­te er den geor­gi­schen Pavillon.

Wir erle­ben seit gerau­mer Zeit einen Main­stream in der Kunst, den man etwas iro­nisch mit »Inhal­tis­mus< oder >Con­ten­tism< bezeich­nen könn­te. Haupt­sa­che, die gän­gi­gen gesell­schaft­li­chen The­men wer­den ange­spro­chen bzw. illus­triert; wie, ist nicht so wich­tig. Da erfrischt eine Posi­ti­on wie die von Katha­ri­na Frit­sch auch heu­te noch das Sehen und Denken. 

Kura­tor und Autor (für zeit­ge­nös­si­sche Kunst) Juli­an Heynen, der Frit­schs Arbei­ten bereits 1987 am Kai­ser Wil­helm Muse­um in Kre­feld zeig­te, unter­stütz­te die Künst­le­rin damals in ihrer muti­gen Idee, einen lebens­gro­ßen Ele­fan­ten auf einem Sockel zu prä­sen­tie­ren. Es gab eini­ge Fol­ge­pro­jek­te, in denen sich die Wege der bei­den kreuz­ten. Wir haben uns mit Juli­an Heynen über Katha­ri­na Frit­sch, ihr Werk und deren Zusam­men­ar­beit unterhalten.

An wel­chen Pro­jek­ten arbei­ten Sie aktuell?

JULIAN HEYNEN: Aktu­ell sind es Tex­te über das Werk von zwei eben­falls aus dem rhei­ni­schen Umfeld stam­men­den, aber ganz ande­ren Künst­lern: Rein­hard Mucha und Gre­gor Schnei­der. Über »unge­leg­te Eier« im Hin­blick auf Aus­stel­lun­gen möch­te ich noch nicht reden.

Katha­ri­na Frit­sch bekommt den Löwen fürs Lebens­werk: Was ging Ihnen spon­tan durch den Kopf, als Sie davon erfah­ren haben? Haben Sie seit der Bekannt­ga­be mit der Künst­le­rin schon gesprochen?

Mei­ne spon­ta­ne Reak­ti­on: End­lich! Was auch immer man von Prei­sen und Ran­kings hält, sie hat es mehr als ver­dient, auf der gro­ßen Büh­ne adäquat wahr­ge­nom­men zu wer­den. Ich habe ihr gleich gra­tu­liert und hof­fe, bald einen Kaf­fee mit ihr zu trinken.

Was, den­ken Sie per­sön­lich, hat Ceci­lia Ale­ma­ni zu die­ser Ent­schei­dung bewogen?

Das kann ich selbst­ver­ständ­lich nicht wis­sen. Mein Grund wäre gewe­sen, dass Katha­ri­na Frit­sch es wie kaum eine oder einer ver­steht, Bil­der über gro­ße, zeit­ge­nös­si­sche The­men in eben­so prä­zi­ser wie zugäng­li­cher Form vor uns hinzustellen.

Im Jah­re 1995 zeig­te Frit­sch bei der Bien­na­le in Vene­dig das Modell eines Ide­al- »Muse­ums«. Gemeint war das Modell als »Mani­fest« gegen undurch­dach­te Muse­ums­bau­ten, aber auch als State­ment gegen den kul­tu­rel­len Mas­sen­be­trieb. Damals sag­te die Künst­le­rin »Ich möch­te mich ent­zie­hen«. Ist ihr das aus Ihrer Sicht gelun­gen?

Das war ein State­ment, das man im Zusam­men­hang mit der Arbeit »Muse­um« und der dort for­mu­lier­ten Uto­pie und Pra­xis sehen muss. In ihrer wei­te­ren Kar­rie­re sehe ich weni­ger einen gewoll­ten Rück­zug als eine gewis­se Aus­gren­zung durch man­che Tei­le des Kunst­fel­des. Vie­le haben wohl eine gewis­se Scheu vor der Direkt­heit ihrer Arbeiten.

Lassen Sie uns ger­ne gemein­sam zurück­bli­cken: Wann und wo sind Sie der Künst­le­rin Katha­ri­na Frit­sch und ihrem Werk zum ers­ten Mal begeg­net? Gibt es da eine Erin­ne­rung, was die­se Begeg­nung in Ihnen aus­ge­löst hat?

Die ers­ten klei­nen Arbei­ten habe ich auf einem der Rund­gän­ge der Düs­sel­dor­fer Aka­de­mie gese­hen. Die »Acht Tische mit acht Gegen­stän­den« in der gro­ßen Aus­stel­lung »von hier aus« waren dann eine star­ke Bestä­ti­gung mei­nes »Anfangs­ver­dachts«.

Woran konn­ten Sie fest­ma­chen, dass das Werk von Katha­ri­na Frit­sch von beson­de­rer Qua­li­tät ist?

Es war über­ra­schend und befrei­end zu sehen, wie hier eine Künst­le­rin domi­nie­ren­de Strö­mun­gen der 1960er und 1970er Jah­re wie ins­be­son­de­re die Mini­mal Art auf radi­ka­le Art wei­ter­ent­wi­ckel­te und ver­än­der­te. Man­ches an den Neo­avant­gar­den war in eine Sack­gas­se gera­ten. Aus ihr hat Katha­ri­na Frit­sch sie her­aus­ge­holt und mit kon­kre­ten Inhal­ten von all­ge­mei­ner Bedeu­tung und prä­gnan­ten Bil­dern ein ganz neu­es Feld eröffnet.

Katha­ri­na Frit­sch, Okto­pus, Aus­stel­lungs­an­sicht Deich­tor­hal­len Ham­burg, 2009, Foto: MAURIZIO GAMBARINI © dpa pic­tu­re alli­ance archi­ve / Ala­my Stock Foto
Katha­ri­na Frit­sch, Tisch­ge­sell­schaft, Aus­stel­lungs­an­sicht Deich­tor­hal­len Ham­burg, 2009, Foto: MAURIZIO GAMBARINI © dpa pic­tu­re alli­ance archi­ve / Ala­my Stock Foto
Katha­ri­na Frit­sch, Hahn/Cock, Tra­fal­gar Squa­re, Tibor Bog­nar / Ala­my Stock Foto

Wie ist es zum ers­ten gemein­sa­men Aus­stel­lungs­pro­jekt mit Katha­ri­na Frit­sch im Kai­ser Wil­helm Muse­um in Kre­feld gekommen?

Intui­tiv habe ich sie gebe­ten, eine Arbeit für das Kai­ser Wil­helm Muse­um zu ent­wi­ckeln – und nicht für die Mies van der Rohe-Häu­ser Lan­ge und Esters. Ich sah in die­sem klas­si­schen Muse­ums­bau einen guten Ort für ihre Art von Arbeit. Den kon­kre­ten Raum mit sei­ner gewölb­ten Glas­de­cke hat Katha­ri­na Frit­sch gewählt und genau hier­für den »Ele­fant« vor­ge­schla­gen. Sofort war eine pro­duk­ti­ve Span­nung zwi­schen Kunst- und Natur­kun­de­mu­se­um da.

War Ihnen bei den Aus­stel­lungs­vor­be­rei­tun­gen schon bewusst, dass die­ses Ereig­nis ein Mei­len­stein wer­den wür­de, sowohl für Sie, das Muse­um als auch für die Künst­le­rin? Immer­hin sind seit dem Ele­fan­ten die lebens­gro­ßen Skulp­tu­ren das »Aus­hän­ge­schild« der Künstlerin.

Mir liegt es nicht, bei einem span­nen­den Pro­jekt gleich an den zukünf­ti­gen Ruhm zu den­ken. Aber dass der »Ele­fant« hun­dert­pro­zen­tig stim­mig und ein »Knal­ler« wer­den wür­de, habe ich schon gespürt.

Können Sie sich noch an die eine oder ande­re Her­aus­for­de­rung erinnern?

Allein die kon­kre­te Her­stel­lung der Skulp­tur war bei ihren und unse­ren beschränk­ten Mit­teln eine gro­ße Her­aus­for­de­rung, die nur mit sehr guten Hel­fern gelin­gen konnte.

Wie wür­den Sie das Arbei­ten mit Katha­ri­na Frit­sch beschrei­ben – wie dür­fen wir uns die­se Künst­le­rin-Kura­tor-Bezie­hung vorstellen?

Auf die Genau­ig­keit in der Kon­zep­ti­on und Rea­li­sie­rung ihrer Arbei­ten muss man schon ent­spre­chend zu reagie­ren wis­sen. Mit­den­ken, mit­ar­bei­ten ist gefragt. Das geht nur mit Ver­trau­en, mit kri­ti­scher Sym­pa­thie und Durchhaltevermögen.

Welche Fol­ge­pro­jek­te sind mit Katha­ri­na Frit­sch dann nach die­ser ers­ten Aus­stel­lung entstanden?

Fast zeit­gleich hat sie bei mei­ner Aus­stel­lung »Ande­rer Leu­te Kunst« im Haus Lan­ge mit­ge­macht, bis 2000 dann auch bei einer Rei­he von grö­ße­ren Aus­stel­lun­gen in Kre­feld. Außer­dem sind zwei frü­he Arbei­ten in die dor­ti­ge Samm­lung gelangt. Mei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Werk ist eigent­lich bis heu­te in Tex­ten fort­ge­führt wor­den. Zum Auf­takt von K21 in Düs­sel­dorf war es dann 2002 für mich eine gro­ße Freu­de, mit Tate Modern zusam­men ihre gro­ße Über­blicks­aus­stel­lung zei­gen zu können.

Kammer­spiel >Gespens­ter­rea­lis­mus< von Katha­ri­na Frit­sch und Ale­xej Kosch­ka­row« lau­tet der von Ihnen ver­fass­te Kata­log­text zur Aus­stel­lung im Schau­la­ger in Basel. Kön­nen Sie uns bit­te umrei­ßen, was es damit auf sich hat?

Der Titel der Aus­stel­lung war »Zita – Щара«. Mit »Gespens­ter­rea­lis­mus« habe ich ver­sucht, die eigen­tüm­li­che Atmo­sphä­re der auf klei­nem Raum ver­sam­mel­ten Arbei­ten der bei­den zu umschrei­ben: dyna­mi­sche Vor­gän­ge, dunk­le Visio­nen, ver­deck­te Dra­men, aber in prä­zi­se, iden­ti­fi­zier­ba­re und ver­füh­re­ri­sche Bil­der gepackt.

Ob Tisch­ge­sell­schaft, Rat­ten­kö­nig oder Hahn/Cock – Frit­schs Skulp­tu­ren sind meta­pho­risch besetz­te Objek­te, rät­sel­haf­te Bild­wer­ke. Ihre Wer­ke emp­fin­den wir wie die Insze­nie­rung einer Büh­ne, sie las­sen uns stau­nen. Die Künst­le­rin hat in Inter­views immer wie­der erklärt, dass sie gar nicht an die vie­len Asso­zia­tio­nen, die an die Wer­ke geknüpft wer­den, dach­te, son­dern, dass es vor­der­grün­dig dar­um geht, ihren Bil­dern und Visio­nen zu fol­gen, um den Spaß dar­an, die­se Arbei­ten zu erschaf­fen. Ist dem so? Haben Sie das in der Zusam­men­ar­beit mit der Künst­le­rin auch so erlebt?

Ich den­ke, das ist bei allen guten Künst­lern und Künst­le­rin­nen so. Am Anfang steht nicht eine kon­kre­te Absicht, ein Plan und eine zu ver­mit­teln­de Bedeu­tung, son­dern eine noch nicht fest­ge­leg­te, aber unbe­dingt zu ver­fol­gen­de Vor­stel­lung. Die baut nicht zuletzt auf äuße­re und inne­re Bil­der, also visu­el­le Ideen, die über zu Beschrei­ben­des hin­aus­ge­hen. Bei Katha­ri­na Frit­sch ist das sicher der Fall.

Folgen­des Zitat der Künst­le­rin ist uns ins Auge gesprun­gen: »Gute Kunst lässt sich nicht benut­zen. Daher muss der Künst­ler Außen­sei­ter sein und die Gesell­schaft von außen sehen.« Tei­len Sie die­se Ansicht?

Ja. Aber »Außen­sei­ter« heißt hier ja nicht Freak, son­dern unab­hän­gi­ger Beob­ach­ter und Kri­ti­ker. Wir erle­ben seit gerau­mer Zeit einen Main­stream in der Kunst, den man etwas iro­nisch mit »Inhal­tis­mus« oder »Con­ten­tism« bezeich­nen könn­te. Haupt­sa­che, die gän­gi­gen gesell­schaft­li­chen The­men wer­den ange­spro­chen bzw. illus­triert; wie, ist nicht so wich­tig. Da erfrischt eine Posi­ti­on wie die von Katha­ri­na Frit­sch auch heu­te noch das Sehen und Denken.

Was erwar­ten Sie sich von der dies­jäh­ri­gen Bien­na­le in Vene­dig – gibt es den ein oder ande­ren Bei­trag, auf den Sie beson­ders gespannt sind?

Mei­ne Hal­tung gera­de sol­chen Groß­ver­an­stal­tun­gen gegen­über ist immer, mich von der kon­kre­ten Auf­stel­lung (viel­leicht) über­ra­schen zu las­sen und nicht vor­her zu spekulieren.

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