John Bock, international bekannt für seine performative Kunst, betreibt eine sinnlich und synästhetisch überwältigende Inszenierungspraxis, mit der er Theater und Performance, Skulptur und Bastelei, Poesie und Geräusche, Gerüche und »Liquids« in Parcours verdichtet. Ob im Vortragssaal einer Akademie, im Museum oder unter freiem Himmel, immer fordert Bock sich selbst, seine Akteure und das Publikum heraus, macht neugierig, erheitert und erschreckt, vollführt poetische Volten, lässt es krachen.
Bevorzugt nutzt Bock alltägliche Materialien aus dem Haushalt, Kleidungsstücke, Unterhaltungselektronik oder sogar Nahrungsmittel, um daraus die Filmsets oder Installationen zu bauen. Die Verwendung von Heu, Melkmaschinen und Geburtshelfern in Verbindung mit einer „Koppel“- und »Modder«-Metaphorik zeugen von den Erfahrungen auf dem väterlichen Bauernhof. Er zitiert die Genres des Krimis und Horrorfilms und vereint sie mit dem Clownesken, Grotesken, Absurden und Komischen.
Bocks filmische Arbeit sucht die Extreme in der Außenwelt, wie etwa die Wüste des Wilden Westens in Palms von 2007 oder die historische Welt des Mittelalters in Unheil von 2018, für die Bock den Schauspielstar Lars Eidinger als Darsteller gewinnen konnte. Bei seinen Auftritten während der Ausgangsbeschränkung aufgrund der Corona-Pandemie trat John Bock inmitten einer Installation im eigenen Atelier auf und ließ diese improvisierten Performances über Social Media live streamen oder als Videoclip verbreiten. So etwa für die #kumachallenge der Kunsthalle Mannheim, für die John Bock das Nachtstück (1965) von Franz Erhard Walther zur Interpretation auswählte.
Nach dem Erststudium der Betriebswirtschaft studiert Bock Ende der 1980er Jahre an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg bei Walther, dessen Konzeptkunst mit Fokus auf Stofflichkeit, Interaktion und Sprache sichtbare Einflüsse in seinem Werk hinterlassen hat. Beibehalten hat er auch die ökonomischen Grundlagen, die er in verschiedensten Sprachebenen kombiniert: die logische Rhetorik der Ökonomie mit dem akademischen Jargon der Kunsttheorie sowie der Umgangssprache des elterlichen Bauernhofs. Bocks Vorliebe für Neologismen, Wortkomposita und Verfremdungseffekte schafft Verwirrung und macht Sinn zugleich. Mit Begriffen wie der Selbstbeschreibung „Quasi-Me“, der „Summenmutation“ als Hinweis auf ein Format aus unterschiedlichen Werkelementen und ‑stadien oder „Kunstwohlfahrt“ als Metapher für das Zusammenspiel von Kunst und Wirtschaft paart Bock Kunst, Wissenschaft und Alchemie, er vollzieht einen terminologischen Import aus Anlehnungskontexten des Kunstsystems und liefert mit Zitaten ständig Verweise auf die Literatur‑, Film- und Kunstgeschichte. Seine Performances und Filme folgen zwar Skripten, doch gibt es keine linearen Erzählstränge. Bock vergeht sich lustvoll an allen Konventionen sinnhafter Erzählmuster, er überzeichnet und verarbeitet sein Interesse am Unheimlichen, am Vergänglichen, an der Psyche des Menschen, auch in erotischen oder gewalttätigen Interaktionen der Figuren. Während er in seinen Filmen ein ausuferndes Aktionsmoment, eine bewegte Kamera mit Vorliebe für Close-ups, Materialexzesse, Schockeffekte und semantische Irritationen als Stilelemente nutzt, geht er in seinen Installationen vom performativen Sprechakt aus, dessen räumliche Umgebung als Bühne inszeniert wird. Er versetzt das Publikum in das „Stück“, wodurch es Teil der Inszenierung wird, ja sogar ganze Rauminstallationen am eigenen Körper erfährt, darin umherlaufen oder herumkriechen, klettern und sogar mitspielen kann.
Seine Werkästhetik wird von der Kunstkritik immer wieder in einen Kontext gebracht mit dem Dadaismus, den Surrealisten, den Wiener Aktionisten und Kunstschaffenden der näheren Gegenwart wie Paul McCarthy, Jason Roades, Ilya Kabakov, Christoph Schlingensief oder Gelitin. Bocks raumgreifende Installationen und Filme bieten interessante Vergleiche mit dem französischen Kollektiv Musée Igor Balut oder – in der nächsten Generation – mit den Theatre Sculptures und Performances des Künstlerduos Ryan Trecartin und Lizzie Fitch.
AUSSTELLUNG IN DER AUSSTELLUNG
Nach dem Abschluss der Hochschule in Hamburg schuf John Bock LiquiditätsAuraAromaPortfolio 1998 für die Erste Berlin-Biennale als Reaktion auf die neuen Erfahrungen in der Hauptstadt und vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Vorbereitung der Aktion „1. Mio $ Knödel Kisses Pfui” in der Galerie der Stadt Schwaz. Das Berlin der Wiedervereinigung und der dorthin gelockten jungen Kunstszene inspirierten Bock zu einer doppelbödigen Installation im ehemaligen Postfuhramt in Berlin-Mitte. In Anlehnung an die originalen Räume wurde in Mannheim ein ganzer Raum-im-Raum errichtet, der wie ein Simulakrum der originalen Räume funktioniert und in sich Haus und Bühne vereint. Die ursprüngliche Arbeit bleibt lebendig in dem zur Installation entstandenen Video, welches, auf Entscheidung des Künstlers, außerhalb der Raumrekonstruktion auf einem externen Bildschirm gezeigt wird. Die Besucher*innen können so die Berliner Räumlichkeiten und Objekte sehen, die nun in der Mannheimer Fassung wiederkehren. In beiden Räumen, die noch von der nüchtern-kargen Innenarchitektur zeugen, wie sie für Behörden der Deutschen Demokratischen Republik typisch war, wurde ein doppelter Boden eingezogen. Die Aufteilung in einen oberen und einen unteren Bereich birgt eine Bühne mit Untermaschinerie.
Während der obere Bereich von den Besucher*innen betreten werden kann, ist der mit duftendem Heu befüllte „Keller” nur durch Bodenöffnungen einsehbar. Auf beiden Ebenen hat John Bock Apparate seiner Performance platziert – manche rekonstruiert oder ergänzt. Bock selbst führte 1998 zwei Performances in den Räumen auf. Die auch in Mannheim zu sehende Videoaufnahme der ersten, noch ohne Publikum dargebotenen Performance war ab Ausstellungsbeginn im ersten Raum auf einem Fernseher zu sehen. Im zweiten Raum wurde und wird der Super-8-Film „Der Kuss” als Projektion gezeigt. Die Dauerschleife stellt eine erste Liebeserfahrung des Künstlers als Neuankömmling in Berlin vor. Der Kuss eines fremden Mädchens im Atelier sei eine „romantische Geste der Ankunft” gewesen, erläutert Bock heute, und spiele auf ähnliche Kussfilme von Andy Warhol oder James Lee Byars an, sowie auf den legendären Filmkuss zwischen Ingrid Bergman und Humphrey Bogart in Casablanca von 1942.
Im gleichen Raumsegment entdeckt man unter dem Zwischenboden das sogenannte „Musenzelt”. Das Video zeigt, wie eine junge Frau darin im Originalsetting Schallplatten abspielt und kleine plastische Diagramme formt. Während der vier Kapitel umfassenden Performance bewegt sich der Künstler durch alle Raumebenen, agiert in verschiedenen Rollen von unten durch die Bodenlöcher, immer verfolgt von der Kamera. Gleich im ersten Kapitel taucht Bocks Kopf inmitten eines „Diagramms“ aus dem Boden auf, das Gesicht geschminkt in Anlehnung an sein vielzitiertes Vorbild Alice Cooper; und er hält einen pseudowissenschaftlichen Vortrag über so genannte »AuraAromaGenusskurven« zur bestmöglichen Verteilung der „Rezipienten- Aura“ nach dem Pareto-Optimum. Im letzten Kapitel wirkt der Künstlerfreund Thomas Zipp als Gitarrist mit.
„Voll die Beule”, in Mannheim nun in direkter Nachbarschaft ausgestellt, lässt verwandte Motive in Bocks Schaffen erkennen: Konstruktionen mit Luken und Löchern, Schau- und Sprachspiel in einem, Nahrungsmittel, Pizzakartons, Stoffe und Klebstoffe, Paraphrasen aus der Musik und der Filmgeschichte, Alice Cooper als popkultureller Wiedergänger und schließlich die Inspiration durch eine erotische Figur in Form des Römischen Mädchens (o.J.) aus weißem Marmor von Adolf Abel (1902–1945), welche als Muse selbstreflexiv auf den Schöpfungsakt eines künstlerischen Werks bezogen ist.
2013 war „Voll die Beule” zentraler Bestandteil der Ausstellung „Nur Skulptur!”, mit welcher vor dem Abriss des postmodernen Museumsflügels von 1983 die dreidimensionale Kunst als Sammlungsschwerpunkt gewürdigt wurde. Der institutionskritische Ansatz im Werk von Bock ist deutlich wahrzunehmen, inszeniert er doch sein eigenes Ausgestelltsein als Selbstreflexion des Kunstsystems. Bock eignet sich hier nicht nur Alltagsgegenstände im Sinne von Readymades an, sondern gleich ganze Sammlungskonvolute und damit buchstäblich die Kunstgeschichte selbst, so wie er es bereits in den Ausstellungen Klütterkammer oder Fischgrätenmelkstand inszenierte. „Voll die Beule” ist autopoietisch, indem die Installation eine Auswahl von Werken anderer Künstler aus der Sammlung der Kunsthalle integriert, darunter in der jetzt gezeigten Fassung die Große Frauenstele 7/74 von Wilhelm Loth (1920–1993), Tobias Rehbergers (*1966) Performance (Frame Two) (1997), die Liegende Kuh von Ewald Mataré (1887–1965), hin zu drei Objekten aus dem Ersten Werksatz (1963–1967) von Franz Erhard Walther, aber auch extra gefertigte Repliken der Kleinen liegenden Kuh (1946) von Ewald Mataré und Michael Croissants Kopf (1985), dessen Kopie von Bock um eine Blechkurve und ein Selbstporträt erweitert wird. Auch hier erinnert ein Video an die ursprüngliche Fassung von 2013. In diesem lässt Bock die Performance von drei Schauspielern ausführen, die als „Kunstpacker” auftreten. Zugunsten des filmischen Endergebnisses tritt die Liveperformance in den Hintergrund, und die Erweiterung des Raumes durch die Mediatisierung der Aufführung wird ins Zentrum gerückt. Während bei beiden Werken der Ausstellung „AuraAroma Ω‑Beule” die Installation als Tatort und Erinnerungsort erscheint, wird die Performativität im Video gegenwärtig. Die ortsspezifische Konzeption der beiden Werke ist ein wichtiger Bestandteil ihrer aktuellen Neuinstallationen. Ihre Rekonstruktion im Museum führt ihren veränderbaren Zustand und damit Bocks dynamische Arbeitsweise als Künstler vor Augen. Die Ausstellung ist somit auch eine „Summenmutation” ihrer beiden Teile.
Autor: Sebastian Baden / Arbeitet seit 2016 als Kurator für zeitgenössische Kunst und Skulptur an der Kunst-halle Mannheim. Studium der Kunsterziehung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe und der Literaturwissenschaft am KIT (Karlsruher Institut für Technologie) sowie Freie Kunst an der Hochschule der Künste Bern (HKB). Promotion 2014 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (HfG) im Fachbereich Kunstwissenschaft und Medientheorie über „Das Image des Terrorismus im Kunstsystem“. sebastian.baden@mannheim.de
Autorin: Antonella B. Meloni / Sie ist wissenschaftliche Volontärin an der Kunsthalle Mannheim. Nach dem Studium der Umweltwissenschaften in Landau studierte sie italienische Romanistik und Kunstgeschichte in Dresden. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Projekt „Miniatur- Geschichten. Die Sammlung indischer Malerei im Dresdner Kupferstich-Kabinett“ als Teil des Forschungsprogrammes Europa/Welt tätig. antonella-meloni@mannheim.de