Konzentration auf die Idee hinter dem Kunstwerk

JOHN BALDESSARI

Mit gro­ßer Trau­er haben wir Anfang Janu­ar die Nach­richt vom Tod John Bal­dessa­ris (1931–2020) erhal­ten. Es wur­de im März 2020 im Moder­na Museet in Stock­holm eine seit lan­gem geplan­te Aus­stel­lung eröff­net, die eini­ge der wich­tigs­ten Aspek­te von John Bal­dessa­ris lan­ger und umfang­rei­cher Kar­rie­re zeigt.

Seit der ers­ten Aus­stel­lung im Jahr 1960 hat­te John Bal­dessa­ri über zwei­hun­dert Ein­zel­aus­stel­lun­gen und nahm an mehr als tau­send Grup­pen­aus­stel­lun­gen teil. Und obwohl er behaup­te­te, dass „man Kunst nicht leh­ren kann“, über­nahm Bal­dessa­ri auch vie­le Jah­re lang Lehr­auf­trä­ge, unter ande­rem an der damals neu eröff­ne­ten Kunst­aka­de­mie Cal­Arts (Cali­for­nia Insti­tu­te of the Arts) nörd­lich von Los Ange­les, wo er zwi­schen 1970 und 1988 lehr­te. Trotz sei­ner Bekannt­heit in der inter­na­tio­na­len Kunst­sze­ne und sei­nes gel­tend gemach­ten Ein­flus­ses als Pro­fes­sor ist Bal­dessa­ri in Schwe­den rela­tiv unbe­kannt geblie­ben, und die Aus­stel­lung im Moder­na Museet ist die ers­te umfas­sen­de Prä­sen­ta­ti­on sei­nes Wer­kes im Land.

Mit­te der 1960er Jah­re kam John Bal­dessa­ri zur Erkennt­nis, dass ein foto­gra­fi­sches Bild oder ein schrift­li­cher Text sei­ne künst­le­ri­schen Absich­ten bes­ser zum Aus­druck brin­gen kann als ein gegen­ständ­li­ches Gemäl­de. Die­se Ein­sicht ver­an­lass­te ihn, nicht nur die Male­rei als sol­che neu zu bewer­ten, son­dern auch das, was Kunst defi­niert, wie Kunst gemacht wird und wie Kunst aus­se­hen kann. In sei­nem Werk ver­nach­läs­sig­te er zuneh­mend die Vor­stel­lung, dass Kunst und Foto­gra­fie zwei getrenn­te Berei­che sind. Indem er sprach­li­che Unter­su­chun­gen und uner­war­te­te Moti­ve zusam­men­führ­te, schuf Bal­dessa­ri in über fünf­zig Jah­ren kon­zep­tu­el­le Kunst­wer­ke, die mit einem unter­schwel­li­gen Sinn für Humor und einem Hauch von Iro­nie immer wie­der die vor­herr­schen­den Nor­men und Gren­zen der Kunst herausfordern.

Die neue Her­an­ge­hens­wei­se an Text und Foto­gra­fie Mit­te der 1960er Jah­re ver­än­der­te auch Bal­dessa­ris Sicht auf sei­ne eige­ne Rol­le als Künst­ler. Er defi­nier­te wei­ter­hin den Rah­men und den Inhalt des Werks, über­ließ die Aus­füh­rung jedoch häu­fig ande­ren. In den 1960er Jah­ren wur­den in einer Rei­he von Text­bil­dern auf Lein­wän­den pro­fes­sio­nel­le Schil­der­ma­ler enga­giert, um Zita­te zu schrei­ben, die Bal­dessa­ri aus der Kunst­theo­rie oder aus Hand­bü­chern über­nom­men hat­te. Spra­che und ext wur­den für Bal­dessa­ri zu wesent­li­chen Werk­zeu­gen, wie für vie­le ande­re Künst­ler, die sich zu die­ser Zeit bemüh­ten, sich auf die Idee hin­ter dem Kunst­werk und nicht auf sei­ne ästhe­ti­schen Qua­li­tä­ten zu kon­zen­trie­ren. Die Bil­der und Zita­te für Bal­dessa­ris Wer­ke stam­men aus einer Viel­zahl von Quel­len, und er fand Inspi­ra­ti­on in ver­schie­de­nen Gen­res, die oft außer­halb des Bereichs der visu­el­len Kunst ange­sie­delt sind. Tex­te über Bal­dessa­ri bezie­hen sich häu­fig auf die Semio­tik und die Schrif­ten von Theo­re­ti­kern wie Fer­di­nand de Sauss­u­re und dem Struk­tu­ra­lis­ten Clau­de Lévi-Strauss als wich­ti­ge Ein­flüs­se, aber auch von Film­re­gis­seu­ren wie Jean-Luc Godard und Ser­gei Eisenstein.

John Bal­dessa­ri, I Am Making Art, 1971, © John Bal­dessa­ri, Cour­te­sy the artist / Mari­an Good­man Gal­lery, New York / EAI (Elec­tro­nic Arts Intermix)

John Bal­dessa­ri hat einen Künst­ler mit einer Per­son ver­gli­chen, die „unter unwahr­schein­li­chen Umstän­den Zusam­men­hän­ge erken­nen kann“. Mit der Zeit lässt er die gespann­ten Lein­wän­de und Foto­gra­fien zum Schau­platz vie­ler uner­war­te­ter Begeg­nun­gen unter unwahr­schein­li­chen Bedin­gun­gen wer­den. Bal­dessa­ri bringt hier Bil­der aus der Kunst­ge­schich­te, der Popu­lär­kul­tur und ver­schie­de­ne Arten von Tex­ten zusam­men. Die Nähe zu Hol­ly­wood, dem Macht­zen­trum der Film­in­dus­trie, und der Zugang zu Schwarz-Weiß-Stills aus Film­pro­duk­tio­nen, die zer­stört wer­den soll­ten, waren eine uner­schöpf­li­che Quel­le sei­ner künst­le­ri­schen Pra­xis. Wäh­rend des Arbeits­pro­zes­ses wer­den Details ver­grö­ßert oder über­malt. Die Moti­ve wer­den mit ande­ren Bil­dern und manch­mal sogar Wor­ten kom­bi­niert, und die neu­en Kon­stel­la­tio­nen lie­fern wei­te­re Inter­pre­ta­tio­nen und Bedeu­tun­gen. Die Wer­ke wer­den zu kom­ple­xen Col­la­gen, deren Rah­men in bestimm­ten Fäl­len das For­mat ver­än­dern oder ganz ver­schwin­den, wenn der Künst­ler die Form des Sujets auch die Kon­tu­ren des Wer­kes dik­tie­ren lässt. Bal­dessa­ri hat sei­ne Arbeit als „eine Suche nach dem genau­en und ein­zi­gen Wort, den rich­ti­gen Bil­dern“ beschrie­ben. „Und wenn die­se ato­mis­ti­schen Tei­le zusam­men­sto­ßen, kön­nen sich mäch­ti­ge Bedeu­tun­gen erge­ben. Die Auf­ga­be besteht dar­in, jene Bedeu­tun­gen zu ent­de­cken, die am wirt­schaft­lichs­ten und gleich­zei­tig am ele­gan­tes­ten sind. Und mit der Hoff­nung, die Gedan­ken und die See­le des Betrach­ters zu erre­gen und zu irritieren.“

Über mehr als fünf Jahr­zehn­te hat John Bal­dessa­ri die Bezie­hung zwi­schen Text und Bild unter­sucht und was sich ergibt, wenn man sie zusam­men­bringt. Durch die Ver­wen­dung und Aneig­nung bestehen­der Bil­der und Tex­te in sei­nem Werk pro­vo­ziert Bal­dessa­ri Fra­gen nach der Authen­ti­zi­tät und der Gül­tig­keit von Bil­dern, Fra­gen, die immer noch von hoher Rele­vanz sind. Sei­ne Arbeit kann als kon­sis­tent und wider­sprüch­lich beschrie­ben wer­den. Die Kunst­wer­ke sind gründ­lich durch­dacht und uner­war­tet, regel­ge­steu­ert und spie­le­risch, absurd und zugäng­lich. Bal­dessa­ris Pra­xis umfasst das Edi­tie­ren, Redu­zie­ren und Kom­pri­mie­ren. Den­noch erwei­tern sich die Wer­ke über die Sum­me ihrer Tei­le hin­aus durch die Bedeu­tungs­ver­schie­bung und die neue Bedeu­tung, die die Kol­li­si­on zwi­schen Text und Bild beim Betrach­ter her­vor­ruft. Wäh­rend John Bal­dessa­ri tra­di­tio­nel­le Bild­kon­ven­tio­nen und Vor­stel­lun­gen von dem, was Kunst aus­macht, neu bewer­tet, stellt er vor allem unse­re gewohn­te Art zu sehen in Fra­ge: „Mein Ziel war es immer, die Kon­ven­tio­nen des Sehens anzu­grei­fen. In dem Werk geht es dar­um, die Welt schräg zu sehen“.

John Bal­dessa­ri, Moder­na Museet, Stockholm
bis zum 16.8 2020

www.modernamuseet.se/stockholm/en/exhibitions/john-baldessari/

Beitrag teilen
geschrieben von

Sie ist Assistenzkuratorin am Moderna Museet und eine der Kuratorinnen für Pop Art Design. Sie hat an Ausstellungen wie 10 Stories - Schwedische Kunst aus der Sammlung des Moderna Museet; Kosuth und Warhol: An Exchange; Dalí Dalí with Francesco Vezzoli; Mary Kelly Four Works in Dialogue 1973-2010; Ed Ruscha: Fifty Years of Painting, Siri Derkert und Explosion Painting as Action gearbeitet. Außerdem kuratierte sie kürzlich Ausstellungen mit Künstlern wir Olafur Eliasson, Atsuko Tanaka und Thomas Schütte. Von 2001 bis 2006 war sie in der Kunst- und Lernabteilung des Moderna Museet beschäftigt.

0
    0
    Warenkorb
    Consent Management Platform von Real Cookie Banner

    Sie befinden sich im Archiv.
    Hier geht's zum aktuellen stayinart Online Magazin.

    This is default text for notification bar