VERSCHRÄNKUNG VON HIGH AND LOW
Eine starke künstlerische Position ist jede schon für sich – wenn sie dann auch noch als Duo zusammenarbeiten, entsteht im Zusammenspiel ein wahres Kaleidoskop an Bildern, Skulpturen, Installationen, Malereien, Fotografien, Videos und Performances. In den Arbeiten der beiden inter-national agierenden Künstlerinnen Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl geht es um Begehren, Identitätsentwicklung, (Trans-)Sexualität, Feminismus – immer wieder mit Referenzen zur Kunst- und Designgeschichte. Der Körper als solcher spielt dabei eine ganz zentrale, auch visuelle Rolle. Die Arbeiten haben Farbe und Humor, so wie die beiden Künstlerinnen selbst.
Nach Soloausstellungen in den letzten Jahren im Linzer Lentos, im mumok und in der Galerie Georg Kargl fine arts in Wien (Knebl) sowie im Salzburger Kunstverein, in der Galerie Crone in Wien sowie 2017 bei der Documenta 14 (Scheirl), bespielten sie 2020 das Kunsthaus Bregenz gemeinschaftlich. 2022 wiederholen sie das, wenn sie Österreich bei der Biennale in Venedig vertreten. Im Interview erzählt Jakob Lena Knebl von der Kunst, ihrer Zusammenarbeit und den Plänen für den Pavillon.
Eva Grumeth: Der Körper, Sexualität und Feminismus spielen eine essentielle Rolle in euren Arbeiten, ebenso wie Sinnlichkeit – haptisch, visuell, akustisch, farblich, medial. Wie wichtig ist euch die Identifizierung der Betrachter*innen mit euren Arbeiten, und in der Folge die Konfrontation mit deren eigenen Körpern?
JAKOB LENA KNEBL: In unseren Arbeiten setzten wir uns mit Identitäten auseinander und deren Transformationsmöglichkeiten. Nicht nur der menschlichen Identität, sondern auch jener der Genres, Dinge, Me-dien, Kontexte, des Materials usw. Daraus hat sich die Formel »Trans, …Genre, Medium, Kontext, Material…« entwickelt. Begehren spielt dabei eine zentrale Rolle und die Frage nach den Co-Akteur*innen dieses Prozesses. Es geht darum, den Betrachter*innen mit Hilfe der Verführung Alternativen jenseits von Normen vorzuschlagen, vorstellbar zu machen. Natürlich ist uns wichtig, dass unsere Arbeiten bei den Betrachter*innen etwas auslösen. Das muss keine Identifikation sein, das kann z. B. auch Erstaunen sein.
Du verwendest den Begriff »Begehrensräume«. Was verstehst du darunter?
Ich verwende den Begriff für meine installativen Arbeiten. Begehren ist ein zentraler Impuls im Prozess der Identitätskonstruktionen. Ein starker Antrieb, wohin es uns zieht – aber auch, was uns abstößt. Mich interessiert auch bereits der erste kleine Schritt der Annäherung. Wenn Dinge diamentral zu uns stehen und wenn aus Ablehnung im besten Fall irgendwann auch Neugierde entsteht. Mich interessiert auch die Auseinandersetzung mit dem Schwierigen. Der Prozess, wie aus Ablehnung Zuneigung werden kann. Das ist ein politischer Moment. Wie können wir Spaltung überwinden? Unseren Radius erweitern? Und uns in Dinge, Themen usw. hineinversetzen, die wir nicht als Teil unserer Haltung oder Identität definieren?
Einige Elemente, wie z. B. Puppenskulpturen oder Innenarchitektonisches wie Teppichbilder, Möbel, Lampen oder Materialien wie Plüsch, wiederholen sich in deinen Werken und Ausstellungen. Sind das abgeschlossene Werkgruppen oder kann man diese auch als eine Art Versatz-stücke sehen, die in unterschiedlichsten Installationen und Szenografien immer wieder eingesetzt werden? Also z. B. vom Lentos ins KUB und von dort nach Venedig?
Beides. Es sind abgeschlossene Werkgruppen. Ich nehme mir aber die Freiheit, Teile auch in anderen Installationen einzusetzen. Ich sehe das als dynamischen Prozess. Die Szenographien funktionieren auch wie Schauräume, die meine Arbeiten präsentieren. Als Vorschlag. Mich faszinieren Designmessen, die zu den Dingen auch einen möglichen Raum inszenieren. Als Versatzstücke im übertragenen Sinn kann man auch meine Bezüge zur Design- und Kunstgeschichte sehen.
In Ashleys Malereien teilen sich sehr diverse Akteure den Bildraum. Die unterschiedlichen Strömungen der Malereigeschichte werden in eine Dynamik versetzt. Aber die Malereien gehen auch in den Raum durch installative Eingriffe, wie z. B. bedruckte Tapeten, Malereiobjekte und Videoclips.
![09_Duo_FotobyGeorgPetermichl](https://archiv.stayinart.ch/wp-content/uploads/2021/06/09_Duo_FotobyGeorgPetermichl.jpg)
Identitätsentwicklung ist eines eurer zentralen Themen. Was treibt euch hier an?
Der Wunsch, Identität weiterzuentwickeln, zu verändern, kann aus Unzufriedenheit entstehen, aber auch aus einer Neugierde. Um Veränderung zuzulassen benötigt es das Vertrauen, das Wissen, dass Veränderung möglich ist. Das ist auch die Grundidee der Psychotherapien. Die Möglichkeit, sich zu verändern.
Du bezeichnest dich als Künstlerkuratorin. Das spielt auf deine Arbeit mit Kunst-Sammlungen an (zuletzt im mumok und Lentos). Was reizt dich an dieser Arbeit besonders?
Ich bin eine Künstlerin, die auch als Künstlerkuratorin in Erscheinung tritt. Zum Beispiel dann, wenn ich mit Sammlungen kuratiere und diese mit meinen eigenen Arbeiten verschränke. Oder wie bei »curated by« in der Galerie Crone, wenn ich zeitgenössische Positionen kuratiere. Wichtig ist mir dabei eine alternative Form der Präsentationen, die neue Sichtweisen auf die Werke ermöglicht.
Ich habe während meines Studiums in den Nullerjahren (an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei Heimo Zobernig und Raf Simons, Anm. d. Red) gemeinsam mit anderen Künstlerinnen fünf Jahre lang den Offspace »Auto« geführt, mit monatlichen Ausstellungen. In meinen eigenen Arbeiten mache ich meine Bezüge sichtbar. Dies brachte das mumok auf die Idee, mich einzuladen, mit der Sammlung zu arbeiten. Nach dieser Ausstellung folgten weitere Einladungen wie jene ins Lentos oder in die Galerie Loevenbruck in Paris. Aktuell ist in Genf die Ausstellung »walk on the water« im »MAH – Musée d´art et d´Histoire« zu sehen, für die ich von Marc Olivier Wahler eine Carte Blanche erhielt. Die Auseinandersetzung mit anderen Arbeiten, der Kunst- und Designgeschichte, hat einen großen Einfluss auf die eigenen Arbeiten und Projekte. Sie verändern einen. Das ist der spannendste Aspekt daran. Ich habe aber auch die Macht, Dinge zu präsentieren, die noch selten bzw. nie gezeigt wurden oder als Türöffnerin zu fungieren. In der Position der Künstlerin habe ich eine andere Freiheit als eine Kuratorin, die Kunstgeschichte studiert hat. Ich kann den Museumskanon ein Stück weit unterlaufen oder subvertieren. High and Low auf einer gleichberechtigten Ebene präsentieren.
In deinen Arbeiten gibt es immer wieder Dinge des Alltags, die an Versatzstücke aus der Kindheit erinnern. Z.B. Strumpfblumen, Teppiche oder Setzkasten. Was bedeutet das?
Ich reihe mich in die Tradition jener Avantgarden ein, die Kunst, Handwerk und Design zusammendachten – wie das Arts- and Crafts Movement, Bauhaus, Unovis usw. Ein Blick hinaus aus einem elitären Bereich hinein in den Alltag, der uns alle umgibt. Auch ganz im Sinne der Cultural Studies, in denen ein erweiterter Kulturbegriff angewendet wird. Nicht nur ein Blick auf die »Hochkultur«, sondern gleichberechtigt auf Alltagskulturen. Aber ja, dabei gibt es auch immer wieder Anknüpfungspunkte zu meiner eigenen Vergangenheit. Das mag auch an meinem Alter liegen. Der Blick zurück.
Überdimensionale Puppenskulpturen gehören da auch dazu. Sie wirken bedrohlich und liebevoll zugleich.
Ich setze mich mit der Darstellung des Körpers in unterschiedlichen Kontexten auseinander: In der Kunst, als Schaufensterpuppe, Sammlerpuppe, Sexpuppe usw. Dabei spielt das Material in der Abgrenzung eine wichtige Rolle. Die Keramikköpfe der ersten Serie meiner Puppenskulpturen sind von Henry Moores »head of a woman« beeinflusst. Der Körper ist aus Leder, inspiriert durch historische Puppen für Kinder. An einer überlangen Halskette hängen Genitalien, sie erinnert an ein Bettelarmband. Die Skulptur ist ein Körper im Raum, durch unsere Bewegung um diesen Körper nehmen wir unseren eigenen Körper im Raum wahr.
Euer Beitrag für die Biennale in Venedig 2022: Wie bereitet ihr euch darauf vor? Was habt ihr geplant?
Zum ersten Mal gab es in Österreich für die Biennale eine öffentliche Ausschreibung. Für die Einreichung war ein konkretes Konzept erforderlich.
Da die Biennale durch Corona um ein Jahr verschoben wurde, über-arbeiten und aktualisieren wir derzeit den Entwurf. Der österreichische Pavillon eignet sich perfekt für die Präsentation von zwei Positionen durch seine architektonischen Voraussetzungen. Jede von uns hat für einen Raum des Pavillons eine multimediale, sinnliche Installation entwickelt. Unsere Arbeiten wirken in die der anderen hinein. Es wird Momente geben, in denen unsere Einzelpositionen verschmelzen und zu einem »Wir« werden. Zeitgleich zur Biennale in Venedig wird es auch eine Ausstellung von uns in Wien geben, eine zweite Version des Beitrags in Venedig. Wir verbinden die beiden Orte, machen sichtbar, was in Venedig passiert. Nicht zuletzt auch für jene, die nicht zur Biennale reisen können.
Wie arbeitet ihr zusammen?
Da wir einander bei den Solo-Ausstellungen unterstützen und dort auch auf die Arbeiten der anderen einwirken, hat sich eine gemeinsame Praxis daraus entwickelt. Wir diskutieren sehr viel. Es geht darum, Ideen dem Gegenüber zu vermitteln und die Momente zu finden, an denen wir einander begegnen. In unseren Arbeiten als Duo – beispielsweise im KUB in Bregenz – sind immer auch noch die Soloarbeiten präsent. Wir entwickeln ein Feld, in dem das »Ich« und das »Wir« in eine dynamische Situation versetzt werden. Humor ist dabei ein wichtiges Werkzeug, um schwierige Themen zu vermitteln, Mächtige zu stürzen, einen Kippeffekt zu produzieren. Auch in Form von Selbstironie.
Es ist schon interessant, dass es erstaunlich wenige Künstlerinnenduos in der Kunst gibt. Das ist sicher auch ein wichtiger Antrieb für uns.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute!
Das Interview ist in der Printausgabe collector’s choice edition Sammlung Hainz erschienen.
Foto ganz oben: Ausstellungsansicht »Oh! Jakob Lena Knebl and the Mumok Collection«
Jakob Lena Knebl | Mumok Vienna | 2017 foto by: Christian Benesch