Die Nachfrage nach Kunst ist ungebrochen stark

Interview mit Andrea Jungmann

Andrea Jung­mann ist seit 1989 bei Sotheby’s tätig. Im Jahr 2001 wur­de sie zur Geschäfts­füh­re­rin für Sotheby’s Öster­reich und Ungarn und 2004 zum Seni­or Direc­tor Sotheby’s Lon­don ernannt. Sie ver­fügt über lang­jäh­ri­ge Erfah­rung auf dem Gebiet der Kunst des 20. Jahr­hun­derts und des Kunst­mark­tes. Neben dem Ver­kauf von Paul Rubens‘ Mas­sa­ker der Unschul­di­gen für 76.5 Mil­lio­nen USD im Jahr 2002 war sie maß­geb­lich an der Ver­stei­ge­rung ver­schie­de­ner bedeu­ten­der Wer­ke öster­rei­chi­scher Künst­ler betei­ligt, wie z.B. der Kru­mau­er Land­schaft von Egon Schie­le, die im Juni 2003 in Lon­don für 14,6 Mil­lio­nen Pfund ver­kauft wur­de, und Gus­tav Klimts Kir­che in Cas­so­ne, das bei Sotheby’s Lon­don im Febru­ar 2010 umge­rech­net 43 Mil­lio­nen USD erziel­te – ein Auk­ti­ons­welt­re­kord für eine Land­schaft von Gus­tav Klimt. Des Wei­te­ren lei­te­te Andrea Jung­mann 2011 auch den Ver­kauf von Schie­les „Häu­ser” mit bun­ter Wäsche (Vor­stadt II) im Auf­trag des Leo­pold-Muse­ums, wel­ches für umge­rech­net knapp 40 Mil­lio­nen USD ver­kauft wur­de. Die­ser bei der Ver­stei­ge­rung in Lon­don erziel­te Preis mar­kiert nach wie vor den Auk­ti­ons­welt­re­kord für eine Arbeit Egon Schie­les. Auch in den letz­ten Jah­ren war sie feder­füh­rend beim Ver­kauf wei­te­rer Meis­ter­wer­ke von Gus­tav Klimt, so zum Bei­spiel bei dem Gemäl­de Litzl­berg am Atter­see, das im Novem­ber 2011 bei Sotheby’s New York 40,4 Mil­lio­nen Dol­lar erziel­te, und dem Bild­nis Ger­trud Loew – Ger­tha Fels´óványi 2015 in Lon­don für umge­rech­net 38,8 Mil­lio­nen USD. Ein wei­te­rer Höhe­punkt ihrer Kar­rie­re war die Auk­ti­on von Egon Schie­les Däm­mern­de Stadt (Die klei­ne Stadt II) in New York 2018, wel­ches mit 24,5 Mil­lio­nen USD nun die zweit­teu­ers­te Arbeit des Künst­lers in einer Auk­ti­on ist. Jung­mann hat einen Mas­ter-Abschluss in Kunst­ge­schich­te sowie ein Diplom in Kul­tur­ma­nage­ment. Wir unter­hal­ten uns mit der Exper­tin über die der­zei­ti­ge Situa­ti­on am Kunstmarkt.

Por­trät Andrea Jung­mann, © Lukas Beck

Immer auch mit dem Herz kau­fen und auf die Qua­li­tät ach­ten. Dann kann nichts schief gehen. 

Wir haben heu­er zum ers­ten Mal in der Geschich­te einen glo­ba­len Lock­down erlebt. Wie sind Sie mit die­sem „Still­stand“ umgegangen?

Von Still­stand war bei uns wirk­lich nur ganz kur­ze Zeit etwas zu bemer­ken. Wir haben umge­hend alle übli­cher­wei­se live statt­fin­den­den Ver­stei­ge­run­gen welt­weit auf Online-Auk­tio­nen umge­stellt. So haben wir die Anzahl die­ser Online-Auk­tio­nen von Janu­ar bis Ende Juli im Ver­gleich zu 2019 mehr als ver­dop­pelt. Gleich­zei­tig konn­ten wir den Umsatz aus die­sen Online-Auk­tio­nen zum Ver­gleichs­zeit­raum des Vor­jahrs um 540% stei­gern. Dies war natür­lich für uns alle eine Her­aus­for­de­rung auf unter­schied­li­chen Ebe­nen, aber zugleich haben wir damit auch die für die Zukunft geplan­te Ent­wick­lung vor­weg­ge­nom­men und inner­halb von 2 Mona­ten erfolg­reich am Markt und bei unse­ren Kun­den etabliert.

Sotheby’s konn­te Medi­en­be­rich­ten zufol­ge im ers­ten Halb­jahr 2,5 Mil­li­ar­den Dol­lar umset­zen. Es hät­te schlim­mer lau­fen kön­nen, ode

Ja, die schnel­le Reak­ti­on und der Ein­satz unse­res glo­ba­len Teams hat uns sehr gut durch die­se neue Zeit getra­gen. Ich den­ke, wir kön­nen stolz auf die­ses Ergeb­nis in so einer schwie­ri­gen Zeit sein.

Welche Stra­te­gie wur­de hier ange­wen­det, um trotz der vie­len not­wen­di­gen Maß­nah­men und der aus­blei­ben­den Live-Auk­tio­nen die Samm­ler* innen für Kunst­an­käu­fe zu motivieren?

Wir hat­ten schon vor Covid-19 groß­ar­ti­gen Online Con­tent, der nach dem Lock­down um ein Viel­fa­ches ver­grö­ßert wur­de. Durch­So­cial-Media-Akti­vi­tä­ten, aber auch durch das viel­fäl­ti­ge  Ange­bot unse­rer Online-Auk­tio­nen sowie unse­rer her­aus­ra­gen­den Exper­ti­se, die wir auch online jedem zur Ver­fü­gung stel­len, konn­ten wir 30% neue Kun­den in unse­ren Auk­tio­nen ver­zeich­nen. Dar­über hin­aus haben mei­ne Kol­le­gen und ich auch wäh­rend des Lock­downs zu einem Groß­teil unse­rer Kun­den per Tele­fon oder Email Kon­takt gehal­ten. Auch trotz der viel­fäl­ti­gen digi­ta­len Vor­tei­le ist eine per­sön­li­che Betreu­ung vie­len unse­ren Kun­den nach wie vor sehr wichtig.

Der Titel die­ser Son­der­aus­ga­be lau­tet „DA CAPO!“. In vie­len Berei­chen spricht man von einem „Restart“ oder auch einem Neu­an­fang. Wie wird sich Ihrer Mei­nung nach der Kunst­markt nun ori­en­tie­ren? Wird es zu einer Um- oder Neu­ori­en­tie­rung kommen?

Ich wür­de von einem Umden­ken spre­chen, oder sogar einer Beschleu­ni­gung von bereits vor­han­de­nen Stra­te­gien. Wir hat­ten zum Bei­spiel ohne­hin geplant, kaum mehr Auk­ti­ons­ka­ta­lo­ge zu dru­cken, und mehr Online-Auk­tio­nen abzu­hal­ten. Durch den Lock­down ist dies ein­fach um eini­ges frü­her als geplant gesche­hen. Ich den­ke, dass nicht nur auf dem Kunst­markt eine Neu­ori­en­tie­rung statt­fin­den wird. In wel­che Rich­tung das genau gehen wird, wer­den die nächs­ten Mona­te zei­gen. Was uns das letz­te hal­be Jahr jeden­falls gezeigt hat, ist, dass die Nach­fra­ge nach Kunst nach wie vor unge­bro­chen stark ist. So erziel­ten wir trotz der Kri­se unglaub­li­che 73,1 Mil­lio­nen USD für ein Tri­pty­chon von Fran­cis Bacon in unse­rer New Yor­ker Zeit­ge­nos­sen-Auk­ti­on im Juni. Auch in unse­ren rei­nen Online-Auk­tio­nen konn­ten wir eini­ge neue Rekor­de ver­mel­den, so mar­kie­ren zum Bei­spiel die im April erziel­ten 1,3 Mil­lio­nen USD für ein Tut­ti-Frut­ti-Arm­band von Car­tier den höchs­ten Preis, der jemals in einer Online-Ver­stei­ge­rung für ein Schmuck­stück bezahlt wurde.

Welche Art von Kunst ist der­zeit Ihrer Erfah­rung nach die gefragteste?

Gute Kunst ver­kauft sich immer gut. Ich weiß, das klingt abge­dro­schen, aber so wie es vie­le ver­schie­de­ne Kunst­rich­tun­gen gibt, gibt es auch unter­schied­li­che Samm­ler­ty­pen. Wir haben in den Auk­tio­nen der letz­ten Mona­te immer wie­der begon­nen, ver­schie­de­ne Kate­go­rien zu mischen, wie zum Bei­spiel Alte Meis­ter mit zeit­ge­nös­si­scher Kunst oder Design. Und der Erfolg hat uns recht gege­ben. Es wird „cross­over“ gekauft, also jun­ge Leu­te inter­es­sie­ren sich für Alte Meis­ter, ein Samm­ler Alter Meis­ter kauft viel­leicht ein­mal ein Design­stück. Und Hand­ta­schen sind gera­de der gro­ße Renner…

Wie sieht es mit der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on an Sammler*innen aus – sagen wir mal jene bis 40. Sind die für Sie als Auk­ti­ons­haus wichtig?

Die jun­ge Gene­ra­ti­on hat durch unser Online-Ange­bot sehr viel leich­te­ren Zugang zur Kunst gewon­nen, und eine gewis­se Schwel­len­angst ist dadurch auch wege­fal­len. Jun­ge Men­schen sind mit Social Media und dem Inter­net auf­ge­wach­sen und haben kei­ne Scheu davor, die­ses nut­zen. Nicht nur, dass die­se jun­ge Gene­ra­ti­on auch den größ­ten Anteil unse­rer neu­en Käu­fer aus­macht, son­dern der Anteil von Kun­den unter 40 Jah­ren liegt in unse­ren Auk­tio­nen mitt­ler­wei­le bereits bei erstaun­li­chen 30%.

Was wür­den Sie mit Ihrer lang­jäh­ri­gen Exper­ti­se jun­gen Sammler*innen ans Herz legen?

Immer auch mit dem Herz kau­fen und auf die Qua­li­tät ach­ten. Dann kann nichts schief gehen.

Welche Fähig­kei­ten und Per­sön­lich­keits­merk­ma­le sind in Ihrer Posi­ti­on als Geschäfts­füh­re­rin eines so renom­mier­ten Auk­ti­ons­hau­ses wie Sotheby’s unabdingbar?

Eine inter­es­san­te Fra­ge. Ich lie­be mei­nen Job. Ich emp­fin­de es als gro­ßes Pri­vi­leg, in die­sem Bereich arbei­ten zu dür­fen. Man trifft inter­es­san­te Per­sön­lich­kei­ten und hat mit Kunst zu tun – was gibt es Schö­ne­res. Neben dem kunst­his­to­ri­schen Wis­sen sind – Fle­xi­bi­li­tät, gute Kom­mu­ni­ka­ti­on, Ver­hand­lungs­ge­schick, Ein­füh­lungs­ver­mö­gen und Geduld mei­ner Ansicht nach die Grund­vor­aus­set­zun­gen für die­sen Job.

Als Sotheby’s Che­fin hal­ten Sie auch immer wie­der Bene­fiz­auk­tio­nen ab. Wel­che Pro­jek­te unter­stüt­zen Sie hier im Besonderen?

Seit vie­len Jah­ren unter­stüt­ze ich see­dingart und ICEP, bei denen ich auch im Vor­stand tätig bin. See­dingart ver­mit­telt Kunst an Kin­der und hilft mit der dar­aus ent­stan­de­nen Kunst (ande­ren) Kin­dern. ICEP bringt die Wirt­schaft zu den Men­schen in Afri­ka und Süd­ame­ri­ka und die Men­schen aus die­sen Län­dern zur Wirt­schaft. Hier wer­den vor allem Frau­en durch ver­schie­de­ne Empower­ment-Pro­gram­me geför­dert. Nächs­tes Jahr gibt es zum drit­ten Mal dann auch wie­der eine gro­ße Cha­ri­ty-Auk­ti­on zuguns­ten des Hos­piz Renn­weg, die hof­fent­lich statt­fin­den kann. All die­se Pro­jek­te lie­gen mir auch per­sön­lich sehr am Herzen.

Welchen Moment wür­den Sie als „das High­light“ Ihres bis­he­ri­gen Enga­ge­ments für Sotheby’s bezeichnen?

Es gibt sehr vie­le High­lights! Man platzt fast vor Auf­re­gung und Stolz, wenn ein Kunst­werk nach vie­len Mona­ten oder Jah­ren Arbeit einen Rekord­preis auf einer Auk­ti­on erzielt, wie zum Bei­spiel das Mas­sa­ker der Unschul­di­gen von Rubens 2002. Selbst nach Jahr­zehn­ten im Auk­ti­ons­be­reich steigt bei mir noch immer der Puls, wenn ein von mir betreu­tes Kunst­werk in einer Auk­ti­on auf­ge­ru­fen wird. Dane­ben sind es aber vor allem die vie­len stil­len und per­sön­li­chen Momen­te und Geschich­ten, von denen es vie­le gibt und jede auf Ihre Art ein­zig­ar­tig ist, wie zum Bei­spiel wenn man mit dem Ver­käu­fer eines resti­tu­ier­ten Bil­des nach erfolg­rei­chen Ver­hand­lun­gen und Ver­kauf Freund­schaft schließt. Das sind wohl die schöns­ten Erinnerungen.

Wie sieht das Pro­gramm für den Herbst aus? Wel­che Auk­ti­ons­ter­mi­ne soll­te man kei­nes­falls verpassen?

Auch für die zwei­te Jah­res­hälf­te gibt es wie­der ein viel­fäl­ti­ges Auk­ti­ons­pro­gramm ver­schie­dens­ter Spar­ten bei Sotheby’s. Zu den High­lights gehö­ren sicher­lich die Zeit­ge­nos­sen-Auk­tio­nen im Okto­ber in Lon­don, und die gro­ßen New Yor­ker Auk­tio­nen im Novem­ber, aber auch unse­re Magni­fi­cent Jewels Auk­ti­on in Genf. Am bes­ten, Sie ver­schaf­fen sich einen Über­blick mit dem Auk­ti­onska­len­der auf unse­rer Web­site. www.sothebys.com

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