Hans Aichinger und Bertram Kober
WORÜBER MAN NICHT SPRECHEN KANN, DAS MUSS MAN ZEIGEN ÜBER INSZENIERUNG DER FOTOGRAFIE ALS ANFANG DER MALEREI
Wenn Hans Aichinger und Bertram Kober die kleinen Tableaux inszenieren und fotografieren, mit denen der Maler anschließend seine Bilder malt, ist es dunkel im Fotostudio, und schnell wird es heiß. Obwohl sich die Aktion durchaus nervös zuspitzen kann, scheinen Fotograf und Maler sie zu genießen. Jede Minute koste ihn ein Vermögen, beklagt der Maler die Studiomiete, was der Fotograf mit dem Hinweis auf den Freundschaftspreis zu parieren versucht. Meist zwei, höchstens drei juvenile Darsteller sind anwesend und harren der Anweisungen. Der Maler hat eine Tasche mit verschieden farbigen Kleidungsstücken für die Modelle mitgebracht und vielleicht einen einfachen Gegenstand, den ‚eine Figur’ eventuell in die Hand nehmen soll. Er hat eine Skizze vorbereitet und lässt die Modelle die imaginierten Posen einnehmen. Dann geht es erst richtig los. Dann nämlich stellt der Fotograf das Licht, dann rückt man das Kamerastativ hin und her und her und hin und probiert verschiedene Höhen. Jedesmal wird der Apparat ausgelöst und es erscheint ein Bild auf dem Computer.
Es wird angeschaut, kritisiert, verworfen und im Zweifel gespeichert. Nervosität kommt auf, weil man sich zwangsläufig missversteht und widerspricht, weil die Ungeduld sich mit der Angst paart, die schon erreichte Annäherung an das Wunschbild wieder zu verlieren. Vor er-weiß-nicht-wie-vielen Jahren kam Hans Aichinger darauf, was ihn weniger abhängig von der Zeit der Modelle und deren Kosten machen könne: Fotos als Arbeitsgrundlage. Inzwischen scheint die Prozedur so weit entwickelt, dass die ersten Korrekturen, die der Maler als Malender vermutlich als unbedingt notwendig ansehen würde, schon in diesen ersten Arbeitsschritt vorgezogen sind. Man schenkt sich wenig, das Ergebnis ist ein zu malendes Bild als Fotografie.
Es ist nur verständlich, dass Maler sich weiterhin etwas genieren erkennen zu lassen, wie sie Fotografie benutzen. Zwar war das zu allen Zeiten gängige Praxis. Als eine der ersten praktischen Anwendungen stellte Fotografie am Ende des 19. Jahrhunderts den Malern einen Katalog von Körperposen zur Verfügung. Die Maler mussten sich nicht mehr vor die vorbildlich-verbindlichen Gipse stellen, sie ließen sich deren Fotografien kommen. Das Genieren ist dennoch verständlich, weil die Hilfe des Fotos und vor allem dessen Projektion oft die Prothese zu sein schien, ohne die das zu Malende nicht hätte gelingen können. Nachschub für den Verdacht lieferte das 21. Jahrhundert reichlich. Im vermeintlichen (so eine Ausstellung der Saatchi Gallery, 2005) Triumph of the Painting über die anderen Medien nahm die Malerei doch eher Schaden. Denn oft ‚tilgten’ die zeitgenössischen Malerinnen und Maler die medientypischen Spuren ihrer Fotovorlagen keineswegs. Die Verzerrungen der Winkel und vor allem Unschärfen waren geradezu schick in der Malerei des ersten Jahrzehnts nach 2000, bezeugten sie doch gerade das mediale Spiel, die Transformation, mit der sich die Kunst intellektuell aufzuwerten versuchte. Diese Malerinnen und Maler schämten sich des fotografischen Genres keinesfalls, und indem solches als malerischer Triumpf galt, trat ein Gewöhnungsschaden ein. Denn triumphieren kann nur Malerei, die dem Auge folgt und den anderen eigenen Sinnen, nicht jedoch Linse und Projektor das Feld überlässt.
Für Aichinger sind diese Miseren ohne Belang. Denn im Grund wird im Fotostudio vieles getan, um die Ästhetik des erwünschten Bildes vorzubereiten. Allein der Hinweis auf die Lichtführung reicht als Beleg dafür aus. Bertram Kober versteht sich hier eher als dienstleistender Malerassistent denn als künstlerischer Fotograf. Dass er vom Licht das versteht, was man davon verstehen kann, beweist allein seine Serie von italienischen Kreuzwegstationen, von den Sacri Monti. Freilich ist die Beleuchtung darin sehr viel zurückhaltender als in der effektvollen Caravaggio-Expression, die Aichinger so liebt, und die Gebärden der Passionsfiguren sind anders echt, jedenfalls weniger distanziert und quasi reflektiert als die der ins Licht gestellten Figuren auf Aichingers Bühnen. Gewiss verbindet die beiden Akteuren auch je als Künstler einiges. Zum Beispiel orientiert auch Bertram Kober seine Serien gern auf den den zweiten Blick hin, typologisch und soziologisch, hinter den Oberflächen, und auch er liebt den doppelten Boden.
Hans Aichinger, der expressiv begann, hat sein brillantes Können seitdem in den Dienst mancher Verwirrung gestellt. Postmoderner Übermut half aus einer Sinnkrise. Was sind schon alte oder neue Schläuche!? Etliche Jahre schlug er stilistische Haken und ließ die Kritiker über seine ‚polyvalenten Identitäten’ und sein ‚Ghostpainting’ spekulieren. Da lösten Großporträts eines Heidegger oder Beckett scheinbar psychedelische Formschlieren ab und wechselte grauweißes Wasserspiegeln mit puren Farbteppichen. Immer wieder schien in den sowohl figürlichen als auch abstrakten Bildern die Thematisierung des Malens hindurch, oft genug als Spiel mit der Grenze zwischen Fiktion und Realität. Um 2005 dann, inzwischen hatte der ‚ältere’ Nachzügler an den Erfolg der Kollegen von der ‚Neuen Leipziger Schule’ anknüpfen können, fand er seinen heutigen Stil. Zunächst ‚jüngere Juvenile’ knieten da einfach und warfen Schatten und taten nichts weiter, das ihre Anwesenheit im Bilde hätte begründen können. Kurz danach bereits begann der Maler, das warme Licht auf die Hauptpersonen mit tiefen Schatten zu umhüllen, zuweilen melancholisch, zuweilen pathetisch. Die erste Frage lautet seitdem immer: Worauf warten die da?
Aichinger malt zeitlose Gegenwart. Er kombiniert, was sich widerspricht. Die Kledage ist populär und lässig, hier und jetzt; doch werden die Jungs stillgestellt, ganz ohne Mobile, gestisch gebremst und vor allem vom Licht auch zeitlich geplättet. Ergänzt um das motivische Spiel mit zum Beispiel Totenköpfen und Seidenstoffen, beides Elemente der Malereigeschichte, erreicht der Künstler, dass das Bild wie stillsteht, als sei die Szene schon enthoben in die Gnade unendlicher Zeit. Zu diesem Ergebnis trägt die Feinmalerei entschieden bei, der althergebrachte Stil wirkt plötzlich aktuell: Haltet ein, rät er, und so werdet ihr finden: Pause, Auszeit, Besinnung!
Alle Bilder von Aichinger könnten ‚Ahnung’ heißen. Er liebt es, auch mit den Titeln gedankliche Räume zu öffnen, zuweilen ist auch erst ein Begriff da, und ein Bild wird dazu erdacht – womit wir beim Thema von Sagen und Zeigen sind. Was vom Foto aus mit dem Bild geschieht,vermittelt die kleine Abbildungsserie. Der Maler war offenbar mit der Grundanlage zufrieden. Er verwandelte den Fußboden etwas. Falten wurden modifiziert, die Gesichter etwas erhitzt. Es macht diesem Maler Spaß, die Bildtitel Dinge ansagen zu lassen, von denen man das eine Bild dafür nicht erwartet: Erdkunde, sogar Anthropologie, Old Economy. Immer steht das Gemalte dazu in einem frisch-frechen Verhältnis. Aichinger beteuert, und man glaubt es ihm, dass zwischen Bild und Titel niemals Willkür walte. Tatsächlich starten die Assoziationen unmittelbar. Der Unterschied zwischen ‚Sagen und Zeigen’ ist durch die kleine Ludwig- Wittgenstein-Renaissance in den letzten Jahren bekannter geworden. Die Gelehrten diskutieren weiterhin, welche Bedeutung diese Denkfigur für den ganzen Logiktraktat habe. Einer Briefbemerkung Wittgensteins zufolge ist die Unterscheidung zwischen Sagen und Zeigen die Grundfrage der Philosophie schlechthin.
Freilich ist das Thema uralt. Schon Aristoteles notierte, dass niemand einen Gedanken haben könne ohne eine bildliche Vorstellung – Begriff und Bild, Logik und Imagination sind sehr verschieden, auch wenn es viele Überschneidungen gibt. Das Zeigen ist als das überlegene Prinzip der (auch sprachlichen) Künste unangefochten. In auch Leipziger Künstlerkreisen wurde gern eine asiatische Parabel strapaziert, in der ein Meister seine Schüler auffordert ein bestimmtes Stockschlagen zu deuten und die richtige Antwort lautet, die Bedeutung der Geste sei nur durch ein imitierendes Re-bedeuten zu formulieren, nur zu zeigen, nicht zu sagen. In Aichingers Bedeutungsspiel in Sagen und Zeigen unterscheiden sich zwei Jungs voneinander durch ihre individuellen Züge, was die Positionen aber eher verbergen. Schneller erkennt man durch das Stöckchen, dass der eine in der Hand hält, einen markanten Unterschied. So ein Stock in einem Bild mit dem Titel Sagen und Zeigen ist selbstverständlich ein Zeigestock. Selbst eingedenk gewisser Interferenzen sollte die Zuordung also klar sein. Doch ist damit irgend etwas gewonnen? Der listige Maler spielt abermals mit der so heimtückisch flottierenden Referenz, hier nun zwischen Sagen und Zeigen. Das Bild thematisiert damit ein wesentliches Merkmal von Aichingers Kunst insgesamt. Das Unsagbare ist überall, was im konkreten Fall heißt: Was immer über Sagen und Zeigen zu sagen wäre, es wäre nicht das, was das Bild zeigt.