Kunstwerke mit besonderer Atmosphäre
Wenn „die Sprache gleichsam der Leib des Denkens ist“, wie Hegel meint, schafft dann Kunst die Körpersprache der Dinge? Anhand der Lichtobjekte von Heike Stuckstedde lässt sich diese Frage bejahen. Es scheint im buchstäblichen Sinn so, als würden diese skulpturalen Gebilde mit dem Betrachter sprechen, meist nicht laut, sondern flüsternd. Die Objekte kommunizieren somit raumgreifend und halten diese Konversation meist subtil. Dass sie dies leisten, ist einerseits der Physik und andererseits dem ästhetischen Verständnis der Künstlerin geschuldet. Buchstäblich lässt sich dadurch der Raum in neuem Licht betrachten, denn das Thema Atmosphäre ist für Stuckstedde zentral.
Heike Stuckstedde arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Design und entwirft unter dem Markennamen ATARA ausschließlich Unikate. Als zentrales Element verwendet sie Lichtleiter, die sowohl Sonnenlicht als auch LED als Hybrid-Technik nutzen, um eine charismatische Atmosphäre im Raum zu schaffen und dabei Energie zu sparen.
Die Lichtleiter sind mit einer Fülle an Materialien zu Unikaten verbunden und können alle erdenklichen Formen schaffen. Dieses stilistische Repertoire ist der Phantasie und der ausgeprägten Reisetätigkeit der in Wien lebenden Deutschen zu verdanken. Ein kulturhistorischer Reichtum hallt in den polymorphen Objekten wider, manchmal sind es archaische Formen, manchmal ethnologische Konnotationen. Dabei könnten die zur Anwendung kommenden Materialien unterschiedlicher kaum sein.
MAULBEERBAUM UND SCHATTENFUGE
Für das Objekt LIGHT\TRACE hat Stuckstedde die Lichtleiter in handgeschöpfte Strohseide eingebettet. Diese aus der Rinde des Maulbeerbaums gewonnene Strohseide ist ausgesprochen fein und weich. Mit bloß 25 Gramm pro m² ist die Leichtigkeit offenbar. Gewonnen wird dieses luzide Material durch das Schälen der Baumrinde. Diese wird gekocht, geschlagen, gewalkt und dann ausgestrichen sowie mehr und mehr mit Wasser verdünnt. Aus dieser breiigen Konsistenz gewinnt man die Papierbögen. Das qualitative Merkmal eines handgeschöpften Papiers sind die Fasern. Strohseide ist sicherlich primär in Innenräumen anwendbar. Doch auch hier hat die Künstlerin mit Raffinesse das Material verstärkt und die Oberfläche mit Firnis versehen. So ist sie besser vor Staub und Feuchtigkeit geschützt. Darauf ist außerdem Palladium aufgetragen. Damit gewinnt das grundsätzlich dünne Objekt an Körper und somit Tiefe. Besonderes Geschick ist beim Arrangement der Lichtleiter nötig. Schließlich liegen die Lichtleiter bei diesem Unikat geschichtet über- und nebeneinander. Selbst eine periphere Intervention hat Konsequenzen für das Ganze. Der Arbeitsaufwand bei dieser Lichtinstallation wie auch bei anderen war dementsprechend enorm. „Ich habe diese Lichtinstallation außerdem in eine Vertiefung in der Wand gesetzt. Dadurch erziele ich einen wunderbaren Effekt durch die Schattenfuge. Wo die Lichtleiter über den Rand laufen, entstehen magische Lichtreflexe, die lebendig sind“, beschreibt die Künstlerin anschaulich, welche Details ein markantes Mehr an Originalität schaffen. „Darüber hinaus schütze ich die Rückseite des Objekts mit einer Polycarbonat-Platte. Die gewonnene Stabilität nimmt nichts vom schwebenden Charakter des Objekts, verstärkt jedoch die Widerstandsfähigkeit gegenüber Verletzungen der Oberfläche.“
PHYSIK, PHYSIOLOGIE UND PSYCHOLOGIE
So lichtintensiv diese Installationen auch sind, so wenig ändern sie an der Raumtemperatur. Die Lichtleiter machen genau dies, sie leiten Licht; Wärme transportieren sie jedoch keine. Ein spürbarer Vorteil auf der Haut, aber auch im Portemonnaie und beim carbon foot print, denn zusätzliche Kühlung bei sommerlicher Überhitzung fällt dadurch weg. Energiekosten können im Einzelfall halbiert werden. Gespeist werden die Lichtleiter entweder über das Sonnenlicht mittels Suntrackern im Freien, die das Licht über Fresnellinsen – also großflächige Stufenlinsen aus Kunststoff – in den Innenraum leiten. Neigt sich der Tag zu Ende, kommt die Stunde der LED-Technik. Dieses Hybrid reguliert automatisch, welche Lichtquelle gerade zu nutzen ist. Die Atmosphäre des Sonnenlichts in den Objekten, das von gleißend Weiß bis Orange-Rot reicht, ist atemberaubend.
Bei einer Anwendung im Freien ist eine Ummantelung der Lichtleiter nötig, da der direkte Einfluss des UV-Lichts kontraproduktiv ist, eine gelbstichige Lichtatmosphäre wäre die Folge. Doch die Ummantelung bewahrt nicht nur davor, sie leistet auch höhere Homogenität bei der Lichtabgabe. „Ich kann hier nicht so partiell arbeiten wie bei der Installation in Innenräumen, erhalte so aber eine optisch veränderte Wirkung, die ich bereits beim Entwurf einbeziehen muss“, erklärt die ungewöhnliche Lichtinstallateurin ein wesentliches Detail.
Für LIGHT\TRACE durchzieht Perlon verbunden mit schwarzen Kunststofffäden ein kreisrundes Objekt. Es ist ein fast transparentes Material und verfügt über eine spannende Elastizität. Während es in eine Richtung biegsam ist, verhält es sich in die andere steif. „Mit diesen Qualitäten spiele ich, mache sie mir gestalterisch zunutze und schaffe so eine reizvolle Ambivalenz von Präsenz und Luftigkeit“, betont Stuckstedde die Facetten. „Es ergibt sich durch das Wechselspiel von externem Licht und den Perlonfäden ein Moiré-Effekt, wodurch sich die Ansicht immer wieder erneuert und das Objekt zum Leben erweckt wird.“ Das kreisrunde Objekt verfügt zwar über einen Durchmesser von 1,70 Meter, wiegt jedoch bloß acht Kilogramm. Es ruht verlässlich auf einem Standfuß. Stabilität bei gleichzeitiger Fragilität ist eine weitere verführerische Komponente der ATARA-Installationen. Der Name bezieht sich übrigens auf die hebräische Sprache, wo das Wort „Krone“ bedeutet. „Mir ging es darum, dass die Krönung der Architektur das Licht ist. Im Grunde macht das Licht die Architektur erst sichtbar“, verrät Stuckstedde. Zeugen dieser Krönung wurden Besucher bei Gruppenausstellungen seit 2016 in Mailand, Eindhoven, Ljubljana, Berlin und Wien, bei welchen ATARA-Installationen ebenso zu sehen waren wie anlässlich der Einzelausstellung in der Galerie Göttlicher in Krems mit dem programmatischen Titel „Die Sprache des Lichts“, die vom 17.11. bis 22.12.2018 stattfand.
INTERVENTIONEN FÜR LICHTE MOMENTE
Mit dem beliebig skalierbaren LIGHT\TRACE steht dem Kunstliebhaber aber auch ein markantes Objekt zur Raumgestaltung zur Verfügung. Über eine reine Raumteilung hinaus, schafft gerade diese Lichtinstallation Intimität, Betonung oder auch Fülle, wo sonst Leere wäre. Schließlich lassen sich viele Objekte der Künstlerin ebenfalls abhängen. „Insbesondere im Bestand habe ich dadurch bei Modernisierung oder Sanierung die einmalige Chance, eine Intervention zu leisten, selbst wenn Decken nicht viel Spielraum bieten“, betont die versierte Innenarchitektin.
Dass ihre Arbeiten mit Preisen versehen sind, überrascht nicht. 2017 erhielt sie beispielsweise den German Design Award für LIGHT\TRACE . Das Lichtobjekt mit seiner feinen Gewebestruktur wirkt wie ein organisches Gebilde aus der Natur. Bei dem Gewebe handelt es sich um Garn, das in einer Gitterstruktur eine leicht psychedelische Wirkung auf den Betrachter ausübt, da Lichtleiter in zwei verschiedene Richtungen eingeflochten sind, und pendelt von körperlicher Fülle und schwebender Eleganz. Das Gewebe setzt sich aus Kohlefaser, Fiberglas, Zylon, Technoral und Basalt zusammen. Auch im Außenbereich ist dieses Material einsetzbar, weil es durch Beschichtung an Festigkeit gewinnen kann.
Materialkunde ist ein wichtiger Teil von Stucksteddes Arbeit, sie ist per se nicht abgeschlossen. Wann immer die Künstlerin Ausschau hält nach neuen Materialien, darf man sich freuen, denn dann gärt es kreativ. Im Zentrum steht allerdings immer die Frage nach dem Licht. „Licht ist eine grundlegende Quelle des Lebens und verändert so viel an der Wahrnehmung der Räume und auch wie wir uns durch diese bewegen und uns darin fühlen“, formuliert sie ihr Credo. „Es braucht in der Regel eine Grundbeleuchtung und Akzentbeleuchtungen, um sich wohlzufühlen, offen zu sein und dem Auge letztlich etwas Faszinierendes zu bieten. Meine Lichtobjekte erzeugen als leuchtende Skulpturen eine atmosphärische Spannung im Raum.“
Eine besonders enigmatische Installation entsteht augenblicklich für den Frankfurter Flughafen. Hier erarbeitet Stuckstedde für den Terminal 1 ein Lichtobjekt, das zwei Ebenen kongenial miteinander verbindet, die sonst beziehungslos blieben. Die Passagiere entwickeln aufgrund ihrer eigenen Bewegung unterschiedliche Perspektiven auf den sonst statischen Raum, das Lichtobjekt füllt diesen per seleeren Raum aus und schafft so Orientierung sowie Verbindung. Wie dies gelingt, darf derzeit noch nicht verraten werden, aber in wenigen Monaten ist das Resultat in Frankfurt zu bewundern.