In neuem Licht betrachtet

Kunstwerke mit besonderer Atmosphäre

Wenn „die Spra­che gleich­sam der Leib des Den­kens ist“, wie Hegel meint, schafft dann Kunst die Kör­per­spra­che der Din­ge? Anhand der Licht­ob­jek­te von Hei­ke Stucks­ted­de lässt sich die­se Fra­ge beja­hen. Es scheint im buch­stäb­li­chen Sinn so, als wür­den die­se skulp­tu­ra­len Gebil­de mit dem Betrach­ter spre­chen, meist nicht laut, son­dern flüs­ternd. Die Objek­te kom­mu­ni­zie­ren somit raum­grei­fend und hal­ten die­se Kon­ver­sa­ti­on meist sub­til. Dass sie dies leis­ten, ist einer­seits der Phy­sik und ande­rer­seits dem ästhe­ti­schen Ver­ständ­nis der Künst­le­rin geschul­det. Buch­stäb­lich lässt sich dadurch der Raum in neu­em Licht betrach­ten, denn das The­ma Atmo­sphä­re ist für Stucks­ted­de zentral.

Hei­ke Stucks­ted­de / ATARA vor LIGHTTRACE No. 1 wei­ße Stroh­sei­de, 23 K ver­gol­det, Licht­lei­ter, 2015 Foto: Mischa Nawra­ta ©ATARA

Hei­ke Stucks­ted­de arbei­tet an der Schnitt­stel­le von Kunst, Archi­tek­tur und Design und ent­wirft unter dem Mar­ken­na­men ATARA aus­schließ­lich Uni­ka­te. Als zen­tra­les Ele­ment ver­wen­det sie Licht­lei­ter, die sowohl Son­nen­licht als auch LED als Hybrid-Tech­nik nut­zen, um eine cha­ris­ma­ti­sche Atmo­sphä­re im Raum zu schaf­fen und dabei Ener­gie zu sparen.

Die Licht­lei­ter sind mit einer Fül­le an Mate­ria­li­en zu Uni­ka­ten ver­bun­den und kön­nen alle erdenk­li­chen For­men schaf­fen. Die­ses sti­lis­ti­sche Reper­toire ist der Phan­ta­sie und der aus­ge­präg­ten Rei­se­tä­tig­keit der in Wien leben­den Deut­schen zu ver­dan­ken. Ein kul­tur­his­to­ri­scher Reich­tum hallt in den poly­mor­phen Objek­ten wider, manch­mal sind es archai­sche For­men, manch­mal eth­no­lo­gi­sche Kon­no­ta­tio­nen. Dabei könn­ten die zur Anwen­dung kom­men­den Mate­ria­li­en unter­schied­li­cher kaum sein.

MAULBEERBAUM UND SCHATTENFUGE

Für das Objekt LIGHT\TRACE  hat Stucks­ted­de die Licht­lei­ter in hand­ge­schöpf­te Stroh­sei­de ein­ge­bet­tet. Die­se aus der Rin­de des Maul­beer­baums gewon­ne­ne Stroh­sei­de ist aus­ge­spro­chen fein und weich. Mit bloß 25 Gramm pro m² ist die Leich­tig­keit offen­bar. Gewon­nen wird die­ses luzi­de Mate­ri­al durch das Schä­len der Baum­rin­de. Die­se wird gekocht, geschla­gen, gewalkt und dann aus­ge­stri­chen sowie mehr und mehr mit Was­ser ver­dünnt. Aus die­ser brei­igen Kon­sis­tenz gewinnt man die Papier­bö­gen. Das qua­li­ta­ti­ve Merk­mal eines hand­ge­schöpf­ten Papiers sind die Fasern. Stroh­sei­de ist sicher­lich pri­mär in Innen­räu­men anwend­bar. Doch auch hier hat die Künst­le­rin mit Raf­fi­nes­se das Mate­ri­al ver­stärkt und die Ober­flä­che mit Fir­nis ver­se­hen. So ist sie bes­ser vor Staub und Feuch­tig­keit geschützt. Dar­auf ist außer­dem Pal­la­di­um auf­ge­tra­gen. Damit gewinnt das grund­sätz­lich dün­ne Objekt an Kör­per und somit Tie­fe. Beson­de­res Geschick ist beim Arran­ge­ment der Licht­lei­ter nötig. Schließ­lich lie­gen die Licht­lei­ter bei die­sem Uni­kat geschich­tet über- und neben­ein­an­der. Selbst eine peri­phe­re Inter­ven­ti­on hat Kon­se­quen­zen für das Gan­ze. Der Arbeits­auf­wand bei die­ser Licht­in­stal­la­ti­on wie auch bei ande­ren war dem­entspre­chend enorm. „Ich habe die­se Licht­in­stal­la­ti­on außer­dem in eine Ver­tie­fung in der Wand gesetzt. Dadurch erzie­le ich einen wun­der­ba­ren Effekt durch die Schat­ten­fu­ge. Wo die Licht­lei­ter über den Rand lau­fen, ent­ste­hen magi­sche Licht­re­fle­xe, die leben­dig sind“, beschreibt die Künst­le­rin anschau­lich, wel­che Details ein mar­kan­tes Mehr an Ori­gi­na­li­tät schaf­fen. „Dar­über hin­aus schüt­ze ich die Rück­sei­te des Objekts mit einer Poly­car­bo­nat-Plat­te. Die gewon­ne­ne Sta­bi­li­tät nimmt nichts vom schwe­ben­den Cha­rak­ter des Objekts, ver­stärkt jedoch die Wider­stands­fä­hig­keit gegen­über Ver­let­zun­gen der Oberfläche.“

PHYSIK, PHYSIOLOGIE UND PSYCHOLOGIE

So licht­in­ten­siv die­se Instal­la­tio­nen auch sind, so wenig ändern sie an der Raum­tem­pe­ra­tur. Die Licht­lei­ter machen genau dies, sie lei­ten Licht; Wär­me trans­por­tie­ren sie jedoch kei­ne. Ein spür­ba­rer Vor­teil auf der Haut, aber auch im Porte­mon­naie und beim car­bon foot print, denn zusätz­li­che Küh­lung bei som­mer­li­cher Über­hit­zung fällt dadurch weg. Ener­gie­kos­ten kön­nen im Ein­zel­fall hal­biert wer­den. Gespeist wer­den die Licht­lei­ter ent­we­der über das Son­nen­licht mit­tels Sun­tra­ckern im Frei­en, die das Licht über Fres­nell­in­sen – also groß­flä­chi­ge Stu­fen­lin­sen aus Kunst­stoff – in den Innen­raum lei­ten. Neigt sich der Tag zu Ende, kommt die Stun­de der LED-Tech­nik. Die­ses Hybrid regu­liert auto­ma­tisch, wel­che Licht­quel­le gera­de zu nut­zen ist. Die Atmo­sphä­re des Son­nen­lichts in den Objek­ten, das von glei­ßend Weiß bis Oran­ge-Rot reicht, ist atemberaubend.

Bei einer Anwen­dung im Frei­en ist eine Umman­te­lung der Licht­lei­ter nötig, da der direk­te Ein­fluss des UV-Lichts kon­tra­pro­duk­tiv ist, eine gelb­sti­chi­ge Licht­at­mo­sphä­re wäre die Fol­ge. Doch die Umman­te­lung bewahrt nicht nur davor, sie leis­tet auch höhe­re Homo­ge­ni­tät bei der Licht­ab­ga­be. „Ich kann hier nicht so par­ti­ell arbei­ten wie bei der Instal­la­ti­on in Innen­räu­men, erhal­te so aber eine optisch ver­än­der­te Wir­kung, die ich bereits beim Ent­wurf ein­be­zie­hen muss“, erklärt die unge­wöhn­li­che Licht­in­stal­la­teu­rin ein wesent­li­ches Detail.

Für LIGHT\TRACE durch­zieht Per­lon ver­bun­den mit schwar­zen Kunst­stoff­fä­den ein kreis­run­des Objekt. Es ist ein fast trans­pa­ren­tes Mate­ri­al und ver­fügt über eine span­nen­de Elas­ti­zi­tät. Wäh­rend es in eine Rich­tung bieg­sam ist, ver­hält es sich in die ande­re steif. „Mit die­sen Qua­li­tä­ten spie­le ich, mache sie mir gestal­te­risch zunut­ze und schaf­fe so eine reiz­vol­le Ambi­va­lenz von Prä­senz und Luf­tig­keit“, betont Stucks­ted­de die Facet­ten. „Es ergibt sich durch das Wech­sel­spiel von exter­nem Licht und den Per­lon­fä­den ein Moi­ré-Effekt, wodurch sich die Ansicht immer wie­der erneu­ert und das Objekt zum Leben erweckt wird.“ Das kreis­run­de Objekt ver­fügt zwar über einen Durch­mes­ser von 1,70 Meter, wiegt jedoch bloß acht Kilo­gramm. Es ruht ver­läss­lich auf einem Stand­fuß. Sta­bi­li­tät bei gleich­zei­ti­ger Fra­gi­li­tät ist eine wei­te­re ver­füh­re­ri­sche Kom­po­nen­te der ATA­RA-Instal­la­tio­nen. Der Name bezieht sich übri­gens auf die hebräi­sche Spra­che, wo das Wort „Kro­ne“ bedeu­tet. „Mir ging es dar­um, dass die Krö­nung der Archi­tek­tur das Licht ist. Im Grun­de macht das Licht die Archi­tek­tur erst sicht­bar“, ver­rät Stucks­ted­de. Zeu­gen die­ser Krö­nung wur­den Besu­cher bei Grup­pen­aus­stel­lun­gen seit 2016 in Mai­land, Eind­ho­ven, Ljublja­na, Ber­lin und Wien, bei wel­chen ATA­RA-Instal­la­tio­nen eben­so zu sehen waren wie anläss­lich der Ein­zel­aus­stel­lung in der Gale­rie Gött­li­cher in Krems mit dem pro­gram­ma­ti­schen Titel „Die Spra­che des Lichts“, die vom 17.11. bis 22.12.2018 stattfand.

INTERVENTIONEN FÜR LICHTE MOMENTE

Mit dem belie­big ska­lier­ba­ren LIGHT\TRACE steht dem Kunst­lieb­ha­ber aber auch ein mar­kan­tes Objekt zur Raum­ge­stal­tung zur Ver­fü­gung. Über eine rei­ne Raum­tei­lung hin­aus, schafft gera­de die­se Licht­in­stal­la­ti­on Inti­mi­tät, Beto­nung oder auch Fül­le, wo sonst Lee­re wäre. Schließ­lich las­sen sich vie­le Objek­te der Künst­le­rin eben­falls abhän­gen. „Ins­be­son­de­re im Bestand habe ich dadurch bei Moder­ni­sie­rung oder Sanie­rung die ein­ma­li­ge Chan­ce, eine Inter­ven­ti­on zu leis­ten, selbst wenn Decken nicht viel Spiel­raum bie­ten“, betont die ver­sier­te Innenarchitektin.

Dass ihre Arbei­ten mit Prei­sen ver­se­hen sind, über­rascht nicht. 2017 erhielt sie bei­spiels­wei­se den Ger­man Design Award für LIGHT\TRACE . Das Licht­ob­jekt mit sei­ner fei­nen Gewe­be­struk­tur wirkt wie ein orga­ni­sches Gebil­de aus der Natur. Bei dem Gewe­be han­delt es sich um Garn, das in einer Git­ter­struk­tur eine leicht psy­che­de­li­sche Wir­kung auf den Betrach­ter aus­übt, da Licht­lei­ter in zwei ver­schie­de­ne Rich­tun­gen ein­ge­floch­ten sind, und pen­delt von kör­per­li­cher Fül­le und schwe­ben­der Ele­ganz. Das Gewe­be setzt sich aus Koh­le­fa­ser, Fiber­glas, Zylon, Tech­no­ral und Basalt zusam­men. Auch im Außen­be­reich ist die­ses Mate­ri­al ein­setz­bar, weil es durch Beschich­tung an Fes­tig­keit gewin­nen kann.

Mate­ri­al­kun­de ist ein wich­ti­ger Teil von Stucks­ted­des Arbeit, sie ist per se nicht abge­schlos­sen. Wann immer die Künst­le­rin Aus­schau hält nach neu­en Mate­ria­li­en, darf man sich freu­en, denn dann gärt es krea­tiv. Im Zen­trum steht aller­dings immer die Fra­ge nach dem Licht. „Licht ist eine grund­le­gen­de Quel­le des Lebens und ver­än­dert so viel an der Wahr­neh­mung der Räu­me und auch wie wir uns durch die­se bewe­gen und uns dar­in füh­len“, for­mu­liert sie ihr Cre­do. „Es braucht in der Regel eine Grund­be­leuch­tung und Akzent­be­leuch­tun­gen, um sich wohl­zu­füh­len, offen zu sein und dem Auge letzt­lich etwas Fas­zi­nie­ren­des zu bie­ten. Mei­ne Licht­ob­jek­te erzeu­gen als leuch­ten­de Skulp­tu­ren eine atmo­sphä­ri­sche Span­nung im Raum.“

Eine beson­ders enig­ma­ti­sche Instal­la­ti­on ent­steht augen­blick­lich für den Frank­fur­ter Flug­ha­fen. Hier erar­bei­tet Stucks­ted­de für den Ter­mi­nal 1 ein Licht­ob­jekt, das zwei Ebe­nen kon­ge­ni­al mit­ein­an­der ver­bin­det, die sonst bezie­hungs­los blie­ben. Die Pas­sa­gie­re ent­wi­ckeln auf­grund ihrer eige­nen Bewe­gung unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven auf den sonst sta­ti­schen Raum, das Licht­ob­jekt füllt die­sen per selee­ren Raum aus und schafft so Ori­en­tie­rung sowie Ver­bin­dung. Wie dies gelingt, darf der­zeit noch nicht ver­ra­ten wer­den, aber in weni­gen Mona­ten ist das Resul­tat in Frank­furt zu bewundern.

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geb. 1971 in Salzburg, Studien in Germanistik, Philosophie und Publizistik. Er lebt heute als freier Autor und Journalist in Wien. www.peerfact.at – Bücher u.a.: „Der Klang der stummen Verhältnisse“, „Bis dass der Tod uns meidet“, „Land unter ihnen“ und „Herr, erbarme Dich meiner!“ (über Leo Perutz). Zahlreiche Essays und Beiträge über Literatur, Philosophie und Architektur. Gastlektorate an diversen Universitäten und fallweise Schreibwerkstätten. Er erhielt einige Preise und Stipendien, so war er beispielsweise 2011 Stadtschreiber in Schwaz und 2012 writer-in-residence in der Villa Sträuli in Winterthur. 2019 ist er Gast-Autor im renommierten Hawthornden Castle.

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