Eine Unterhaltung mit Chef und Maestro Heinz Beck
Andy Warhol’s bekanntes Zitat „I think an artist is anybody who does something well, like if you cook well“ stellt für den Spitzenkoch Heinz Beck eine zentrale Aussage dar, die er im Gespräch mit uns interpretiert: „Andy War-hol war ein Vorreiter mit einer klaren Vision und er ist seinen eigenen Weg gegangen. Dafür wurde er vielfach kopiert, war aber ohnehin immer einen Schritt voraus. Kopiert zu werden, bedeutet auf dem richtigen Weg zu sein und etwas gut zu machen. Ähnlich wie Warhol, bin auch ich ein Verfechter davon, wenn ich etwas mache, es auch gleich gut zu machen. In der Regel kostet es nämlich genauso viel Zeit, wenn ich es schlecht mache – also wa-rum nicht sofort gut machen?“
Das Atelier von Heinz Beck ist seine Küche. Dort ist er auch am liebsten, erforscht und entwickelt auf Basis von Impulsen neue Gerichte, Kochtechniken und Menüfolgen. Ihm bei der Arbeit zusehen zu dürfen, gleicht einem meditativen Erlebnis. In der Küche herrscht Ruhe, jeder Posten weiß, was zu tun ist, Beck überlässt nichts dem Zufall, er arbeitet oft jahrelang an einer Idee, um ein in allen Details perfektes Ergebnis zu erzielen. So entdeckte und etablierte er beispielsweise die von der Industrie ausgehende Technik des Gefriertrocknens für die Sternegastronomie oder integrierte schon vor Jahren bei der Planung seiner Gerichte die Prinzipien der Klimaneutralität. Er ist eben ein Vorreiter, ein Pionier – in vielerlei Hinsicht.
Heinz Beck ist in Friedrichshafen als Sohn eines Juweliers geboren, gilt als Deutschlands bester Koch im Ausland und zählt zu den besten Köchen der Welt. Seit über 25 Jahren lebt er in Rom. Sein Restaurant „La Pergola“ ist international bekannt und wird seit 2005 regelmäßig von Michelin mit 3 Sternen ausgezeichnet. Nach der Ausbildung in Bad Füssing wechselte Beck 1985 zu Feinkost Käfer, gefolgt von drei Jahren im Colombi Hotel bei Alfred Klink in Freiburg im Breisgau. 1988 ging er als Chef de Partie nach München zu Heinz Winkler ins Tantris. Anfang 1991 wurde Beck auf Mallorca stellvertretender Küchenchef in Winklers Zwei-Sterne-Restaurant „Tristan“. Danach kehrt er nach Bayern und zu Winkler zurück, und wechselte als Küchenchef ins Berliner Hotel Esplanade (Berlin). 1994 über-nahm Heinz Beck in Rom die Leitung des Restaurants „La Pergola“ im „Rome Cavalieri Hilton“, heute Waldorf Astoria, obwohl er kein Wort Italienisch sprach. „Eigentlich wollte ich nur zwei Jahre bleiben, die italienische Kultur und die Sprache kennenlernen, doch ich bin immer noch hier.“ Das Kochbuch „Heinz Beck“ wurde 2003 zum besten Buch eines Küchenchefs weltweit gekürt. Mittlerweile hat Beck nicht nur zahlreiche Bücher publiziert und ist beliebter Speaker auf internationalen Kongressen rund um die Wissenschaft der Ernährung, sondern ist verantwortlich für neun Restaurants und entwickelt derzeit das gesamte Food-Konzept für ein neues Luxus-Retreat in Fiuggi. Auch da setzt Beck die Messlatte wieder sehr hoch: „Ist das okay? (Può andare?) – gibt es bei mir nicht. Wenn du im Unterbewusstsein schon zweifelst, ob etwas noch okay ist, dann können wir es dem Gast nicht präsentieren. Può anda-re ist eine Frage, die sich gar nicht stellen darf.“ Heinz Beck nimmt sich vor dem Abendservice Zeit für ein ausführliches Gespräch mit uns. Während der zweistündigen Unterhaltung kostet er nacheinander alle Gerichte, die am Abend serviert werden sollen. Sagt er nichts – ist es wohl „okay“ und der Mitarbeiter geht mit den Tellern wieder zurück in die Küche. Nur einmal hat er eine Anmerkung: „Troppo acido e troppo salato. La polvere di alghe troppo salata.” Das Gericht geht zurück, wird angepasst und kommt dann nochmals. Solange, bis Beck wieder schweigend zustimmt. Seinem Team will er stets beibringen, Lösungen zu finden. „Wenn du das Problem in den Mittelpunkt stellst, bist du Teil des Problems. Das hat nichts damit zu tun, dass man keine Probleme haben darf. Ich möchte Mitarbeiter, die denken und nicht nur ausführen. Als Aus-führender bist du nämlich nur einer von vielen“, präzisiert Beck, der eben alles andere ist, als einer von vielen.
Auf ein Interview mit dem Maestro kann man sich schwer vorbereiten – einen Leitfaden zu haben, ist zwar gut, dennoch gehört er zu jenen kreativen Persönlichkeiten, die auch im Gespräch gerne dem Impuls folgen und sich nicht auf eine vorgegebene Struktur ein-lassen. Das erhöht jedoch den Spannungs-bogen und bringt uns auf Themen, die ein neues Licht auf die Haute Cousine werfen.
Beginnen wir bei den Wurzeln. Was hat Ihre Leidenschaft für das Kochen ausgelöst? Es war ja unserer Recherche nach ein Berufswunsch, den Sie mit Ihrem Bruder teilten, oder?
HEINZ BECK: Ich wollte eigentlich nicht Koch werden, sondern Künstler und wollte dafür die Kunsthochschule besuchen. Vor allem die Malerei hat mich interessiert. Mein Vater meinte allerdings, Künstler sei kein Beruf. Also stellte er mich vor die Wahl, etwas „Ordentliches“ zu studieren oder arbeiten zu gehen. Für mich war Kunst das einzige „Ordentliche“. Ich bin dann Koch geworden und habe sofort gespürt, dass das ein kreativer Beruf ist. Meine künstlerische Ader habe ich beibehalten können, deshalb sind meine Gerichte nicht nur gut, sondern auch visuelle Kompositionen. Ich glaube, dass dieser Reiz für das Ästhetische auch dazu führt, dass meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehr lange bei mir bleiben.
Inspiration sind Impulse und diese Impulse müssen sich dann in etwas Konkretem manifestieren. Von je weiter weg der Impuls kommt, desto alleinstehender ist das Produkt, das du kreierst.
Was schätzen Sie an Rom? Es ist ja immerhin die Wiege der Kultur …
HEINZ BECK: Das tolle ist, sobald du mit deiner Arbeit fertig bist, gehst du raus und fühlst dich wie im Urlaub! Du hast die hektische Stadt, die Gassen, die Piazze, das Flair, die Farben, jede Ecke ist anders. Ich fühle mich hier so wohl, deshalb bin ich wahrscheinlich auch schon so lange hier.
Hört man den Namen Heinz Beck und „La Pergola“, so verbindet man damit nicht nur 3 Sterne Michelin, sondern auch die Begrifflichkeiten Nachhaltigkeit, Gesundheit und Leidenschaft. Erklären Sie uns bitte, wie diese Begrifflichkeiten in Ihrem Konzept zum Ausdruck kommen.
HEINZ BECK: Mein Stil ist eine gesunde leichte Küche mit mediterranem Geschmack. Dazu kommen eine große Kreativität und mein Interesse für die Umwelt. Die verschiedenen Konzepte, die ich entwickle, reichen von der Flughafengastronomie mit eher traditionellen Gerichten bis hin zum 3 Sterne Michelin Niveau. Ich widme mich leidenschaftlich der Forschung und arbeite auch viel mit der Mutter Erde, der Natur. Beispielsweise habe ich Flechten (Lichene) für meine Gerichte entdeckt. Diese Art von Lebe-wesen ernährt sich von der Flüssigkeit aus der Luft. Es ist kein Moos. Es ist ein Hybrid aus Alge und Pilz. Um das als Zutat zu verwenden, muss man es zuerst entsprechend behandeln. Zudem ist der medizinische Bereich für mich sehr relevant. Wenn ich ein Gericht kreiere, ist zuerst der Impuls da, danach die Idee, dann wird es zu-bereitet und ich probiere, ob es so ist, wie ich es mir vorstelle. Dann wird es wieder zerlegt, um die gesundheitlichen Aspekte zu analysieren, Verdauung, Kalorien und so weiter. Anschließend entwickle ich ein Konzept, wie es noch schön aussehen kann. Das ist aber der letzte Schritt: Impuls, Kreation, Analyse und Ästhetik. Ich würde kein Gericht für die Schönheit opfern. Das Wichtigste ist, dass es ausgewogen, geschmackvoll und gesund ist. Das ist die Basis von allem, was wir hier machen.
Lassen Sie uns hier doch gerne nochmals ins Detail gehen. Wie haben Sie Ihren Stil gefunden – woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Kreationen?
HEINZ BECK: Mein Stil ist eine ständige Evolution. Ich habe eines auf das andere aufgebaut. Vor 6 Jahren habe ich beispielsweise begonnen, das Thema „economia circulare“ (Kreislaufwirtschaft) auf die Gerichte anzuwenden, seit über 5 Jahren lassen wir die Gemüse und die Früchte bei eigenen Bauern, kleinen Produzenten an-bauen. 80 % aller unserer Gemüse und Früchte sind bio oder biodynamisch und aus regenerativer Landwirtschaft. Ich habe vor Jahren einmal in einem Bericht gelesen, wie viele Pestizide wir in einem Jahr essen und da habe ich begonnen umzudenken und Menschen zu finden, die mich mit Ware beliefern, die frei davon ist. Auch alle Kräuter, die wir verwenden, wachsen natürlich und ohne Düngemittel. Das alles ist eine lange Entwicklung. Wichtig war, damit anzufangen und es dann konsequent durchzuziehen. Wenn ich Gerichte kreiere, spielt auch die Abfallverringerung eine Rolle. Sobald ich anfange neue Ideen zu konzeptionieren, denke ich darüber nach, wie ich das Konzept anlegen muss, damit kein Abfall produziert wird. Es kommt nur darauf an, von Anfang an dieses Thema mitzudenken. Wir kommen alle von der „economia lineare“ (Linearwirtschaft), da hat man an den Abfall nie gedacht. Was mittlerweile in der Industrie anwendbar ist, kann auch bei der Herstellung von Gerichten angewendet werden.
Und die Inspiration – woher kommt die?
HEINZ BECK: Inspiration sind Impulse und diese Impulse müssen sich dann in etwas Konkretem manifestieren. Von je weiter weg der Impuls kommt, desto alleinstehender ist das Produkt, das du kreierst. Ideen, die zu nahe von derselben Quelle kommen – beispielsweise von Produkten –, sind sich immer zu ähnlich. Ich fordere mich selbst, in meinem Gedankengang, dass die Impulse von woanders kommen: eine Landschaft, ein Bild, ein Lachen … Von je weiter weg die Inspiration kommt, desto einzigartiger ist das, was du daraus kreieren kannst. Eine Zeit lang haben mich beispielsweise die Elemente inspiriert: Erde, Luft, Wasser, Feuer. „Giardino d’Acqua“ ist eines der Gerichte der Elemente. Den Impuls hatte ich beim Beobachten einer Landschaft in Ryokan in Kyoto. Die Landschaft strahlte Ruhe, Gedankenlosigkeit, Sorglosigkeit, Positivität aus. Genau diese Emotion, diese Stimmung wollte ich in einem Gericht einfangen. Ein anderes Beispiel ist der Rosa Eisberg aus Norwegen, den ich auf einem Foto gesehen habe und der mir sofort einen Impuls gegeben hat: Eisberg, Winter, Schnee, Meer, also Fisch. Roh und nicht gekocht, weil es kalt ist. Den Schnee aus dem Saft des Granatapfels, den spritze ich in flüssigen Stickstoff, dann wird der gemixt und man bekommt die Konsistenz von Schnee. Der zerläuft auf der Zunge, ohne dass die Zunge zu kalt wird und man Kopfschmerzen bekommt. Die Eiskristalle sind so fein, dass sie sofort auf der Zunge zergehen. Der Schnee ist erfrischend, passt gut zum Fisch und dazu noch der Nebel. Das Gericht ist deshalb auf einem Plexiglasteller mit Löchern, darunter ist Trockeneis. Vor dem Gast wird ein Eukalyptusaufguss darüber gegossen und dann entsteht der Geschmack. Denn Eukalyptus macht die Geruchspapillen sauber, sodass man anschließend ein besseres Geschmackserlebnis hat. Wenn Eukalyptus durch den retronasalen Kanal wieder in die Geruchspapillen kommt, sind die-se bereit, den Geschmack aufzunehmen. Was ich mache, ist sehr komplex. Alles, was bei mir auf den Tisch kommt, hat einen tieferen Sinn – eben auch ein wissenschaftliches Konzept.
Stimmt es, dass Sie und Ihr Team ohne Rezepturen kochen?
HEINZ BECK: Ja, in der Küche haben wir keine Rezepte, weil die Produkte, die biodynamisch sind, jeden Tag variieren. Wenn Sie Tomaten kaufen, sind die einmal süß, einmal mineralisch, einmal sauer und einmal schmecken sie nach gar nichts. Würden wir nach Rezepten kochen, würden die Gerichte jeden Tag anders schmecken. Also müssen wir nach dem Geschmack der Zutaten kochen. Ich lehre meinem Team den Prozess und was gemacht werden muss, damit es gleich schmeckt, obwohl die Produkte variieren.
Wir haben diese Rubrik „culinary art“ ins Leben gerufen, weil wir finden, dass die Zubereitung von Speisen, die Kreation eines Gerichts und vor allem die Philosophie und Entwicklung dahinter viel mit einem künstlerischen Prozess gemeinsam haben. Sehen Sie hier auch eine Verbindung zur Kunst?
HEINZ BECK: Ja, natürlich – weil einen Maler finde ich großartig, wenn es ihm gelingt, das Licht in seine Bilder hineinzubringen und ein Chef ist gut, wenn es ihm gelingt, Geschmack in seine Gerichte zu bringen. Das Licht im Bild ist das zentrale Element, aber drum herum sind Farben und Formen, und auch bei den Gerichten wird der Geschmack umgeben von Farben und Formen. Zudem hat das Ganze auch etwas von der Bildhauerei – wir formen Skulpturen, jede Zutat muss mit der anderen leben, um schön zu sein. Licht, Schatten, Farbe, Form und Geschmack – genau damit regen wir das Unterbewusstsein der Menschen an, sowohl in der Kunst als auch in der Küche.
3Sterne zu bekommen, ist eines. Das Niveau dann über Jahre zu halten, eine noch größere Herausforderung. Wo sehen Sie Ihre Stärken?
HEINZ BECK: Mein Team wird kontinuierlich er-neuert. Ich habe das Glück, mehrere Restaurants zu haben, wo neue Mitarbeiter nachkommen, um hier immer erfahrene Leute einzusetzen. Nach einer gewissen Zeit, die sie hier hinter sich bringen, werden sie in Positionen gesetzt, wo sie noch mehr Verantwortung übernehmen und wachsen können. Die Menschen möchten Teil des Konzepts werden, das motiviert die Leute unheimlich und ist sicher eine unserer Stärken.
Kommt es auch vor, dass man Sie in einem Restaurant als Gast antrifft?
HEINZ BECK: Wenig. Nicht, weil ich andere Restaurants nicht mag, sondern weil ich schlicht-weg keine Zeit habe. Ich arbeite sieben Tage die Woche. Ich liebe das Kochen – mein Tag ändert sich, sobald ich in die Küche gehe. Das ist der Platz, wo ich mich erhole, ich liebe es zu kochen. Mit neun Restaurants muss ich dann auch noch häufig reisen, um überall präsent zu sein, vor allem dann, wenn die Menüs wechseln.
Welche Projekte/Initiativen/Neuerungen stehen im Fokus?
HEINZ BECK: Wir haben jedes Jahr neue Menüs und ganz viele Stammgäste, die sich Neuigkeiten erwarten. Zudem ist das Retreat in Fiuggi ein Großprojekt. Dafür entwickle ich gerade alle Food Programme: Epigenetic Food, Weight Management, Detox, Anti Aging, Happy Food. Hierfür muss ich ganz gezielt an Kochmethoden arbeiten, die sehr gesund sind, um die Mikro-Nährstoffe zu konservieren. Es reicht nämlich nicht, dass die Kalorien eingehalten werden, es soll auch gut schmecken und ausreichend auf dem Teller sein. Da wollen wir Vorreiter werden. Die Techniken, die ich dafür entwickle, kommen dann auch hier im „La Pergola“ zur Anwendung.
Es wird also nicht ruhig bei Heinz Beck, im Gegenteil, das klingt nach weiteren Innovationen. Wir sind schon gespannt, was da noch kommt und genießen derweil das großartige Menü, das der Meister für uns „gemalt“ hat.