SASHA UND ILYA CHICHKAN
Ein Romanheld, zwei Schriftsteller, ein Typ, zwei Token, eine Maske, zwei Gesichter. Der Höhere Primat nimmt in der Bildwelt von Sasha und Ilya Chichkan, der Herkunft nach Vater und Tochter, den Platz Gottes ein, den streng bewachten Thron natürlicher Allgegenwärtigkeit.
In beiden Fällen scheint der Affe Ambivalenz zu symbolisieren, einen zwischen der Vernunft und dem Animalischen eingezwängten Zustand der Seele. Während er bei Ilya Chichkan dem übertriebenen Betätigungsdrang seines Erschaffers dient, schwelgt er bei Sasha Chichkan in mystischer Versenkung. In beiden Fällen erliegt das Motiv jedoch dem Vermüllungssyndrom irdischen Zugegenseins. Die Vernachlässigung geistiger Pflichten führt zur materiellen Überproduktion. Das zwanghafte Horten, das in Sasha Chichkans akribischen, aus stofflicher Unendlichkeit gesponnenen Collagen dargestellt ist, entspricht der kompulsiven Sündhaftigkeit der Figuren ihres Vaters. Ilya Chichkan ist heute einer der berühmtesten und teuersten ukrainischen Künstler. Einer Künstlerdynastie entsprungen, exzentrifizierte er sich zum „It-Girl“ der Kunstwelt. Der hysterische Grinser des Aktionismus dominiert seine Malerei. Er selbst ist eine Art Installation scheinbar ziellosen Handelns, aber das Subversive ist im White Cube stets lösungsorientiert und im Geschäftlichen wenn nicht geschickt, so doch tüchtig. Das Verhalten ist part of the business. Chichkan ist einer der Hauptvertreter der sogenannten Ukrainian New Wave, einer aus dem Konkurs der Perestroika entstandenen Bewegung. Diese Aufbruchszeit in der Kunst des postsowjetischen Raumes ist eine Ära nicht nur der Befreiung von ideologischer Bevormundung, sondern auch von finanzieller Hörigkeit. Der Zeitgeist der Privatisierung des Gemeinguts schlägt sich in allen kulturellen Sparten nieder, so auch in der Kunst.
Es entsteht der Neue Kommerzialismus eines alten Midaskomplexes. Auf spezielle Weise vermischen sich in Ilya Chichkans Kunst die für Tod erklärte Liebe zur Arbeit, die dornige Mühsal realistischer Malerei, mit dem mannigfach reanimierten Flirt mit enfant-terribler Radikalität, dem kaschierten Minnesang exaltierter Belustigung. Ilya Chichkan kredenzt sich als Spaßkünstler, der vorgibt, beim Rezipienten sadistische Empörung erwecken zu wollen, aber in Wahrheit nach dem Applaus späht. Extremistisch ist nicht seine Arbeit, sondern sein Temperament, die Rastlosigkeit aufrichtiger Maskierung. Die satirische Arroganz des Dada verschmilzt in seiner Person mit dem Misstrauen des Surrealismus gegenüber einer objektiv gegebenen äußeren Wirklichkeit. Der Nonsens ist das einzig greifbare Sinnkriterium für die unzensurierte Realität. Der letzte Ausweg aus dem Labyrinth der Unerschöpflichkeit künstlerischer Chancen scheint für den Kreativen der persönliche Stil im genreübergreifenden Leben zu werden. Mit der Auszeichnung für den besten fremdsprachigen Film möchte der irrende Schöpfer belohnt werden, mit der Sicherheit für das Unübersetzbare. Nach erkorener Unbeschwertheit sehnt sich die typisierte Maske des Künstlers. Skeptische Distanz hält der Witz zu den Begebenheiten der Wirklichkeit, in Traumprotokollen verfasst der zynische Blick sein Urteil über die Welt. Tief melancholisch muten die lustvollen Erlebnisse befreiender Selbstverwirklichung an. Hypokritisch ist das kritische Denken medialer Präsenz, die Kultfigur ist das Schönheitsideal konturloser Kunstwelt. Das Theater des Schockeffekts sinkt in sich zusammen vor Überanstrengung. Der Mensch stammt vom Narren ab, er ist ein Clown, der mit seinen eigenen Fesseln jongliert, den materialistischen Wünschen familiärer Vergesellschaftung. Schamlose Frechheit will ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden und im Hunderudel den Reigen tanzen. Was genau ist das Tierische am Menschlichen, das uns Ilya Chichkan vermittelt? Wer ist diese Labilität, die im Irrwitz Zuflucht sucht? Ist es the Artworld, die Kulturgarde, die keine Antworten duldet und mit keinem Dafürhalten beehrt? Die Sublimierungselite, die mit einem positivistischen Wertesystem die Spaltung zwischen den Klassen vorantreibt, die die Kluft zwischen arm und reich in Bronze gießt?
Der Affe als Stellvertreter für den Tor, der ein Prophet im System sein möchte und jener Übereinkunft angehören will, die er ablehnt? Der Mensch ist das heiligste Haustier der Welt, verhext seine Freiheit und natürlicher Selektion überlassen seit Urbeginn. Übertrieben und unbeherrscht ahmt die Gesamtheit seiner Eigentümlichkeiten sich selbst nach, den Halt der Selbstwahrnehmung stets unter den Füßen verlierend, spioniert er seine Begierden aus und erhebt sie zu Modezitaten. Gefräßig die Angst ums Überleben und neidvoll der Kampf um das Dasein. Die ungezügelte Selbstbedienung verkrümmt den Status der Vernunft. Die Illusion eleganten Auftretens erweist sich ohne Unterlass als die Körpersprache der Habgier fakultativer Bipedie. Während Chichkan an der übelwollenden Lüsternheit der conditio humana Kritik übt, schließt er sich gleichzeitig ebendieser lasterhaften Lebhaftigkeit des Unpolitischen an. Das Involvierende des Invarianten gibt dem Künstler die Berechtigung, sich der Mittel des Mittelbaren zu bedienen. Die künstlerische Andacht der In-Anbetrachtheit-der-Umstände sublimiert sich zur Komik. Obwohl diese clowneske Spielerei eine Methode bietet, mit dem verspotteten Status quo umzugehen, schlummert darin ein unnachgiebiger Abgesang an den Menschen, ein müder Pessimismus.
Das nicht abzutragende Verschulden des Menschen vor dem Menschen, der existenzielle Bankrott des Charakters, wirft das Tier durch das Substanziieren einer Funktion innerhalb einer Gruppe ab. Ilya Chichkan erinnert an Salvador Dali, dessen altmeisterlicher Malstil ebenso von seinem exzentrischen Verhalten als zeitgenössische Kunst beglaubigt wurde. Der Künstler ist wichtiger als seine Kunst, die Person entscheidender als das Persönliche. Das Fieber gesellschaftsspielerischen Zwangs hält das treuherzig-besessene Gemüt des Autors im Zustand eines vergifteten Gefühls gefangen, in der Schwebe eingekerkerter Positionierung. Das Schicksal des gefeierten Künstlers ist das barocke Brodeln im eigenen Saft, das vermeintlich ausgelassene Rotieren im engen Rahmen der Kunstwelt.
Die animalische Genugtuung, welche uns soziale Anerkennung gewährt, hat Chichkan als menschliches Laster erkannt. Zwar kokettiert er mit der Trockenheit sensualistischen Naturalismus, aber seine zitternden Hände verraten ihn als einen hoffnungslosen Idealisten. In diesem Sinne ist er kein Anarchist, sondern Romantiker. Den Pragmatismus, den Chichkan ist seiner Theorie bekämpft, lebt er in seiner Praxis aus. Welche Bedeutung kommt der Vermummung aber in Sasha Chichkans Arbeit zu? Ist es auch hier der Affe, der sich nicht losreißen kann von den Früchten des Wohlstands, die er kritisiert? Während das Tier beim Vater in der Selbstdarstellung vibriert, ist es bei der Tochter in seiner Umgebung versunken. Wie söhnt sich das Kind mit dem patrimonialen Nihilismus der Farce aus? Wie verwindet sie die Abgeschottetheit der Ironie? Der Physikalismus des Psychischen irrt durch die Bildwelt von Vater und Tochter, doch während der Vater den Glauben an die äußeren Dinge noch evolutionsbiologisch verlacht, schenkt die Tochter der Überproduktionskrise des Menschen ihr mitleidiges Gehör.
Unter der Last von drei Künstlergenerationen − der Urgroßvater war Sozialistischer Realist, der Großvater Nonkonformist und der Vater ist Glam-Punk − verschwindet Sasha Chichkan in kontemplativer Kleinarbeit. Aus der uferlosen Makulatur Zivilisationskrankheiten erregender Luxusgüter arrangiert sie verklebte Gemälde. Es sind Collagen aus zerschnittenen Modezeitschriften, mit geköpften Starlets verziert. Die Künstlerin recycelt nicht nur Modezeitschriften, sondern auch die Kunst ihres Vaters, denn auch in ihren Werken ist der Affe der einzige Protagonist. Sasha Chichkan müht sich in mühevollster Arbeit ab, den allgegenwärtigen Geltungskonsum zu rehabilitieren, indem sie dem Altpapier eine neue Sprache lehrt. Das Imponierverhalten, das sich in materiellen Werten ausschlägt, möchte der zarte Spirit des Mädchens wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückführen, zum Wesentlichen. Die goldene Kloschüssel muss dem Trend der Nachhaltigkeit angepasst werden. Die geleimten Bildnisse der Künstlerin sind bis zur Perfektion geschliffen, die tausenden Papierstücke übergangslos ausgefeilt, aus der Entfernung wirkt das Collagierte wie üppige Malerei.
Allerorts krabbelt die Trägheit des Herzens und der Seele inmitten der Mülldeponie menschlicher Habgier und räkelt sich auf dem Schrottplatz aussichtslosen Neids. Der Affe ist umzingelt von der Mutlosigkeit des Materialismus, die Erde ist Marktplatz und kein Paradies. Die von der Künstlerin zu Kunstwerken bezwungene Ressourcenverschwendung zeigt den Indigenen an der Grenze zur Gemeinschaft mit dem Selbst, im Flüchtlingslager des Prunks, dem räumlich anhaltenden Zustand der Eitelkeit. Deswegen strahlen die Bilder Stille aus, weil sie den Tod zeigen, den matten Unterton des Glamours, die Einsamkeit der Gier nach dem Wertlosen. Die mentale unandressiert Gelassenheit des Subjekts schwelgt in eintöniger Ausschlussdiagnose, der Mensch wirkt wie ein resigniertes Residuum, eine Reliquie einer ausgestorbenen Rasse. Die zerstörerische Stoffgebundenheit des biologisch an seinen Geist unangepassten Wesens und der unmittelbare Widerspruch ebendieser Gespaltenheit macht in Sasha und Ilya Chichkans Bildwelt die Lebensgrundstimmung aus. In die Gefühlsstarre schweift die Seele ab, der erheblichen Belastung synthetischer Wirklichkeit schutzlos ausgeliefert, lebt das animal rationale das Trauma des Träumens aus. Der Mensch scheint noch weit weg vom Menschen zu sein.