culinary art: Im Gespräch mit Andreas Caminada
Andreas Caminada hat schon früh gespürt, dass er sich selbstständig machen möchte, er selbst bezeichnet es als „inneren Drang“. Caminada ist sehr heimatverbunden und hat es verstanden, dass in Graubünden eine Ergänzung zum bestehenden Angebot möglich ist. Schloss Schauenstein in Fürstenau, der kleinsten Stadt der Welt, war vorher eine Privatschule, danach stand es leer und genau zu dieser Zeit suchte der junge ambitionierte Caminada eine geeignete Location, um seinen Traum zu leben: „Nach einigen Überlegungen wusste ich, das ist es!“ 2003 eröffnete er und konnte schnell erste Erfolge verzeichnen. Mit seinem ganz persönlichen Konzept für Schloss Schauenstein punktete er sowohl bei seinen Gästen als auch bei den Tester*innen. Das Restaurant ist seit 2011 ununterbrochen auf der „The World’s 50 Best Restaurants“- Liste platziert. Mit drei Michelin-Sternen ist Caminada ganz oben angekommen, dennoch ist der umtriebige Unternehmer alles andere als abgehoben: „Bei uns sind alle willkommen! Wir freuen uns, wenn wir Gästen aus dem Dorf begrüßen dürfen oder Freund*innen aus der Schulzeit, die uns besuchen. Wenn die Menschen was Kleines zu feiern haben, kommen sie gerne zu uns.“ Seit einiger Zeit haben Andreas Caminada und seine Frau auch noch andere Leidenschaften: Sie engagieren sich für motivierte Nachwuchskräfte, wofür sie eine eigene Stiftung ins Leben gerufen haben, und sind dabei, für das Restaurant Konzept IGNIV eine Kunstsammlung aufzubauen. Die IGNIV Art Collection ergänzt die kreative Küche und charakteristische Innenarchitektur an den Standorten Bad Ragaz, St. Moritz, Zürich und Bangkok. Das Zürcher Lokal erzählt beispielsweise eine lange, teils verruchte Geschichte und die beiden renommierten Künstler*innen Sylvie Fleury und Walter Pfeiffer haben diese durch ihr Werk unterstrichen – dem Ort und seiner Geschichte sozusagen ein stilvolles Ausrufezeichen gesetzt. Wir sind neugierig und treffen den kunstsinnigen Sternekoch zum Interview.
Sie wirken hier schon seit 2003 als „Schlossherr“. Mit 33 Jahren wurden Sie mit dem dritten Stern ausgezeichnet. Für Sie war das, wie Sie es in anderen Interviews beschreiben, der Anfang. Welche Vision verfolgen Sie?
ANDREAS CAMINADA: Ich hatte nie eine konkrete Vision, eher einen Traum. Ich wollte etwas erschaffen, wo ich selbst entscheiden kann und selbst die Verantwortung trage. Mit meiner damaligen Partnerin habe ich das Unternehmen gegründet, das Schloss gepachtet und dann überlegt, was wollen wir hier machen. Ich hatte beispielsweise nicht die Vision, dass ich in 10 Jahren 3 Sterne erreichen möchte, das hätten wir uns gar nicht leisten können. Wir wollten einfach einen schönen Ort, an dem sich die Menschen wohl fühlen. Wir wollten die historischen Räume involvieren, wir hatten von Anfang an einen kleinen Raucher-Salon, eine kleine Aperitif Area, wir wollten über das Essen hinweggehen und mehr bieten. Wir haben immer nur daran gedacht, was wir tun können, damit sich die Gästen extrem wohl fühlen und haben das mit sehr viel Hingabe, Leidenschaft und Aufwand auch so umgesetzt. Anfangs hatten wir vier Angestellte. Da war schon ganz schön viel zu tun. Wir haben dann schrittweise aufgebaut. Ich würde sagen, es ging um den Traum, sich zu verwirklichen, und wir sind mit den Gästen, den Umsätzen und den Möglichkeiten gewachsen und nach und nach weiter gegangen. Als wir 2 Sterne hatten, dachten wir erst recht wir müssen noch nachbessern, damit wir den Ansprüchen der Gäste auch entsprechen. So ist eine positive Spirale entstanden.
Also ist der Prozess für Sie die Vision?
Ich denke schon, weil wir auch von Anfang an nicht die Möglichkeit hatten, so ein großes Denken zu haben. Das war beim neuen IGNIV-Konzept beispielsweise ganz anders. Da hatte man schon Erfahrung und es ging um eine konkrete inhaltliche Entwicklung mit klaren Zielsetzungen.
Lassen Sie uns bitte auf Ihren Anspruch als Gastgeber eingehen: Mit welchen Eindrücken sollten Ihre Gästen Schloss Schauenstein verlassen?
Es ist immer noch der gleiche Ansatz wie ganz am Anfang. Wir haben immer gesagt, es muss ein Gesamterlebnis sein. Nicht irgendeine Show, sondern ein sehr subtiles Gesamterlebnis, in dem man unsere Gastgeberkultur in allen Bereichen spürt, die Herzlichkeit, das familiäre Gefühl, wo es nicht nur um das Essen geht, sondern um das gesamte Wohlbefinden. Jede*r einzelne Mitarbeiter*in ist bei uns ein*e Gastgeber*in. Man geht raus und man spürt es, es ist nicht aufdringlich, Im Gespräch mit Andreas Caminada es ist professionell und trotzdem locker, eine ganz besondere Atmosphäre, die wir tagtäglich versuchen aufrecht zu erhalten.
Für mich war klar, dass wir im IGNIV einen anderen Ansatz benötigen. Wir haben ein Sharing-Konzept entwickelt und zwar Sharing mit Kultur und Gastlichkeit, viel Aufwand und schön zelebriert. Es sollte ein Ort entstehen, wo sich die Menschen wohl fühlen und etwas Einzigartiges erleben. Dazu gehört auch die Kunst.
Sie sind, wie so viele Persönlichkeiten in der gehobenen Gastronomie, Unternehmer. Wie gehen Sie mit den Auswirkungen dieses äußerst schwierigen Jahres 2020 um? Welche Lösungsansätze verfolgen Sie seit Beginn der Pandemie und aller damit verbundenen Einschränkungen und Maßnahmen?
Klar waren wir am Anfang auch überfordert, als die ersten Gerüchte herumgingen, dass ein Lockdown kommt. Wir haben das ja alle bisher nicht erlebt. Wir haben aber auch entschieden, dass wir erst dann zusperren, wenn tatsächlich vom Staat die Verordnung kommt. Das haben wir dann auch gemacht. Dennoch sind wir in der Schweiz schon privilegiert, denn der Staat hat den Unternehmer*innen relativ unbürokratisch gute Lösungen angeboten. Wir haben also alles runtergefahren, das Prozedere durchlaufen, als würden wir in den Urlaub gehen. Erste Priorität für uns war, dass wir keine Mitarbeiter*innen kündigen müssen. Wir haben auch trotz der Kurzarbeit allen den 100%igen Lohn ausbezahlt, weil die Mitarbeiter* innen unsere wichtigste Ressource sind. Am 12. Mai haben wir dann gleich wieder aufgesperrt – mit umfassendem Hygienekonzept, Trennwänden, Masken. Wir waren vom ersten Tag an ausgebucht. Ich hatte 2 Wochen zuvor ein TV-Interview, das hat vielleicht auch unterstützend gewirkt. Wir sind das sehr positiv angegangen, denn die Menschen waren alle heiß drauf wieder raus zu gehen. Die Mitarbeiter*innen waren auch alle von der ersten Minute an topmotiviert und jede*r war bereit, mitzuziehen, um alle Schutzmaßnahmen bestmöglich einzuhalten. Das hat uns natürlich auch in unserer Entscheidung bestärkt.
Das Thema dieser Ausgabe ist HIGHSPEED und kann in diesem Jahr auch als Provokation wahrgenommen werden. Wir stellen Künstler*innenpositionen vor, die sich mit Zeit, Raum, Geschwindigkeit, Beschleunigung und vor allem auch den Grenzen dieser auseinandersetzen. Die Vollbremsung im März hat uns allen gezeigt, dass das „schneller, höher, weiter Denken“ gestoppt werden kann. Welche Bedeutung haben Zeit und Geschwindigkeit mittlerweile für Sie?
Rückblickend empfinde ich es persönlich als eine positive Erfahrung, auch einmal zwei Monate Stillstand zu erleben und zuhause sein zu dürfen. Das hat schon etwas bewirkt. Man hatte Zeit zu reflektieren, was sinnvoll ist und was vielleicht weniger. Die Zeit mit der Familie haben wir sehr genossen. Für uns haben wir nochmals bestätigt bekommen, dass man eben nicht immer und überall dabei sein muss. Meine Terminkalender waren immer so gefüllt mit Symposien, Auftritten, man hatte das Gefühl, man muss dabei sein, sonst vergibt man sich eine Chance. Wir wollen für die Gäste hier sein, vor Ort, das hat oberste Priorität – alles andere ist zweitranging. Ich versuche mittlerweile meine Agenden auch so gut wie möglich frei zu halten, das nutze ich jetzt viel mehr als davor.
Mit Ihrer FUNDAZIUN UCCELIN fördern Sie gezielt Talente in der Gastronomie. Können Sie uns erklären, wie das im Detail funktioniert?
Die FUNDAZIUN UCCELIN ist aus dem Wunsch heraus entstanden, uns sozial zu engagieren, um der Branche langfristig etwas zurückzugeben. Wir haben uns einen bestimmten Stellenwert erarbeitet und es ist uns wichtig, hier ein Zeichen zu setzen. Meine Frau und ich haben uns dazu entschieden, eine Stiftung ins Leben zu rufen, um der Gastronomie einen Impuls zu geben. Der Stiftungszweck ist Nachwuchsförderung. Es ist ein sehr aufwändiges Programm, das wir hier jungen motivierten Leuten ermöglichen, und wir konnten schon viel erreichen. Jedem*Jeder ist dieses Programm zugänglich, der*die mindestens 5 Jahre Erfahrung in der Branche mitbringt und jünger als 35 Jahre ist. Es geht um die klassischen Handwerksberufe in der Gastronomie, die wir fördern möchten. Seit 2015 konnten schon über 25 Personen dieses Programm durchlaufen. Zukünftig sollen es jährlich 8 Stipendiat*innen sein. Auf unserer Liste stehen mehr als 65 Partner*innen, Restaurants und Produzent*innen, bei denen man Erfahrung sammeln kann und ein hochwertiges Weiterbildungsprogramm mit sehr exklusiven Institutionen. Wir stellen das gesamte Reiseprogramm zusammen und übernehmen die kompletten Kosten, ca. 15.000 CHF pro Person. Diese Form der Nachwuchsförderung kommt extrem gut in der Branche an. Wir organisieren immer wieder Charity- Events, um die Gelder zu generieren, suchen Gönner*innen dafür, lasse Honorare für bestimmte Auftritte in die Stiftung fließen, damit es sich trägt. Jede*r Absolvent*in muss am Ende des Programms ein innovatives Produkt entwickeln. Ein Absolvent hat beispielsweise kürzlich aus dem Abfallprodukt der Kaffeeröstung verschiedene Destillate entwickelt, um den Kaffee zu süßen. Super Idee, oder? Eine andere Absolventin hat vier ganz besondere Pralinen entwickelt. Diese Produkte werden nun produziert, verpackt und unseren Gäste zum Kauf angeboten. So können die Menschen sehen, welchen Output diese Programme generieren, und wir haben gute Geschichten zu erzählen, um die Stiftung lebendig zu halten. Alle Erlöse fließen wieder in die Stiftung.
Ihr Restaurant-Konzept unter der Marke „IGNIV“ ist wie entstanden und welche Kernwerte verkörpert dieses Konzept?
Entstanden ist es aus dem Bedürfnis heraus, uns nicht nur auf das Schloss hier zu konzentrieren, sondern auch darüber hinaus kreativ zu sein. Solche Projekte motivieren die ganze Crew. Wir wollten eine Ergänzung schaffen und nicht eine Konkurrenz zum Schloss. Die erste Chance hat sich dann mit Bad Ragaz ergeben. Für mich war klar, dass wir einen anderen Ansatz benötigen und so kam die Idee für ein Sharing-Konzept – und zwar Sharing mit Kultur und Gastgeberqualität, viel Aufwand und schön zelebriert. Ein Ort, an dem Menschen sich umsorgt fühlen und etwas Einzigartiges erleben. Dazu gehört auch die Kunst. Ich hatte schnell eine Vorstellung davon, wie so ein Tisch aussehen muss, welches Geschirr und wie das Ambiente den idealen Rahmen dafür bietet. Eben wie ein Nest – daher auch der Name IGNIV (Vogelnest). Als Finishing haben wir den Candy Store umgesetzt. In Summe war es etwas Neues und die Leute sind sehr neugierig darauf – das zeigt sich auch im Erfolg.
Nach der erfolgreichen Eröffnung des IGNIV Zürich folgt nun Bangkok. Eine sehr heraufordernde Zeit für Neueröffnungen, wie ist der derzeitige Stand in Bangkok?
Wir hatten Verspätung mit dem Umbau, wollten im März eröffnen, dann kam aber der Lockdown. Unser Team ist schon seit vergangenem November vor Ort. Wir haben jetzt entschieden, aufzusperren – am 09. Oktober. Das Vertrauen ist da, jetzt für den lokalen Markt zu öffnen. Die Kunstwerke, die dort dann Teil des Konzepts sein werden, werden gerade verschifft.
Im IGNIV spielt die Kunst eine interessante Rolle. Wir haben das in Zürich selbst genießen dürfen. Seit wann beschäftigen Sie sich mit bildender Kunst und wie haben Sie Ihre Sammelleidenschaft entdeckt? Interessieren Sie sich für die Geschichten hinter den künstlerischen Positionen – wir haben beispielsweise im Eingangsbereich ein Werk von Conrad Jon Godly gesehen?
Conrad Jon Godly hatte das Atelier nicht unweit von hier und ja, wir haben uns sehr für ihn und seine Werke interessiert. In unserem Magazin hatten wir immer wieder Menschen aus dem Kunstbereich porträtiert, wie auch Not Vital. Über diese Menschen ist auch unsere Verbindung und Leidenschaft zur Kunst entstanden. Uns interessieren die Künstler*innen und die Geschichten, wie sie ihre Arbeiten entwickeln. Mit dem IGNIV wollten wir eine noch stärkere Verbindung zur Kunst schaffen, deshalb auch die eigene Art Collection, mit der wir das weiter ausbauen werden. Über einen befreundeten Kurator, Andreas Ritter aus Zürich, haben wir den Kontakt zur Galerie Karma International vertieft. Dort fühlen wir uns wohl. Ich kaufe nur Kunst, die mir auch selbst gefällt, wir sehen es als nachhaltige Investition. Silvie Fleury ist sehr präsent, aber auch Vivian Suter, Walter Pfeiffer, Pamela Rosenkranz, Thomas Sauter und einige mehr.
Aus unseren Unterhaltungen mit Sterneköch*innen haben wir häufig gespürt, dass es im Kern häufig viel mehr um Kulturvermittlung und um das Zelebrieren von Werten geht, als um die reine Kreation einzelner Gerichte und Menüs. Welche Art der Kultur möchten Sie mit Ihrer Küche vermitteln?
Über die Jahre entwickelt man seinen persönlichen Stil. Meine Küche schließt alle meine Erfahrungen mit ein und sie ist Ausdruck meiner Persönlichkeit. Ich lasse alles einfließen, die Wurzeln und eben auch alle entwickelten Vorstellungen, die aufgrund der Bedürfnisse, die sich global ergeben, entstehen. Es ist eine eigene Identität und oberste Priorität, mir selbst treu zu bleiben – es ist eine ganz eigene Kultur, die hier entstanden ist.
Hochwertige Kooperationen und Netzwerke zeichnen die Sternegastronomie aus. Welche Kooperationen leben Sie derzeit aktiv mit Ihren Unternehmen?
Kooperationen sind für uns sehr wichtig. Seit Jahren kooperieren wir beispielsweise mit AUDI. Hier leben wir eine nachhaltige Zusammenarbeit, die für beide Seiten etwas bringt. Wir sind schon seit Jahren sehr bemüht, in solchen Partnerschaften eine Win-Win-Situation zu erzeugen. Eine weitere Kooperation, die ich persönlich habe, ist jene mit Hublot. Für das IGNIV haben wir ganz neu eine schöne Partnerschaft mit Carl F. Bucherer. Alle Partner*innen passen zu uns und es sind immer sehr branchennahe Geschichten. Wir sind sehr dankbar dafür, denn es sind proaktive Partnerschaften.
Sie haben als 3‑Sternekoch bereits ein sehr umfangreiches Portfolio mit dem Schloss Schauenstein, der Casa Caminada, dem IGNIV an mehreren Standorten, dem acasa Catering, der FUNDAZIUN UCCELIN … Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass ich weiterhin so gute und professionelle Mitarbeiter*innen an meiner Seite habe, mit denen ich alle Ideen und Projekte weiterentwickeln kann. Eine solch positive Energie kann man nur gemeinsam kultivieren und ich freue mich sehr, dass es uns auch gelingt, junge motivierte Menschen in unsere neuen Projekte einzubinden. So soll es weiter gehen!