Hermann Nitsch: Universal.Genie

Im Interview

Wir tref­fen Her­mann Nit­sch in sei­nem Schloss Prin­zen­dorf im Nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Wein­vier­tel. Ange­nehm über­rascht von der Idyl­le, die dort herrscht, wer­den wir von Pfau­en, Wild­ha­sen und dem Hund der Fami­lie am Schloss­tor begrüßt. Im Schloss­hof leuch­tet das Grün der weit­läu­fi­gen und sehr gepfleg­ten Rasen­flä­che und die pink­far­be­nen Rosen an der Mau­er des Schloss­ge­bäu­des ste­chen ins Auge. Pro­fes­sor Her­mann Nit­sch und sei­ne Frau emp­fan­gen uns auf der über­dach­ten Ter­ras­se so herz­lich als wären wir Freun­de. Ein selbst­ge­ba­cke­ner Kirsch­ku­chen wird von Frau Nit­sch per­sön­lich auf einem groß­zü­gi­gen Tisch kre­denzt. Die Fami­lie ist ent­spannt und das Ambi­en­te zum Wohl­füh­len. Her­mann Nit­sch weiß wenig über uns und den­noch scheint er bereits in den ers­ten Minu­ten zu begrei­fen, wer wir sind. Er pro­vo­ziert ger­ne, rich­tet immer wie­der sei­nen prü­fen­den Blick auf uns, ver­sucht uns mit sei­nem zyni­schen Humor aus der Reser­ve zu locken und man spürt förm­lich, dass Begeg­nun­gen ihn berüh­ren. Er blät­tert in unse­rem Kalei­do­scope und führt sei­ne Gedan­ken dazu laut­stark aus ohne sich ein Blatt vor den Mund zu neh­men. Sei­ne Frau, die ihn lie­be­voll „Nit­sch“ nennt, scheint den Ablauf zu ken­nen und ent­schärft sei­ne Aus­sa­gen durch ihre offe­ne und humor­vol­le Art. Auf Anhieb ver­ste­hen wir, dass die bei­den ein ein­ge­spiel­tes Team sind. Her­mann Nit­sch kommt zum Schluss, dass ihm unse­re Arbeit gefällt, er bie­tet uns an im Anschluss an das Gespräch mit ihm gemein­sam pas­sen­des Bild­ma­te­ri­al aus­zu­wäh­len und dann bringt er es schnell auf den Punkt: „Ihr wollt ja was über mich wis­sen oder?“ Wir nicken. „Na dann, was wollt ihr denn wissen?“

Herr Nit­sch, wo und wie haben Sie Ihre Kind­heit und Ihre Jugend verbracht?

Na ja, ich habe als Kind den Krieg mit­er­lebt, die furcht­ba­ren Bom­ben­an­grif­fe auf Wien und noch dazu habe ich in Flo­rids­dorf, dort wo die gan­zen Fabri­ken waren gewohnt und ich bin mit dem Tod kon­fron­tiert wor­den. Wir waren wäh­rend der Anschlä­ge alle im Luft­schutz­kel­ler, man hat die Flie­ger, die Bom­ben fal­len gehört, die Leu­te haben gebe­tet und dann ist man raus­ge­kom­men in eine sur­rea­le Welt: Alles hat gebrannt, der Him­mel war schwarz. Man hat geschaut, ob das eige­ne Haus noch steht. Nach dem Krieg sind dann die Befrei­un­gen gekom­men und ich habe damals, schon als Kind, die Poli­tik ver­ach­ten gelernt. Ich habe noch mit dem Hit­ler­gruß in der Volks­schu­le grü­ßen müs­sen, dann sind die Alli­ier­ten gekom­men, die Rus­sen und die Ame­ri­ka­ner und haben die Medi­en, also Rund­funk und Zei­tun­gen, besetzt. Die rus­sisch besetz­ten Medi­en haben über den Kapi­ta­lis­mus geschimpft, die ame­ri­ka­nisch besetz­ten Medi­en haben über den Kom­mu­nis­mus geschimpft und da habe ich ein­ge­se­hen, dass Poli­tik ein Unfug ist und dabei bin ich geblie­ben. Wie gesagt, das war mei­ne Kind­heit. Mein Vater ist gefal­len und ich habe bei mei­ner Mut­ter in Flo­rids­dorf gelebt. Sie hat so Angst gehabt ihre Woh­nung zu ver­lie­ren – eigent­lich hät­ten wir doch nach Tirol fah­ren sol­len, wo kei­ne Bom­ben­an­grif­fe waren, aber nein wir sind hero­isch dort geblieben…und…na ja, es war damals nicht so lustig.

Das heißt die­se Zeit und die damit ver­bun­den Umstän­de haben Sie geprägt und sich auch auf Ihr anschlie­ßen­des künst­le­ri­sches Schaf­fen ausgewirkt….

…den Unfug des Krie­ges habe ich ken­nen gelernt und danach habe ich die Phi­lo­so­phie und die Reli­gio­nen viel höher gewer­tet als poli­ti­sche Ideale.

Welche Künst­ler haben Sie geprägt und inspiriert?

Ich wür­de sagen alle Kunst­rich­tun­gen, von Stone­henge über Lite­ra­tur bis Male­rei und Musik, alles war für mich wich­tig. Ich habe von Michel­an­ge­lo viel gelernt von Rem­brandt, von El Gre­co. Mei­ne Kol­le­gen, wie Arnulf Rai­ner und Gün­ter Brus, und ich, wir haben uns gegen­sei­tig beein­flusst. Und Bacon, ja der hat mich auch sehr beein­flusst. Wis­sen Sie wer mir den Bacon gezeigt hat? Der Hun­dert­was­ser, der hat mir in einem Buch Bil­der von ihm gezeigt. Lei­der habe ich ihn nie per­sön­lich kennengelernt.

Sie haben einem Jour­na­lis­ten die Ant­wort gege­ben, dass Sie sich für Ihre Beer­di­gung den letz­ten Satz aus Lud­wig van Beet­ho­vens Sin­fo­nie Nr. 7 wün­schen, stimmt das und warum?

Ja, das ist rich­tig. Richard Wag­ner hat zurecht gesagt, dass das eine Apo­theo­se des Tan­zes ist. Das ist der Dio­ny­sos, der sich gebär­det, der zur Orgi­as­tik, zum Tanz, zur exta­ti­schen Daseins­form auf­for­dert und ich glau­be an die ewi­ge Wie­der­kunft, dass alles wie­der­kehrt – der Tod ist die Mög­lich­keit für eine neue Lebendigkeit.

Mei­ne Arbeit soll eine Schu­le des Lebens, der Wahr­heit und der Emp­fin­dung sein und mit allen fünf Sin­nen erfah­ren werden. 

Uund die­ses Wie­der­keh­ren, wie wür­den Sie das in Ihrem Fal­le als Her­mann Nit­sch beschreiben?

Ganz ein­fach, schau­en Sie sich das Jahr an: Im Win­ter sind die Bäu­me blät­ter­los, sehr kahl, zu Weih­nach­ten sieht man schon die ers­ten Trie­be und dann im Früh­jahr wuchert alles…. Alles kehrt immer wie­der und die Per­son inter­es­siert mich gar nicht, denn unse­re Tie­fen­per­son ist eigent­lich das Sein, ist das Ist, wel­ches nicht stirbt, auch wenn unser Leib ver­geht. Dann gibt es da noch einen Kom­pro­miss, denn die Kunst ver­geht auch sehr schwer. Natür­lich, wenn die Son­ne ein­mal rie­sen groß wird, wird auch ein Rem­brandt ver­schwin­den, aber die Kunst bleibt schon sehr lange.

Bei Ihrer Kunst ver­wen­den Sie Mate­ria­li­en wie rich­ti­ges Blut. Wie reagie­ren die Men­schen dar­auf und hat­ten Sie jemals Pro­ble­me mit dem Gesetz oder mit Insti­tu­tio­nen wie bei­spiel­wei­se der Kirche?

Zuerst möch­te ich ein­mal sagen, dass es immer Leu­te gab, von Anfang an, die sich für mei­ne Arbeit sehr inter­es­siert haben. Das Inner­leib­li­che inter­es­siert mich, wie es auch Rem­brandt, Michae­lan­ge­lo und Leo­nar­do getan haben. Eben­so inter­es­siert mich der sinn­li­che Prunk anti­ker Opfer­kul­te. Das ist ja was Wun­der­ba­res, wenn man jetzt die Ethik weg­lässt, die natür­lich nicht abge­schal­tet wer­den soll. Jetzt bin ich ein­mal der, der schaut und da sehe ich einen Prunk der Sinn­lich­keit jen­seits von Gut und Böse. Und wir sind halt von Regeln umschlos­sen und der Staat bevor­mun­det uns in jeg­li­cher Art und Wei­se und nimmt uns unser gan­zes Geld weg. Die Insti­tu­tio­nen und die Poli­tik haben mich sehr geschän­det. Ich habe mich mein gan­zes Leben für alle Reli­gio­nen inter­es­siert. Ich bin auch irgend­wie ein Schü­ler von C.G. Jung, mich inter­es­siert das kol­lek­ti­ve Unbe­wuss­te, alle Mythe­n­a­ber ich sehe das alles eher phä­no­me­no­lo­gisch. Ich bin in kei­ner Reli­gi­on ver­haf­tet: Mich fas­zi­niert der Bud­dhis­mus, der Hin­du­is­mus, der Dada­is­mus, der Islam – alles ist wich­tig. Aber ich glau­be an die Schöp­fung, ich glau­be an das Gan­ze und an die Unauf­hö­rig­keit der Lebendigkeit.

Ihre Gene­ra­ti­on hat seit dem Kriegs­en­de bis heu­te eine enor­me gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung und rasen­de Ver­än­de­rung des All­tags erle­ben dür­fen, wie haben sich die­se Rah­men­be­din­gun­gen auf Ihr künst­le­ri­sches Schaf­fen ausgewirkt?

Ich bin oft falsch ein­ge­schätzt wor­den. Ich bin Mit­glied des Wie­ner Aktio­nis­mus, den ich sehr schät­ze, aber ich habe nicht so sehr auf gesell­schaft­li­che Situa­tio­nen reagiert. Mich hat eher das Gan­ze im kos­mi­schen Sinn inter­es­siert und es wäre falsch zu glau­ben mei­ne Kunst sei eine poli­ti­sche Kunst, die auf irgend­wel­che Ein­engun­gen reagiert. Ich suche die tie­fe Wirk­lich­keit.

Also unab­hän­gig davon was die Gesell­schaft dar­über denkt?

Ich habe mich nie geküm­mert, wie die Gesell­schaft denkt. Ich habe das gemacht, was ich geglaubt habe machen zu müs­sen. Und das ist genau eben die­se fal­sche Ein­schät­zung mei­ner Arbeit: Ich bin kein Pro­test­künst­ler, wenn sich jemand pro­vo­ziert gefühlt hat, dann hat das sein Wesen aus sich her­aus pro­vo­ziert, aber nicht weil ich gegen etwas ankämp­fen wollte.

Ich lie­be es zu essen, zu trin­ken, zu lie­ben und das ist wich­tig. Die­ser Wil­le zur Inten­si­tät, der könn­te Struk­tu­ren bil­den, die viel­leicht einer Poli­tik ähn­lich sind… 

Was ist die prin­zi­pi­el­le Bot­schaft Ihrer Kunst und was möch­ten Sie ganz bewusst beim Betrach­ter hervorrufen?

Ich wür­de sagen die Form ist das Ent­schei­den­de. Wenn ich Aktio­nen mache mit Aus­wei­den von Tie­ren oder Beschüt­ten von Men­schen, dann ist es wie bei Cezan­ne oder Monet oder bei Schie­le, es muss Kunst sein. Es muss eine Spra­che sein, die bis zu einem gewis­sen Grad auch der Meta­phy­sik ent­spricht. Es muss immer ein Ent­wurf für das Dasein sein. Ich glau­be die Zeit wird wahr­schein­lich bis zu einem gewis­sen Grad das ihre Tun, man wird sich an die­se Kunst gewöh­nen und wird sehen wie not­wen­dig sie ist. Ich glau­be, dass man lernt mit die­ser Kunst umzu­ge­hen und dass man dar­aus auch lernt mit dem Leben umzu­ge­hen. Ich glau­be nicht an gro­ße Ver­bes­se­rungs­ak­te – also, dass wir mit unse­rer Kunst die Welt so viel ver­bes­sern. Aber wir brin­gen viel Schö­nes in die­ses Leben: Ob das Beet­ho­ven, Bach oder Michel­an­ge­lo ist, ihre Wer­ke berei­chern die Welt.

Aus der Poli­tik haben Sie sich immer her­aus­ge­hal­ten, weil Sie sich aus Poli­tik nichts machen. Hät­ten Sie eine Idee wodurch man das poli­ti­sche Sys­tem erset­zen könnte?

Durch Anar­chie…lacht… Wenn Sie in die Geschich­te schau­en, die größ­ten Künst­ler waren Anar­chis­ten. Selbst das dürf­te man gar nicht sagen, denn man müss­te so von der Poli­tik los­ge­löst sein, dass man selbst den Begriff Anar­chie gar nicht ver­wen­det. Nichts von all die­ser Schei­ße, will ich wis­sen. Ich will mich aber inten­siv erle­ben, mit mei­nen Freun­den. Ich lie­be es zu essen, zu trin­ken, zu lie­ben und das ist wich­tig. Die­ser Wil­le zur Inten­si­tät, der könn­te Struk­tu­ren bil­den, die viel­leicht einer Poli­tik ähn­lich sind, aber was noch wich­ti­ger ist, mich inter­es­siert Philosophie.

Sie hat­ten in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten gro­ßen Ein­fluss auf die öster­rei­chi­sche Kunst­sze­ne und haben sich als umstrit­te­ner Künst­ler einen inter­na­tio­na­len Namen gemacht. Gibt es eine ganz per­sön­li­che Erkennt­nis, die Sie der jun­gen Künst­ler­ge­nera­ti­on mit­tei­len möchten?

Inten­si­tät und Furcht­lo­sig­keit und eben nicht Rück­sicht neh­men auf staat­li­che oder poli­ti­sche und reli­giö­se Rege­lun­gen. Das zu machen was wich­tig scheint. Und zur Zeit gibt es eher sehr harm­lo­se Kunst. Ich wür­de mir wün­schen, dass die Men­schen wider­spens­ti­ger werden.

Zum Künstler

Der in Wien gebo­re­ne Künst­ler Her­mann Nit­sch ist als zeit­ge­nös­si­scher Künst­ler inter­na­tio­nal bekannt. Sei­ne Wer­ke befin­den sich in den bedeu­tends­ten Muse­en und Samm­lun­gen der Welt. Her­mann Nit­schs frü­hes­te Bil­der beschäf­tig­ten sich mit den Far­ben des gan­zen Ska­len­be­rei­ches. Durch die Ent­wick­lung sei­ner Male­rei zur Akti­on bekam die Far­be eine ande­re Auf­ga­be: „Sie wur­de des viel­fa­chen Klan­ges ent­ho­ben, sie wur­de als Sub­stanz ver­braucht, sie wur­de zu Blut und Schleim. Die Far­be, die das Blut und Fleisch des Got­tes trägt, wur­de per­ma­nent zele­briert.“ Bereits in den 50er Jah­ren ent­wi­ckel­te Nit­sch die Idee des Orgi­en-Mys­te­ri­en-Thea­ters, eines sechs Tage dau­ern­den Fest­spiels, das ihn bis heu­te stän­dig beschäf­tigt und in dem sich alle sei­ne künst­le­ri­schen Bestre­bun­gen sam­meln. Das O.M. Thea­ter ist die neue Form eines Gesamt­kunst­werks. Rea­le Gescheh­nis­se wer­den insze­niert. Alle fünf Sin­ne der Spiel­teil­neh­mer wer­den direkt bean­sprucht. Mythos und Ritu­al die­nen dabei als Arbeits­mit­tel, um die Dra­ma­tur­gie ent­ste­hen zu lassen.

 www.nit­sch-foun­da­ti­on.com

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