Dieses ursprünglich klassisch angedachte Künstlerinterview mit Gottfried Helnwein, entpuppt sich rasch als ein tiefgründiges Gespräch, in dem kritische Gedanken offen ausgesprochen werden und Helnwein das Bild einer Welt zeichnet, die förmlich nach intelligenter Revolution schreit.
Sind Sie ein Revoluzzer?
Von Anfang an habe ich die Gesellschaft, in der ich lebte, als repressiv und manipulativ empfunden. Ich habe immer gespürt, dass ich angelogen wurde: von den Eltern und in der Schule. Der Holocaust wurde beispielsweise nie erwähnt. Das Einzige, das ich hörte, war, dass Österreich das erste Opfer Adolf Hitlers war. In meinen Tagträumen im Unterricht habe ich mir immer vorgestellt, wie ich die Schule in Brand setze, eine Revolution auslöse und das ganze System der Erwachsenen zum Einsturz bringe. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass Kunst tatsächlich die einzige Möglichkeit ist, Widerstand zu leisten und das System zu verändern oder zumindest darauf einzuwirken.
Wer hat Sie inspiriert?
Donald Duck. Als ich im Alter von vier Jahren Entenhausener Boden betrat, habe ich zum ersten Mal Farben wahrgenommen. Es war, als wäre ich aus einem schlechten schwarz-weiß Film gestiegen, in eine Welt, in der die Naturgesetze aufgehoben und den Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt sind. Ich war dort angekommen, wo nur die Gesetze der Phantasie galten. In diesem Moment hat das Leben einen Sinn für mich bekommen.
Ist das nicht eine Scheinwelt?
Die Welt, in der wir leben, ist eine Scheinwelt. Entenhausen ist die Wirklichkeit.
Zum Beispiel?
Die meisten Menschen erleben die Welt nicht durch eigene Wahrnehmung, sondern als die von den Medien zusammengeschusterte Schmierenkomödie, die ihnen täglich präsentiert wird. George Orwell meint: „Der Journalismus ist ein Katalog der Schwindlereien und der Perversionen. Die Prosa besteht immer weniger aus Worten, die wegen ihrer Bedeutung gewählt wurden, und immer mehr aus Phrasen, die zusammengezimmert werden wie die Einzelteile eines vorfabrizierten Hühnerstalls.“ Die wenigsten Menschen machen sich die Mühe, den eigenen Kopf zu verwenden, sie haben es viel lieber, wenn ihnen jemand sagt, was sie denken und fühlen und was sie als richtig und was als falsch empfinden sollen. Nehmen wir zum Beispiel das Märchen vom guten Amerika, das nichts anderes im Sinn hat, als der Welt die Demokratie zu bringen. Während Putin ein Bösewicht ist, der bestraft und boykottiert werden muss. Saudi Arabien hingegen ist gut, weil es Amerikas engster Verbündeter im Kampf um die Demokratie ist. Zwar ist Saudi Arabien eine der brutalsten Diktaturen des Planeten und ziemlich genau das Gegenteil von Demokratie, zwar haben Frauen in diesem Land keinerlei Rechte und müssen als schwarze Müllsäcke durchs Leben gehen, dürfen ohne männliche Begleitung nicht die Straße betreten und kein Auto lenken, zwar wird Schwulen der Kopf abgehackt, was ebenso für jeden gilt, der zum Christentum übertritt, wobei dieser aber noch zusätzlich gekreuzigt wird – trotzdem ist Saudi Arabien gut, weil es der Freund Amerikas ist, weswegen alle westlichen Regierungschefs vor den Saudis kriechen und wie z.B. Frau Merkel Kriegswaffen für hunderte Milliarden an dieses Regime schicken. Zwar werden ebendiese Waffen dafür verwendet, um Jemen, eines der ärmsten Länder der Welt, durch einen gnadenlosen Bombenterror zu vernichten, aber Saudi Arabien ist gut. Da die Saudis wissen, dass die meisten westlichen Politiker Huren sind, die man für ein bisschen Geld kaufen kann, haben sie sich auf diese Weise schließlich sogar den Vorsitz im UN Menschenrechtsrat gekauft. Das ist so, wie wenn sich der Pate der Sizilianische Mafia in Italien zum Justizminister machen lässt, um die Mafia zu bekämpfen. Dagegen ist Entenhausen der Olymp der reinen Vernunft.
„Ich will alles wissen. Selbst wenn ich nichts machen kann, wenn die Welt untergeht, dann will ich mit offenen Augen zusehen.“
Bereits an der Akademie der bildenden Künste waren Sie Anführer einer persönlichen Revolte. Warum?
Ich glaube, vielen Künstlern der Nachkriegsgeneration schienen Rundumschlag und Anarchie die einzig mögliche Reaktion auf die Zumutungen der Spießergesellschaft zu sein. Dieser Kleingeist hat sich auch auf die Akademie und den Kunstbetrieb erstreckt und das war für mich unerträglich.
Menschliche Verletzungen sind die Hauptdarsteller in Ihrer Kunst. Bringen Sie damit Ihre Sicht der Dinge zum Ausdruck oder wie darf man das verstehen?
Schon als Kind habe ich wahrgenommen, dass Angst und Schmerz in den Menschen um mich herum immer präsent waren. Sie sind ein Teil der menschlichen Existenz. Es war vor allem diese Verletzlichkeit, die mich in meiner Arbeit interessiert hat.
Sie haben Österreich den Rücken gekehrt und leben mit Ihrer Familie in Irland und teilweise auch in den USA. Warum?
Österreich kann ich gar nicht den Rücken kehren, weil meine Kunst tief und untrennbar in der österreichischen Kulturtradition verwurzelt ist. Ich werde überall in der Welt als österreichischer Künstler betrachtet. Man könnte sagen, wo immer ich bin, ist Österreich. Mein Heimatbegriff verteilt sich aber auf verschiedene Orte auf der Welt. Irland gehört genauso dazu wie Los Angeles. Los Angeles ist für mich die faszinierendste Stadt der Welt, weil man das Chaos, die Dekadenz und den Zerfall der westlichen Welt von da aus besser beobachten kann, als von jedem anderen Ort. Ich sitze dort in der ersten Reihe und ich sehe all die Dinge, die in einigen Jahren auch hier in Europa auf uns zukommen werden. In Amerika werden alle wichtigen Entscheidungen nur mehr von den großen Konzernen und Banken getroffen. Politiker haben praktisch keinen Einfluss mehr. Es ist genau das passiert, vor dem Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede gewarnt hat: die Dominanz des ‘militaryindustrial complex’. Nach TTIP wird sich zum Beispiel der Markt von Monsanto um ein paar Hundert Millionen Kunden erweitert haben, weil Länder wie Österreich dann nicht mehr das Recht haben, den Anbau genmanipulierter Pflanzen zu verhindern.
Was macht die Kunst von Gottfried Helnwein so besonders, dass die Ausstellung in der Albertina den Besucherrekord bricht, Menschen vor Ihren Werken stehen und zu Tränen gerührt sind?
Darüber denke ich nicht nach. Entscheidend ist, dass die Arbeit eines Künstlers aus einer inneren Notwendigkeit kommt, wie Kandinsky es formuliert. Solange ich mich verhalte wie ein autistisches Kind und genau das mache, was mir gerade wichtig erscheint, ganz egal ob es in das Regelgeflecht oder die jeweiligen Agreements der Gesellschaft passt oder nicht, bin ich auf dem richtigen Weg. Und ich komme dort an, wo ich hin will: bei den Menschen. Wenn ich sehe, dass die Betrachter meiner Arbeiten emotional berührt sind, erschüttert, betroffen, bewegt, entsetzt, verstört oder belustigt, und dass sich die Bilder in ihren Köpfen einnisten, dann habe ich den Eindruck ich bin angekommen. Und das ist für mich der Sinn meiner Arbeit.
Bevorzugte Motive in Ihrer Kunst sind Kinder, denen Schmerz zugefügt wird. Sie haben selbst Kinder und Enkelkinder, wie geht es Ihnen damit?
Es gibt nichts Einfacheres als die sogenannte Erziehung von Kindern. Ich habe meinen Kindern völlige Freiheit gelassen, ich habe ihnen freigestellt, ob sie zur Schule gehen wollen oder nicht. Das einzige was Kinder brauchen sind Freiheit und Respekt. Alles andere bringen sie selbst mit: Spontanität, Intuition, Kreativität, Imagination und Vision. Sie haben noch diese letzte Verbindung zu einer magischen Welt, die für uns Erwachsene in der Regel für immer verloren ist. Picasso sagte einmal: „Jedes Kind ist ein Künstler, das Problem ist Künstler zu bleiben wenn man erwachsen wird.” Man sollte Kinder nicht in ihren Träumen stören und sie mit unserer Besserwisserei belästigen und wir sollten sie ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen, denn sie sind ohnehin näher an der Wahrheit als wir. Ich denke, wir können von Kindern viel mehr lernen als die Kinder von uns. Ich verstehe Captain Beefheart wenn er sagt: „Ich bin als Kind leider nicht genug vernachlässigt worden.”
Haben Sie als Gottfried Helnwein eine Botschaft an die Gesellschaft?
Ich sehe mich nicht als moralische Instanz, die irgendwelche Botschaften zu verbreiten hat. Aber ich halte es für ein gutes Prinzip, den eigenen Verstand zu benützen, selbst zu schauen, eigene Schlüsse zu ziehen und eigene Entscheidungen zu treffen. Und jeder Form von Autorität grundsätzlich zu misstrauen. Geschichte hat zwar die Tendenz sich zu wiederholen, aber niemals im gleichen Gewand. Die neuen Nazis kommen nicht in braunen Uniformen und Stiefeln daher, sie haben schicke, maßgeschneiderte Anzüge, sie lächeln freundlich und arbeiten für Goldman Sachs und Monsanto.