Stars & Statues

Geschichten über Norbert Brunner

Das Kreuz des Südens ist eine Legen­de. Ein Stern­bild aus vier oder fünf Ster­nen – je nach­dem, wie man es betrach­tet – nur unter­halb des Äqua­tors sicht­bar, das seit Jahr­tau­sen­den von euro­päi­schen und poly­ne­si­schen See­leu­ten als Navi­ga­ti­ons­füh­rer genutzt wird. Nor­bert und ich tra­fen uns in Aus­tra­li­en. Da auf der Flag­ge Aus­tra­li­ens fünf Ster­ne pran­gen, betrach­ten wir dies als eine Fünf-Ster­ne-Freund­schaft und eine Rei­se, die zwei­und­zwan­zig Jah­re Vor­be­rei­tung benötigte.

Car­ra­ra ist eine Legen­de. Der Ort, an dem seit Jahr­tau­sen­den Mar­mor abge­baut wird. Und ein Wall­fahrts­ort für Künst­ler, die Gebäu­de und/oder Skulp­tu­ren erschaf­fen. Nor­bert und ich fuh­ren von Wien aus mit dem Zug dort­hin: eine lang­sa­me Bus­fahrt mit mehr­ma­li­gem Umstei­gen auf einer Pil­ger­fahrt zur Künst­le­rin Aidan Salak­ho­va. Sie ist auch eine Legen­de. Als wir den Nor­den Ita­li­ens von Vene­dig über Bolo­gna nach Flo­renz auf dem Weg zu ein paar Orten, die weiß Gott wo lie­gen, und nach Car­ra­ra durch­quer­ten, frag­ten wir uns, wes­sen Spu­ren wir folg­ten. Ich hat­te gehofft, dass die Spu­ren von Ber­ni­ni und Bor­ro­mi­ni dazu­ge­hö­ren wür­den. Trotz­dem hat­ten wir eine groß­ar­ti­ge Zeit, in der wir die 12 Stun­den, die wir brauch­ten, um zu unse­rem End­ziel zu gelan­gen, über die Kunst und das Leben spra­chen. Die­se Abhand­lung spie­gelt die­se Gesprä­che wider.

Das Cover des Maga­zins REFLECTION ist mit einem hyper­rea­len und sur­rea­len Bild einer Iris geprägt. Nor­bert ist, wie vie­le ande­re Künst­ler, beses­sen von der Wis­sen­schaft, das mensch­li­che Auge selbst zu betrach­ten und einen Schritt wei­ter­zu­ge­hen. In einer iro­ni­schen Wen­dung wur­de ich im Grun­de blind gebo­ren und durch­lief jah­re­lan­ge Kor­rek­tur­ope­ra­tio­nen, die mir hal­fen, zu funk­tio­nie­ren. Und mein lin­kes Auge blieb blind. Hof­fent­lich sind die Bril­len, die ich jetzt tra­ge, Wis­sen­schaft genug, damit mein rech­tes Auge nicht erblin­det. Ein blin­der Kura­tor und Kri­ti­ker (obwohl, um ehr­lich zu sein, es eini­ge wei­te­re seh­be­hin­der­te Kol­le­gen gibt) soll­te auch eine Legen­de sein. Nicht wahr? Jetzt zurück zu Nor­bert. Ande­re Arbei­ten über die Augen hat er in einer archi­tek­to­ni­schen Auf­trags­ar­beit, die er 2013 für Guer­lain in Paris erstell­te, zum bekann­tes­ten Bei­spiel gemacht. Das sind Augen, für die es sich zu ster­ben lohnt.

Nor­bert Brun­ner hat einen unru­hi­gen Geist. Er beschreibt sich selbst abwech­selnd als Bur­gen­län­der aus dem Vor­arl­berg oder als Vor­arl­ber­ger aus dem Bur­gen­land. Vor­arl­berg ist der Ort, an dem er gebo­ren und auf­ge­wach­sen ist. Als Teen­ager arbei­te­te er in der Ern­te­zeit jen­seits der Schwei­zer Gren­ze. Er beschreibt kurz die aus­ge­präg­te Schwei­zer Sen­si­bi­li­tät, die Archi­tek­tur, Objekt­bau und Hand­werk in Vor­arl­berg durch­dringt – Brun­ner lern­te vor dem Besuch der Kunst­schu­le Schrei­ner – und erin­nert sein Publi­kum an die Tat­sa­che (auch die Men­schen aus dem Osten Öster­reichs), dass Vor­arl­berg im Mai 1919 ein Refe­ren­dum abhielt, bei dem mehr als 80 % der Bevöl­ke­rung für den Bei­tritt des Bun­des­staa­tes zur Schwei­ze­ri­schen Eid­ge­nos­sen­schaft stimm­ten (obwohl ihre Freun­de jen­seits der Gren­ze ihren Vor­schlag ablehn­ten). Wenn man einen Blick auf sei­ne Jah­re, in denen er in Japan sowie eini­ge Zeit davon in Chi­na und New York leb­te, wirft, kann man sei­ne Ruhe­lo­sig­keit verstehen.

Nor­bert Brun­ner (links) und Autor Simon Rees im Gespräch, Fotos: Mat­thi­as Heschl

Sein Auge ist eben­so ruhe­los. Und so ist die Natur der Bil­der, die er macht, im Geis­te des­sen, was er gern als Mehr­di­men­sio­na­li­tät bezeich­net. Typi­scher­wei­se haben sei­ne »Flatworks«/ »Wand­ar­bei­ten« eine phy­si­sche Tie­fe (von 10 bis 20 cm), die es Brun­ner ermög­licht, sei­ne Bil­der in Schich­ten auf­zu­bau­en, die er in sei­nen Skulp­tu­ren und Wür­feln maxi­miert, um jede ein­zel­ne oder ein­fa­che Ver­kör­pe­rung per­spek­ti­vi­scher Gestalt zu besie­gen. Viel­fäl­ti­ge Bei­spie­le sind Spot-Cum-Ras­ter, die ent­we­der über einem Bild schwe­ben oder die Struk­tur des Bil­des selbst auf­bau­en; Text; sen­sor­ge­steu­er­te LEDs; Spie­gel; Ple­xi­glas- oder Glas­plat­ten; Kugeln und Bäl­le aus Kunst­stoff und Glas; Swa­rov­ski-Kris­tall; auf­blas­ba­re Plas­tik­bla­sen aus dem Fun­park; Video­pro­jek­ti­on; und gele­gent­lich mehr »tra­di­tio­nel­le « Skulp­tur-Mate­ria­li­en (Stei­ne oder grob gehaue­nes Holz), die in expe­ri­men­tel­len Arran­ge­ments ein­ge­setzt wer­den. Ruhelos.

Brun­ner ist auch Geschich­ten­er­zäh­ler. Er lebt sowohl »im Gespräch« (wenn ich von sei­nem »Publi­kum« spre­che, mei­ne ich damit die Leu­te, die sich mit ihm zusam­men­set­zen, um mit ihm eine Mahl­zeit oder einen Drink zu sich zu neh­men, die ihm bei einer Gale­rie­er­öff­nung begeg­nen, oder in einem der Restau­rants, in denen sei­ne Kunst instal­liert ist, und dass er die eben­so legen­dä­re Bar Ita­lia und Gla­cis Beisl, die mir spon­tan ein­fal­len und in denen er Stamm­gast ist, besucht) als auch durch sei­ne Arbeit – vor allem jene Wer­ke, die Text und/oder einen Spie­gel ent­hal­ten. Kunst­wer­ke, die Spie­gel ent­hal­ten, sind unglaub­lich gast­lich, da sie am Ende auch die Per­son im Publi­kum umfas­sen, die zufäl­lig hin­schaut, wodurch regel­mä­ßig Sub­jekt-Objekt-Bezie­hun­gen durch Gast-Gast-Bezie­hun­gen ersetzt wer­den (was so wich­tig für Jac­ques Der­ri­da und sei­ne spä­te­re Phi­lo­so­phie ist [sein ein­fluss­rei­ches Werk Of Hos­pi­ta­li­ty wur­de 1998 ver­öf­fent­licht]. Erwäh­nens­wert ist der lan­ge Ess­tisch im Ban­kett­stil, der ein Herz­stück von Brun­ners Wohn­stu­dio in Wien ist und einen Spie­gel hat, der in einen Strei­fen in der Mit­te ein­ge­bet­tet ist, und einen Spie­gel, der par­al­lel in Licht­hö­he über dem Kopf hängt, sodass ein fin­di­ger Gast, der am Tisch Platz genom­men hat, sei­nen Hals recken kann, um in einen der Spie­gel zu bli­cken und eine unend­li­che Ver­klei­ne­rung zu erle­ben. Unter dem Titel Cook Local Act Infi­ni­te (2016) wur­den die Objek­te für den Braille-Text, der über dem unte­ren der bei­den Spie­gel schwebt, in Gale­rien für die Aus­stel­lung sowohl als mini­ma­le Objekt­in­stal­la­ti­on als auch per­for­ma­tiv im Rah­men einer Gale­rie-Din­ner­par­ty, gezeigt. Nor­bert wür­de nie die Gele­gen­heit ver­pas­sen, Gast­ge­ber zu sein.

Nor­bert Brun­ner, aus dem fort­lau­fen­den Pro­jekt „Cook local Act infi­ni­te, ab 2015„
Nor­bert Brun­ner, aus dem fort­lau­fen­den Pro­jekt „Cook local Act infi­ni­te, ab 2015„

Dabei bin ich mir sicher, dass Nor­bert sei­ne Erfah­run­gen aus sei­nem Leben in Japan, wo Begrif­fe des Gebens, des Schen­kens, des Gebens und Emp­fan­gens ganz­heit­lich ver­stan­den und ritua­li­siert wer­den, rela­ti­viert hat. Indem er sie in einen euro­päi­schen oder ame­ri­ka­ni­schen Kon­text bringt, ent­fernt er einen Teil der Mikro­ge­walt, die in die­sen Ritua­len (in Japan) ver­kör­pert ist, was ihm dabei hilft, die für Öster­reich und die Schweiz typi­sche sozia­le Mikro­ge­walt zu über­win­den oder zu unter­gra­ben. Wenn Sie den­ken, ich über­trei­be, den­ken Sie an die Schrift von Yukio Mishi­ma und Ryu Mura­ka­mi über ihre Hei­mat Japan und Tho­mas Bern­hard, Elfrie­de Jeli­nek und Peter Hand­ke über Öster­reich. Humor ist das ande­re Werk­zeug, das er benutzt, um a) das Kli­ma der insti­tu­tio­nel­len Aus­stel­lungs­kul­tur; b) sozio­kul­tu­rel­le und archi­tek­to­ni­sche Nor­men des öffent­li­chen Raums; und die Nor­ma­ti­vi­tät sozia­ler Bezie­hun­gen in bür­ger­li­chen Umge­bun­gen, zu ent­schär­fen. Die Umge­bung, die er für die 2. Valen­cia Bien­na­le (2003) schuf, war eine durch­sich­ti­ge öffent­li­che Damen­toi­let­te und trug den Titel Depart­ment of Humor, als Haupt­text der Lek­tü­re zu »This Is Very Important«. In glei­cher Wei­se beti­tel­te er 2012 sei­ne Ein­zel­aus­stel­lung für die Clair Oli­ver Gal­lery in New York mit dem Titel »Nor­bert Brun­ner: Smi­le Broad­ly«. Den­ken Sie dar­an, New York ist, wohin Künst­ler gehen, wenn es ernst wird! Kei­ne Angst, auf sei­ner Web­site sieht man ein Por­trät des Künst­lers als etwas jün­ge­ren Mann, der vor dem »Smi­le Broadly«-Schild steht und sich als Hof­narr die See­le aus dem Leib kichert. Und, mei­ne Güte, Brun­ner kann kichern!

In sei­ner Ein­lei­tung zur Künst­ler-Mono­gra­phie [Oli­ver Goetz, Nor­bert Brun­ner, Tri­ton: Wien, 2003] for­mu­lier­te sein Freund, der spä­te­re gro­ße bri­ti­sche Archi­tekt und Desi­gner Will Als­op: »Nor­bert Brun­ner wird oft gehört, bevor er gese­hen wird. Ein lan­ger Kor­ri­dor bläht sein anste­cken­des Lachen zu einer Ankün­di­gung von kolos­sa­lem Aus­maß auf.« Sie hät­ten ihn hören sol­len (ich übri­gens auch), als wir fest­stell­ten, dass der Zug der ita­lie­ni­schen Staats­bahn [Tre­nI­ta­lia], mit dem wir fälsch­li­cher­wei­se fuh­ren – einer der super­schnel­len, cool design­ten Züge –, von Hita­chi her­ge­stellt wor­den war. Im Her­zen Ita­li­ens fuh­ren wir mit dem Zug »Made in Japan«! Kein Wun­der, dass der Schaff­ner uns raus­warf! Auf dem Bahn­steig ste­hend und auf einen ande­ren Zug war­tend, nicht so schnell und so ele­gant, und in Ita­li­en her­ge­stellt, krümm­ten wir uns vor Lachen – um die sozio­kul­tu­rel­len Nor­men des öffent­li­chen Raums wirk­lich auszutesten.

Aber Scherz bei­sei­te, Leu­te. Die Zusam­men­ar­beit wird seit den 1960er Jah­ren als eine der Mög­lich­kei­ten für Künst­ler ver­stan­den, ihren krea­ti­ven Sta­tus und ihre Iden­ti­tät zu ent­my­tho­lo­gi­sie­ren und zu ver­su­chen, sich von der Pro­duk­ti­on eines unver­wech­sel­ba­ren Werks auf Dau­er zu lösen. Es ist also selbst­ver­ständ­lich, dass der unru­hi­ge Nor­bert Brun­ner vie­le sei­ner Wer­ke in Zusam­men­ar­beit rea­li­siert. Es gibt die mate­ri­el­len Kol­la­bo­ra­tio­nen wie die Plas­ma­fo­to­gra­fien Rap­sak (2000) mit Mari­an­ne Gre­ber; oder die Mono­gra­phie mit Nach­bar-Freund-Mana­ger-Anti-Mana­ger-Schrift­stel­ler-Redak­teur Oli­ver Goetz (2003); und die finan­zi­el­le Part­ner­schaft BRUNNER plc mit Man­fred B.; Nor­bert hat Video­kunst von ande­ren japa­ni­schen Künst­lern in die geschlos­se­ne Umge­bung sei­ner öffent­li­chen Skulp­tur in Kobe Time Pill »Now-Ima« (2002) auf­ge­nom­men; ganz zu schwei­gen davon, dass Nor­bert und ich uns für die­ses Maga­zin­pro­jekt zusam­men­ge­schlos­sen hat­ten. Aber es sind die Sub­jekt-Objekt-Bezie­hungs­ko­ope­ra­tio­nen, die mich inter­es­sie­ren. Die Per­sön­lich­kei­ten der bei­den New Yor­ker auf den Spie­gel-/Text-/Fo­to­por­träts „I AM READY“ und „I AM SUBLIME“, die die Tür zu sei­ner Küche ein­rah­men, strah­len in den Ess­be­reich. Es ist ein­deu­tig, dass sie Co-Autoren des Wer­kes sind und es sie glück­lich macht (die Groß­zü­gig­keit funk­tio­niert bei die­sen bei­den schö­nen Exem­pla­ren in bei­de Rich­tun­gen). Das­sel­be könn­te man von den Augen sagen, die für Guer­lain gestal­tet wur­den. Im Som­mer habe ich die Per­son ken­nen­ge­lernt, die Nor­bert ihre Augen für das Werk zur Ver­fü­gung gestellt hat, die den Spei­se­saal sei­nes Ate­liers wahr­haf­tig zum Leuch­ten brach­te, als ich sie per­sön­lich sah.

Die Per­so­nen, die in der Serie »Bag Objects« foto­gra­fiert wur­den, tun das Glei­che. Die Prä­mis­se der Arbeit ist, dass Geschäf­te und Ein­kaufs­zen­tren die wah­ren Muse­en und Gale­rien ihrer Zeit sind (wir rei­sen 20 Jah­re zurück in der Zeit, also fra­ge ich mich, ob der Künst­ler immer noch genau­so denkt?) und die Ein­kaufs­ta­schen, die die Men­schen tra­gen, drü­cken mehr über sie im öffent­li­chen Raum aus, als alles ande­re, was sie tra­gen oder tra­gen könn­ten. Brun­ner fer­tig­te also eine Serie von Mar­ken-Ein­kaufs­ta­schen mit iro­ni­schen Tex­ten an und foto­gra­fier­te sie in ver­schie­de­nen Situa­tio­nen in ver­schie­de­nen Städ­ten auf der gan­zen Welt. Ich mag, dass die Damen in Kimo­no, in der viel­leicht prä­zi­ses­ten Fer­ti­gungs­na­ti­on der Welt (Ent­schul­di­gung an die Schwei­zer!), Taschen tra­gen, die arith­me­ti­sche Feh­ler beför­dern 3+1=5 (2000): Aber wozu sind Künst­ler gut, wenn nicht, um aus ihren Feh­lern Rubi­ne zu machen? Und dann die Leu­te, die an der VIP-Serie teil­neh­men, die die Kunst­welt-Tra­ge­ta­schen-Kul­tur und ihre Ein­zig­ar­tig­keit par­odiert (mei­ne aktu­el­le Tasche kommt zufäl­lig von der Öster­rei­chi­schen Post, also neh­me ich an, ich bin in kei­ner Wei­se cool). Der voll kos­tü­mier­te VIP Angel (2002), der gekrön­te VIP Hero Lon­don (2001), sind Lecker­bis­sen, da sie bei­de in-the-know aus­se­hen: der sich von der Kame­ra abwen­den­de Blick mit einem skur­ri­len Rol­len der Augen; und der spä­te­re, halb zynisch grin­sen­de Blick direkt in die Kame­ra. Der gefro­re­ne, kal­te Hero NYC (2010), der durch die Stra­ßen Chi­na­tow­ns streift und in der Kunst­sze­ne für immer cool ist, weiß, wor­auf es ankommt: und setzt dem Künst­ler ein Signal mit »You Are Gre­at«. Es ist Zeit für den berühm­ten Nor­bert Brun­ner, laut zu lachen!

Jetzt ist der Moment für einen Künst­ler wie Nor­bert Brun­ner, der rast­los ist und sich der Gestalt wider­setzt, sein Bild oder sein Objekt nicht zur Ruhe kom­men lässt und sich der Ver­fol­gung einer Pra­xis – oder einer Kar­rie­re – als Gesamt­kunst­werk wider­setzt. Trotz sei­ner Ver­bun­den­heit mit Japan und der Schweiz und sei­ner Zeit in Chi­na, gibt es für Nor­bert Brun­ner kei­ne tota­le Kon­trol­le. Wie in den apo­kry­phen Geschich­ten von Oli­ver Goetz, gab es Her­aus­for­de­run­gen, Miss­erfol­ge, der grü­ne VW Käfer flog von der Auto­bahn und lan­de­te in der Mit­te eines Fel­des. Auf die­se Kon­trol­le zu ver­zich­ten – ein schla­fen­der Fah­rer am Steu­er zu sein – und unru­hig zu blei­ben, hat ein ande­res, enga­gier­te­res und pro­duk­ti­ve­res Wesen in die­sen Kri­sen­zei­ten. Um ehr­lich zu sein, wegen der glo­ba­len Pan­de­mie und des Krie­ges in der Ukrai­ne, ist es eine Zeit der Fra­gen und nicht der Ant­wor­ten. Die gesam­te Krea­tiv­kas­te ist sich der­zeit nicht sicher, was ihre Ergeb­nis­se bedeu­ten und was sie tun kann, um die aktu­el­le Situa­ti­on zu ändern. Und die jüngs­ten Arbei­ten von Nor­bert Brun­ner, die Licht/ Glas/­Spie­gel-Objek­te sind, Tex­te ent­hal­ten, ihr eige­nes Wesen in Fra­ge stel­len, sind pas­send. Gro­ße Erklä­run­gen, gro­ße Bien­na­len, gro­ße Markt­fes­te füh­len sich an wie neo­li­be­ra­les qua­si-popu­lis­ti­sches, rechts­las­ti­ges Geschwätz. Klei­ne­re Aus­sa­gen füh­len sich in die­ser Zeit der Geo­po­li­zei siche­rer an. In Nor­bert Brun­ners eige­ner Spra­che »authen­tisch«.

Wie »authen­tisch« [sic.], ist auch »Nost­al­gie« ein Schimpf­wort in Bezug auf Kunst, die im Zeit­al­ter nach der kri­ti­schen Theo­rie ent­stan­den ist. Aller­dings füh­le ich mich sicher­lich »eine Zeit lang weh­mü­tig« (um eine Defi­ni­ti­on mei­ner OED zu ent­leh­nen) am 24. Febru­ar 2022 und genau­so »weh­mü­tig nach einer Zeit vor dem 16. März 2020«. Die ursprüng­li­che Bedeu­tung des Begriffs ist »Heim­weh«, wie es die grie­chi­schen Sol­da­ten und See­leu­te emp­fan­den, die auf end­lo­sen Kriegs­zü­gen jah­re­lang ihrer Hei­mat fern waren. Im Hoch­som­mer, wenn die­ses Maga­zin gedruckt wird, zeigt Nor­bert Brun­ner in dem Teil des Bur­gen­lan­des, aus dem sei­ne Eltern stam­men, eine gro­ße Aus­stel­lung, die mit fami­liä­ren und per­sön­li­chen Mythen, Legen­den, Geschich­ten und damit ver­bun­de­nen Emo­tio­nen über­la­gert ist. Sei­ne Wer­ke wer­den wie Memen­to und Memen­to mori bei einem Fami­li­en­tref­fen ein­ge­setzt. Ich hof­fe, dass ihre Anwe­sen­heit im Bur­gen­land ein anste­cken­des Lachen in ihm aus­lö­sen wird, erfüllt von glück­li­chen Emo­tio­nen von kolos­sa­lem Ausmaß.

Der Arti­kel ist in der Print-Aus­ga­be 3.22 REFLECTION erschienen.

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(*1972, New Zealand) is currently Head of Art of the recently launched nAF project building a 3-D platform for selling art in the Metaverse. At the start of the spring-season he led international press and promotion for Robert Narkus project "Gut Feeling" at the Lithuanian National Pavilion at the 59th Venice Biennale. On February 24 (2022) Rees made a public and principled resignation from his leadership role at Cosmoscow the international art fair in Russia and the not-for-profit Cosmoscow Foundation. Best known for the work he has done in Northern and Eastern Europe, from a position at the CAC, Vilnius, and as a contributing editor responsible for those territories to "Frieze" (and "Frieze D/E"), Rees has held leadership positions at national institutions in Australia, Austria (the MAK), and New Zealand. He has curated and co-curated numerous international exhibitions including at: Tate Modern, London; Centre Pompidou, Paris; and the Museum of Modern Art (MoMA), New York.

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