Elfi Baumgartners offene Gobelinwerkstatt im Werkraum Haus
Ein Stuhl wird gerückt, Gemurmel, kurz wird gelacht und dann wird es wieder ruhig. Gobelinweben ist nahezu geräuschlos. »Sieh dir ruhig immer wieder die Vorlage an. Hier bist du noch im Schwarz, aber der Verlauf geht in Richtung Grau.« Elfi Baumgartner lässt ihren Kursteilnehmerinnen weitgehend freie Hand. Ihre freundlichen Augen bleiben allerdings wachsam, denn schließlich geht es darum, ein jahrtausendaltes Wissen sorgfältig weiterzugeben. Die 78-jährige Textilkünstlerin mit Wohnsitz in Wien stammt aus der bekannten Vorarlberger Textildynastie Hämmerle und ist eine der letzten ausübenden Gobelinweber:innen Österreichs. Das möchte sie ändern. Über die Dauer von sechs Monaten betreibt Elfi Baumgartner eine offene Werkstatt im Werkraum Haus in Andelsbuch. Ihr vorrangiges Ziel ist es, ihr Wissen durch die Webkurse lebendig zu halten und weiterzugeben. Zwei Gobelinwebstühle hat sie in Wien, einer davon ist nun in Vorarlberg aufgebaut und seit April Treffpunkt für ein interessiertes Publikum. Die Atmosphäre ist ungezwungen und fröhlich: Im Bregenzerwald ist die Du-Form auch unter Fremden üblich.
Die Neugier, das Interesse und die Besuche der ortsansässigen Kunsthandwerker:innen – das Spitzenklöppeln, Sticken, Goldbortenknüpfen und das Plissieren der gechintzten Stoffe für die Juppe, Tracht der Bregenzerwälderinnen hat hier große Tradition – die vielseitigen Fragen der Ausstellungsbesucher:innen im Werkraum Haus, und die Konzentration und Geduld, mit der sich die zahlreichen Kursteilnehmerinnen der Herausforderung gestellt haben, sind für mich in diesen Workshop-Tagen zu einem Erlebnis ganz besonderer Art geworden, erzählt sie mir freudig.
Vor ungefähr einem Jahr, kurz nachdem ich meine Tätigkeit als Geschäftsführerin des Werkraum Bregenzerwald aufgenommen hatte, erhielt ich eine Nachricht von Elfi Baumgartner, die mich sofort begeisterte. Sie möchte ihr Wissen als Textilkünstlerin und Gobelinweberin teilen, um ihren Webstühlen eine Zukunft zu geben, schrieb sie mir. Nicht in Archiven oder Museumsdepots, sondern als Werkzeuge, die dauerhaft genutzt werden. Dafür ist allerdings ein Wissenstransfer notwendig, denn in Österreich ist die Kunst des Gobelinwebens am Aussterben.
Das Werkraum Haus ist ein Ort, an dem Kunst und Handwerk aufs Trefflichste gefördert und gelebt werden. Der Verein Werkraum Bregenzerwald genießt einen grenzüberschreitenden Ruf als Vorbild. Sein Haus ist ein Ort der Begegnung für einen anregenden und unternehmerischen Austausch. Es erschien mir reizvoll, als gebürtige Vorarlbergerin, mein Atelier dort einzurichten, so die Künstlerin.
Elfi Baumgartner ist regelmäßig im Bregenzerwald und, als Mitglied des Freundeskreises des Werkraum Bregenzerwald, dem Verein eng verbunden. Als regionaler Zusammenschluss von Gewerbe- und Handwerksbetrieben steht der Werkraum Bregenzerwald für zeitgenössisches Qualitätshandwerk und kooperatives Miteinander. Das Grundverständnis der Mitglieder ist: Gemeinsam ist man mehr als die Summe einzelner Betriebe. Aus dem Bestreben des Werkraum, der 1999 gegründet wurde, gemeinsam in und für die Region Bregenzerwald Maßstäbe im Handwerk zu setzen, gingen zahlreiche Innovationen hervor, wie zum Beispiel die 2016 ins Leben gerufene Werkraum Schule. Drei Jahre davor eröffnete der Werkraum Bregenzerwald mit dem über 700 m² großen Werkraum Haus in Andelsbuch eine Plattform für das zeitgenössische Handwerk. Entworfen hat diese der Schweizer Architekt Peter Zumthor. Seitdem begegnen sich internationale und regionale Gäste in dem großzügigen und offenen Gebäude, das ganz ohne Wände auskommt. Ausstellungen, Veranstaltungen, Nachwuchsausbildung, Lernwerkstätten der Werkraum Schule und ein hauseigener Shop samt Gastronomie – je nach Situation werden die Räume umgebaut und die Handwerker:innen finden sich im Haus ein. Es ist ein buntes und vielfältiges Miteinander, mit dem positiven Nebeneffekt eines fachübergreifenden Wissensaustauschs untereinander. Dieser ist essentiell für die Kultur und Weiterentwicklung des regionalen Handwerks. Für Elfi Baumgartner der geeignete Ort, um in direkten Kontakt mit interessierten Menschen zu kommen. Den Rahmen dafür bietet die aktuelle Ausstellung Das Handwerk der Zeit, die das Leben und Werk des Andelsbucher Architekten Alfons Fritz (1900–1933) in den Fokus stellt. Alte Handwerkstechniken stehen im Dialog mit zeitgenössischen Antworten der Werkraum Mitglieder. Elfi Baumgartners Webkurse sind Teil des Rahmenprogramms.
Den künstlerischen Prozess beschreibt sie folgendermaßen: Ein Wandteppich ist nicht von vornherein fertig ausgedacht und festgelegt. Während ich daran arbeite, verändert er sich im gleichen Maße wie die Gedanken oder ein Musikstück und wenn er fertig ist, verändert er sich immer weiter, entsprechend der jeweiligen Gemütsverfassung desjenigen, der ihn gerade betrachtet und begreift. Die Tapisserie lebt ihr eigenes Leben wie ein lebendiges Geschöpf und sie unterliegt den gleichen Veränderungen, denen wir im alltäglichen Leben unterworfen sind. Das ist ganz natürlich, da sie nur Leben hat durch den Menschen, der sie betrachtet.
Die Fertigstellung eines Aquarells ist erst der Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Ausdrucksweise. Für die kunsthandwerkliche Übersetzung ihrer gemalten Vorlagen in eine Tapisserie färbt die Textilkünstlerin eine speziell dafür vorgesehene Wolle eigenständig ein. Sie bezieht diese, jeweils zu 100 Gramm gesponnenen Stränge, aus der Tschechei, das Material hat eine besonders »harte« Drehung und verfilzt daher nicht beim Färben. Sechs Wollfäden werden sorgfältig zusammengestellt und auf eine sogenannte »Fliete« gewickelt (diese Bezeichnung kommt vielleicht aus Flandern, einst Hochburg der Gobelinmanufakturen, und soll »flitzen« bedeuten), im gewebten Zustand werden diese als nur eine Farbnuance wahrgenommen. Um die weichen Farbverläufe und die vielen unterschiedlichen Farbtiefen eines Aquarells nachweben zu können, benötigt es zahlreiche Farbkombinationen. Immer wieder wandern die Blicke von Elfi Baumgartner und ihren Kursteilnehmerinnen von ihrem Gemeinschaftswerk zu den vier hohen Spulenständern. Auf dem Webstuhl liegen gut sichtbar zwei Papierbögen, auf denen eine typische Bregenzerwälder Schindelfassade aus Holz und ein Ziegelmauerwerk zu sehen sind. Für die Kursleiterin ergeben die Vergrößerungen dieser beiden Alltagsmotive passende Vorlagen, um ihre Teilnehmerinnen behutsam in die Welt der Gobelins einzuführen. Gemeinsam wurde Wolle eingefärbt, um möglichst exakte Farbkombinationen zu erhalten. Es ist ein Kommen und Gehen, das gemeinschaftliche Weben findet ohne räumliche Trennung inmitten des Alltagbetriebs statt. Immer wieder bleiben interessierte Gäste stehen und kommen mit den Weberinnen ins Gespräch. Elfi Baumgartner lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Charmant gibt sie Auskunft über den Sinn und Zweck ihrer offenen Werkstatt. Es sind vor allem Frauen, die sich für Gobelinweben interessieren, obwohl das Kunsthandwerk früher vorrangig von Männern ausgeübt wurde. Erst Picasso hat seine Bilder wieder von ausschließlich einer Frau in Tapisserien umsetzen lassen. Im Bauhaus entwarfen die Männer und die Ehefrauen webten.
Elfi Baumgartner freut sich über die Resonanz: Speziell diese Entwicklung hat viele Besucher:innen im Werkraum fasziniert, das Zurück zu dieser zeitaufwendigen, aber auch kontemplativen Technik in einer Zeit der Digitalisierung und Technologie. Einmal ist ein Herr sitzen geblieben, hat zugeschaut und ist entspannt nach einer Weile mit den Worten weitergegangen: Das ist die reinste Therapie«. Er hat recht: nicht nur für den Betrachter.
Besuch des diesjährigen salone del mobile Milano bemerkte ich bereits eine wachsende Aufmerksamkeit für Tapisserie und Textilkunst. Das verstaubte Image, das Gobelins und Wandteppichen lange anhaftete, weicht einer Wiederentdeckung dieser alten Kulturträger durch ein neues, junges Publikum. So erfuhr zum Beispiel das »Tuften«, eine alte Technik zur Herstellung dreidimensionaler Textilien, durch den Einsatz sogenannter »Tufting Pistolen« eine Renaissance. Passend zum globalen digitalen Zeitalter werden im Internet frei verfügbare Anleitungen zur Anwendung dieser einfach zu bedienenden Werkzeuge angeboten. Auch Elfi Baumgartners offene Gobelinwerkstatt stellt die Weichen in Richtung Zukunft. Ihre beiden Webstühle sollen eine neue Heimat in ihrer alten Heimat bekommen. Vorarlberg mit seiner langen, traditionsreichen Textilgeschichte ist für Elfi Baumgartner ein naheliegender Standort. Nun gilt es, passende Räumlichkeiten zu finden und mit ihren neu gewonnenen Mitstreiterinnen ein Zentrum für textilen Wissenstransfer zu gründen. Dass der Ausgangspunkt dafür im Werkraum Haus gesetzt wurde, ist für mich eine Bestätigung unserer Arbeit für den Werkraum Bregenzerwald.
Der Artikel ist in der Print-Ausgabe 3.22 REFLECTION erschienen.