Irene von Neuendorff
Als ich kurz nach Beginn meines Studiums anfing Porträts zu mlane, war dies so ziemlich das Unpopulärste, was man machen konnte, denn zu Beginn der achtziger Jahre herrschte an der Karlsruher Akademie der bildenden Künste der gestische Neo-Expressionistische Malstil, der vom Großteil der dort unterrichtenden Lehrer gepflegt wurde. Einige von ihnen wurden von ihren Studenten als Heroen verehrt, hiessen Georg Baselitz und Markus Lüpertz.
Sie blieben nicht lange in der badischen Provinz, sondern zogen weiter nach Berlin oder Düsseldorf. Ihren gestisch neo-expressionistischen Malstil ließen sie in Karlsruhe zurück. Dort herrschte er weiter über Generationen von Nachwuchskünstlern wie ein Dogma. Mit meiner figurativen Malerei war ich ziemlich isoliert. Zudem hatte ich mich auf das wenig spektakuläre Thema kapriziert: Männer und Möpse, von denen der spätere Kunstkritiker und damaliger Kommilitone Michael Hübl in einer eleganten Alliteration feststellte, dass beide „Gesichter wie aus Gips geschnitten“ hätten. Meine Lehrer waren sich uneins: Rainer Küchenmeister sprach anerkennend von Rummelmalerei und wollte mit mir ein Bild tauschen. Horst Egon Kalinowski raufte sich die Haare: Wenn Sie die Menschen doch wenigstens so wie Ihre Hunde malen würden! Und Peter Dreher resümierte: Dafür gebührt Ihnen eine Tapferkeitsmedaille. Doch ich hielt auch nach meinem Studium dem unpopulären Genre des Menschenbildnisses die Treue. 1999 malte ich zum ersten Mal ein Porträt von Adolf Hitler. Es war schlichte Neugier statt ein Konzept gewesen, welches mich dazu bewogen hatte.
Indem sie Brüche installiert, verfremdend eingreift – reflektiert sie ihre Ermittlung, die auch eine Ermittlung gegen sich selbst ist.
Würde „er“ innerhalb einer Reihe mit meinen anderen Porträts überhaupt auffallen – trotz seines Wiedererkennungswertes? Würde ich mich durch das Malen einer solchen Figur verändern? Was als eine Art Laune oder Experiment begonnen hatte, wurde systematisch fortgesetzt. Es handelt sich hierbei aber nicht um historische (Ab-)Bilder, sondern um Collagen. So wird ein beliebiger Hitler-Kopf auf den Rumpf einer anderen Person gesetzt. Schließlich bevölkerten mein Atelier zwanzig Überlebensgroße Hitlerbildnisse in Öl.
Mein Mann weigerte sich schließlich dieses zu betreten: Ich kann diesen Kerl nicht mehr sehen! Michael Hübl, Kulturredakteur der “Badischen Neuesten Nachrichten“ und Autor der Fachzeitschrift „Kunstforum“ schreibt über das Hitler-Projekt: „Es ist weniger die Konfrontation mit der historischen Person, die beim ersten Hinsehen den Blick stocken lässt, es ist die schier unerträgliche grausam-liebliche menschliche Nähe, die von Neuendorffs Malerei suggeriert. Auf der Ebene der Bildoberfläche wird diese Wirkung durch eine Art Materialkonstruktion erreicht. Zum einen gewinnt die Künstlerin der Kleidung, dem Pelz, dem Tuch oder dem Leder eine nachgerade laszive Morbidität ab, zum anderen malt sie die Augen des hochrangigen Mörders mit glasharter Präzision, so dass sie wie Waffen, wie Stereoskope der Unerbittlichkeit auf den Betrachter gerichtet sind.“ „Indem von Neuendorff das Weiche und Weibliche betont, die verfeinerte stoffliche Qualität der nachgerade nschmiegsamen Hemden, Lederjoppen, Anzüge und Uniformen zur Geltung bringt und nicht zuletzt, indem sie Adolf Hitler vor dem Hintergrund der sexuell animierten Blumenmalereien einer Zeitgenossin, der nur eineinhalb Jahre älteren Amerikanerin Georgia O’Keeffe, wiedergibt, zeigt sie den „Führer“ als Verführer und stellt dadurch einen verdeckten, verdrängten, wenn nicht sogar geleugneten Täter-Täter-Zusammenhang her: Der Terror hat bei von Neuendorff ein menschliches Gesicht – das Gesicht des Betrachters.“
Am Ende des Projekts, denn es ist seit einigen Jahren abgeschlossen, stelle ich mir die Frage: Hat sich Hitler meiner bemächtigt oder bemächtigte ich mich seiner? Meine innere Heimatlosigkeit rührt daher, dass es in meiner Familie Täter und Opfer gab. Der Kunstkritiker Volker Bauermeister äußert sich folgendermaßen dazu: „Was soll man davon halten? Eine Malerin, die Hitlerbilder malt? Ein Spiel mit der Provokation? Unverschämtheitsattitüde? Was wir finden, ist das Gegenteil: eine Künstlerin, die alle Selbstgewissheit aufgibt und sich diversen Zumutungen aussetzt. Die sich auferlegt, sich diesem sogenannten Dritten Reich – den Inszenierungen der Macht und den unglaublichsten Gewaltszenen – noch einmal, soweit es geht, vergegenwärtigend auszusetzen. Mit tiefem Unbehagen nimmt sie wahr, dass Menschen verführbar sind. Sie sind es – also bin ich’s! Nachmalend – im quälenden Nachvollzug – setzt sie sich dem Verdacht aus.