Die nächste Generation Galerie
Lætitia Gorsy macht das, was sie tut, mit Passion – das spürt man deutlich, sobald man mit ihr zu tun hat. In ihrer jungen Galerie She BAM! in der Leipziger Spinnerei – dem bekannten mitteldeutschen Galerienviertel, das sich vor 20 Jahren am Gelände einer ehemaligen Baumwollfabrik entwickelte – zeigt die Französin ausschließlich Kunst von Frauen. Um deren Rolle im Kunstmarkt zu stärken und noch vieles mehr. Ein leidenschaftliches Statement.
Eva Grumeth: Lætitia Gorsy, im Herbst 2018 erst gründeten Sie She BAM!. Seither hat sich die Galerie – mit 18 m² die kleinste auf dem Ge-lände – beachtlich entwickelt. Es gibt viel internationale Resonanz, außergewöhnliche Ausstellungsprojekte und jüngst sogar eine zweite Galerieadresse. Was ist der Kern des Galeriekonzepts?
LÆTITIA GORSY: She BAM! ist eine Galerie, die ausschließlich Künst-lerinnen vertritt. Sie definiert sich als großes Netzwerk, als Plattform für Ausstellungen und Kollaborationen nach den Prinzipien einer klassischen, kommerziellen Kunstgalerie. Zugleich unterstützt sie Künstlerinnen bei der Produktion ihrer Werke sowie bei allen weiteren Schritten ihrer Karriere. She BAM! glaubt an die Bedeutung von Frauen, die Räume für andere Frauen schaffen, an eine Kontinuität des Teilens und eine Übertragung von Macht im Kunstmarkt.
Was hat Sie von Frankreich nach Leipzig gebracht?
LÆTITIA GORSY: Nach Leipzig kam ich zum ersten Mal, kurz nachdem ich mein Diplom in Visueller Kommunikation an der Kunsthochschule in Strasbourg (HEAR) machte. In meiner eigenen künstlerischen Praxis pub-lizierte ich damals Editionen und Bücher mit meinen Bildern, Fotos, Illus-trationen und Texten. Das waren für mich wie kleine, tragbare Ausstellun-gen. Gleichzeitig involvierte ich auch immer mehr andere Künstler*innen. Das war wahrscheinlich der Beginn meines Interesses für kuratorische Arbeit. Direkt nach meinem Studium lebte ich zwischen Strasbourg und Paris, doch ich wollte die Welt etwas weiter erforschen. Ich hörte von einem Freund über Leipzig, war neugierig und kam 2012 mit kleinem Gepäck für eine dreimonatige Residency. Doch ich blieb immer länger. Ich entwickel-te kuratorische Projekte und pendelte zwischen Deutschland und Frankreich. Nach einer Weile fing ich an, als Managerin einer französischen Ga-lerie in der Leipziger Spinnerei zu arbeiten. Darüber hinaus absolvierte ich den Studiengang »Kulturen des Kuratorischen« an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB Leipzig).
Und wie kam es zu der Idee, eine Galerie für Künstlerinnen zu gründen?
In der Galerie, für die ich arbeitete, vertraten wir hauptsächlich männliche Künstler. Nicht nur, aber das war sehr domi-nant. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: sie waren alle sehr nett und ich verstand mich auch mit einigen von ihnen sehr gut. Aber die Geschlechterverteilung des Programms hatte keine Balance und das war etwas, was ich auch in einem größeren Zusammenhang in der Kunstwelt beobachten konnte. Sollten wir uns damit abfinden? Für mich waren da einfach zu viele männliche Künstler und männliche Positionen, die den Kunstmarkt bestimmten. Ich war mir sicher, dass dies nichts mit einem Mangel an guter Kunst von Frauen zu tun hatte, sondern mit bewussten Entscheidungen und einem systematischen Problem. Um dieses zu lösen, erschien mir die Gründung einer eigenen Galerie, in der ich meine eigenen Ideen umsetze, am sinnvollsten. Auf diese Art und Weise konnte ich weibliche Positionen in der Kunst am besten unterstützen.
Es ist absolut essentiell, die Geschlechterfrage in der Kunstwelt zu thematisieren. Welche – eventuell feministische – Rolle nimmt She BAM! hier ein?
LÆTITIA GORSY: Auf der einen Seite betreibe ich She BAM! wie eine »normale« Kunstgalerie, mit der täg-lichen Arbeit, die wahrscheinlich die meisten Galerien tun. Das politische und soziale Engagement aber steht an erster Stelle. Unsere Rolle besteht darin, Künstlerinnen, die herausragende Arbeiten machen und etwas aus unserer Zeit offenbaren, zu präsentieren, für sie einzutreten und sie zu fördern. Die Repräsentation von Künstlerinnen kann auch ein bisschen eine feministische Blase sein. Es ist aber absolut entscheidend, dass wir, wenn ich mit den Künstlerinnen die Ausstellungen vorbereite oder wir direkt im Raum arbeiten, zuallererst über die Kunst sprechen – über ihre Kunst. Denn darum geht es.
Das Konzept von She BAM! ist einzigartig, nicht nur in Leipzig. Wie waren die Reaktionen auf die Eröffnung?
LÆTITIA GORSY: Ich war sehr neugierig, aber auch ein bisschen beunruhigt über die möglichen Reaktionen der verschiedenen Öffentlichkeiten. Aber gleich zu Beginn hatte ich das Gefühl, dass die Leute sehr neugierig auf das Format waren, welches die Galerie bietet. Seitdem erklären wir jeder interessierten Person immer wieder, worauf unsere Arbeit und unser Engagement fußen. Dieses Konzept braucht aktive Wege, um in die Welt getragen zu werden. Man muss es vermitteln, sich Zeit nehmen für jede Person, die Fragen hat. Wir versuchen auch, das Format online so weit wie möglich zu verbreiten. Gleichzeitig konzentrieren wir uns immer darauf, die Künstle-rinnen voranzubringen, zu unterstützen und ihnen bei ihrer Professionalisierung behilflich zu sein. Dann wächst es wie ein Garten mit einer positiven Energie heran. Es ist ein bisschen so, als fühle man sich in einem sicheren Raum mit vielen Möglichkeiten und Chancen, die jeden Tag auftauchen. Ich habe das Gefühl, immer mehr zu tun zu haben, und das ist auch ein gutes Gefühl.
Zurück zum Galeriekonzept: Wie würden Sie die Position von Frauen im Kunstmarkt beschreiben? Welche sind die größten Herausforderungen?
LÆTITIA GORSY: Künstlerinnen waren immer schon marginalisiert und unterrepräsentiert. Die Kunstgeschichte wurde von Männern für Männer geschrieben. Männer und ihr Geld dominieren den Kunstmarkt. Auch heute noch. Nur knapp 30 % der Künstler*innen in Galerien und auf Messen sind Frauen. Diese Situation ist nicht so einfach zu managen. Um in diesem System zu arbeiten und etwas zu verändern, muss man stark bleiben, den Druck aushalten, den diese Männer und ihr Geld erzeugt haben. Man muss sich den Fehlern des Kunstbusiness bewusst sein und um diese herum agieren. Es ist fast peinlich, wenn ich höre, dass die Investition in Kunst von Frauen ein schlechtes Geschäft oder zumindest riskant ist. Um diese Probleme anzugehen, muss man wirklich in die Tiefe gehen, das System entblößen, man muss mutig und gleichzeitig geduldig sein, um diesen Machtmissbrauch zu denunzieren. Trotz harter Worte: ich glaube an die Möglichkeit eines offenen Netzwerks von Künstler*innen und Händler*innen, die nicht gegeneinander arbeiten. Auch wenn das kompliziert scheint und mir bewusst ist, dass nicht jeder miteinander arbeiten kann. Es ist sehr traurig zu denken, Gleichberechtigung interessiert nur eine Minderheit an Menschen. Je öfter diese Fragen diskutiert werden, des-to mehr Menschen denken darüber nach. Das sollte nicht nur ein Trend sein. Künstlerinnen mehr Aufmerksamkeit zu geben, wird immer üblicher werden in den nächsten Jahren, sofern wir nicht aufhören, dies zu thematisieren.
Wie beschreiben Sie die Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen ihrer Galerie?
LÆTITIA GORSY: Mir ist es sehr wichtig, ein gutes Verhältnis mit der Künstlerin zu haben, ein gutes Gefühl in der Zusammenarbeit, um sich gegenseitig zu vertrauen. Meine Verantwortung geht über die Arbeit einer Kuratorin hinaus. Es geht um meine Rolle der Galeriegründerin, verantwortlich zu sein für die Kommunikation, die Verkäufe, für die Konditionen, die ich für die Künstlerinnen vereinbare. Ich beschäftige mich mit Kosten für Transporte, Reisen und die Produktion. Ich nehme das sehr ernst. Sobald man sich für eine künstlerische Position entscheidet, ist man involviert in den gesamten Prozess und man sollte Hand in Hand mit der Künstlerin arbeiten. Klar, manchmal kommt man an einen Punkt, an dem eine Kollaboration beendet werden muss, weil es besser für beide Seiten ist. Aber generell ist es mein Ziel mit She BAM!, den Künstlerinnen die bestmöglichen Konditionen für die Umsetzung ihrer Ausstellungen zu bieten. Mit jeder Ausstellung möchte ich meine Galerie auf ein nächstes Level heben!
Kürzlich eröffneten Sie einen zweiten, größeren Raum im Nordwesten Leipzigs. Was bedeutet dieser Schritt für Sie?
LÆTITIA GORSY: In Paris haben einige Galerien zwei, drei oder sogar vier Adressen und ich wollte ein bisschen in diese Richtung gehen. Ich entschied mich, die zweite Adresse zu eröffnen, um mehr Spielraum zu haben. Der kleine Space in der Spinnerei ist toll und attraktiv und er lässt sich sehr gut gestalten. Ich brauche aber derzeit mehr Raum, mehr Möglichkeiten, mehr Action! Deswegen habe ich ein zweites Programm für den Raum in der Franz-Flemming-Straße entwickelt, den wir Ende November 2021 eröffnet haben. Den Anfang machte Anna Nero mit Malerei und Keramik in ihrer bisher zweiten Ausstellung bei She BAM!: »USE«. Anna Nero ist eine brillante junge Künstlerin voller Energie und war genau die richtige, um die zweite Galerie zu eröffnen. Mit ihren neuesten Arbeiten experimentierten wir in dem Raum und nutzten ihn als weißes Blatt Papier, auf dem wir eine neue Geschichte zu schreiben begannen.
Ihre Ausstellungen finden nicht nur in den Leipziger Galerieräumen statt, sondern es gibt auch temporäre Projekte in anderen Städten oder im öffentlichen Raum. Was ist die Idee dahinter?
LÆTITIA GORSY: She BAM! kann als Drehscheibe gesehen werden, als Denkfabrik, die Ausstellungen konzipiert und kuratiert, aber auch internationale Kooperationen und Großprojekte mit vertrauten Partner*innen umsetzt. Der Ort spielt dabei eine untergeordnete Rolle – er muss stimmig zum Inhalt sein. Ich folge nicht so gern den Erwartungen anderer Menschen oder Kunstexpert*innen. Ich folge meinen Gefühlen und nehme mir die Zeit, um zu reflektieren. Sobald ich einen Sinn für ein potentielles Projekt gefunden habe, setze ich das auch um. Was ich dabei nicht mag, ist, in einer Box stecken zu bleiben. Ich liebe es, so viel wie möglich zu experimentieren.
Sie schaffen dadurch eine ganz neue Generation Galerie.
LÆTITIA GORSY: Ja! Jedes neue Galerieformat birgt Möglichkeiten und natürlich Herausforderungen. Aber es geht mir darum, das Format daran zu adaptieren, was die Welt gerade braucht: flexibel zu sein, unerwartet, dynamisch. Ich bin gespannt, wie sich das alles entwickeln wird. Was klar ist: ich möchte, dass es groß wird! Ich möchte Künstlerinnen unterstützen und ihre Karrieren vorantreiben, ich möchte Brücken bauen und Verbindungen herstellen, über alle Grenzen hinweg. Dabei ist es mir wichtig, unabhängig zu arbeiten und meiner Vision zu folgen. Mein She BAM!Team unterstützt mich dabei.
Was sind Ihre Pläne für die nahe Zukunft?
LÆTITIA GORSY: Im April nimmt She BAM! an der »Art Paris« in der Sektion »PROMESSES« teil. Die nächsten Ausstellungen setze ich mit Nitsa Metelopoulos (Keramik), Jina Park (Malerei), Inga Kerber (Fotografie) und Theresa Möller (Malerei) um. Außerdem sind drei große Gruppenausstellungen zu verschiedenen Themen unter dem Label »Cocktail« geplant. Ein ebenso wichtiges Projekt ist die Publikation eines Buches über die ersten drei Jahre der Galerie. Ehrliche Berichte und Erfahrungen aus dem She BAM!Alltag, Exponate aus dem Archiv, Fotos sowie Texte von Gastautorinnen. Und natürlich: die Arbeit mit Galerie-Künstlerinnen vorantreiben, neue Kollaborationen beginnen, unentdecktes Land bereisen, die gesäten Samen beim Keimen unterstützen und den wundervollen She BAM!-Garten leidenschaftlich instand halten!
Vielen Dank für das Interview und alles Gute!
Das Interview ist in der Printausgabe 1.22 PASSION erschienen.
She BAM! Galerie Lætitia Gorsy
Spinnereistrasse 7 / Halle 3C, 04179 Leipzig
Franz-Flemming-Straße 9, 04179 Leipzig
She BAM! on social media: #shebamart
www.shebam.art