Kunst ist nur um der Kunst willen da, will nichts, soll nichts und darf alles. L´art pour l´art heißt es und Punkt. Mit der Kunst verhält es sich genau, wie mit der Liebe. Wer sie instrumentalisiert, sie einem bestimmten Zweck zuführt oder einen Grund braucht, um ihre Existenz zu rechtfertigen, hat ihr Wesen nicht verstanden. Deshalb lässt sich Kunst auch so schwer definieren. Was Kunst ist, bestimmt die Kunst. Eine andere Frage ist, was der Künstler will. Bestenfalls sieht er oder sie sich als Geburtshelferin eines Kunstwerks: Die Welt fließt durch sie hindurch, wird transzendiert und materialisiert sich als Kunst.
Soweit zum Ideellen. In Wirklichkeit wollen Künstler und die gesamte Entourage aus Galeristen, Sammlern und Kunstfreunden aller Art natürlich auch was Anderes. Geld verdienen, zum Beispiel. Berühmt werden. Aufmerksamkeit. Selbsttherapie. Likes bei Instagram. Oder die Welt verbessern. Letzteres ist ein noch einigermaßen hehres Ziel, immerhin – aber darf der das? Die Kunst benutzen, um Frieden zu schaffen? Oder um die Dummheit zu besiegen? „Den Anderen“ den Spiegel vorzuhalten, ihnen die Augen zu öffnen und die Wahrheit zu verkünden und nichts als die Wahrheit? – Klar darf er das, allerdings dürfen die Anderen seine Kunst auch im Sinne ihrer eigenen Wahrheit interpretieren, denn erst mal in die Welt gesetzt, ist die Kunst vogelfrei, wie es ihrem Wesen entspricht. Und dennoch hat die Kunst die Welt verändert. Schon immer. Mehr als Politik, Religion oder irgendwelche Ideologien hat sie ihre Dynamik, ihre grenzüberschreitende Kraft und als Verkörperung von Freiheit ihr avantgardistisches Potential immer behalten.
WÄHREND IHRE SCHWESTER, DIE LIEBE, BESÄNFTIGT, RUFT DIE KUNST ZUR REVOLUTION.
So gesehen sind Künstler und Künstlerinnen mit Intention und Botschaft Aufständische. Sie schrecken das Volk auf, das sich eben noch so bequem vom Smartphone und Medien hat regieren lassen. Sie produzieren Dinge, die kein Mensch braucht und Ideen, die völlig aus dem Ruder laufen. Der Einfluss, den sie mit ihrer Kunst ausüben, ist subtil, aber tiefgreifend. Künstler sind Influencer der ersten Stunde. Schon immer haben sie mit ihrem Werk oder auch nur mit einer einzigen Arbeit die Sicht auf die Welt verändert. Bereits die ersten Höhlenmalereien mit ihrer zweidimensionalen Darstellung dreidimensionaler Phänomene aus dem „echten Leben“ war eine Revolution und alle weiteren Entwicklungen und Erweiterungen des Kunstbegriffs waren es ebenfalls. Jede von ihnen musste erkämpft werden und alle haben nicht nur die Kunst selbst, sondern auch die Gesellschaft verändert. Deshalb sind diese Künstler berühmt geworden. Noch heute hat sich Caravaggios Kampf gegen den Stil der Renaissance gelohnt, wir profitieren von George Grosz und seinem Mut, das Entsetzen zu zeigen, von Picasso, von Andy Warhols Lust am Pop, der Brutalität der Wiener Aktionisten, vom Intellekt und Geist eines Joseph Beuys und wir werden auch Jonathan Meese dankbar sein müssen. – Spätestens, wenn die Diktatur der Kunst Wirklichkeit geworden ist. Allen Künstlern und Künstlerinnen, die (welt)bewegende Kunst gemacht haben ist gemein, dass Kern ihrer Arbeit nicht der gut verkäufliche Mainstream war, sondern der Geist ihres Schaffens. Nur darin findet sich das Potential, im kollektiven Gedächtnis und in einem erweiterten Bewusstsein der Gesellschaft Spuren zu hinterlassen. Diese Männer – und schmerzlicherweise erst in jüngster Zeit auch einige, immer noch zu wenige Frauen haben es geschafft, das Denken und Fühlen der Menschen mit ihrer Kunst zu verändern.
Im Gegensatz zu den Influencern der schönen, neuen Welt sind sie dabei keine „Supertargets des Marketing“, weil sie eben ihre Kunst nicht zu Markte tragen. Zwar werden Arbeiten berühmter Künstler zu unfassbaren Preisen am Kunstmarkt gehandelt und der Name des Künstlers selbst „vermarktet“ – aber das berührt nicht den Kern, die Seele der Kunst. Beginnt nämlich der Künstler, dem Marketing im Schaffensprozess Raum zu geben, ist er für die Kunst verloren. Er malt das, was die Galeristen, Sammler und Ferienhausbesitzer für ihre Wände wollen und das ist niemals Revolution, sondern bestenfalls eine klitzekleine Prise Provokation durch den Fünfhunderter gezogen. Das prickelt so schön, in den Augen.
Damit stehen die „Influencer“ der Kunst in entgegengesetzter Position zu den allgegenwärtigen Influencern der Sozialen Medien, die ihre Posts und Videos rein in den Dienst des Marketing stellen und von den Strategen als ideale Verkäufer jedweden Produkts gesehen und genutzt werden. Maßgeblich ist dafür nichts, als die Menge der Follower, die bereit sind, sich die Empfehlungen, Kommentare oder Kritiken ihrer Stars zu eigen zu machen.
Follower wünschen sich natürlich auch die Künstler. – Aber vielleicht eher auf einer grundsätzlicheren Ebene. Es wäre ja schon schön, wenn der Einfluss der Kunst auf Gesellschaft, Politik und eigentlich alles und alle zunehmen würde. Wenn KUNSTvolles Denken an der Tagesordnung wäre, wenn Kunst in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen die gleiche Relevanz hätte wie die Industrie oder gar die Kirche. Man stelle sich vor, dass die Frage nach künstlerischem Gewicht und Ästhetik einer politischen – oder JEDER Entscheidung zugrunde läge! Nicht auszudenken!
Dann würden alle Menschen zu Künstlern und Künstlerinnen werden und Beuys hätte am Ende doch noch Recht.
Endlich.
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