Sanfte Droge und starkes Gift oder der Opferung folgt die Freiheit
Seit 2018 verschränken die beiden Künstler*innen Kata Hinterlechner und Bosko Gastager ihre Visionen visueller und performativer Praxis im Kollektiv EXPERIMENTAL SETUP. Anlässlich der Ausstellung in der zeitgenössische Galerie »im Vektor«, in der Burg Hasegg / Münze Hall, die von Steinmayr & Co in Kooperation mit dem Hall AG-Betrieb bespielt wird, treffen wir die beiden zum Gespräch.
Kennengelernt haben sich Hinterlechner und Gastager während ihres Studiums an der Angewandten in Wien. Sie besuchten zwar unterschiedliche Klassen, aber ihre Wege kreuzten sich dann doch in den Werkstätten und im Aufzug, wo Bosko Gastager experimentierfreudig eine Woche Aufzugsmusik spielte. Nach ihrem Studium, in dem die Gattungsüberschreitung bereits sehr präsent war, haben die beiden beim Teilen eines gemeinsamen Ateliers entdeckt, wie es fließend zu Verschränkungen ihrer Arbeiten kam. »Um ein Gefäß zu finden, in der dieses gemeinsame Schaffen, wachsen kann und zum Ausdruck kommt, ist der Name EXPERIMENTAL SETUP entstanden«, erklärt Gastager und Hinterlechner ergänzt: »Eine experimentelle Versuchsanordnung – man darf es durchaus als Programm lesen. Jede neue Ausstellung baut auf den Erkenntnissen der letzten auf.« Als ein sogenanntes »experimental setup« verstehen die beiden nicht nur das Arbeiten an sich, sondern auch ihre beiden Persönlichkeiten, das Bespielen von Ausstellungsräumen und die Reaktionen der Betrachter*innen darauf. »Wir sind mutig neue Dinge auszuprobieren. Im Grunde widersetzen wir uns der Schubladisierung der Kunstwelt, denn wir verweigern uns keinem Medium, keiner Ausdrucksform«, beschreibt Gastager. Bei der Ausstellung im Kunstraum Innsbruck 2019 widmete sich das Kollektiv dem Thema der Ästhetik, ein in Kunstkreisen oft verpönter Begriff.
Die Form und die Materialität verbinden EXPERIMENTAL SETUP mit Ästhetik, die sinnlich ist und somit eine sinnliche Erfahrung auslösen kann. Bevor es zur Gründung des Kollektivs kam, verspürten die beiden eine bestimmte Frustration und Unzufriedenheit in der zeitgenössischen Kunst, zwar nicht im Allgemeinen, aber im Speziellen: »Das Brennen für die Kunst fehlt manchmal, zeitgenössische Kunst ist vielfach sehr konzeptuell und blutleer. Mit unserer Arbeit schaffen wir einen Gegenentwurf.« So ist auch diese Ausstellung, in der wir uns befinden, zu verstehen. Die Ausstellung ist Rückblick, Status Quo und Vorschau ihrer Arbeit. Aus gegebenem Anlass der Pandemie empfanden sich die beiden Künstler in der Vorbereitungsphase auf sich zurückgeworfen. »Man fragt sich, was treibt uns immer wieder an einen neuen Gestus zu schaffen, sich für das eigene Werk einzusetzen – zeigen, schöpfen, sich erschöpfen zu wollen. Da sind wir auf die Inspiration gekommen«, erklärt Gastager. Die Inspiration steht für die beiden im Zentrum, sie ist das Initial. »Aber, was ist das eigentlich? «, wird zugleich in den Raum gestellt. Die Inspiration ist nicht greifbar und doch, denn Hinterlechner vergleicht es mit »dem tiefen Einatmen, vor dem langen Ausatmen.« Und genau das erlebt man in der Ausstellung mit allen Sinnen. Der Weg von der »Essenz« führt über die Opferung und die Wunderkammer hoch hinauf in die Spitze des Münzturms, wo sich die »Quintessenz« offenbart. Ein meditativer, theatralischer, ritueller Parkour, der uns als Rezipienten diese Inspiration sinnlich erfahren und begreifen lässt und dennoch ein Stück weit geheimnisvoll und mystisch bleibt. Inspiration, so beschreiben es die beiden »ist sanfte Droge und starkes Gift!« Es ist ein spiritueller Moment, der nur dem Kunstschaffenden gehört. In diesen Moment das Publikum einzubinden, erscheint uns eine mutige Öffnung, eine Offenbarung. Und vielleicht führte gerade diese Offenbarung zum Entschluss mit dieser Ausstellung den Mythos zu kapern und ihn vom Kanon zu emanzipieren: »Wir haben die 10. Muse eingeführt. Keine der neun Musen ist für die zeitgenössische bildende Kunst zuständig.
Mit der 10. haben wir eine unerschöpfliche neue Quelle offenbart. Wir zelebrieren sie.« Im Raum, in dem wir uns gerade befinden, steht das Opfer-Setting für sie. Hier verschränkt sich die visuelle und performative Praxis des Kollektivs. Die multimediale Arbeitsweise von EXPERIMENTAL SETUP ist hier sehr präsent: Video, Audio, Installation, bildende Kunst, angewandte Kunst, Performance. Die Erkenntnis, die die beiden aus dieser Ausstellung bereits gewonnen haben, ist jene zukünftig noch mehr zu verschränken. Die Opferung ist der Ort der Verkündung der Erlösung, der Aufbruch in die große Freiheit. Mit der Freiheit meinen sie auch die auferlegten Konventionen der Kunstwelt hinter sich zu lassen. »Es ist die Vision eines Gesamtkunstwerks, die uns vorschwebt«, betont Gastager und fährt fort: »Wir bauen einen Raum, in dem der Betrachter ein lustvolles Schaudern erlebt. Im Performativen funktioniert das am besten, da gelingt der Absprung von den visuellen Arbeiten.«
An dieser Stelle drängt sich das Thema der Leidenschaft förmlich auf, denn es scheint im Kontext zur Inspiration zu stehen. Michelangelo Buonarroti brachte es ziemlich klar auf den Punkt als er meinte: »Aus dem Leide schöpft die Kunst die erhabensten Eingebungen.« Ähnlich sehen es auch Hinterlechner und Gastager: »Der künstlerische Prozess ist Leiden, das schafft. Ein extrem starkes Bild. Das Leiden setzt allerdings zu einem späteren Zeitpunkt ein. Die Inspiration ist noch der Moment, in dem keine Mühsam vorhanden ist, keine störenden Nebengeräusche. Das Leiden tritt dann ein, wenn es darum geht der Inspiration zu folgen und sie auszuführen. Und ganz präsent ist das »Leiden« in dem Moment, wo die Rezipienten dazu kommen.« Die zehnte Muse und das Opferritual stehen wohl auch für diese Auffassung von Leidenschaft. Die Inspiration ist die Quelle der zehnten Muse und man muss als Künstler*in dieses Opfer annehmen, um den Weg in die große Freiheit des Schaffens zu bereiten. »Wenn man dieses »Leiden« annimmt und zum künstlerisch tätigen Menschen wird, dann betritt man die große Freiheit des Schaffens. Man kann dann alles andere ausblenden«, erklärt Hinterlechner.
Auch der gemeinsame Schaffensprozess stellt im Kollektiv eine besondere Herausforderung dar, weil individuelle Gedanken zu einer Vision verschmelzen sollten. »Unsere Zusammenarbeit ist manchmal schwierig«, beginnt Hinterlechner und nach einer kurzen Pause ergänzt Gastager: »Meistens ein Kampf.« Die Muse küsst die beiden separat, Jeder hat individuell Ansätze und Visionen, aber es eint dann das große Ganze. »Im Atelier arbeiten wir selten zusammen. Kata arbeitet, lässt etwas zurück und dann komme ich und greife das auf«, beschreibt Gastager. Es ist eine Dynamik aus Aktion und Reaktion. Regelmäßig treffen sich die beiden bewusst zu sogenannten »Klausuren«, wo über die Arbeiten gesprochen wird. »Im verbalen Austausch entsteht einiges, werden aber auch Ideen wieder verworfen oder umformuliert. Wir vergeben auch gegenseitig Aufgaben, um Lösungen zu finden.«
Gemeinsam besteigen wir den Turm, um nach der Opferung die Wunderkammern zu entdecken. 2018 sind EXPERIMENTAL SETUP angetreten und haben sich die Kunst und Wunderkammer einverleibt und versuchen diese neu zu interpretieren. »Damals haben uns Leute gefragt, wieso wir die ältesten Geschichten der Menschheit erzählen und ob die noch Sinn machen würden? Für uns war es klar, dass diese nach wie vor gültig sind.« Der Mythos steht bei den beiden im Fokus. Eine Arbeit, die für die Ausstellung in der Festung Franzensfeste konzipiert wurde, spielt auf das Thema des »Unbekannten« an und korreliert mit der Inspiration, »weil diese tatsächlich auch aus dem Unbekannten kommt«, begründet Hinterlechner. Ganz oben im Turm treffen wir auf die Quintessenz: Das Ein- und Ausatmen, die Inspiration. »Für viele ist es ein meditatives Erlebnis, sie verweilen hier, für andere ist es durchaus auch beängstigend, vor allem dann, wenn es dunkel ist. Dieses Schwanken der Empfindungen drückt es sehr gut aus: Die Inspiration kann befreiend, aber eben auch mit Schmerz und Ängsten verbunden sein.« Vom Künstlerkollektiv EXPERIMENTAL SETUP, das von der Galerie Semjon Contemporary in Berlin vertreten wird, werden wir in Zukunft noch so einiges erleben. Inspirationen gibt es genügend und den Enthusiasmus zur Ausarbeitung und Umsetzung kann man förmlich spüren. 2022 reist das Kollektiv für eine längere »Residency« nach Schweden, wo ein Landart-Projekt im Themenfeld Natur und Landwirtschaft umgesetzt wird. Ferner ist eine Performance in der Schweiz geplant und auch im Bereich Kunst am Bau sind die beiden tätig.