Einer von 10.000 oder als Kinder sind wir alle Pioniere

Eine Unterhaltung mit Tom Mögele über das richtige Schuhwerk eines Pioniers

Wenn wir wäh­rend eines win­ter­li­chen Out­door-Shoo­tings im male­ri­schen Natur­park Alt­mühl­tal bei Eich­stätt schon mal die Gele­gen­heit haben, dann unter­hal­ten wir uns ger­ne mit dem Prot­ago­nis­ten Tom Möge­le über das The­ma „Pio­nee­ring“. Bei uns drän­gen sich näm­lich wäh­rend der Vor­be­rei­tung auf die­se Aus­ga­be die Fra­gen auf, wie es um die Pio­nie­re unse­rer Zeit steht und wie man mit sei­nem Pio­nier­geist denn am bes­ten umgeht. Im Zuge des Gesprächs erfah­ren wir, dass es kein Zufall ist, dass Tom Möge­le aus­ge­rech­net die­se Kulis­se für unser Shoo­ting gewählt hat, die als Wie­ge der Chris­tia­ni­sie­rung Fran­kens bezeich­net wird. 752 grün­de­te der hl. Wuni­bald mit angel­säch­si­schen Mön­chen und Non­nen ein Urklos­ter in Hei­den­heim, von wo aus der christ­li­che Glau­be zur Zeit Karls des Gro­ßen ver­brei­tet wur­de. Auch Eich­stätt war seit der Grün­dung des Bis­tums (741 n. Chr.) durch den hl. Wil­li­bald, einen Bru­der Wuni­balds, ein Zen­trum der Chris­tia­ni­sie­rung. Groß­ar­ti­ge Natur­schät­ze ver­bin­den sich hier mit mit­tel­al­ter­li­chen Klein­oden sakra­ler Bau­kunst, man schöpft aus der Stil­le neue Kraft. Kraft, die wohl auch für Pio­nie­re nicht ganz unbe­deu­tend ist.

stay­in­art: Tom, wie wür­dest du, anläss­lich des The­mas die­ser Aus­ga­be, den Begriff Pio­nier definieren?

TOM MÖGELE: In der heu­ti­gen Zeit wird der Begriff des Pio­niers sehr oft falsch inter­pre­tiert. Der Pio­nier ist mit­nich­ten der­je­ni­ge, der als Ers­ter Ideen hat. Der Pio­nier ist viel­mehr der­je­ni­ge, der eine Idee, eine Kon­struk­ti­on oder einen way-to-live in die Rea­li­tät über­führt. Somit ist der Pio­nier nicht der queck­sil­ber­haf­te Geni­us des Erfin­ders, son­dern der robus­te und durch­hal­te­fä­hi­ge Weg­be­rei­ter. Er ist der Brü­cken­bau­er zwi­schen dem Auf­klä­rer und der Logis­tik. Der­je­ni­ge, der das ers­te Mal durch einen Fluss schwimmt, ist kein Pio­nier, es ist der­je­ni­ge, der den Fluss zum zwei­ten oder drit­ten Mal schwim­mend über­quert, um dann zu beschlie­ßen, die Brü­cke für alle ande­ren zu bau­en. Über die Wege, die der Pio­nier berei­tet hat, rollt dann der Nach­schub, die ande­ren Men­schen kön­nen die­se Wege benut­zen und es kann von nun an die gesam­te Logis­tik hier-über abge­wi­ckelt wer­den. Ein rich­ti­ger Pio­nier ist somit jemand, der die Idee oder den Ge-dan­ken das aller­ers­te Mal in die Tat umsetzt, mit allen Höhen und Tiefen.

Tom Möge­le, © Flo­ri­an Schrei­ber, München

stay­in­art: Das hört sich nicht nach „gemüt­lich“ an?

TOM MÖGELE: Nein, ganz und gar nicht. Als Pio­nier erfährt man alle Pro­ble­me und Schwie­rig­kei­ten des Ent­ste­hens und berei­tet dadurch denen den Weg, die als Nach­ah­mer und Ent­wick­ler danach ein­stei­gen. So hat zum Bei­spiel das Tele­fon, das von Phil­lip Reis erfun­den wur­de, allen Vor­ga­ben ent­spro­chen, die er erfül­len woll­te. Durch eine Zwei­draht­lei­tung konn­te gespro­chen und gleich­zei­tig gehört wer­den. Heut­zu­ta­ge, 170 Jah­re spä­ter, hat das Tele­fon bei ober­fläch­li­cher Betrach­tung immer noch den Anspruch, die­se Grund­vor­aus­set­zun­gen zu erfül­len. Wenn man aller­dings genau hin­schaut, erkennt man, dass bei­des nichts mehr mit­ein­an­der zu tun hat. Das heu­ti­ge Tele­fon wur­de solan­ge ver­bes­sert und opti­miert, bis man es als sol­ches nicht mehr ver­wen­den kann. War es vor­her mög­lich, die Ori­gi­nal­stim­me klar und unver­zerrt zu über­tra­gen, wird sie heu­te modu­liert und ihrer Fre­quen­zen beraubt. Eben­falls funk­tio­niert kei­nes der heu­ti­gen Tele­fo­ne ohne per­ma­nen­te Strom­zu­fuhr und Inter­net. Somit ist der Sinn und Zweck obso­let, in dem Fall, wenn der Strom oder sogar nur das Inter­net aus­fällt. Der Ent­wick­ler oder Ver­bes­se­rer des Pro­duk­tes (hier das Tele­fon) ent­wi­ckelt die­ses so lan­ge wei­ter, bis es im über­tra­ge­nen Sinn auf das Peter Prin­zip trifft. Die­ses besagt, dass das Pro­dukt, die Idee oder ein Mensch solan­ge ent­wi­ckelt bzw. beför­dert wur­de, bis der Sinn und Zweck des­glei­chen nicht mehr erfüll­bar ist. An die­sem Punkt ist der Pio­nier längst nicht mehr an Bord. Die­ser bleibt immer solan­ge bei sei­nem Werk, bis es so funk­tio­niert, wie er es sich gewünscht hat. Nicht mehr und nicht weni­ger. Am Bei­spiel einer Brü­cke über den Fluss reicht es dem Pio­nier, wenn der Fluss über­quert wer­den kann, eine schö­ne­re und noch bes­se­re Brü­cke wird dann von ande­ren geschaf­fen. Danach sucht sich der Pio­nier eine neue Herausforderung.

stay­in­art: Gibt es vie­le Men­schen, die aktu­ell den Weg eines Pio­niers beschreiten?

TOM MÖGELE: Pio­nie­re sind sehr rar in der heu­ti­gen Zeit, statt­des­sen ver­wech­selt man die Produkt‑, Sys­tem- oder XY-Ver­bes­se­rer bzw. ‑ent­wick­ler mit den Pio­nie­ren. Ohne die Vor­ar­beit und Ideen der Pio­nie­re hät­ten die­se rein gar nichts zu ver­bes­sern oder zu ent­wi­ckeln, weil sie selbst nicht in der Lage sind, Pio­nier­ar­beit zu leis­ten. Da der Pio­nier alle Schrit­te zur Ent­ste­hung sei­nes Wer­kes durch­lau­fen hat, besitzt nur er das Wis­sen, wel­ches benö­tigt wird, um sein Werk zu ver­bes­sern. Ich stel­le fest, dass es in der heu­ti­gen Zeit sehr stark an Pio­nie­ren man­gelt und statt­des­sen das Augen­merk zu sehr auf die Ver­bes­se­rer oder Ent­wick­ler, in mei­nen Augen auch Pla­gia­teu­re genannt, steht. Man geht von einem Ver­hält­nis von 1:10.000 aus. So muss es die Auf­ga­be der Gesell­schaft und der Poli­tik sein, ein pio­nier­freund­li­ches Kli­ma zu schaf­fen und dadurch den Wis­sens­auf­bau und Wer­te­auf­bau in die­ser Zeit zu ermög­li­chen und zu vervielfältigen.

Tom Möge­le, © Flo­ri­an Schrei­ber, München

stay­in­art: Lass uns zu dir kom­men. Du selbst bist einen neu­en bahn­bre­chen­den Weg gegan­gen, der sehr viel von dem eines Pio­nier­geists hat – bist du dabei manch­mal auf Unver­ständ­nis gesto­ßen? Wie bist du damit umgegangen?

TOM MÖGELE: Mir ist am Anfang tat­säch­lich sehr viel Unver­ständ­nis ent­ge­gen­ge­bracht wor­den. Mir per­sön­lich hat das wenig aus­ge­macht, weil ich immer wuss­te, dass die Natur­ge­set­ze funk­tio­nie­ren und jeder Mensch gleich auf­ge­baut ist. Es gab vie­le Zweif­ler, von denen mitt­ler­wei­le alle ver­stan­den haben, was der Pio­nier­geist beinhal­tet und för­dert. Es ist oft eini­ge Auf­klä­rungs­ar­beit von­nö­ten, um den Men­schen den Beweis zu erbrin­gen, dass die Theo­rie in der Pra­xis umsetz­bar ist.

stay­in­art: Blickt man zurück in die Kunst­ge­schich­te, so fan­den vie­le Pio­nie­re erst nach ihrem Tod jene Aner­ken­nung, die sie ver­dien­ten. Was hältst du davon – ist Aner­ken­nung über­haupt not­wen­dig, um Gro­ßes zu erreichen?

TOM MÖGELE: Ich bin der Mei­nung, Aner­ken­nung ist nicht not­wen­dig, um Gro­ßes zu errei­chen. Wich­tig ist, dass das Wis­sen, wel­ches ver­mit­telt wird, funk­tio­niert. Aner­ken­nung wür­de aus­lö­sen, dass der Pio­nier die Arbeit macht, um zu glän­zen. Das ist aber nicht die Auf­ga­be des Pio­niers. Auch ein Künst­ler hat sich mei­ner Mei­nung nach aus­schließ­lich sei­ner Arbeit hin­ge­ge­ben, ohne dabei etwas zu wol­len. Jeder Künst­ler gibt sich sei­ner Kunst aus frei­en Stü­cken hin, erreicht damit auto­ma­tisch den auf­merk­sa­men Betrach­ter und bewirkt Din­ge, wenn er in das Gan­ze sein Herz­blut investiert.

stay­in­art: Du hast in dei­nen Indi­vi­du­al-Coa­chings sicher auch häu­fig mit ech­ten Pio­nie­ren zu tun. Wie unter­stützt du sol­che Men­schen, was rätst du denen?

TOM MÖGELE: Pio­nie­re sind sehr ein­fach zu bera­ten. Sie haben meis­tens ihren Weg vor­ge­zeich­net, den sie aber oft mit den fal­schen „Schu­hen“ gehen. Zum Bei­spiel, wenn sie Ber­ge erklim­men müs­sen und dabei lei­der nur Slip­per tra­gen. Man muss dem Pio­nier nur das rich­ti­ge Schuh­werk und das rich­ti­ge Hand-werks­zeug geben. Pio­nie­re sind dazu beru­fen, ihre Arbeit zu erledigen.

Tom Möge­le, © Flo­ri­an Schrei­ber, München

stay­in­art: Gib uns doch bit­te mal ein Bei­spiel – was ist so eine klas­si­sche Hür­de, wor­an Pio­nie­re schei­tern kön­nen – und wie geht man mit dem Schei­tern dann um?

TOM MÖGELE: Ein Pio­nier an sich kann nicht schei­tern. Ein Pio­nier kann nur vom Weg ab-kom­men oder das fal­sche Werk­zeug besit­zen. Des­halb lie­be ich es, mit Pio­nie­ren zu arbei­ten. Der Erfolg stellt sich hier wie von selbst und selbst­ver­ständ­lich ein. Das soge­nann­te Schei­tern wird mit dem Aus­spruch „immer wei­ter“ bezwungen.

stay­in­art: Kann man dei­ner Mei­nung nach Pio­nier­geist för­dern oder ist es eher etwas, das einem in die Wie­ge gelegt ist?

TOM MÖGELE: Als Kin­der sind wir alle Pio­nie­re. Die­ser Pio­nier­geist wird uns bereits im Kin­der­gar­ten, dann in der Schu­le und der Uni­ver­si­tät abtrai­niert. Mit den rich­ti­gen Fra­gen und Tech­ni­ken kann man bei gefan­ge­nen Pio­nie­ren den Geist sehr schnell wie­der­be­le­ben. Ande­re Men­schen, die den Pio­nier­geist ihrer Kind­heit wei­ter erfolg­reich ver­drän­gen, neh­men mei­ne Arbeit erst gar nicht in Anspruch.

stay­in­art: Pio­nier sein bedeu­tet viel­leicht Opfer brin­gen, aber wenn man dann ein Allein­stel­lungs­merk­mal hat, das funk­tio­niert oder eben eine Vor­rei­ter­rol­le einer Strö­mung ein­nimmt, dann kann das von gro­ßem Vor­teil sein. Wie schaf­fen es Pio­nie­re den­noch, am Boden zu blei­ben und nicht abzuheben?

TOM MÖGELE: Der Weg des Pio­niers ist gezeich­net durch per­ma­nen­tes Kai­zen und auf dem Boden blei­ben. Wenn der Pio­nier nicht auf dem Boden bleibt, wer­den sich sei­ne „Luft­schlös­ser“ von allei­ne auf­lö­sen. Hat der Pio­nier sein Werk voll­bracht und ist er mit dem sel­bi­gen zufrie­den, wird er eine neue Pio­nier­ar­beit beginnen.

Beitrag teilen
geschrieben von

Das Kunstmagazin, das mehr Zeit zum Lesen und mehr Raum zum Schauen beansprucht: ein Gegentrend zu vielen Megatrends. Geeignet für Kunstliebhaber, die tiefer gehen möchten und bereit sind, inspiriert zu werden. Intellektuell anspruchsvolle Inhalte, innovatives Layout und elegantes Design auf höchstem Qualitätsstandard.

Consent Management Platform von Real Cookie Banner

Sie befinden sich im Archiv.
Hier geht's zum aktuellen stayinart Online Magazin.

This is default text for notification bar