Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Interview mit Klaus Albrecht Schröder

Wir haben Alber­ti­na-Direk­tor Klaus Albrecht Schrö­der im August die­sen Jah­res in der Aus­stel­lung „The Begin­ning“ in der Alber­ti­na Modern getrof­fen. „Die Aus­stel­lung han­delt von der Stun­de Null nach dem Zwei­ten Welt­krieg. Und die Stun­de Null dau­ert in Öster­reich etwa drei Jahr­zehn­te“, erklärt Schrö­der und fährt gleich fort: „Unser The­ma sind die Neue­rer selbst. Was haben die­se man­nig­fal­ti­gen Erschei­nun­gen, Posi­tio­nen, Künst­ler eigent­lich gemein­sam? Die Abs­trak­ten, um einen Pra­chen­sky, Wei­ler, Rai­ner, die frü­he Lass­nig mit dem frü­hen fan­tas­ti­schen Rea­lis­ten, mit dem Wie­ner Aktio­nis­mus oder mit der kon­kre­ten Kunst? Sie alle wen­den sich gegen das Ide­al der Nazi­zeit. Gegen das Ter­ror­re­gime des Drit­ten Reichs. Das eint sie ganz mas­siv.“ Der Alber­ti­na-Chef macht uns beim Wan­deln durch die Aus­stel­lung dar­auf auf­merk­sam, dass der zuerst schein­bar rein männ­lich domi­nier­te Kanon in den spä­ten 60er und in den 70er Jah­ren eine unglaub­lich rei­che Welt an Künst­le­rin­nen femi­nis­ti­scher Avant­gar­de her­vor­ge­bracht hat: „Ins­ge­samt war die­ses klei­ne Land mit knapp über sechs Mil­lio­nen Ein­woh­nern wäh­rend die­ser Zeit sehr homo­gen, da gab es die Erfah­rung des Frem­den an sich nicht. Kei­ne Fremd­sprach­lich­keit, kei­ne frem­de Kul­tur. Ich glau­be, wir haben mehr rele­van­te und aktu­el­le Künst­le­rin­nen und Künst­ler als das zehn­mal so gro­ße Deutsch­land oder als Frank­reich oder Spa­ni­en. Und vie­le mei­ner Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus den inter­na­tio­na­len Muse­en haben mir das auch bestätigt.“
Die Radi­ka­li­tät die­ser künst­le­ri­schen Ansät­ze nach 1945 ist bemer­kens­wert und außer­or­dent­lich. Die Aus­stel­lung „The Begin­ning“ schärft das Bewusst­sein dafür und erfüllt den Anspruch Schrö­ders, die „Bahnbrecher*innen der Kunst­ge­schich­te“ zu zei­gen. Mit dem Alber­ti­na-Chef haben wir uns nicht nur über die Aus­stel­lung unter­hal­ten, son­dern auch über jene Fra­ge gespro­chen, die aktu­ell vie­le Direktor*innen in ihren Kul­tur­ein­rich­tun­gen beschäf­tigt: Wie meis­tern wir die­se Kri­se mit einem „alter­na­ti­ven“ Pro­gramm, und vor allem: was kommt danach?

Wir haben heu­er zum ers­ten Mal in der Geschich­te alle einen Still­stand erlebt. Wie sind Sie per­sön­lich mit die­sem Still­stand umgegangen?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: In die­sem Fall kann ich zwi­schen mei­nen per­sön­li­chen Gefüh­len und den beruf­lich beding­ten nicht sehr unter­schei­den. Per­sön­lich habe ich natür­lich, wie so vie­le Men­schen, dies  Stil­le genos­sen, per­sön­lich war ich froh, ein­mal aufs Land fah­ren zu kön­nen und nicht nur im Stau zu ste­hen. Aber beruf­lich, und ich habe die gan­ze Zeit im Büro ver­bracht, war mir klar, dass eine sehr schwe­re Zeit auf uns zukom­men wird, auch auf alle mei­ne Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter. Und dass die­se nicht nur eini­ge Mona­te, son­dern wahr­schein­lich eini­ge Jah­re dau­ern wird. Inso­fern ist es mir psy­chisch schlech­ter gegan­gen als physisch.

Die Muse­en haben wie­der geöff­net. Die Besu­cher­zah­len sind schon etwas ange­stie­gen. Trotz­dem sind die Aus­las­tungs­zah­len natür­lich nicht auf dem Niveau, wie sie sein soll­ten und wie man sie gewohnt ist. Wel­che Stra­te­gie haben Sie jetzt kurz- und mit­tel­fris­tig für die lber­ti­na Modern?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Was den Aus­fall der Besu­cher­zah­len betrifft, gibt es kei­ne Stra­te­gie, die die Alber­ti­na Modern von der Alber­ti­na unter­schei­det. In bei­den Fäl­len gilt im Prin­zip, dass wir durch kei­ne Spar­maß­nah­men der Welt die­sen Aus­fall an Ein­nah­men, der durch den Besu­cher­rück­gang bedingt ist, kom­pen­sie­ren kön­nen. Da wir mit sie­ben­ein­halb Mil­lio­nen Euro nur einen Teil unse­rer Per­so­nal­kos­ten sub­ven­tio­niert erhal­ten und etwa zwei Mil­lio­nen Euro an Miet­kos­ten, die wir an die Repu­blik Öster­reich bezah­len, jedoch die War­tungs- und Instand­hal­tungs­kos­ten und die all­ge­mei­nen Muse­ums­kos­ten nur finan­zie­ren konn­ten, weil wir eben 18 oder 19 Mil­lio­nen im Jahr ver­dient haben, genügt es nicht, nur zu spa­ren. Trotz­dem steht Spa­ren am Anfang. Kei­ne Fra­ge, ein Muse­ums­be­trieb mit 1,1 Mil­lio­nen Besu­chern hat eine ande­re Per­so­nal­ka­pa­zi­tät von Nöten als einer, der viel­leicht  500.000 Besu­cher hat. Inso­fern geht es um die Fra­ge, wie weit wir so sorg­sam und rück­sichts­voll wie mög­lich die Per­so­nal­ka­pa­zi­tät an die neu­en Besu­cher­zah­len anpas­sen kön­nen. Dem vor­aus gehen muss natür­lich eine Spar­maß­nah­me, die die Pro­gram­me selbst beschnei­det. Etwa die Tat­sa­che, dass ich allei­ne in den nächs­ten Mona­ten auf zwölf Aus­stel­lun­gen ver­zich­tet habe, die wir gar nicht mehr durch­füh­ren. Dass wir in den nächs­ten drei Jah­ren kei­ne Aus­stel­lun­gen mit inter­na­tio­na­len Leih­ga­ben mehr machen wer­den, um die kos­ten­in­ten­si­ven Trans­at­lan­tik- und Trans­pa­zi­fik­flü­ge ein­zu­spa­ren, zeigt schon, dass nicht das Per­so­nal am Anfang steht. Glück­li­cher­wei­se ist die Alber­ti­na, wie die Alber­ti­na Modern, in der sehr kom­for­ta­blen Situa­ti­on, dass wir gewal­ti­ge Bestän­de haben. 1,1 Mil­lio­nen Kunst­wer­ke besitzt die Alber­ti­na ins­ge­samt, 60.000 an so genann­ter Post-War Con­tem­po­ra­ry Art, Kunst nach 1945, sodass ich glau­be, dass wir in den nächs­ten Jah­ren schon doch eine gan­ze Rei­he an kapi­ta­len, wich­ti­gen und auch trag­fä­hi­gen Aus­stel­lun­gen machen kön­nen. Da sind wir heu­te in einer wesent­lich bes­se­ren Situa­ti­on als ande­re Muse­en, die viel klei­ne­re Bestän­de haben. Und wir sind in einer ungleich bes­se­ren Situa­ti­on, als wir vor 20 Jah­ren gewe­sen wären, bevor ich die Gene­ral­di­rek­ti­on über­nom­men habe.

Sie Sie haben die Posi­ti­on der Chef­ku­ra­to­rin hier in der Alber­ti­na Modern besetzt. Es han­delt sich dabei um Ange­la Stief. Für so manch einen war das eine Über­ra­schung. War­um fiel die Ent­schei­dung auf Ange­la Stief?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Ich habe mir die­se Ent­schei­dung nicht leicht gemacht. Ich habe wirk­lich natio­nal und inter­na­tio­nal gesucht, habe mit vie­len Kol­le­gen und Kol­le­gin­nen gespro­chen, die sich als gro­ße Ken­ner der Kunst nach 1945 aus­ge­wie­sen haben. Es gab eini­ge Kri­te­ri­en, die mir beson­ders wich­tig waren. Inter­es­san­ter­wei­se zählt das, von dem vie­le glau­ben, dass es den Aus­schlag gege­ben hat, nicht dazu: Dass Ange­la Stief eine Frau ist. Das war tat­säch­lich voll­kom­gen men irrele­vant, die Short­list hat am Ende Män­ner und Frau­en umfasst. Wich­tig war mir, neben der unglaub­li­chen fach­li­chen Kom­pe­tenz, dass hier jemand einen Sinn für die Grö­ße, Inter­na­tio­na­li­tät und Bedeu­tung der Alber­ti­na mit­bringt. Sie war Chef­ku­ra­to­rin in der Kunst­hal­le in Wien und hat das unter einer Direk­ti­on gemacht, in der auch der Sinn für eine brei­te, rele­van­te Wir­kung des­sen, was man ver­an­stal­tet, vor­han­den war. Das zwei­te, das bei mir ganz hoch ran­giert, war die Fra­ge der Team­fä­hig­keit. Ist es jemand, die inter­na­tio­nal ver­netzt ist? Ein gro­ßes Wis­sen hat über Künst­ler, über Gale­ris­ten, und die­ses Wis­sen auch teilt? Genau so habe ich Ange­la Stief ken­nen­ge­lernt, wäh­rend der Vor­be­rei­tung der Eröff­nungs­aus­stel­lung „The Beginning“.
Sie hat oft­mals aus Berei­chen, die ande­re Kura­to­rin­nen und Kura­to­ren betreut haben, ein Wis­sen gehabt und es nie zurück­ge­hal­ten, son­dern sofort wei­ter­ge­ge­ben, mit einer Selbst­lo­sig­keit, die ich wirk­lich ganz sel­ten erle­be und die ich sehr, sehr bewun­dert habe. Und last but not least habe ich fest­ge­stellt, dass sie unge­ach­tet des­sen Ceci­ly Brown ganz genau­so gut kennt wie Georg Base­litz und dass sie auch Nischen aus­leuch­ten kann. Es ist kein Zufall, dass sie eine von zwei Kura­to­rin­nen war, die auch mir Künst­le­rin­nen und Künst­ler vor­ge­stellt haben, die ich tat­säch­lich über­se­hen hat­te. Also war am Ende die Ent­schei­dung zwar nicht leicht, aber sie war eindeutig.

Klaus Albrecht Schrö­der, Foto: Xan­dra M. Linsin

Kunst, bil­den­de Kunst viel­fach, die wir hier aus­ge­stellt haben, bewegt sich nicht, schreit nicht, ist nicht wahn­sin­nig auffällig.
Aber in Wahr­heit ist sie ein Reso­nanz­kör­per, der all das, was ich mit­brin­ge, auf­saugt und dann ver­ar­bei­tet zurückprojiziert. 

Was hat sich Ihrer Mei­nung nach in der Diver­si­täts- Dis­kus­si­on seit dem Jahr 2000 in der Muse­ums­welt verändert?.

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: In den letz­ten Jah­ren hat sich dar­an eigent­lich alles geän­dert. Es ist nur nicht ganz in Öster­reich ange­kom­men. Wir haben eine ande­re Vor­stel­lung von Diver­si­tät als man wahr­schein­lich in Detroit hat, wo 80 Pro­zent der Bevöl­ke­rung Schwar­ze sind, elf Pro­zent Wei­ße, neun Pro­zent His­pa­nics. Was sich jeden­falls geän­dert hat, ist, dass aus die­ser Gen­der­fra­ge unter dem Aspekt der Gleich­stel­lung von Mann und Frau und der Fra­ge der Hete­ro­se­xua­li­tät, die über allem sowie­so unhin­ter­fragt gestan­den ist, ganz ande­re Vor­stel­lun­gen von Diver­si­tät auf­ge­taucht sind: sexu­el­le Vor­stel­lun­gen, Vor­stel­lun­gen der Haut­far­be, der Her­kunft, des Alters, der Reli­gi­on. Und gera­de wenn wir beim letz­ten Aspekt sind, stel­le ich natür­lich auch fest, dass die Alber­ti­na in einer schwie­ri­gen Situa­ti­on ist, um dar­auf ange­mes­sen zu reagie­ren. Wir haben heu­te durch die Inter­na­tio­na­li­sie­rung des Kul­tur­le­bens, durch die Glo­ba­li­sie­rung der Wirt­schaft eine Vor­stel­lung von Hete­ro­ge­ni­tät, die man sich in mei­ner Jugend nicht ein­mal in den kühns­ten Träu­men oder Alb­träu­men hät­te vor­stel­len kön­nen. Damals war Wien der­ma­ßen homo­gen. Es war wirk­lich nur eine Spra­che zu hören. Öster­rei­chisch oder eher wie­ne­risch. Es war nur eine Haut­far­be zu sehen. Das alles hat sich radi­kal ver­än­dert. Das hat zu einer Libe­ra­li­tät geführt, die heu­te unter dem Begriff der Frei­heit nur als Vor­teil beschrie­ben wer­den kann. Und es hat auch Pro­ble­me mit sich gebracht. Ers­tens hat es zu einem Zusam­men­stoß zwi­schen den ver­schie­de­nen Gene­ra­tio­nen geführt. Und zwei­tens ist der Begriff der uni­ver­sa­len Wer­te ero­diert. Die Vor­stel­lung, dass das, was ein wei­ßer, hete­ro­se­xu­el­ler Mann reprä­sen­tiert, immer schon uni­ver­sel­le und uni­ver­sa­le Wer­te waren, die welt­weit gel­ten über alle Geschlech­ter, über alle sexu­el­len Prä­fe­ren­zen, über alle Reli­gio­nen hin­weg, ist zutiefst erschüt­tert wor­den. Man könn­te auch sagen, es sind Begrif­fe der Auf­klä­rung zutiefst erschüt­tert wor­den und erst heu­te erken­nen wir wie­der, dass die­se Uni­ver­sal­rech­te, wie sie etwa Kant in sei­nen ver­schie­de­nen Kri­ti­ken for­mu­liert hat, letz­ten Endes gelten.

Was  heißt das kon­kret in der Kunst?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: In der Kunst haben wir in den letz­ten Jah­ren ver­sucht, durch unse­re Neu­ak­qui­si­ti­ons­po­li­tik die Kunst von Frau­en stär­ker als jede ande­re zu erwer­ben. Wir sehen aber gleich­zei­tig, dass wir die Kunst von Schwar­zen, von His­pa­nics und in Öster­reich, wo der Islam eine gro­ße Rol­le spielt, durch Ser­ben, durch Tür­ken und ande­re, auch drin­gend beach­ten müs­sen. Und das ist in einer Samm­lung, die viel­leicht jung ist, die gera­de erst im Ent­ste­hen begrif­fen ist, wesent­lich leich­ter als in einer Kol­lek­ti­on, die 1776 ent­stan­den ist und die ihrer­seits bereits 250 Jah­re lang die­ses Modell des „White Male Hete­ro­se­xu­al“ reprä­sen­tiert. Es gelingt beim bes­ten Wil­len nicht, im 16. Jh. ver­gleich­ba­re Aus­stel­lun­gen mit Frau­en oder mit Trans­se­xu­el­len zu machen. Nein, das wird ein Dürer, Michel­an­ge­lo, Raf­fa­el, Leo­nar­do, Brue­gel sein und sie sind alle hete­ro­se­xu­ell, weiß und männlich.

Lassen Sie uns wie­der zur Alber­ti­na Modern kom­men. Dank des Mäze­na­ten­tums von Hans Peter Hasel­stei­ner konn­ten die­se Räum­lich­kei­ten restau­riert wer­den. Inwie­weit hat sich Herr Hasel­stei­ner per­sön­lich in das alles ein­ge­bracht? Und wel­che Rol­le kommt ihm jetzt nach der Eröff­nung zu?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Das muss man drei­fach sehen. Zum einen hat er sich enga­giert und qua­si bereit­erklärt, die­se Alber­ti­na Modern nach den Vor­stel­lun­gen der Alber­ti­na, nach unse­ren Erfah­run­gen und Stan­dards zu reno­vie­ren, zu moder­ni­sie­ren, zu erwei­tern. Das hat er finan­ziert. Ohne ihn gäbe es daher weder das Künst­ler­haus in der heu­ti­gen Gestalt noch die Alber­ti­na Modern. Die Ent­schei­dung, das zu machen, die wir bei einem Abend­essen getrof­fen haben, ist sehr schnell und mit gro­ßer Ent­schie­den­heit gefal­len. Danach hat er kei­ner­lei Ansprü­che mehr gestellt, in irgend­ei­ner Wei­se mit­zu­spre­chen. Hät­te er sie gestellt, hät­ten wir sie zurück­ge­wie­sen. Aber er hat sie nicht gestellt. So wenig wie Pro­fes­sor Essl, so wenig wie Sena­tor Dok­tor Bat­li­ner. Die Unab­hän­gig­keit eines Muse­ums ist eine der wesent­lichs­ten Grund­la­gen für das Ver­trau­en, das die Bevöl­ke­rung, das die Besu­cher in ein Muse­um haben. Par­tial­in­ter­es­sen eines Samm­lers, eines Spon­sors, eines Mäzens, Par­tial­in­ter­es­sen eines Poli­ti­kers, eines Kul­tur­po­li­ti­kers haben in einem Muse­um nichts ver­lo­ren. Da zie­he ich manch­mal zum Unwohl­sein von Poli­ti­kern, nie von Mäze­nen, eine Brand­schutz­mau­er auf und ver­wei­ge­re jeg­li­che Mit­spra­che. Die Unab­hän­gig­keit des Muse­ums, das ist die Basis für Public Trust. Liegt das nur dar­an, weil ich so gepolt bin und die ande­ren das Ver­ständ­nis haben? Nein, der­glei­chen muss auch hal­ten, wenn ich mor­gen gegen eine Stra­ßen­bahn tork­le und nicht mehr da bin. Das ist ver­trag­lich gewähr­leis­tet. Die völ­li­ge Unab­hän­gig­keit des Muse­ums gegen­über jeg­li­chem Ein­fluss von drit­ter Sei­te. Sei sie pri­vat, sei sie insti­tu­tio­nell, oder sei sie politisch.

Sie haben vor­hin ange­spro­chen, dass die Samm­lung der Alber­ti­na Modern aktu­ell über 60.000 Wer­ke ver­fügt. Wie kann man sich mit einer sol­chen Anzahl an Wer­ken sinn­voll auseinandersetzen?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Das ist eine Fra­ge, die sich mir so nicht stellt. Man muss nicht 60.000 Wer­ke lie­ben. Man kann nicht 60.000 Wer­ke lie­ben. Man kann nicht 1,1 Mil­lio­nen Wer­ke, die die Alber­ti­na besitzt, lie­ben. Man kann sie nicht ein­mal ken­nen. Man kann sie nicht zei­gen. Eine Auf­ga­be des Muse­ums ist, Kunst­wer­ke zu sam­meln, zu bewah­ren, zu erhal­ten, zu doku­men­tie­ren, weil man eines Tages dar­auf wie­der zurück­grei­fen will. Weil etwas, das ver­schüt­tet wor­den ist, das unbe­kannt gewor­den ist, das nicht mehr aktu­ell gewe­sen ist, plötz­lich wie­der an Bedeu­tung gewinnt. Die Zei­ten haben unter­schied­li­che Prä­fe­ren­zen. Wahr­schein­lich kon­zen­trie­ren wir uns in der Alber­ti­na − ich kann das jetzt nur über­schla­gen − auf kaum 500 Posi­tio­nen, mit kaum mehr als viel­leicht 8.000 Kunst­wer­ken, die wir in die­sen zwei Jahr­zehn­ten, seit ich die­ses Haus füh­re, prä­sen­tiert haben. Machen wir uns kei­ne Illu­si­on, es sind dann immer wie­der Dürer und Brue­gel, Rubens und Rem­brandt oder van Gogh, Matis­se und Cézan­ne. Inter­es­san­ter wäre die Fra­ge, wie kommt es eigent­lich zur Selek­ti­on? War­um sind es immer wie­der eini­ge weni­ge Bahn­bre­cher, die eine Rol­le spie­len? Eine der Auf­ga­ben der Alber­ti­na Modern ist es, Ori­en­tie­rung zu bie­ten. Nicht nur inner­halb der 60.000 Kunst­wer­ke, son­dern einer noch viel grö­ße­ren Zahl, die es drau­ßen an Kunst­wer­ken gibt, an Künst­le­rin­nen und Künst­lern. Wenn man in die Alber­ti­na Modern geht, so soll man Ori­en­tie­rung, Leit­plan­ken vor­fin­den. Es lohnt sich, die­se Künst­ler zu ken­nen, weil sie das Leben, das Den­ken, die Wahr­neh­mung, das Füh­len ver­än­dern. Sie sind Bahn­bre­cher der Kunst­ge­schich­te. Das ist zumin­dest unser Anspruch. Wir wer­den uns manch­mal irren und ich möch­te nicht wis­sen, was man in 30 Jah­ren Rück­blick auf mei­ne Ära sagen wird, aber mein Anspruch ist nicht, 60.000 Wer­ke zu zei­gen, son­dern die 600 entscheidenden.

Wir haben noch eine sehr per­sön­li­che Frage.
Haben Sie Lieblingskunstwerke?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Ja, jeden Tag ande­re. Viel­leicht nicht jeden Tag ande­re, aber sicher ist, dass das nicht nur mit dem Alter zusam­men­hängt. Mit 15 habe ich die frü­hen Radie­run­gen von Ernst Fuchs, oder die Gemäl­de von Sal­va­dor Dali aus den 30er Jah­ren für den Gip­fel der Kunst gehal­ten. Irgend­wann ist es Manet gewor­den, irgend­wann war es Rubens. Dann war es jemand, den Sie viel­leicht nicht ein­mal ken­nen, der wich­tigs­te Schnit­zer Öster­reichs, Mein­rad Gug­gen­bich­ler. Es wur­de Cézan­ne. Es wur­den viel Künst­ler, es wur­den vie­le Kunst­wer­ke. Aber unab­hän­gig von die­sen alters­spe­zi­fi­schen und erfah­rungs­spe­zi­fi­schen Fra­gen ist es so, dass es auch von der Stim­mung abhängt. Daher kann ich mir gar nicht vor­stel­len, nicht Lieb­lings­künst­le­rin­nen zu haben. Oder nicht Lieb­lings­künst­ler zu haben. Aber ein Ran­king zu machen, wäre schon des­we­gen unmög­lich, weil das heu­te auf­ge­stell­te mor­gen obso­let wäre. Das hängt an mei­ner Psy­che, an mei­nen eige­nen Ver­än­de­run­gen, an mei­nen Gefüh­len, an mei­ner Stim­mungs­la­ge. Kunst, bil­den­de Kunst viel­fach, die wir hier aus­ge­stellt haben, bewegt sich nicht, schreit nicht, ist nicht wahn­sin­nig auf­fäl­lig. Aber in Wahr­heit ist sie ein Reso­nanz­kör­per, der all das, was ich mit­brin­ge, auf­saugt und dann ver­ar­bei­tet zurück pro­ji­ziert. Daher ist mei­ne Ver­än­de­rung immer ein wesent­li­cher Fak­tor der Ver­än­de­rung des Kunst­wer­kes. Da sieht man manch­mal in ein Ver­gnü­gen hin­ein oder in die Lügen oder in Abgründe.

Mit wel­chen drei Schlag­wor­ten, wenn Sie es jetzt auf drei Schlag­wor­te beschrän­ken müss­ten, soll­te die Alber­ti­na Modern in der Außen­wahr­neh­mung ver­bun­den werden?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Einer­seits ist die Fra­ge legi­tim. Weil man beim Bran­ding eines Muse­ums sol­che Fra­gen beant­wor­ten kön­nen muss. Ande­rer­seits bin ich nicht der Head­li­ner der Bild Zei­tung. Dass wir Kunst zei­gen wol­len, die hier zum Kanon der Kunst­ge­schich­te zählt, ist wesent­lich. Rele­vanz, Aktua­li­tät, das ist mir ganz, ganz wich­tig. Und es ist mir wich­tig, dass wir die Kunst so ver­mit­teln, dass sie ver­stan­den wird. Ich möch­te das Wis­sen, das wir haben, so ver­mit­teln, dass die Men­schen davon pro­fi­tie­ren. Dass wir ihr Leben in einer Wei­se berei­chern, wie das eben das Kon­zert, die Musik, die Oper, Lite­ra­tur, Lyrik nicht könn­ten. Son­dern nur die Kunst es eben kann. Das Erfolgs­re­zept der Alber­ti­na ist, dass ich auf die­se Aktua­li­tät, auf die­se Rele­vanz immer sehr geach­tet habe. Dass wir nicht zei­gen, was nur für uns rele­vant ist, son­dern für eine größt­mög­li­che an Kunst inter­es­sier­te Öffent­lich­keit. Aber drei Wor­te waren das nicht.

Nein…

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Es war wohl bes­ser, dass man mich nicht zu viel in den Bran­ding- Pro­zess ein­ge­bun­den hat. (lacht)

Die Kul­tur­bran­che ist von der Pan­de­mie ja mit­un­ter am här­tes­ten betroffen.

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Na ja, 22.000 Ent­las­se­ne in der Luft­fahrt­in­dus­trie allei­ne bei Luft­han­sa möch­te ich jetzt auch nicht klein schrei­ben. Man glaubt immer, man ist sehr exklu­siv, sowohl in sei­nen Qua­li­tä­ten als auch in sei­nem Lei­den. Das Lei­den heu­te ist wahr­schein­lich bei uns in der Kul­tur­bran­che gerin­ger als in Syri­en, wür­de ich vermuten.

Da haben Sie Recht. Es wur­de im Kul­tur­be­reich zumin­dest gleich sehr spür­bar wahr­ge­nom­men. Wie kom­men wir da wie­der raus? Was braucht es Ihrer Mei­nung nach über­haupt, um den Kunst­be­trieb jetzt all­ge­mein in Öster­reich oder auch euro­pa­weit gestärkt aus der Kri­se füh­ren zu können?

KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Na ja, die­se Fra­ge der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit des Auf­wan­des, den zu betrei­ben wir bereit sind, um die­ses Grund­be­dürf­nis, ein huma­nis­ti­sches Grund­be­dürf­nis nach Kunst befrie­di­gen zu kön­nen, ist eine wich­ti­ge Mess­lat­te. Ich hof­fe, es wird eines Tages wie­der ein nor­ma­les Leben geben. Lei­der glau­be ich nicht, dass das nächs­tes Jahr der Fall sein wird. Und auch, wenn wir einen Impf­stoff haben, dann wird die Pro­duk­ti­on des Impf­stof­fes mit Mil­li­ar­den Dosen eine Her­aus­for­de­rung. Daher hof­fe ich, dass wir in vier, fünf Jah­ren wei­test­ge­hend wie­der ein nor­ma­les Kul­tur­ange­bot haben. Wer­den wir des­we­gen schon zu den Besu­cher­zah­len, zu den Nut­zer­zah­len, zu den Kon­su­men­ten, zu den Freun­des­zah­len aus der Zeit vor der Kri­se zurück­keh­ren? Nein, ich glau­be, das wird
noch län­ger dau­ern. Auch des­we­gen, weil sich mit der Her­aus­for­de­rung die­ser Pan­de­mie eine zwei­te Fra­ge schnei­det, die unmit­tel­bar davor ohne­hin unser Den­ken und Füh­len bestimmt hat: die Kli­ma­fra­ge. Wir sind alle gereist, und nicht zuletzt hat mei­ne eige­ne Bran­che mit Kurier­rei­sen, Trans­por­ten, rei­sen­den Direk­to­ren auch unend­li­che Umwelt­schä­den auf sich zu neh­men. Auch auf­grund der Auf­la­gen für Aus­stel­lungs­räu­me, die 20 Grad und 50 Pro­zent Luft­feuch­tig­keit haben müs­sen. Das sind kei­ne Kli­ma­ge­rä­te, das sind Ener­gie­ver­nich­tungs­ma­schi­nen zuguns­ten der Kunst. All die­se Fra­gen wer­den sich viel­leicht, wenn wir nach­denk­lich sind, auch im Zuge der Pan­de­mie stellen.

Vie­len Dank für die­ses aus­führ­li­che Gespräch und den vor­aus­schau­en­den Abschluss, der sicher­lich anregt, wei­ter zu den­ken als nur bis morgen.

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