Interview mit Klaus Albrecht Schröder
Wir haben Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder im August diesen Jahres in der Ausstellung „The Beginning“ in der Albertina Modern getroffen. „Die Ausstellung handelt von der Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg. Und die Stunde Null dauert in Österreich etwa drei Jahrzehnte“, erklärt Schröder und fährt gleich fort: „Unser Thema sind die Neuerer selbst. Was haben diese mannigfaltigen Erscheinungen, Positionen, Künstler eigentlich gemeinsam? Die Abstrakten, um einen Prachensky, Weiler, Rainer, die frühe Lassnig mit dem frühen fantastischen Realisten, mit dem Wiener Aktionismus oder mit der konkreten Kunst? Sie alle wenden sich gegen das Ideal der Nazizeit. Gegen das Terrorregime des Dritten Reichs. Das eint sie ganz massiv.“ Der Albertina-Chef macht uns beim Wandeln durch die Ausstellung darauf aufmerksam, dass der zuerst scheinbar rein männlich dominierte Kanon in den späten 60er und in den 70er Jahren eine unglaublich reiche Welt an Künstlerinnen feministischer Avantgarde hervorgebracht hat: „Insgesamt war dieses kleine Land mit knapp über sechs Millionen Einwohnern während dieser Zeit sehr homogen, da gab es die Erfahrung des Fremden an sich nicht. Keine Fremdsprachlichkeit, keine fremde Kultur. Ich glaube, wir haben mehr relevante und aktuelle Künstlerinnen und Künstler als das zehnmal so große Deutschland oder als Frankreich oder Spanien. Und viele meiner Kolleginnen und Kollegen aus den internationalen Museen haben mir das auch bestätigt.“
Die Radikalität dieser künstlerischen Ansätze nach 1945 ist bemerkenswert und außerordentlich. Die Ausstellung „The Beginning“ schärft das Bewusstsein dafür und erfüllt den Anspruch Schröders, die „Bahnbrecher*innen der Kunstgeschichte“ zu zeigen. Mit dem Albertina-Chef haben wir uns nicht nur über die Ausstellung unterhalten, sondern auch über jene Frage gesprochen, die aktuell viele Direktor*innen in ihren Kultureinrichtungen beschäftigt: Wie meistern wir diese Krise mit einem „alternativen“ Programm, und vor allem: was kommt danach?
Wir haben heuer zum ersten Mal in der Geschichte alle einen Stillstand erlebt. Wie sind Sie persönlich mit diesem Stillstand umgegangen?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: In diesem Fall kann ich zwischen meinen persönlichen Gefühlen und den beruflich bedingten nicht sehr unterscheiden. Persönlich habe ich natürlich, wie so viele Menschen, dies Stille genossen, persönlich war ich froh, einmal aufs Land fahren zu können und nicht nur im Stau zu stehen. Aber beruflich, und ich habe die ganze Zeit im Büro verbracht, war mir klar, dass eine sehr schwere Zeit auf uns zukommen wird, auch auf alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und dass diese nicht nur einige Monate, sondern wahrscheinlich einige Jahre dauern wird. Insofern ist es mir psychisch schlechter gegangen als physisch.
Die Museen haben wieder geöffnet. Die Besucherzahlen sind schon etwas angestiegen. Trotzdem sind die Auslastungszahlen natürlich nicht auf dem Niveau, wie sie sein sollten und wie man sie gewohnt ist. Welche Strategie haben Sie jetzt kurz- und mittelfristig für die lbertina Modern?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Was den Ausfall der Besucherzahlen betrifft, gibt es keine Strategie, die die Albertina Modern von der Albertina unterscheidet. In beiden Fällen gilt im Prinzip, dass wir durch keine Sparmaßnahmen der Welt diesen Ausfall an Einnahmen, der durch den Besucherrückgang bedingt ist, kompensieren können. Da wir mit siebeneinhalb Millionen Euro nur einen Teil unserer Personalkosten subventioniert erhalten und etwa zwei Millionen Euro an Mietkosten, die wir an die Republik Österreich bezahlen, jedoch die Wartungs- und Instandhaltungskosten und die allgemeinen Museumskosten nur finanzieren konnten, weil wir eben 18 oder 19 Millionen im Jahr verdient haben, genügt es nicht, nur zu sparen. Trotzdem steht Sparen am Anfang. Keine Frage, ein Museumsbetrieb mit 1,1 Millionen Besuchern hat eine andere Personalkapazität von Nöten als einer, der vielleicht 500.000 Besucher hat. Insofern geht es um die Frage, wie weit wir so sorgsam und rücksichtsvoll wie möglich die Personalkapazität an die neuen Besucherzahlen anpassen können. Dem voraus gehen muss natürlich eine Sparmaßnahme, die die Programme selbst beschneidet. Etwa die Tatsache, dass ich alleine in den nächsten Monaten auf zwölf Ausstellungen verzichtet habe, die wir gar nicht mehr durchführen. Dass wir in den nächsten drei Jahren keine Ausstellungen mit internationalen Leihgaben mehr machen werden, um die kostenintensiven Transatlantik- und Transpazifikflüge einzusparen, zeigt schon, dass nicht das Personal am Anfang steht. Glücklicherweise ist die Albertina, wie die Albertina Modern, in der sehr komfortablen Situation, dass wir gewaltige Bestände haben. 1,1 Millionen Kunstwerke besitzt die Albertina insgesamt, 60.000 an so genannter Post-War Contemporary Art, Kunst nach 1945, sodass ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren schon doch eine ganze Reihe an kapitalen, wichtigen und auch tragfähigen Ausstellungen machen können. Da sind wir heute in einer wesentlich besseren Situation als andere Museen, die viel kleinere Bestände haben. Und wir sind in einer ungleich besseren Situation, als wir vor 20 Jahren gewesen wären, bevor ich die Generaldirektion übernommen habe.
Sie Sie haben die Position der Chefkuratorin hier in der Albertina Modern besetzt. Es handelt sich dabei um Angela Stief. Für so manch einen war das eine Überraschung. Warum fiel die Entscheidung auf Angela Stief?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich habe wirklich national und international gesucht, habe mit vielen Kollegen und Kolleginnen gesprochen, die sich als große Kenner der Kunst nach 1945 ausgewiesen haben. Es gab einige Kriterien, die mir besonders wichtig waren. Interessanterweise zählt das, von dem viele glauben, dass es den Ausschlag gegeben hat, nicht dazu: Dass Angela Stief eine Frau ist. Das war tatsächlich vollkomgen men irrelevant, die Shortlist hat am Ende Männer und Frauen umfasst. Wichtig war mir, neben der unglaublichen fachlichen Kompetenz, dass hier jemand einen Sinn für die Größe, Internationalität und Bedeutung der Albertina mitbringt. Sie war Chefkuratorin in der Kunsthalle in Wien und hat das unter einer Direktion gemacht, in der auch der Sinn für eine breite, relevante Wirkung dessen, was man veranstaltet, vorhanden war. Das zweite, das bei mir ganz hoch rangiert, war die Frage der Teamfähigkeit. Ist es jemand, die international vernetzt ist? Ein großes Wissen hat über Künstler, über Galeristen, und dieses Wissen auch teilt? Genau so habe ich Angela Stief kennengelernt, während der Vorbereitung der Eröffnungsausstellung „The Beginning“.
Sie hat oftmals aus Bereichen, die andere Kuratorinnen und Kuratoren betreut haben, ein Wissen gehabt und es nie zurückgehalten, sondern sofort weitergegeben, mit einer Selbstlosigkeit, die ich wirklich ganz selten erlebe und die ich sehr, sehr bewundert habe. Und last but not least habe ich festgestellt, dass sie ungeachtet dessen Cecily Brown ganz genauso gut kennt wie Georg Baselitz und dass sie auch Nischen ausleuchten kann. Es ist kein Zufall, dass sie eine von zwei Kuratorinnen war, die auch mir Künstlerinnen und Künstler vorgestellt haben, die ich tatsächlich übersehen hatte. Also war am Ende die Entscheidung zwar nicht leicht, aber sie war eindeutig.
Kunst, bildende Kunst vielfach, die wir hier ausgestellt haben, bewegt sich nicht, schreit nicht, ist nicht wahnsinnig auffällig.
Aber in Wahrheit ist sie ein Resonanzkörper, der all das, was ich mitbringe, aufsaugt und dann verarbeitet zurückprojiziert.
Was hat sich Ihrer Meinung nach in der Diversitäts- Diskussion seit dem Jahr 2000 in der Museumswelt verändert?.
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: In den letzten Jahren hat sich daran eigentlich alles geändert. Es ist nur nicht ganz in Österreich angekommen. Wir haben eine andere Vorstellung von Diversität als man wahrscheinlich in Detroit hat, wo 80 Prozent der Bevölkerung Schwarze sind, elf Prozent Weiße, neun Prozent Hispanics. Was sich jedenfalls geändert hat, ist, dass aus dieser Genderfrage unter dem Aspekt der Gleichstellung von Mann und Frau und der Frage der Heterosexualität, die über allem sowieso unhinterfragt gestanden ist, ganz andere Vorstellungen von Diversität aufgetaucht sind: sexuelle Vorstellungen, Vorstellungen der Hautfarbe, der Herkunft, des Alters, der Religion. Und gerade wenn wir beim letzten Aspekt sind, stelle ich natürlich auch fest, dass die Albertina in einer schwierigen Situation ist, um darauf angemessen zu reagieren. Wir haben heute durch die Internationalisierung des Kulturlebens, durch die Globalisierung der Wirtschaft eine Vorstellung von Heterogenität, die man sich in meiner Jugend nicht einmal in den kühnsten Träumen oder Albträumen hätte vorstellen können. Damals war Wien dermaßen homogen. Es war wirklich nur eine Sprache zu hören. Österreichisch oder eher wienerisch. Es war nur eine Hautfarbe zu sehen. Das alles hat sich radikal verändert. Das hat zu einer Liberalität geführt, die heute unter dem Begriff der Freiheit nur als Vorteil beschrieben werden kann. Und es hat auch Probleme mit sich gebracht. Erstens hat es zu einem Zusammenstoß zwischen den verschiedenen Generationen geführt. Und zweitens ist der Begriff der universalen Werte erodiert. Die Vorstellung, dass das, was ein weißer, heterosexueller Mann repräsentiert, immer schon universelle und universale Werte waren, die weltweit gelten über alle Geschlechter, über alle sexuellen Präferenzen, über alle Religionen hinweg, ist zutiefst erschüttert worden. Man könnte auch sagen, es sind Begriffe der Aufklärung zutiefst erschüttert worden und erst heute erkennen wir wieder, dass diese Universalrechte, wie sie etwa Kant in seinen verschiedenen Kritiken formuliert hat, letzten Endes gelten.
Was heißt das konkret in der Kunst?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: In der Kunst haben wir in den letzten Jahren versucht, durch unsere Neuakquisitionspolitik die Kunst von Frauen stärker als jede andere zu erwerben. Wir sehen aber gleichzeitig, dass wir die Kunst von Schwarzen, von Hispanics und in Österreich, wo der Islam eine große Rolle spielt, durch Serben, durch Türken und andere, auch dringend beachten müssen. Und das ist in einer Sammlung, die vielleicht jung ist, die gerade erst im Entstehen begriffen ist, wesentlich leichter als in einer Kollektion, die 1776 entstanden ist und die ihrerseits bereits 250 Jahre lang dieses Modell des „White Male Heterosexual“ repräsentiert. Es gelingt beim besten Willen nicht, im 16. Jh. vergleichbare Ausstellungen mit Frauen oder mit Transsexuellen zu machen. Nein, das wird ein Dürer, Michelangelo, Raffael, Leonardo, Bruegel sein und sie sind alle heterosexuell, weiß und männlich.
Lassen Sie uns wieder zur Albertina Modern kommen. Dank des Mäzenatentums von Hans Peter Haselsteiner konnten diese Räumlichkeiten restauriert werden. Inwieweit hat sich Herr Haselsteiner persönlich in das alles eingebracht? Und welche Rolle kommt ihm jetzt nach der Eröffnung zu?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Das muss man dreifach sehen. Zum einen hat er sich engagiert und quasi bereiterklärt, diese Albertina Modern nach den Vorstellungen der Albertina, nach unseren Erfahrungen und Standards zu renovieren, zu modernisieren, zu erweitern. Das hat er finanziert. Ohne ihn gäbe es daher weder das Künstlerhaus in der heutigen Gestalt noch die Albertina Modern. Die Entscheidung, das zu machen, die wir bei einem Abendessen getroffen haben, ist sehr schnell und mit großer Entschiedenheit gefallen. Danach hat er keinerlei Ansprüche mehr gestellt, in irgendeiner Weise mitzusprechen. Hätte er sie gestellt, hätten wir sie zurückgewiesen. Aber er hat sie nicht gestellt. So wenig wie Professor Essl, so wenig wie Senator Doktor Batliner. Die Unabhängigkeit eines Museums ist eine der wesentlichsten Grundlagen für das Vertrauen, das die Bevölkerung, das die Besucher in ein Museum haben. Partialinteressen eines Sammlers, eines Sponsors, eines Mäzens, Partialinteressen eines Politikers, eines Kulturpolitikers haben in einem Museum nichts verloren. Da ziehe ich manchmal zum Unwohlsein von Politikern, nie von Mäzenen, eine Brandschutzmauer auf und verweigere jegliche Mitsprache. Die Unabhängigkeit des Museums, das ist die Basis für Public Trust. Liegt das nur daran, weil ich so gepolt bin und die anderen das Verständnis haben? Nein, dergleichen muss auch halten, wenn ich morgen gegen eine Straßenbahn torkle und nicht mehr da bin. Das ist vertraglich gewährleistet. Die völlige Unabhängigkeit des Museums gegenüber jeglichem Einfluss von dritter Seite. Sei sie privat, sei sie institutionell, oder sei sie politisch.
Sie haben vorhin angesprochen, dass die Sammlung der Albertina Modern aktuell über 60.000 Werke verfügt. Wie kann man sich mit einer solchen Anzahl an Werken sinnvoll auseinandersetzen?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Das ist eine Frage, die sich mir so nicht stellt. Man muss nicht 60.000 Werke lieben. Man kann nicht 60.000 Werke lieben. Man kann nicht 1,1 Millionen Werke, die die Albertina besitzt, lieben. Man kann sie nicht einmal kennen. Man kann sie nicht zeigen. Eine Aufgabe des Museums ist, Kunstwerke zu sammeln, zu bewahren, zu erhalten, zu dokumentieren, weil man eines Tages darauf wieder zurückgreifen will. Weil etwas, das verschüttet worden ist, das unbekannt geworden ist, das nicht mehr aktuell gewesen ist, plötzlich wieder an Bedeutung gewinnt. Die Zeiten haben unterschiedliche Präferenzen. Wahrscheinlich konzentrieren wir uns in der Albertina − ich kann das jetzt nur überschlagen − auf kaum 500 Positionen, mit kaum mehr als vielleicht 8.000 Kunstwerken, die wir in diesen zwei Jahrzehnten, seit ich dieses Haus führe, präsentiert haben. Machen wir uns keine Illusion, es sind dann immer wieder Dürer und Bruegel, Rubens und Rembrandt oder van Gogh, Matisse und Cézanne. Interessanter wäre die Frage, wie kommt es eigentlich zur Selektion? Warum sind es immer wieder einige wenige Bahnbrecher, die eine Rolle spielen? Eine der Aufgaben der Albertina Modern ist es, Orientierung zu bieten. Nicht nur innerhalb der 60.000 Kunstwerke, sondern einer noch viel größeren Zahl, die es draußen an Kunstwerken gibt, an Künstlerinnen und Künstlern. Wenn man in die Albertina Modern geht, so soll man Orientierung, Leitplanken vorfinden. Es lohnt sich, diese Künstler zu kennen, weil sie das Leben, das Denken, die Wahrnehmung, das Fühlen verändern. Sie sind Bahnbrecher der Kunstgeschichte. Das ist zumindest unser Anspruch. Wir werden uns manchmal irren und ich möchte nicht wissen, was man in 30 Jahren Rückblick auf meine Ära sagen wird, aber mein Anspruch ist nicht, 60.000 Werke zu zeigen, sondern die 600 entscheidenden.
Wir haben noch eine sehr persönliche Frage.
Haben Sie Lieblingskunstwerke?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Ja, jeden Tag andere. Vielleicht nicht jeden Tag andere, aber sicher ist, dass das nicht nur mit dem Alter zusammenhängt. Mit 15 habe ich die frühen Radierungen von Ernst Fuchs, oder die Gemälde von Salvador Dali aus den 30er Jahren für den Gipfel der Kunst gehalten. Irgendwann ist es Manet geworden, irgendwann war es Rubens. Dann war es jemand, den Sie vielleicht nicht einmal kennen, der wichtigste Schnitzer Österreichs, Meinrad Guggenbichler. Es wurde Cézanne. Es wurden viel Künstler, es wurden viele Kunstwerke. Aber unabhängig von diesen altersspezifischen und erfahrungsspezifischen Fragen ist es so, dass es auch von der Stimmung abhängt. Daher kann ich mir gar nicht vorstellen, nicht Lieblingskünstlerinnen zu haben. Oder nicht Lieblingskünstler zu haben. Aber ein Ranking zu machen, wäre schon deswegen unmöglich, weil das heute aufgestellte morgen obsolet wäre. Das hängt an meiner Psyche, an meinen eigenen Veränderungen, an meinen Gefühlen, an meiner Stimmungslage. Kunst, bildende Kunst vielfach, die wir hier ausgestellt haben, bewegt sich nicht, schreit nicht, ist nicht wahnsinnig auffällig. Aber in Wahrheit ist sie ein Resonanzkörper, der all das, was ich mitbringe, aufsaugt und dann verarbeitet zurück projiziert. Daher ist meine Veränderung immer ein wesentlicher Faktor der Veränderung des Kunstwerkes. Da sieht man manchmal in ein Vergnügen hinein oder in die Lügen oder in Abgründe.
Mit welchen drei Schlagworten, wenn Sie es jetzt auf drei Schlagworte beschränken müssten, sollte die Albertina Modern in der Außenwahrnehmung verbunden werden?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Einerseits ist die Frage legitim. Weil man beim Branding eines Museums solche Fragen beantworten können muss. Andererseits bin ich nicht der Headliner der Bild Zeitung. Dass wir Kunst zeigen wollen, die hier zum Kanon der Kunstgeschichte zählt, ist wesentlich. Relevanz, Aktualität, das ist mir ganz, ganz wichtig. Und es ist mir wichtig, dass wir die Kunst so vermitteln, dass sie verstanden wird. Ich möchte das Wissen, das wir haben, so vermitteln, dass die Menschen davon profitieren. Dass wir ihr Leben in einer Weise bereichern, wie das eben das Konzert, die Musik, die Oper, Literatur, Lyrik nicht könnten. Sondern nur die Kunst es eben kann. Das Erfolgsrezept der Albertina ist, dass ich auf diese Aktualität, auf diese Relevanz immer sehr geachtet habe. Dass wir nicht zeigen, was nur für uns relevant ist, sondern für eine größtmögliche an Kunst interessierte Öffentlichkeit. Aber drei Worte waren das nicht.
Nein…
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Es war wohl besser, dass man mich nicht zu viel in den Branding- Prozess eingebunden hat. (lacht)
Die Kulturbranche ist von der Pandemie ja mitunter am härtesten betroffen.
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Na ja, 22.000 Entlassene in der Luftfahrtindustrie alleine bei Lufthansa möchte ich jetzt auch nicht klein schreiben. Man glaubt immer, man ist sehr exklusiv, sowohl in seinen Qualitäten als auch in seinem Leiden. Das Leiden heute ist wahrscheinlich bei uns in der Kulturbranche geringer als in Syrien, würde ich vermuten.
Da haben Sie Recht. Es wurde im Kulturbereich zumindest gleich sehr spürbar wahrgenommen. Wie kommen wir da wieder raus? Was braucht es Ihrer Meinung nach überhaupt, um den Kunstbetrieb jetzt allgemein in Österreich oder auch europaweit gestärkt aus der Krise führen zu können?
KLAUS ALBRECHT SCHRÖDER: Na ja, diese Frage der Verhältnismäßigkeit des Aufwandes, den zu betreiben wir bereit sind, um dieses Grundbedürfnis, ein humanistisches Grundbedürfnis nach Kunst befriedigen zu können, ist eine wichtige Messlatte. Ich hoffe, es wird eines Tages wieder ein normales Leben geben. Leider glaube ich nicht, dass das nächstes Jahr der Fall sein wird. Und auch, wenn wir einen Impfstoff haben, dann wird die Produktion des Impfstoffes mit Milliarden Dosen eine Herausforderung. Daher hoffe ich, dass wir in vier, fünf Jahren weitestgehend wieder ein normales Kulturangebot haben. Werden wir deswegen schon zu den Besucherzahlen, zu den Nutzerzahlen, zu den Konsumenten, zu den Freundeszahlen aus der Zeit vor der Krise zurückkehren? Nein, ich glaube, das wird
noch länger dauern. Auch deswegen, weil sich mit der Herausforderung dieser Pandemie eine zweite Frage schneidet, die unmittelbar davor ohnehin unser Denken und Fühlen bestimmt hat: die Klimafrage. Wir sind alle gereist, und nicht zuletzt hat meine eigene Branche mit Kurierreisen, Transporten, reisenden Direktoren auch unendliche Umweltschäden auf sich zu nehmen. Auch aufgrund der Auflagen für Ausstellungsräume, die 20 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit haben müssen. Das sind keine Klimageräte, das sind Energievernichtungsmaschinen zugunsten der Kunst. All diese Fragen werden sich vielleicht, wenn wir nachdenklich sind, auch im Zuge der Pandemie stellen.
Vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch und den vorausschauenden Abschluss, der sicherlich anregt, weiter zu denken als nur bis morgen.