Dreidimensionale Raum-Komposition in Form und Farbe

Gisela Stiegler

Ein Grup­pe monu­men­ta­ler vio­let­ter Säu­len, die unwei­ger­lich mit­ein­an­der kor­re­spon­die­ren und eine gel­be Zitro­ne, die hoch oben posie­rend, den Blick auf sich zieht. Redu­zier­te For­men, farb­ge­wal­ti­ge Ober­flä­chen und Gegen­ständ­li­ches tref­fen auf­ein­an­der. Umrahmt von einer Archi­tek­tur, einem hohen ästhe­ti­schen Zie­gel­ge­wöl­be­raum, der schein­bar in einem Kon­text zu den Säu­len steht, sich aber nicht in die­se dyna­mi­sche Kom­po­si­ti­on einmischt.

Die Aus­stel­lung von Gise­la Stiegler in den Räum­lich­kei­ten der „Gale­rie am Stein“ von Moni­ka Perzl im baro­cken Augus­ti­ner Chor­her­ren­stift Rei­chers­berg ist ein beru­hi­gen­des und zugleich in die Tie­fe gehen­des Erleb­nis. Wür­de man die Künst­le­rin als Bild­haue­rin bezeich­nen, so wäre sie damit nicht ganz ein­ver­stan­den, denn ihr Weg zum drei­di­men­sio­na­len Werk, ist ein ganz eigener.

Gise­la Stiegler (*1970 in Suben/Schärding) wur­de ursprüng­lich als Male­rin aus­ge­bil­det. An der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te, in der Klas­se von Franz Graf, ging es um Male­rei mit erwei­ter­tem drei­di­men­sio­na­lem Raum. Dort hat Stiegler foto­gra­fiert und die ent­stan­de­nen Bil­der auf Holz­ku­ben auf­ge­zo­gen, um die Foto­gra­fie ins Drei­di­men­sio­na­le zu tra­gen. Bis 2005 setz­te sie sich dann mit­tels insze­nier­ten foto­grafi­schen Schwarz-Weiß-Still­le­ben, für die sie eigen Objek­te bau­te, mit Fra­ge­stel­lun­gen um Flä­che und Raum, Licht und Schat­ten sowie Rea­li­tät und Illu­si­on aus­ein­an­der. „Irgend­wann hat es sich dann zuge­spitzt. Ich habe ein gro­ßes Objekt gebaut und dach­te mir, das steht für sich, das kann gut ohne Foto­gra­fie über­le­ben. Das war das ers­te Schwarz-Weiß Objekt“, erklärt die Künst­le­rin. Das war ihr ers­ter Schritt hin zum Kon­kre­ten. Die geschnitz­ten Reli­efs fan­den den Weg an die Wand. Zunächst in Bezug zu ihren Foto­grafien, vor­wie­gend in Schwarz, Weiß oder sil­ber­me­tal­li­schen Far­ben lackiert und als Bild­ob­jek­te an die Wand rück­ge­bun­den, danach kamen Far­ben und das Spiel mit deren Wir­kung hin­zu. „Am Anfang hat mich die Ober­flä­che sehr inter­es­siert. Beim Schnit­zen gelang es mir in unbe­wuss­te Denk­mo­da­li­tä­ten zu gera­ten. Wäh­rend die Foto­gra­fie stark von Denk­pro­zes­sen abhän­gig ist, ist man beim Schnit­zen nicht immer im eige­nen Plan. Das Abwei­chen vom Plan kann wie­der neue Türen öff­nen“, meint Stiegler und fährt fort: „Beim Arbei­ten, direkt am Objekt, ent­wi­ckelt sich mein Zuver­sichts­fa­den. Ich muss mich selbst ver­en­gen und ent­schla­cken von all den Ein­flüs­sen von außen, damit ich mich ganz auf die eige­ne Arbeit kon­zen­trie­ren und an die­sem Faden ent­lang in die Zukunft arbei­ten kann. In den tau­send Mög­lich­kei­ten des Tuns wür­de man sich ver­lie­ren.“ Sie ver­liert sich nicht und ent­wi­ckelt sich den­noch ste­tig weiter.

Aus­stel­lungs­an­sicht, Gise­la Stiegler, Gale­rie am Stein

Für die Aus­stel­lung hat sich Gise­la Stiegler mit dem Raum der Gale­rie im Vor­feld aus­ein­an­der­ge­setzt: „Der Raum ist ästhe­ti­sie­rend und die Gefahr ist groß, dass er einen ver­schlingt. Also frag­te ich mich, wel­che Far­be könn­te funk­tio­nie­ren? Schließ­lich ist mei­ne Wahl auf Vio­lett gefal­len, auch des­halb weil es eine lit­ur­gi­sche Far­be ist und mir es so gelingt eine Ver­bin­dung zum Klos­ter­kom­plex, in dem sich die Räum­lich­kei­ten befin­den, her­zu­stel­len.“ Das Vio­lett im Raum erzeugt eine enor­me Wir­kung. Was sich auf­tut ist ein Mini­ma­lis­mus, eigen­stän­dig agie­rend im Raum. Trotz der Reduk­ti­on erlebt man als Betrachter*in etwas Spek­ta­ku­lä­res. Die­se Säu­len sind zuein­an­der in Rhyth­men kom­po­niert und mit einem fes­ten Mate­ri­al beschich­tet. Eine stren­ge for­ma­lis­ti­sche Grup­pe, die Bezug nimmt auf den Raum. „Damit es nicht zu streng wirkt, habe ich die Zitro­ne auf eine der Säu­len gelegt. Sie bricht den For­ma­lis­mus. Mich hat es immer schon inter­es­siert, wie eine Ver­ge­gen­ständ­li­chung in einem abs­trak­ten Ensem­ble funk­tio­nie­ren kann“, führt Stiegler aus. Ent­stan­den ist durch die Zitro­ne eine Span­nung, die den Rezi­pi­en­ten neu­gie­rig macht und dazu auf­for­dert nachzudenken.

Durch die Säu­len­grup­pe hin­durch erblickt man im nächs­ten Raum eine an der Wand hän­gen­de geschnitz­te schwar­ze Zun­ge. Die Zun­ge, die einer­seits ein Sym­bol des Beicht­ge­heim­nis­ses ist, ande­rer­seits auch durch die viel­fa­che Nut­zung von Zun­gen-Emo­jis gegen­wär­tig in der digi­ta­len Kom­mu­ni­ka­ti­on häu­fig als Aus­drucks­mit­tel zur Anwen­dung kommt, inter­es­siert Gise­la Stiegler schon län­ge­re Zeit. Sie plant für eine Kir­che gera­de einen Beicht­stuhl mit dem Grund­mo­tiv der Zun­ge. „Einer­seits leben wir in einer Gesell­schaft der Über­psy­cho­lo­gi­sie­rung, ande­rer­seits ist das Beich­ten out. Und das, obwohl es beim Beich­ten dar­um geht, die See­le zu erleichtern.“

Auf einem nächs­ten wei­ßen Objekt liegt ein schwar­zes Zun­gen­blatt. Stiegler hat die­se Objek­te bewusst in einen Kon­text zuein­an­der gesetzt. Eine wei­te­re Arbeit ist mit Obst belegt, hier wagt die Künst­le­rin wie­der den Schritt zum Gegen­ständ­li­chen. Man spürt, dass es sich nicht um ein­zel­ne Objek­te han­delt, son­dern um ein stim­mi­ges Zusam­men­spiel, das auch humor­voll inter­pre­tiert wer­den kann. Die Künst­le­rin reflek­tiert über den archi­tek­to­ni­schen Rah­men und den his­to­ri­schen Kon­text, in dem ihre Arbei­ten prä­sen­tiert wer­den und ver­leiht durch die­se dar­aus resul­tie­ren­de aus­ge­reif­te Kom­po­si­ti­on ihren far­bi­gen drei­di­men­sio­na­len Objek­ten eine spek­ta­ku­lä­re sakra­le Präsenz.

Stiegler arbei­tet am liebs­ten mit dem leich­ten Mate­ri­al Poly­sty­rol: „Durch die Zügig­keit des Arbei­tens kann ich viel­fäl­ti­ge For­men pro­du­zie­ren und es gibt kei­ne sta­ti­schen Gren­zen. Das wei­che Mate­ri­al bie­tet mir unter­schied­li­che Mög­lich­kei­ten, ich begren­ze mich dadurch nicht.“ Das Mate­ri­al wird ver­putzt und danach über­malt es die Künst­le­rin. Durch die Ver­wen­dung des Fas­sa­den­ma­te­ri­als eige­nen sich die Skulp­tu­ren auch gut für den Außenbereich.

Über die letz­ten Jahr­zehn­te hat sich Stieglers Werk von der Male­rei, über die Foto­gra­fie und einem abs­trakt geo­me­tri­schen For­men­vo­ka­bu­lar zu funk­tio­nie­ren­den Raum-Kom­po­si­tio­nen mit offe­nem Bezug zur Gegen­ständ­lich­keit ent­wi­ckelt. Die­se Aus­stel­lung zeigt deut­lich, dass die­ses Arbei­ten an einem Zuver­sichts­fa­den, Vie­les her­vor­bringt, das neu, eman­zi­piert, humor­voll und bedeu­tend ist. Die Künst­le­rin setzt mit ihrer Aus­stel­lung in der Gale­rie am Stein ein kla­res State­ment, das Lust auf mehr macht. Es wür­de uns nicht wun­dern, wenn wir Gise­la Stieglers kraft­vol­len Arbei­ten zukünf­tig auch im Öffent­li­chen Raum begeg­nen können.

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