Ein (Rück-) Blick über die Schulter

Dietmar Kainrath

Was haben Tirol, das Flie­gen, Sucht, Sport, New York und Red Bull gemein­sam? All das sind The­men des Tiro­lers Kari­ka­tu­ris­ten Diet­mar Kain­rath. Feder, Tusche, spar­sa­mer Umgang mit Was­ser­far­be und der unver­gleich­li­che Strich cha­rak­te­ri­sie­ren sein Werk.

Opa, ich habe eine Idee!“ Unzäh­li­ge Male lief ich mit einer Skiz­ze in mei­ner Hand in das Arbeits­zim­mer mei­nes Groß­va­ters, um ihm mei­nen Ent­wurf für eine Zeich­nung zu sei­ner aktu­el­len Serie zu prä­sen­tie­ren. Von klein auf habe ich sei­ne Arbeit mit­er­lebt – was gewis­ser­ma­ßen unaus­weich­lich war, da Diet­mar Kain­rath zu Hau­se arbei­tend hun­dert­zwan­zig Pro­zent in sei­ne Arbeit inves­tier­te und sich alles um sei­ne Ideen dreh­te. Die­se Hin­ga­be und die­ser Eifer las­sen sich jedoch in sei­ner Früh­zeit ver­geb­lich fin­den: In der Schu­le glänz­te er nicht, die Gewer­be­schu­le brach er gar ab, und er zog dann ohne kon­kre­tes Ziel in die Welt hinaus.

Diet­mar Kainrath

Durch die Arbeit als Gra­fi­ker ent­wi­ckel­te Kain­rath den Blick fürs Genaue, und die­se Prä­zi­si­on fin­det sich auch in sei­nen spä­te­ren Zeich­nun­gen wieder. 

In den fol­gen­den Jah­ren reis­te Diet­mar Kain­rath zwi­schen Ham­burg, Kopen­ha­gen, Basel, Paris, Salz­burg und Wien hin und her, wobei er vie­le inter­es­san­te Men­schen ken­nen­lern­te. Ab und zu ließ er sich zuhau­se in Inns­bruck bli­cken und besuch­te auch für eini­ge Zeit sei­nen Bru­der in Bozen. Zeit­wei­se ver­such­te er sich als Anstrei­cher für gro­ße Con­tai­ner­schif­fe im Ham­bur­ger Hafen oder als Kell­ner in einem Pari­ser Restau­rant, aber es hielt ihn nicht lan­ge in sol­chen Beschäf­ti­gun­gen. Ein­zig sei­ne Betä­ti­gung beim Zir­kus mach­te ihm rich­tig Spaß und erfüll­te ihn für eine län­ge­re Zeit­span­ne: Nach einem Fehl­start als Bauch­la­den­ver­käu­fer ver­trau­te man ihm die Tie­re an, womit er in sei­ner Tier­lie­be auf­ge­hen konn­te. Sein gra­fi­sches Talent ließ er aller­dings all die Jah­re unge­nützt – er wuss­te wohl selbst noch nicht viel davon, obwohl er von Kin­des­bei­nen an gern gezeich­net hat und auch schon die eine oder ande­re Kari­ka­tur dabei schuf – zum Miss­fal­len sei­ner Lehrer.

Das lebens­ver­än­dern­de Ereig­nis fand 1968 in einem Café in Inns­bruck statt. Am Valen­tins­tag traf Diet­mar Kain­rath auf die Lie­be sei­nes Lebens: Vere­na. Es folg­te der Wan­del­des Lebens­stils vom frei­en Bohe­mi­en zum sess­haf­ten Fami­li­en­va­ter. Gezwun­gen zum Geld­ver­die­nen, besann er sich auf sei­ne (abge­bro­che­ne) Aus­bil­dung und begann als Gra­fi­ker in Tirol zu arbei­ten. So ent-warf er Schrif­ten und Logos für vie­le ver­schie­de­ne Fir­men, gestal­te­te Wein­eti­ket­ten und schuf sogar zwei hoch­ge­lob­te Pan­ora­men des Wil­den Kai­sers. Im Zuge des­sen durf­te er einen Rund­flug über die­ses Gebir­ge erle­ben. Damals ent­deck­te er sei­ne Lei­den­schaft für das Flie­gen, die ihn nie wie­der los­las­sen wird.

Ich hat­te unzäh­li­ge Male die Gele­gen­heit, als gedul­de­ter Beob­ach­ter mei­nem Groß­va­ter beim Zeich­nen über die Schul­ter zu schau­en, und daher weiß ich, wie akri­bisch und exakt er sei­nen unver­gleich­li­chen Strich setzt − und das nie­mals mit einem Line­al. Hin­ter der Leich­tig­keit, die sei­ne Bil­der aus­macht, steckt ein lan­ger Pro­zess des Gestal­tens, und meist sind auch meh­re­re Ver­su­che not­wen­dig, bis das Ergeb­nis mei­nen Groß­va­ter, der mit sei­ner Arbeit sehr kri­tisch umgeht, zufrie­den­stellt. Es ist bei­na­he para­dox, mit wel­cher Ernst­haf­tig­keit er sei­nen Humor aufs Papier bringt.

Die Auf­trags­la­ge für Kain­raths g rafi­sche Arbeit reich­te aus, um sei­ne Fami­lie, die mitt­ler­wei­le auf zwei Söh­ne und eine Toch­ter ange­wach­sen war, zu ernäh­ren. Neben rein gra­fi­schen Arbei­ten gestal­te­te Diet­mar Kain­rath ein Fres­ko mit dem The­ma Rit­ter­ge­la­ge in Rat­ten­berg und zeich­ne­te auch Kari­ka­tu­ren, was ihm die meis­te Freu­de berei­te­te. Schließ­lich bekam erdann erst­mals die Chan­ce, eini­ge kari­ka­tu­ris­ti­sche Zeich­nun­gen im Auf­trag des Öster­rei­chi­schen Arbeit­neh­me­rin­nen- und Arbeit­neh­mer­bun­des (ÖAAB) anzu­fer­ti­gen und sie in des­sen Monats­hef­ten zu publi­zie­ren. Er ver­such­te jedoch, in sei­nen Kari­ka­tu­ren so unpo­li­tisch wie mög­lich zu blei­ben, und Bos­haf­tig­keit war nie eine Eigen­schaft sei­ner Bilder.

Nach und nach kamen wei­te­re Auf­trä­ge für Kari­ka­tu­ren her­ein, und schnell wur­de der Name Kain­rath in der Tiro­ler Sze­ne bekannt. 1979 durf­te Kain­rath sei­ne Kari­ka­tu­ren zum The­ma Alko­hol in sei­ner ers­ten Aus­stel­lung zei­gen, und seit die­sem Zeit­punkt gilt er als ein fixer Bestand­teil der Tiro­ler Kul­tur­land­schaft. Die The­men der Auf­trä­ge in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten mögen sehr viel­sei­tig gewe­sen sein, aber die Ideen gin­gen ihm nie aus. Kain­raths frü­her Stil zeich­net sich durch vie­le Stri­che und Schraf­fu­ren aus. Far­be blieb dabei mög­lichst aus­ge­spart − genau­so, wie er immer ver­sucht, auf Tex­te zu ver­zich­ten. Im Lau­fe der Jah­re ver­moch­te es Kain­rath, sei­nen Strich zu redu­zie­ren und damit die Ein­fach­heit und Aus­drucks­stär­ke sei­ner Zeich­nun­gen zu perfektionieren.

So ent­stan­den viel beach­te­te Arbei­ten für renom­mier­te Fir­men. Beson­ders gern nahm er Auf­trä­ge von Flug­ge­sell­schaf­ten an, weil er sich mit sei­ner Lie­be zum Flie­gen aus­ein­an­der­set­zen konn­te. Eine wei­te­re Lei­den­schaft über­kam Kain­rath nach sei­nem ers­ten Auf­ent­halt in der Stadt, die nie­mals schläft, New York. Die­se Stadt inspi­rier­te ihn zu zahl­rei­chen Bil­dern, die auch in der bekann­ten Earl McGrath Gal­lery im Big Apple aus­ge­stellt wur­den. Häu­fig befass­te sich Kain­rath mit sport­li­chen Inhal­ten (Fuß­ball, Golf, Schwim­men, Ten­nis, Kitz­bü­hel und dem Hah­nen­kamm­ren­nen), und das, obwohl er sich selbst nie sport­lich betä­tig­te. So wur­de er bei­spiels­wei­se vom Land Tirol beauf­tragt, für die Tiro­ler Olym­pia­me­dail­len­ge­win­ner der Spie­le in Cal­ga­ry 1988 Zeich­nun­gen zu schaf­fen, und 2016 kre­ierte er für das Ski­fah­rer­paar Ben­ja­min und Mar­lies Raich die Ein­la­dung zur Hochzeit.

Eine neue Her­aus­for­de­rung bot sich Diet­mar Kain­rath im pen­si­ons­rei­fen Alter, als er als Car­too­nist und Illus­tra­tor für The Red Bul­le­tin unter Ver­trag genom­men wur­de. Mit Red Bull­trat die Dose in sein Leben, die ihm mit ihrer Form neue Per­spek­ti­ven eröff­ne­te und ihm im Lau­fe der Jah­re ans Herz wuchs. Neben Car­toons für The Red Bul­le­tin, das sich vom Pad­dock – Maga­zin der For­mel 1 zum glo­ba­len Life­style-Maga­zin ent­wi­ckel­te, konn­te Kain­rath The­men sei­ner Wahl nach­ge­hen und gan­ze sie­ben Aus­stel­lun­gen im Hangar‑7 in Salz­burg gestal­ten. Einen beson­de­ren Stel­len­wert für mei­nen Groß­va­ter hat­ten immer Arbei­ten für kör­per­lich ein­ge­schränk­te Men­schen und Pro­jek­te mit Kin­dern. Eben­so genoss ich in den letz­ten Jah­ren eine Zusam­men­ar­beit mit ihm und konn­te dabei mei­ne eige­ne Krea­ti­vi­tät ent­wi­ckeln: Auf einem Blatt Papier begann einer von uns mit einer Idee, und der ande­re ant­wor­te­te dar­auf. So lau­fe ich auch heu­te noch mit Vor­schlä­gen zu mei­nem Großvater…

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studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien und als Enkel von Dietmar Kainrath verfügt er auch über eine kreative Ader: als Ausgleich zur wissenschaftlichen Arbeit greift er zu Acryl und Pinsel, schafft kleine Skulpturen, versucht sich in Fotografie und Film und findet besonders im Schreiben Erfüllung.

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