Lena Salavei: Die Architektur in der Kunst oder die Kunst in der Architektur?
Das grafische Werk der Architektin und Künstlerin Lena Salavei ist ein originelles Phänomen in der bildenden Kunst. Die postmoderne Wahrnehmung der Welt, eine induktive Schaffensmethode, ein Rückgriff auf das philosophische Verständnis des Seins, verbunden mit Originalität und Innovation des Stils, verleihen ihren grafischen Werken eine Frische und die Nichttrivialität der künstlerischen Interpretation. Sie definiert eine feine Linie zwischen dem realen und dem abstrakten Bild, die auf der Suche nach dem primären Element allen Seins beruht. Salavei kopiert nicht die umgebende Wirklichkeit, sondern stellt jene figurativen Strukturen wieder her, die unbewusst entstehen, während sie die Elemente der umgebenden Welt wahrnimmt.
Das Wesen der Natur und das Wesen einer bestimmten Person finden ihre vollständige, ganzheitliche Verkörperung im Zeichen – dem semantischen Korn, in dem das Mysterium des Lebens seinen Ursprung hat. Die von Salavei vorgeschlagene Realität erscheint in ihren grafischen Arbeiten als komplex, lebendig, facettenreich, gewebt aus disparaten Phänomenen, die zu einem einzigen Gewebe eines künstlerischen Bildes verwoben sind.
METAMORPHOSEN
In der Arbeit „Metamorphosen“ stellen Collage und Mosaik der kompositorischen Struktur die umgebende Wirklichkeit als eine Menge universeller Codes dar, die im Zusammenspiel miteinander ein integriertes, facettenreiches System des Seins bilden. Bilder von Menschen und Tieren, durchsetzt mit Buch-staben und Textfragmenten, erlauben uns, über die Intertextualität von „Metamorphosen“ zu sprechen. In stilistischer und methodologischer Hinsicht steht sie dem grafischen Werk des deutschen Expressionisten Otto Dix und der „analytischen Kunst“ von Pavel Filonov nahe.
Salavei kopiert nicht die umgebende Wirklichkeit, sondern stellt jene figurativen Strukturen wieder her, die unbewusst entstehen, während sie die Elemente der umgebenden Welt wahrnimmt.
MEERJUNGFRAUEN UND VÖGEL
Mann und Frau … Beziehungen, Einheit und Kampf der Gegensätze. Ein ewiges Thema, das die Künstler*innen verschiedenster Epochen als Grundlage für ihre Bildmotive wählten. In ihrem Werk „Meer-jungfrauen und Vögel“ bewegt sich Salavei von der allgemeinen Ebene auf eine besondere, versucht nicht den Unterschied der Antipoden, sondern die duale Natur jeder Person zu zeigen, in der männliche und weibliche Prinzipien auf der physischen und psychischen Ebene interagieren. Das Verständnis der Moderne durch die Folkloretradition erlaubt es, tiefer in die Ursprünge des Seins einzudringen und so die strukturellen Beziehungen zwischen Individuum, Gesellschaft und Natur, Vergangenheit und Gegenwart aufzudecken.
TROPISCHE SERIE
Die „Tropische Serie“ ist eine Synthese von Werken, die paarweise in sechs semantische Blöcke unterteilt sind. Monochrom-Fotografien und grafische Darstellungen von Bäumen und Pflanzen, die komplexe und manchmal widersprüchliche Prozesse und „Beziehungen“ in der Natur aufzeigen. Mit der Skrupellosigkeit eines wissenschaftlichen Forschers analysiert Salavei im Detail die subtilsten Energieströ-me der Natur – die Strukturen, in denen die Keimbildung, Entwicklung und Auslöschung von Leben stattfinden. Die Fotografien der Tropenreihe zeigen einen Generalplan des Objekts, der als Grundlage für weitere philosophische und künstlerische Überlegungen dient. Grafischen Bildern wird dieser Gedan-ke konkretisiert, erfüllt von einem spirituellen, meta- physischen Prinzip.
So wird eine biologische Zelle, die hier in der Vielfalt und Variabilität ihrer Arten dargestellt wird, mit dem Stammvater aller Dinge gleichgesetzt und ist daher mit einer besonderen symbolischen Bedeutung ausgestattet. Die Vielfalt und Einheit des Seins manifestieren sich hier im Prinzip in der engen Verflechtung von Makro- und Mikrowelt, ergänzen, in der Einzigartigkeit jedes Elements. Die Natur, so die Künstlerin, ist ein lebendiger Organismus, die durch die gleichen Entwicklungsstadien wie jene der Menschen gekennzeichnet ist.
SERIE „MOUNTAINS“
Die Grundlage der thematischen Reihe „Berge“ bilden die philosophischen Gedanken der Künstlerin über die Einheit von Leben und Tod, über die Zerbrechlichkeit und Unendlichkeit aller Dinge, über den Fluss natürlicher Lebensformen in eine andere energetische Legierung, über die Unberechenbarkeit des spirituellen Weges. In den Augen Salaveis hat jeder Berg, wie eine Person, eine besondere Einzigartigkeit, ein eigenes einprägsames „Gesicht“. Die technische Seite der Aufführung ist mit einer Vielzahl von rhythmischen Strukturen gespickt.
Sie verbindet harmonisch die Subtilität der tonalen Flecken mit einem mäandernden, dynami-schen Anschlag. Alle Linien greifen in der wirbelnden Bewegung ineinander. Die Präsenz vertikaler, horizontaler und diagonaler Linien in den Werken wird symbolisch mit den ontologischen Konzepten des Oben und Unten, des Göttlichen und des Weltlichen verglichen, zwischen denen das wirkliche Leben von Natur und Mensch fließt. Der archetypischen Logik folgend, interpretiert Salavei den Berg als eine Weltachse, die mit dem biblischen Baum der Erkenntnis identifiziert wird. Auf der anderen Seite sind in den grafischen Werken der Künstlerin der Einfluss östlicher Kulturen, insbesondere des Buddhismus und Taoismus, spürbar. Meditation, Kontemplation, spirituelles Wachstum und damit das Erwachen, bestimmen den Symbolcharakter der Grafiken. Ikonographisch stehen die Werke der Serie dem Genre der traditionellen chinesischen Malerei, dem Shan-Shui („Wasserberge“), nahe, in dem die Landschaft nicht nur ein Spiegelbild der Natur war, sondern auch ein philosophisches Bild der Welt verkörperte. So verkörperte der leere Raum um natürliche Objekte (Berge, Flüsse) die Idee des Tao, die nach den Lehren des Laotse Tzu „neblig und unbestimmt ist, aber die Dinge sind in ihrem Nebel und ihrer Ungewissheit verborgen.“ In den Werken von Salavei ist der Raum ein leeres Blatt und dient als primäres Medium, in dem grafische Bilder geboren werden. Thematisch knüpft die Serie „Berge“ an das Werk von Vincent Van Gogh, Nikolaj Konstantinovic Roerich, Katsushika Hokusai, Utagawa Hiroshige an, was wiederum den Werken der Künstlerin einen besonderen Nachgeschmack und ästhetischen Reiz verleiht.