Die Liebe ist als Weltzerstörendes ein Weltgebärendes

Die Gestal­tung des Eros ist in unse­rer Kul­tur ein Seis­mo­graph unse­rer Daseins­ver­hält­nis­se. Die Eros-For­men sind Arche­ty­pen von Lebens­for­men. Ero­ti­sche Träu­me sind Lebens­ent­wür­fe. Lie­be ist seit der grie­chi­schen Anti­ke das Exis­ten­zi­al der abend­län­di­schen Kul­tur. Als sol­ches prägt es nicht nur die inti­men und sozia­len Bezie­hun­gen, son­dern auch die poli­ti­schen. Die poli­ti­sche Dimen­si­on des Eros zeigt sich dar­in, dass er bei Pla­ton als das Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zip von Gemein­schaft ver­stan­den wird, als grund­le­gen­de exis­ten­zi­el­le Bezie­hung zwi­schen den Ange­hö­ri­gen der Polis, die das gesam­te Leben der Polis durch­herr­schen soll. Die Ero­to­pia Pla­tons ist das Para­dig­ma dafür, wie und nach wel­chen Maß­stä­ben das affek­tiv fun­dier­te Leben von Gemein­schaf­ten gere­gelt und kon­trol­liert wer­den könnte.

Wie die höchs­te Form des Ero­ti­kers bei Pla­ton der Phi­lo­soph ist, so ist auch die höchs­te Form der poli­ti­schen Herr­schaft die der Herr­schaft der Phi­lo­so­phen, die Herr­schaft der Ero­ti­ker, der Par­r­he­si­as­ten. Mit dem Phi­lo­so­phen herrscht die wah­re Lie­be. Die­ses Ide­al wirkt über die Jahr­tau­sen­de fort in der Idee des Herr­scher­phi­lo­so­phen, der sich zugleich als Künst­ler­phi­lo­soph ver­steht. Klas­sisch hat dies Richard Wag­ner in sei­ner Idee des Gesamt­kunst­wer­kes, die heu­te in der Lebens­kunst­phi­lo­so­phie als Lebens­kunst­werk indi­vi­dua­lis­tisch säku­la­ri­siert wird.

Lie­be ist wie jedes Exis­ten­zi­al eine Macht. Sie ist die Macht des Lebens, des Emprak­ti­schen, und wie das Emprak­ti­sche bewegt sich die Lie­be im Span­nungs­feld von Dio­ny­si­schem und Apol­li­ni­schem. Der Eros gip­felt im Zustand des Ver­liebt­seins, im Augen­blick der Eksta­se, in der gött­li­chen Ein­ge­bung der Braut­mys­tik. Dann wird die Lie­be zum Ereig­nis. Das Emprak­ti­sche wird zum Exprak­ti­schen. Lie­be ist dann der Zustand, in dem man glaubt, von nun an erst beginnt man zu leben. Das augen­blick­li­che Ver­liebt­sein ist aso­zi­al, denn es ereig­net sich streng genom­men, nach christ­lich-roman­ti­scher Vor­stel­lung, nur in der einen Welt von Zwei­en. Da gibt es zunächst nie­mand ande­ren in die­ser Welt. Schon wenn ein Kind gebo­ren wird, müs­sen die Eltern über­le­gen, wie sie ihre Lie­be tei­len wollen.

Wenn der Blitz der Lie­be ein­schlägt, dann wird mit der Welt gebro­chen, aber im Bruch mit der bis­he­ri­gen Welt ent­steht ein neu­er Welt-Raum. Daher wird der Eros von sei­nen mythi­schen Anfän­gen her immer kosmo­go­nisch ver­stan­den. Lie­be ist immer kosmo­go­ni­scher Eros, in dem ein neu­er Welt­in­nen­raum ent­steht, eine inne­re Burg gegen­über der ent­frem­de­ten Umwelt. Welt­los haben Ver­lieb­te eine, ihre Welt.

Die mys­ti­sche, roman­ti­sche Lie­be, ist welt­los, das heißt objekt­los. Der Gelieb­te ist nie Objekt, und durch die­se Welt­lo­sig­keit, die­se Welt­fremd­heit erzeugt die Lie­be eine neue Welt. Die Lie­be ist als Welt­zer­stö­ren­des ein Welt­ge­bä­ren­des. Als welt­ge­bä­rend ist der ursprüng­li­che voll­sinn­li­che Eros nicht selbst­los, son­dern ego­is­tisch. Er ist ursprüng­lich vom Eigen­wol­len, nicht vom Wohl­wol­len gegen­über ande­ren bestimmt. Nicht Mit­lei­den, son­dern Mit­freu­en ist sein Kern. Die­ser Eros ist anfäng­lich auch nicht barm­her­zig und mil­de, son­dern sein Ver­ei­ni­gungs­stre­ben macht ihn gewalt­tä­tig und zu einer erobern­den Waf­fe. Er will sich den Ande­ren erobern und ihn auf den Thron für sich heben. Der Eros ent­hält also vom Ansatz her alle Über­trei­bun­gen der Selbst­sucht sowie des Wohl­wol­lens, des Mit­freu­ens und des Mit­leids. Im Urstrom des Eros sol­len alle beglückt wer­den. Die gan­ze Welt soll umarmt wer­den ohne Rück­sicht auf den Ande­ren. Das kann aber eben dazu füh­ren, dass die Lie­be nicht nur beglückt, son­dern selbst tra­gisch enden kann, Unglück bedeu­tet, wenn die Lie­be auf kei­nen Reso­nanz­bo­den stößt. Die Lie­be als das „Spalt/Ende“ (Rim­baud) wird dann das Spaltende.Sie wird zu einer Tyran­nei des Ver­ei­ni­gungs­stre­bens mit dem Ande­ren, in der der Ande­re  ver­senkt wird.

Soll die Lie­be sozi­al wer­den, muss man sich also in gewis­sem Maße ent­lie­ben, was in extre­men christ­li­chen Aske­se­tech­ni­ken nicht nur zur Ent­sinn­li­chung, son­dern sogar zur Ent­lei­bung führt. Lie­be ist ein Exis­ten­zi­al, das heißt, sie ist eine Daseins­be­stim­mung, die das Leben zu dem macht, was es ist. Als eine sol­che kul­tur­anthro­po­lo­gi­sche Tran­szen­den­ta­lie bestimmt sie das Eigent­li­che des mensch­li­chen Lebens. Exis­ten­zia­le sind gestimm­te Tran­szen­den­ta­li­en, kei­ne rei­nen denka­prio­ri­schen Tran­szen­den­ta­li­en. Sie sind der sinn­li­che Grund unse­res Daseins, der ihm Sinn gibt. Lie­be ist also immer Sinn­lich­keit, aber sich selbst tran­szen­die­ren­de Sinn­lich­keit. Sie ist dadurch selbst in ihrer blo­ßen Geschlecht­lich­keit etwas die Geschlecht­lich­keit Übersteigendes.

Zur Illu­si­on der Lie­be gehört: der wie­der­keh­ren­de Kugel­mensch, die wie­der­keh­ren­de Ein­heit des in der Rea­li­tät Getrennten. 

Grenz­stein, Technik/Material: Acryl auf Lein­wand, Maße: 75 x 106 cm, 2020
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Künstlerphilosophin. Sie promovierte zum Thema: „Sehnsüchtige Körper – Eine Metatropie“. Lehre seit 2006 an verschiedenen Hochschulen und Universitäten. Darunter: Philosophisches Institut der Universität Leipzig, Hochschule für Grafik und Buchkunst zu Leipzig, Kulturwissenschaftliches Institut der Uni Leipzig, Germanistische Institute der Universitäten Lodz, Piliscisiaba/Budapest und Sydney/Australien. Außerdem hielt sie Vorlesungen und Seminare vom WS 2012/13 – WS 2013/14 als Juniorprofessorin (i.V.) an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig. Kolumnistin der Leipziger Zeitung seit 2015. Mitglied des kulturwissenschaftlichen Beirates Klinikum Bremen Ost. Von 2002 bis 2010 war sie Vorstandsmitgleid der Nietzsche Gesellschaft e.V.. Wichtigste Publikationen: Volker Caysa/ Konstanze Schwarzwald: Nietzsche – Macht – Größe (De Gruyter), Volker Caysa/ Konstanze Schwarzwald: Experimente des Leibes (Peter-Lang-Verlag 2008), Sehnsüchtige Körper – Eine Metatropie (2011), Askese als Verhaltensrevolte (2015), Denken des Empraktischen (2016). www.empraxis.net. Foto © Hagen Wiel

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