Ein Besuch bei Joseph Salvenmoser
Der Kitzbüheler Joseph Salvenmoser hat Anfang der 80er Jahre die Ausbildung zum technischen Glasapparatebläser absolviert; ein Beruf, der äußerste Präzision erfordert und seit 1983 schon gar keiner mehr ist. Technische Zeichnungen dienten den Glasapparatebläsern als Vorlage, um Glas zu verarbeiten. Über der Flamme eines Gasbrenners erlernte Salvenmoser das Glas so lange zu wärmen, bis dieses zähflüssig und formbar wurde, um den Glaskörper in die gewünschte Form zu blasen. »Kreativ war dieses Handwerk für mich damals noch nicht, aber ich habe gelernt präzise zu arbeiten.« Salvenmoser verwendet auch heute noch Tischbrenner und Handgebläse. Dieses alte Kunsthandwerk nennt sich das »Glasblasen vor der Lampe« und verdankt seinen Namen einer Öllampe mit Blasebalg, mit deren Hilfe die Glasstäbe erhitzt wurden, um das erweichte Glas zu Perlen, Figürchen und allerlei anderen dekorativen Objekten formen zu können. Die Öllampe wurde inzwischen durch den Gas(gebläse)brenner ersetzt, der Name blieb erhalten.
Der Werkstoff Glas wurde vor rund 9.000 Jahren entdeckt, zumindest sind aus jener Zeit die ersten Funde dokumentiert. Die Urform des Glases dürfte Obsidian sein, ein natürlich vorkommendes, hartes, vulkanisches Gesteinsglas. Daraus wurden vor allem Werkzeuge hergestellt. Die bewusste und organisierte Fertigung von Glas begann vor etwa 5.000 Jahren. In kleinen Manufakturen fertigten die Ägypter Gefäße und Schmuckstücke aus Glas. Das älteste und sicher zu datierende Glasgefäß ist ein Kelch, der den Namen des ägyptischen Pharaos Thutmosis III. trägt und um 1450 v. Chr. entstand. Dieser steht heute im Staatlichen Museum ägyptischer Kunst in München. Das erste bekannte Rezept für Glas reicht in das Jahr 658 v. Chr. zurück und wurde aus der Bibliothek des assyrischen Königs Assurbanipal überliefert: »Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen und 5 Teile Kreide und du erhältst Glas.« Ab ca. 100 v. Chr. ermöglichte die Erfindung der Glasmacherpfeife die Produktion großvolumiger Gefäße und zwischen 300 und 500 n.Chr. wurden die ersten Trinkgläser hergestellt.


Salvenmosers erstes Trinkglas, das er formte, war ein »Schnapsglas«. Als er nämlich Ende 1987 in den noblen Restaurants Kitzbühels das Aufkommen der Edelbrand-Kultur beobachtete, vermisste er das passende Trinkglas dazu. Er setzte sich in seiner Werkstatt vor die »Lampe« und formte eine erste Serie an unikaten Edelbrand-Gläsern, die im Kitzbüheler Geschenksladen seiner Mutter überraschend gut angenommen wurden. Das Erfolgsrezept war wohl die gelungene Kombination aus Kreativität, Präzision und hochwertigem Rohstoff. Von Anfang an arbeitete Salvenmoser beim Glasblasen mit Borosilikatglas, »erstmals hergestellt 1887 von dem deutschen Chemiker und Glastechniker Otto Schott und aufgrund seiner vorteilhaften Beschaffenheit vorwiegend für Laborgläser verwendet. Es ist das nachhaltigste Glas, weil ich es immer wieder reparieren und zusammenschmelzen kann. Daraus entstehen quasi Gläser für die Ewigkeit.« Die Trinkgläser so dünnwandig zu blasen, wie Joseph Salvenmoser es schafft, ist ein sehr seltenes Können. Für ihn »der eigene handwerkliche Kick. Dünnwandig ist meine Spezialität!« Das Geheimnis liegt in den Brennern aus den 50er Jahren, die eine dermaßen gewölbte Flamme haben, dass sich der Kelch groß öffnen lässt. Jedes Glas aus Salvenmosers Boutique-Atelier ist ein kreativ designtes Unikat. Ein Erlebnis für sich. Mundgeblasen für emotionale Momente an der feierlich gedeckten Tafel oder am alltäglichen Mittagstisch. Ein Glas, das klingt und schwingt, den Genussmoment einfängt. Leicht und widerstandfähig. Geschmacks- und geruchsneutral. Ein Glas für die Ewigkeit.
Die Gläser aus Kitzbühel blieben demnach nicht unbemerkt. So wurde beispielsweise die Schnapsbrennerei Rochelt auf den jungen Joseph Salvenmoser aufmerksam und erteilte einen Großauftrag nach dem anderen. »Ich war Tag und Nacht in der Werkstatt. Es hat großen Spaß gemacht, dass mein erlerntes Kunsthandwerk, für das ich selbst brannte, diese Anerkennung erfuhr.« Die von ihm designten und geblasenen Rochelt-Gläser wurden zu einem regelrechten Kult in der gehobenen Gastronomie und gelangten zu internationalem Ruhm. Auch die Wein- und Wassergläser aus Salvenmosers Werkstatt sind begehrt. Der Kunsthandwerker kreiert aus seinen Ideen stets neue Prototypen, die zunächst im Kreise der Familie getestet werden, bevor er eine Serie fertigt. »Mir ging es stets um eine Neu-Interpretation eines Trinkglases. Ich möchte das Trinkglas schräger, witziger, spannender machen, es weiterentwickeln.« Auf diese Weise entstanden selbst Designobjekte für Glassammler, die zuerst bei Hartmann Henn in Wien, danach in Galerien in München, Luxemburg, Paris und New York ausgestellt wurden. Daneben reihte sich die Weiterentwicklung zu der von Salvenmoser selbst als »Edelkitsch« bezeichneten Serie, in der eine filigrane Kitz Gams oder ein Hirsch im Bauch des Glases springt. Bis heute sind diese Gläser ein »Top Seller« im Sortiment des Ateliers. Als Salvenmoser schließlich zum ersten Mal Schnapsflöten ohne Fuß kreierte, zeigte man ihm den Vogel. Aber einmal in der Gastronomie »Fuß« gefasst, wurde auch diese Flöte zum absoluten Hype. Der Edelbrand-Absatz in Restaurants und Bars stieg um 300 %, denn es war das Erlebnis, aus diesem eleganten Glas ohne Fuß zu trinken, von dem sich die Gäste zum Konsum hinreißen ließen.


Salvenmoser schafft kein objektives Trinkglas, sondern ein emotionales individuelles Trinkerlebnis. Das Kunsthandwerk zu beherrschen, ist eines, aber seine Begeisterung für die Trinkkultur in jedes Unikat einfließen zu lassen, ist das, was seine Gläser auszeichnet. In Begeisterung steckt das Wort Geist: Salvenmoser verbindet sein Bewusstsein mit seinem Geist, wodurch ein Sog entsteht, der seine Schöpferkraft in Bewegung setzt. Es gelingt ihm das, was er sich vorstellt und entfalten möchte, zu erschaffen. Aber nicht nur für Glas kann sich »Seppi«, wie er liebevoll von allen, die ihn besser kennen, genannt wird, begeistern. Den abenteuerlustigen Kitzbüheler begleiten Zeit seines Lebens auch andere »Geister«. Lauscht man seinen unzähligen Geschichten und Anekdoten, hat man das Gefühl, er würde drei oder gar vier erfüllte Leben leben: Drachenfliegen, Windsurfen, Oldtimer sammeln und jedes für sich mit einem weltmeisterlichen Anspruch. Wenn Joseph Salvenmoser die Begeisterung packt, dann so richtig, dann will er in dem, was er tut, ein anständiges Niveau erreichen. »All that matters is work.« So beschrieb es einst Andy Warhol. Wasser und Wind sind seit der frühen Kindheit »Seppis« wahre Elemente. Kurz nach seiner abgeschlossenen Ausbildung zum Glasapparatebläser reiste er nach Hawaii und verwirklichte seinen Traum vom Surfen auf den höchsten Wellen. Seine mit Lebensmittelfarben selbst bedruckten Boxer-Shorts fielen dem Surfstar Mike Eskimo auf, der Salvenmoser nach einem kurzen Kennenlernen gleich in seinem Design-Atelier beschäftigte. Aus einem Monat Hawaii wurden zwei Jahre – Ein unvergessliches Abenteuer.
Zurück in Kitzbühel hat es ihm das Drachenfliegen angetan. Ambitioniert widmete er sich in der wenigen Zeit, die neben dem Glasblasen blieb, diesem mutigen Sport. Er hatte Talent – keine Frage. Zwischen 1999 und 2019 war er Teil der österreichischen Nationalmannschaft und flog zahlreiche Erfolge ein. Als »Gladiatoren der Lüfte« wurden er und seine Kollegen unter den Top Ten in der Weltrangliste beschrieben.

Und nicht nur beim Sport, sondern auch beim Sammeln folgt Salvenmoser dem Zitat Andy Warhols. »Wie die Jungfrau zum Kinde kam, so habe ich die Liebe zu Porsche-Oldtimern gefunden«, erzählt er. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Hawaii wollte sich der Abenteurer kein gewöhnliches neues Auto, sondern einen Oldtimer mit Charakter anschaffen; einen, mit dem es ihm möglich war, problemlos bis an den Gardasee zum Windsurfen zu fahren. Laut dem Händler seines Vertrauens könne das nur ein Porsche 911 erfüllen. Aus einem wurden schnell mehrere und zugleich eignete sich Salvenmoser präzises historisches Wissen über diese Sportwagen an: »Ihr könnt mich alles fragen, ich kenne jeden Stoff, jede Naht, jeden noch so feinen Ausstattungsunterschied, jedes Pickerl, jeden Rennfahrer. All diese Bücher über Porsche habe ich geradezu in mich hineingefressen. « Am Zenit seiner »Sammlerleidenschaft« besaß er schließlich vierzig 911er. »Irgendwann suchst du nicht mehr Autos, du suchst Farben: Blutorange, Kristallblau, Lindgrün … Aus einer Suche wird eine regelrechte Sucht.« Die wertvollen Oldtimer waren irgendwo bei Freunden und Freunden von Freunden untergestellt. Schließlich fand er durch Zufall auch noch seinen absoluten Traumporsche: »Meinen One and Only Porsche: Den Silver Bullet. Ein 356er 1955 Continental Coupe für Amerika und Australien geliefert.« Das Auto ist ein Konzept von Jeff Dutton: Die Optik von 1950 mit der Technik von 1973. Dieses prachtvolle Stück hegt und pflegt Salvenmoser genauso engagiert und ambitioniert wie seine anderen Leidenschaften und seine Familie – Frau Simone und die drei Kinder sind sein ganzer Stolz.

Salvenmosers Lebensinhalte reihen sich um ein zentrales Thema: Authentische Begeisterung. Begegnet uns zukünftig ein mit JS signiertes Glas, werden wir uns gerne an den »Geist« dieses beflügelnden und dennoch sympathisch bodenständigen Gesprächs zurückerinnern.
Der Artikel ist in der Print-Ausgabe 3.22 REFLECTION erschienen.