Stephan Balkenhols Skulpturen gehören zu den bekanntesten Werken zeitgenössischer Bildhauerei in Deutschland. Seine meist wie beiläufig dastehenden, neutralen, normlen Figuren bevölkern zahlreiche Museen und öffentliche Orte in unseren Städten. Er hat überwiegend menschliche Figuren, aber auch Tierdarstellungen und Fabelwesen geschaffen, deren einfach und unaufdringlich anmutende Formensprache gleichzeitung zu seinem großen Erfolg beigetragen hat und für einige Kritiker und andere Vertreter der Kunstszene zur Provokation wurde.
So fühlte sich die Leiterin der Großausstellung Documenta 13 2012 zu einer distanzierenden Stellungnahme veranlasst, als eine Skulptur von Balkenhol weithin sichtbar im Turm der Kirche St. Elisabeth aufgestellt wurde, um auf eine Ausstellung des Künstlers in diesem Kasseler Gotteshaus hinzuweisen, die unabhängig von der Documenta stattfand. Kürzlich veröffentlichte der Kritiker Hanno Rauterberg in der Zeit eine Polemik unter dem Titel „Holzköppe für alle“, in dem er das Werk Balkenhols als „tumbe, ewig gleiche Kunst (…) von possierlicher, manchmal heiterer Belanglosigkeit“ attackierte.
Derartige Kritik an der vermeintlichen Oberflächlichkeit, dem Dekorativen und Harmlosen seiner Kunst teilt Balkenhol mit einer ganzen Reihe sehr erfolgreicher und bedeutender Künstler, deren Arbeiten für ein sehr großes Publikum zugänglich sind – man kann hier etwa die Namen von Malern wie David Hockney oder Alex Katz anführen, deren Werke sehr ähnlich kritisiert werden. Zugänglichkeit und Popularität als Makel aufzufassen, zeugt allerdings weniger von Selbstsicherheit und Souveränität als von Angst. Oberflächlich sind nicht die kritisierten Werke, sondern die Kritik an ihnen, wenn sie sich auf den oberflächlichen ersten Eindruck eines Werkes verlässt.
In den vergangenen gut 30 Jahren seiner bildhauerischen Arbeit hat Balkenhol seine Formensprache immer weiter verfeinert und auf verschiedensten Gegenstände angewendet.
Die Skulpturen von Stephan Balkenhol tragen eine bewusste Auseinandersetzung mit der bildhauerischen Tradition seit der Klassischen Antike in sich und bündeln eine Reihe teils gegensätzlicher bildhauerischer Ideen und Konzeptionen. Balkenhol ist ein postabstrakter, postminimalistischer Bildhauer, und seine Figuren sind durch die Erfahrung der modernistischen, bis zur Gegenstandslosigkeit reduzierten Formensprache hindurchgegangen. Wenn sie ikonografisch unbestimmt, „neutral“, geschichtslos oder unliterarisch sind, dann aus diesem Grund. Balkenhols Mann in Hemd und schwarzer Hose ist zu einem Archetyp geworden, der als Formelement dem einzelnen Granitblock seines Lehrers Ulrich Rückriem oder der lackierten Stahlbox von Donald Judd entspricht. Balkenhols Entscheidung für die handwerklich erschaffene, aus dem Holzstamm geschlagene Figur ist im Hinblick auf die vor ihm entstandenen spezifischen Objekte der Minimal Art keineswegs revisionistisch – er hat diese Skulpturtradition nicht abgelehnt, sondern sich einverleibt und als zusätzliche inhaltliche Dimension seiner Figuren zunutze gemacht. Der amerikanische Maler Alex Katz ist bei seiner figurativen Malerei im Hinblick auf die kompositionslosen Riesenformate von Jackson Pollock genauso vorgegangen. Man muss diese Beziehung zur modernen Tradition nicht unbedingt wahrnehmen, sie ist allerdings dezidiert vorhanden und kann bei einer Beurteilung dieser Werke nicht außer Acht gelassen werden.
Auch wenn in der Literatur über Stephan Balkenhol die lapidare Neutralität der Ausführung immer wieder beschrieben worden ist, darf man die Genauigkeit und die Details seiner Gestaltungsform nicht übersehen. Viele seiner Figuren zeigen Mikrogesten, die sie individuell erscheinen lassen – besonders deutlich wird das ablesbar in seinen Skulpturengruppen wie etwa den Pinguinen in der Sammlung des Museums für Moderne Kunst Frankfurt oder in den Darstellungen tanzender Paare, die als Gruppe eine erhebliche Bandbreite an Beobachtungen und Feinheiten dokumentieren. Schon früh kamen zu den Figuren auch Reliefs, in denen er Landschaftsdarstellungen von erheblicher malerischer Überzeugungskraft schuf. Das Repertoire seiner Figuren ging zwar von dem einfach dastehenden Mann im Hemd aus, wurde aber um zahllose Variationen erweitert.
Diese Variationen betreffen das Motiv insgesamt (Männer, Frauen, Tiere, Mischwesen), aber auch Details wie Körperhaltungen und Maßstabsänderungen. Balkenhol reflektierte grundlegende bildhauerische Fragestellungen wie die nach dem Sockel, meist indem der Baumstamm, aus dem die Figur geholt wurde, auch den Sockel bildet und ihn so untrennbar mit der Figur verbindet. Er nutzte aber auch häufig Tische oder Konsolen für die Montage einer Figur an der Wand. Seine Skulpturen weichen stets von der realen Lebensgröße seiner Motive ab und unterstreichen so ihre Künstlichkeit. Mit diesem einfachen Mittel kann Balkenhol ohne emotionalen Überschwang darauf hinweisen, dass die Kunst eine eigene Sphäre markiert. Dabei strahlen seine Werke immer eine Zeitgenossenschaft aus, die sie unverwechselbar zu Werken am Übergang des 20. zum 21. Jahrhundert machen, auch wenn sie bewusst skulpturale Formen aufgreifen, die Jahrhunderte älter sein können.